Maximilien François Marie Isidore de Robespierre 1758 – 1794
ZWEITER AKT
ERSTE SZENE
Ein Zimmer
Danton. Lacroix. Philippeau. Paris. Camille Desmoulins.
Camille.- Rasch, Danton, wir haben keine Zeit zu verlieren!
Danton (er kleidet sich an).-
Aber die Zeit verliert uns. Das ist sehr langweilig, immer das Hemd
zuerst und dann die Hosen drüber zu ziehen und des Abends ins Bett und
morgens wieder herauszukriechen und einen Fuß immer so vor den andern
zu setzen; da ist gar kein Absehen, wie es anders werden soll. Das ist
sehr traurig, und daß Millionen es schon so gemacht haben, und daß
Millionen es wieder so machen werden, und daß wir noch obendrein aus
zwei Hälften bestehen, die beide das nämliche tun, so daß alles
doppelt geschieht - das ist sehr traurig.
Camille. - Du sprichst in einem ganz kindlichen Ton.
Danton. - Sterbende werden oft kindisch.
Lacroix.
- Du stürzest dich durch dein Zögern ins Verderben, du reißest alle
deine Freunde mit dir. Benachrichtige die Feiglinge, daß es Zeit ist,
sich um dich zu versammeln, fordere sowohl die vom Tale als die vom
Berge auf! Schreie über die Tyrannei der Dezemvirn, sprich von
Dolchen, rufe Brutus an, dann wirst du die Tribunen erschrecken und
selbst die um dich sammeln, die man als Mitschuldige Héberts bedroht!
Du mußt dich deinem Zorn überlassen. Laßt uns wenigstens nicht
entwaffnet und erniedrigt wie der schändliche Hébert sterben!
Danton.-
Du hast ein schlechtes Gedächtnis, du nanntest mich einen toten
Heiligen. Du hattest mehr recht, als du selbst glaubtest. Ich war bei
den Sektionen; sie waren ehrfurchtsvoll, aber wie Leichenbitter. Ich
bin eine Reliquie, und Reliquien wirft man auf die Gasse, du hattest
recht.
Lacroix. - Warum hast du es dazu kommen lassen?
Danton.
- Dazu? Ja, wahrhaftig, es war mir zuletzt langweilig. Immer im
nämlichen Rock herumzulaufen und die nämlichen Falten zu ziehen! Das
ist erbärmlich. So ein armseliges Instrument zu sein, auf dem eine
Saite immer nur einen Ton angibt! - 's ist nicht zum Aushalten. Ich
wollte mir's bequem machen. Ich habe es erreicht; die Revolution setzt
mich in Ruhe, aber auf andere Weise, als ich dachte. Übrigens, auf was sich stützen? Unsere Huren könnten es noch mit den
Guillotinen-Betschwestern aufnehmen; sonst weiß ich nichts. Es läßt
sich an den Fingern herzählen: die Jakobiner haben erklärt, daß die
Tugend an der Tagesordnung sei, die Cordeliers nennen mich Héberts
Henker, der Gemeinderat tut Buße, der Konvent - das wäre noch ein
Mittel! aber es gäbe einen 31. Mai, sie würden nicht gutwillig
weichen. Robespierre ist das Dogma der Revolution, es darf nicht
ausgestrichen werden. Es ginge auch nicht. Wir haben nicht die
Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht. Und wenn es ginge - ich will lieber guillotiniert werden als
guillotinieren lassen. Ich hab es satt; wozu sollen wir Menschen
miteinander kämpfen? Wir sollten uns nebeneinander setzen und Ruhe
haben. Es wurde ein Fehler gemacht, wie wir geschaffen wurden; es
fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür - aber wir werden es
einander nicht aus den Eingeweiden herauswühlen, was sollen wir uns
drum die Leiber aufbrechen? Geht, wir sind elende Alchymisten!
Camille.
- Pathetischer gesagt, würde es heißen: wie lange soll die Menschheit in
ewigem Hunger ihre eignen Glieder fressen? oder: wie lange sollen wir
Schiffbrüchige auf einem Wrack in unlöschbarem Durst einander das Blut
aus den Adern saugen? oder: wie lange sollen wir Algebraisten im
Fleisch beim Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten X unsere
Rechnungen mit zerfetzten Gliedern schreiben?
Danton. - Du bist ein starkes Echo.
Camille. - Nicht wahr, ein
Pistolenschuß schallt gleich wie ein Donnerschlag. Desto besser für
dich, du solltest mich immer bei dir haben.
Philippeau. - Und Frankreich bleibt seinen Henkern?
Danton. -
Was liegt daran? Die Leute befinden sich ganz wohl dabei. Sie haben
Unglück; kann man mehr verlangen um gerührt, edel, tugendhaft oder
witzig zu sein, oder um überhaupt keine Langeweile zu haben? - Ob sie
nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter sterben! Es ist
noch vorzuziehen, sie treten mit gelenken Gliedern hinter die Kulissen
und können im Abgehen noch hübsch gestikulieren und die Zuschauer
klatschen hören. Das ist ganz artig und paßt für uns; wir stehen immer
auf dem Theater, wenn wir auch zuletzt im Ernst erstochen werden. Es ist
recht gut, daß die Lebenszeit ein wenig reduziert wird; der
Rock war zu lang, unsere Glieder konnten ihn nicht ausfüllen. Das
Leben wird ein Epigramm, das geht an; wer hat auch Atem und Geist
genug für ein Epos in fünfzig oder sechzig Gesängen? 's ist Zeit, daß
man das bißchen Essenz nicht mehr aus Zubern, sondern aus
Likörgläschen trinkt; so bekommt man doch das Maul voll, sonst konnte
man kaum einige Tropfen in dem plumpen Gefäß zusammenrinnen machen.
Endlich - ich müßte schreien; das ist mir der Mühe zuviel, das Leben
ist nicht die Arbeit wert, die man sich macht, es zu erhalten.
Paris. - So flieh, Danton!
Danton. - Nimmt man das Vaterland an den Schuhsohlen mit? Und endlich - und das ist die Hauptsache: sie werden's nicht wagen.
(Zu Camille:) Komm, mein Junge; ich sage dir, sie werden's nicht
wagen. Adieu, adieu! (Danton und Camille ab.)
Philippeau. - Da geht er hin.
Lacroix. - Und glaubt kein Wort von
dem, was er gesagt hat. Nichts als Faulheit! Er will sich lieber
guillotinieren lassen als eine Rede halten.
Paris. - Was tun?
Lacroix. - Heimgehn und als Lukretia auf einen anständigen Fall studieren.
ZWEITE SZENE
Eine Promenade
Spaziergänger.
Ein Bürger. - Meine gute Jacqueline - ich wollte sagen Korn… wollt ich: Kor…
Simon. Kornelia, Bürger, Kornelia.
Bürger. - Meine gute Kornelia hat mich mit einem Knäblein erfreut.
Simon. - Hat der Republik einen Sohn geboren.
Bürger. - Der Republik, das lautet zu allgemein; man könnte sagen…
Simon. - Das ist's gerade, das Einzelne muß sich dem Allgemeinen…
Bürger. - Ach ja, das sagt meine Frau auch.
Bänkelsänger (singt). - Was doch ist, was doch ist
Aller Männer Freud' und Lüst'?
Aller Männer Freud' und Lüst'?
Bürger. - Ach, mit den Namen, da komm ich gar nicht ins reine.
Simon. - Tauf ihn Pike, Marat!
Bänkelsänger. - Unter Kummer, unter Sorgen
Sich bemühn vom frühen Morgen,
Bis der Tag vorüber ist.
Sich bemühn vom frühen Morgen,
Bis der Tag vorüber ist.
Bürger. - Ich hätte gern drei - es
ist doch was mit der Zahl Drei - und dann was Nützliches und was
Rechtliches; jetzt hab ich's: Pflug, Robespierre. Und dann das dritte?
Simon. - Pike.
Bürger. - Ich dank Euch, Nachbar; Pike, Pflug, Robespierre, das sind hübsche Namen, das macht sich schön.
Simon. -
Ich sage dir, die Brust deiner Kornelia wird wie das Euter der
römischen Wölfin - nein, das geht nicht: Romulus war ein Tyrann, das
geht nicht. (Gehn vorbei.)
Ein Bettler (singt). - »Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos…« Liebe Herren, schöne Damen!
Erster Herr. - Kerl, arbeite, du siehst ganz wohlgenährt aus!
Zweiter Herr.
- Da! (Er gibt ihm Geld.) Er hat eine Hand wie Sammet. Das ist
unverschämt.
Bettler. - Mein Herr, wo habt Ihr Euren Rock her?
Bettler. - Mein Herr, wo habt Ihr Euren Rock her?
Zweiter Herr.
- Arbeit, Arbeit! Du könntest den nämlichen haben; ich will dir Arbeit
geben, komm zu mir, ich wohne…
Bettler. - Herr, warum habt Ihr gearbeitet?
Zweiter Herr. - Narr, um den Rock zu haben.
Bettler.-
Ihr habt Euch gequält, um einen Genuß zu haben; denn so ein Rock ist
ein Genuß, ein Lumpen tut's auch.
Zweiter Herr. - Freilich, sonst geht's nicht.
Bettler. - Daß ich ein Narr wäre!
Das hebt einander. Die Sonne scheint warm an das Eck, und das geht ganz
leicht. (Singt:) »Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos…«
Rosalie (zu Adelaiden).-
Mach fort, da kommen Soldaten! Wir haben seit gestern nichts Warmes in
den Leib gekriegt.
Bettler. - »Ist auf dieser Erde einst mein letztes Los!« Meine Herren, meine Damen!
Soldat. - Halt! Wo hinaus, meine Kinder? (Zu Rosalie:) Wie alt bist du?
Rosalie. - So alt wie mein kleiner Finger.
Soldat. - Du bist sehr spitz.
Rosalie. - Und du sehr stumpf.
Soldat. - So will ich mich an dir wetzen. (Er singt:)
Christinlein, lieb Christinlein mein,
Tut dir der Schaden weh, Schaden weh,
Schaden weh, Schaden weh?
Tut dir der Schaden weh, Schaden weh,
Schaden weh, Schaden weh?
Rosalie (singt) : Ach nein, ihr Herrn Soldaten,
Ich hätt' es gerne meh, gerne meh,
Gerne meh, gerne meh!
Ich hätt' es gerne meh, gerne meh,
Gerne meh, gerne meh!
(Danton und Camille treten auf.)
Danton. -
Geht das nicht lustig? - Ich wittre was in der Atmosphäre; es ist, als
brüte die Sonne Unzucht aus. - Möchte man nicht drunter springen, sich
die Hosen vom Leibe reißen und sich über den Hintern begatten wie die
Hunde auf der Gasse? (Gehn vorbei.)
Junger Herr. - Ach, Madame, der Ton einer Glocke, das Abendlicht an den Bäumen, das Blinken eines Sterns…
Madame.
- Der Duft einer Blume! Diese natürlichen Freuden, dieser reine Genuß
der Natur! (Zu ihrer Tochter:) Sieh, Eugenie, nur die Tugend hat Augen
dafür.
Eugenie (küßt ihrer Mutter die Hand). - Ach, Mama, ich sehe nur Sie.
Madame. - Gutes Kind!
Junger Herr (zischelt Eugenien ins Ohr). - Sehen Sie dort die hübsche Dame mit dem alten Herrn?
Eugenie. - Ich kenne sie.
Junger Herr. - Man sagt, ihr Friseur habe sie à l'enfant frisiert.
Eugenie (lacht). - Böse Zunge!
Junger Herr.
- Der alte Herr geht nebenbei; er sieht das Knöspchen schwellen und
führt es in die Sonne spazieren und meint, er sei der Gewitterregen,
der es habe wachsen machen.
Eugenie. - Wie unanständig! Ich hätte Lust, rot zu werden.
Junger Herr. - Das könnte mich blaß machen. (Gehn ab.)
Danton (zu Camille).
- Mute mir nur nichts Ernsthaftes zu! Ich begreife nicht, warum die
Leute nicht auf der Gasse stehenbleiben und einander ins Gesicht
lachen. Ich meine, sie müßten zu den Fenstern und zu den Gräbern
heraus lachen, und der Himmel müsse bersten, und die Erde müsse sich
wälzen vor Lachen. (Gehn ab.)
Erster Herr. - Ich versichre Sie,
eine außerordentliche Entdeckung! Alle technischen Künste bekommen
dadurch eine andere Physiognomie. Die Menschheit eilt mit
Riesenschritten ihrer hohen Bestimmung entgegen.
Zweiter Herr.
- Haben Sie das neue Stück gesehen? Ein babylonischer Turm! Ein Gewirr
von Gewölben, Treppchen, Gängen, und das alles so leicht und kühn in
die Luft gesprengt. Man schwindelt bei jedem Tritt. Ein bizarrer Kopf.
(Er bleibt verlegen stehn.)
Erster Herr. - Was haben Sie denn?
Zweiter Herr.
- Ach, nichts! Ihre Hand, Herr! die Pfütze - so! Ich danke Ihnen. Kaum
kam ich vorbei; das konnte gefährlich werden!
Erster Herr. Sie fürchteten doch nicht?
Zweiter Herr.
- Ja, die Erde ist eine dünne Kruste; ich meine immer, ich könnte
durchfallen, wo so ein Loch ist. - Man muß mit Vorsicht auftreten, man
könnte durchbrechen. Aber gehn Sie ins Theater, ich rat es Ihnen!
DRITTE SZENE
Ein Zimmer
Danton. Camille. Lucile.
Camille.
- Ich sage euch, wenn sie nicht alles in hölzernen Kopien bekommen,
verzettelt in Theatern, Konzerten und Kunstausstellungen, so haben sie
weder Augen noch Ohren dafür. Schnitzt einer eine Marionette, wo man
den Strick hereinhängen sieht, an dem sie gezerrt wird und deren
Gelenke bei jedem Schritt in fünffüßigen Jamben krachen - welch ein
Charakter, welche Konsequenz! Nimmt einer ein Gefühlchen, eine
Sentenz, einen Begriff und zieht ihm Rock und Hosen an, macht ihm
Hände und Füße, färbt ihm das Gesicht und läßt das Ding sich drei Akte
hindurch herumquälen, bis es sich zuletzt verheiratet oder sich
totschießt - ein Ideal! Fiedelt einer eine Oper, welche das Schweben
und Senken im menschlichen Gemüt wiedergibt wie eine Tonpfeife mit
Wasser die Nachtigall - ach, die Kunst! Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse: die erbärmliche
Wirklichkeit! - Sie vergessen ihren Herrgott über seinen schlechten
Kopisten. Von der Schöpfung, die glühend, brausend und leuchtend, um
und in ihnen, sich jeden Augenblick neu gebiert, hören und sehen sie
nichts. Sie gehen ins Theater, lesen Gedichte und Romane, schneiden
den Fratzen darin die Gesichter nach und sagen zu Gottes Geschöpfen:
wie gewöhnlich! - Die Griechen wußten, was sie sagten, wenn sie
erzählten, Pygmalions Statue sei wohl lebendig geworden, habe aber
keine Kinder bekommen.
Danton. - Und die Künstler gehn mit
der Natur um wie David, der im September die Gemordeten, wie sie aus der
Force auf die Gasse geworfen wurden, kaltblütig zeichnete und sagte:
ich erhasche die letzten Zuckungen des Lebens in diesen Bösewichtern.
(Danton wird hinausgerufen.)
Camille. - Was sagst du, Lucile?
Lucile. - Nichts, ich seh dich so gern sprechen.
Camille. - Hörst mich auch?
Lucile. - Ei freilich!
Camille. - Hab ich recht? Weißt du auch, was ich gesagt habe?
Lucile. - Nein, wahrhaftig nicht.
(Danton kommt zurück.)
Camille. - Was hast du?
Danton.
- Der Wohlfahrtsausschuß hat meine Verhaftung beschlossen. Man hat mich
gewarnt und mir einen Zufluchtsort angeboten. Sie wollen meinen Kopf; meinetwegen. Ich bin der Hudeleien
überdrüssig. Mögen sie ihn nehmen. Was liegt daran? Ich werde mit Mut
zu sterben wissen; das ist leichter, als zu leben.
Camille. - Danton, noch ist's Zeit!
Danton. - Unmöglich - aber ich hätte nicht gedacht…
Camille. - Deine Trägheit!
Danton. - Ich bin nicht träg, aber müde; meine Sohlen brennen mich.
Camille. - Wo gehst du hin?
Danton. - Ja, wer das wüßte!
Camille. - Im Ernst, wohin?
Danton. - Spazieren, mein Junge, spazieren. (Er geht.)
Lucile. - Ach, Camille!
Camille. - Sei ruhig, lieb Kind!
Lucile. -
Wenn ich denke, daß sie dies Haupt -! Mein Camille! das ist Unsinn,
gelt, ich bin wahnsinnig?
Camille. - Sei ruhig, Danton und ich sind nicht eins.
Lucile.-
Die Erde ist weit, und es sind viel Dinge drauf - warum denn gerade
das eine? Wer sollte mir's nehmen? Das wäre arg. Was wollten sie auch
damit anfangen?
Camille. - Ich wiederhole dir: du
kannst ruhig sein. Gestern sprach ich mit Robespierre: er war
freundlich. Wir sind ein wenig gespannt, das ist wahr; verschiedne
Ansichten, sonst nichts!
Lucile. - Such ihn auf!
Camille.
- Wir saßen auf einer Schulbank. Er war immer finster und einsam. Ich
allein suchte ihn auf und machte ihn zuweilen lachen. Er hat mir immer
große Anhänglichkeit gezeigt. Ich gehe.
Lucile. - So schnell, mein Freund? Geh! Komm! Nur das (sie küßt ihn) und das!
Geh! Geh! (Camille ab.) Das ist eine böse Zeit. Es geht einmal so. Wer kann da drüber hinaus?
Man muß sich fassen. (Singt:)
Geh! Geh! (Camille ab.) Das ist eine böse Zeit. Es geht einmal so. Wer kann da drüber hinaus?
Man muß sich fassen. (Singt:)
Ach Scheiden, ach Scheiden, ach Scheiden,
Wer hat sich das Scheiden erdacht?
Wer hat sich das Scheiden erdacht?
Wie kommt mir grad das in Kopf? Das ist nicht gut, daß es den Weg so
von selbst findet. - Wie er hinaus ist, war mir's, als könnte er nicht
mehr umkehren und müsse immer weiter weg von mir, immer weiter.
Wie das Zimmer so leer ist; die Fenster stehn offen, als hätte ein
Toter drin gelegen. Ich halt es da oben nicht aus. (Sie geht.)
Toter drin gelegen. Ich halt es da oben nicht aus. (Sie geht.)
VIERTE SZENE
Freies Feld
Danton.-
Ich mag nicht weiter. Ich mag in dieser Stille mit dem Geplauder
meiner Tritte und dem Keuchen meines Atems nicht Lärm machen. (Er
setzt sich nieder; nach einer Pause:) Man hat mir von einer Krankheit erzählt, die einem das Gedächtnis
verlieren mache. Der Tod soll etwas davon haben. Dann kommt mir
manchmal die Hoffnung, daß er vielleicht noch kräftiger wirke und
einem alles verlieren mache. Wenn das wäre! - Dann lief ich wie ein
Christ, um einen Feind, d. h. mein Gedächtnis, zu retten. Der Ort soll sicher sein, ja für mein Gedächtnis, aber nicht für mich;
mir gibt das Grab mehr Sicherheit, es schafft mir wenigstens
Vergessen. Es tötet mein Gedächtnis. Dort aber lebt mein Gedächtnis
und tötet mich. Ich oder es? Die Antwort ist leicht. (Er erhebt sich
und kehrt um.) Ich kokettiere mit dem Tod; es ist ganz angenehm, so aus der Ferne mit
dem Lorgnon mit ihm zu liebäugeln. Eigentlich muß ich über die ganze Geschichte lachen. Es ist ein Gefühl
des Bleibens in mir, was mir sagt: es wird morgen sein wie heute, und
übermorgen und weiter hinaus ist alles wie eben. Das ist leerer Lärm,
man will mich schrecken; sie werden's nicht wagen! (Ab.)
FÜNFTE SZENE
Ein Zimmer
Es ist Nacht.
Danton (am Fenster).
Will denn das nie aufhören? Wird das Licht nie ausglühn und der Schall
nie modern? Will's denn nie still und dunkel werden, daß wir uns
die garstigen Sünden einander nicht mehr anhören und ansehen? -
September!
Julie (ruft von innen). - Danton! Danton!
Danton. - He?
Julie (tritt ein). - Was rufst du?
Danton. - Rief ich?
Julie. - Du sprachst von garstigen Sünden, und dann stöhntest du: September!
Danton.-
Ich, ich? Nein, ich sprach nicht; das dacht' ich kaum, das waren nur
ganz leise, heimliche Gedanken.
Julie. - Du zitterst, Danton!
Danton.
- Und soll ich nicht zittern, wenn so die Wände plaudern? Wenn mein Leib
so zerteilt ist, daß meine Gedanken unstet, umirrend mit den Lippen
der Steine reden? Das ist seltsam.
Julie. - Georg, mein Georg!
Danton. -
Ja, Julie, das ist sehr seltsam. Ich möchte nicht mehr denken, wenn
das gleich so spricht. Es gibt Gedanken, Julie, für die es keine Ohren
geben sollte. Das ist nicht gut, daß sie bei der Geburt gleich
schreien wie Kinder; das ist nicht gut.
Julie. - Gott erhalte dir deine Sinne! Georg, Georg, erkennst du mich?
Danton.
- Ei warum nicht! Du bist ein Mensch und dann eine Frau und endlich
meine Frau, und die Erde hat fünf Weltteile, Europa, Asien, Afrika,
Amerika, Australien, und zwei mal zwei macht vier. Ich bin bei Sinnen,
siehst du. - Schrie's nicht September? Sagtest du nicht so was?
Julie. - Ja, Danton, durch alle Zimmer hört ich's.
Danton. - Wie ich ans Fenster kam - (er sieht hinaus:) die Stadt ist ruhig, alle Lichter aus…
Julie. - Ein Kind schreit in der Nähe.
Danton. - Wie ich ans Fenster kam - durch alle Gassen schrie und zetert' es: September!
Julie. - Du träumtest, Danton. Faß dich!
Danton.
- Träumtest? Ja, ich träumte; doch das war anders, ich will dir es
gleich sagen - mein armer Kopf ist schwach - gleich! So, jetzt hab
ich's: Unter mir keuchte die Erdkugel in ihrem Schwung; ich hatte sie
wie ein wildes Roß gepackt, mit riesigen Gliedern wühlt' ich in ihren
Mähnen und preßt' ich ihre Rippen, das Haupt abwärts gewandt, die
Haare flatternd über dem Abgrund; so ward ich geschleift. Da schrie
ich in der Angst, und ich erwachte. Ich trat ans Fenster - und da
hört' ich's, Julie. Was das Wort nur will? Warum gerade das? Was hab ich damit zu
schaffen? Was streckt es nach mir die blutigen Hände? Ich hab es nicht
geschlagen. - O hilf mir, Julie, mein Sinn ist stumpf! War's nicht im
September, Julie?
Julie. - Die Könige waren nur noch vierzig Stunden von Paris…
Danton. - Die Festungen gefallen, die Aristokraten in der Stadt…
Julie. - Die Republik war verloren.
Danton. - Ja, verloren. Wir konnten
den Feind nicht im Rücken lassen, wir wären Narren gewesen: zwei Feinde
auf einem Brett; wir oder sie, der Stärkere stößt den Schwächeren
hinunter - ist das nicht billig?
Julie. - Ja, ja.
Danton. - Wir schlugen sie - das war kein Mord, das war Krieg nach innen.
Julie. - Du hast das Vaterland gerettet.
Danton.-
Ja, das hab ich; das war Notwehr, wir mußten. Der Mann am Kreuze hat
sich's bequem gemacht: es muß ja Ärgernis kommen, doch wehe dem, durch
welchen Ärgernis kommt! - Es muß; das war dies Muß. Wer will der Hand
fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß
gesprochen, wer? Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und
mordet? Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts,
nichts wir selbst! die Schwerter, mit denen Geister kämpfen - man
sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen. - Jetzt bin ich ruhig.
Julie. - Ganz ruhig, lieb Herz?
Danton. - Ja, Julie; komm, zu Bette!
SECHSTE SZENE
Straße vor Dantons Haus
Simon. Bürgersoldaten.
Simon. - Wie weit ist's in der Nacht?
Erster Bürger. - Was in der Nacht?
Simon. - Wie weit ist die Nacht?
Erster Bürger. - So weit als zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang.
Simon. - Schuft, wieviel Uhr?
Erster Bürger.
- Sieh auf dein Zifferblatt; es ist die Zeit, wo die Perpendikel unter
den Bettdecken ausschlagen.
Simon. - Wir müssen hinauf! Fort,
Bürger! Wir haften mit unseren Köpfen dafür. Tot oder lebendig! Er hat
gewaltige Glieder. Ich werde vorangehn,
Bürger.- Der Freiheit eine Gasse! - Sorgt für mein Weib! Eine Eichenkrone werd ich ihr hinterlassen.
Bürger.- Der Freiheit eine Gasse! - Sorgt für mein Weib! Eine Eichenkrone werd ich ihr hinterlassen.
Erster Bürger. - Eine Eichelkrone? Es sollen ihr ohnehin jeden Tag Eicheln genug in den Schoß fallen.
Simon. - Vorwärts, Bürger, ihr werdet euch um das Vaterland verdient machen!
Zweiter Bürger. - Ich wollte, das
Vaterland machte sich um uns verdient; über all den Löchern, die wir in
andrer Leute Körper machen, ist noch kein einziges in unsern Hosen
zugegangen.
Erster Bürger. - Willst du, daß dir dein Hosenlatz zuginge? Hä, hä, hä!
Die andern. - Hä, hä, hä!
Simon. - Fort, fort! (Sie dringen in Dantons Haus.)
SIEBENTE SZENE
Der Nationalkonvent
Eine Gruppe von Deputierten.
Legendre.
- Soll denn das Schlachten der Deputierten nicht aufhören? - Wer ist
noch sicher, wenn Danton fällt?
Ein Deputierter.- Was tun?
Ein anderer.-
Er muß vor den Schranken des Konvents gehört werden. - Der Erfolg
dieses Mittels ist sicher; was sollten sie seiner Stimme
entgegensetzen?
Ein anderer. - Unmöglich, ein Dekret verhindert uns.
Legendre. -
Es muß zurückgenommen oder eine Ausnahme gestattet werden. - Ich werde
den Antrag machen; ich rechne auf eure Unterstützung.
Der Präsident. - Die Sitzung ist eröffnet.
Legendre (besteigt die Tribüne).-
Vier Mitglieder des Nationalkonvents sind verflossene Nacht verhaftet
worden. Ich weiß, daß Danton einer von ihnen ist, die Namen der
übrigen kenne ich nicht. Mögen sie übrigens sein, wer sie wollen, so
verlange ich, daß sie vor den Schranken gehört werden. Bürger, ich erkläre es: ich halte Danton für ebenso rein wie mich
selbst, und ich glaube nicht, daß mir irgendein Vorwurf gemacht werden
kann. Ich will kein Mitglied des Wohlfahrts- oder des
Sicherheitsausschusses angreifen, aber gegründete Ursachen lassen mich
fürchten, Privathaß und Privatleidenschaft möchten der Freiheit Männer
entreißen, die ihr die größten Dienste erwiesen haben. Der Mann,
welcher im Jahre 1792 Frankreich durch seine Energie rettete, verdient
gehört zu werden; er muß sich erklären dürfen, wenn man ihn des
Hochverrats anklagt. (Heftige Bewegung.)
Einige Stimmen. - Wir unterstützen Legendres Vorschlag.
Ein Deputierter.-
Wir sind hier im Namen des Volkes; man kann uns ohne den Willen
unserer Wähler nicht von unseren Plätzen reißen.
Ein anderer. - Eure Worte riechen
nach Leichen; ihr habt sie den Girondisten aus dem Munde genommen. Wollt
ihr Privilegien? Das Beil des Gesetzes schwebt über allen Häuptern.
Ein anderer. - Wir können unsern
Ausschüssen nicht erlauben, die Gesetzgeber aus dem Asyl des Gesetzes
auf die Guillotine zu schicken.
Ein anderer.
- Das Verbrechen hat kein Asyl, nur gekrönte Verbrecher finden eins auf
dem Thron.
Ein anderer. - Nur Spitzbuben appellieren an das Asylrecht.
Ein anderer. - Nur Mörder erkennen es nicht an.
Robespierre.
- Die seit langer Zeit in dieser Versammlung unbekannte Verwirrung
beweist, daß es sich um große Dinge handelt. Heute entscheidet sich's,
ob einige Männer den Sieg über das Vaterland davontragen werden. Wie
könnt ihr eure Grundsätze weit genug verleugnen, um heute einigen
Individuen das zu bewilligen, was ihr gestern Chabot, Delaunai und
Fahre verweigert habt? Was soll dieser Unterschied zugunsten einiger
Männer? Was kümmern mich die Lobsprüche, die man sich selbst und
seinen Freunden spendet? Nur zu viele Erfahrungen haben uns gezeigt,
was davon zu halten sei. Wir fragen nicht, ob ein Mann diese oder jene
patriotische Handlung vollbracht habe; wir fragen nach seiner ganzen
politischen Laufbahn. - Legendre scheint die Namen der Verhafteten
nicht zu wissen; der ganze Konvent kennt sie. Sein Freund Lacroix ist
darunter. Warum scheint Legendre das nicht zu wissen? Weil er wohl
weiß, daß nur die Schamlosigkeit Lacroix verteidigen kann. Er nannte
nur Danton, weil er glaubt, an diesen Namen knüpfe sich ein
Privilegium. Nein, wir wollen keine Privilegien, wir wollen keine
Götzen! (Beifall.) Was hat Danton vor Lafayette, vor Dumouriez, vor Brissot, Fabre,
Chabot, Hébert voraus? Was sagt man von diesen, was man nicht auch von
ihm sagen könnte? Habt ihr sie gleichwohl geschont? Wodurch verdient
er einen Vorzug vor seinen Mitbürgern? Etwa, weil einige betrogene
Individuen und andere, die sich nicht betrügen ließen, sich um ihn
reihten, um in seinem Gefolge dem Glück und der Macht in die Arme zu
laufen? - Je mehr er die Patrioten betrogen hat, welche Vertrauen in
ihn setzten, desto nachdrücklicher muß er die Strenge der
Freiheitsfreunde empfinden. Man will euch Furcht einflößen vor dem Mißbrauche einer Gewalt, die
ihr selbst ausgeübt habt. Man schreit über den Despotismus der
Ausschüsse, als ob das Vertrauen, welches das Volk euch geschenkt und
das ihr diesen Ausschüssen übertragen habt, nicht eine sichre Garantie
ihres Patriotismus wäre. Man stellt sich, als zittre man. Aber ich
sage euch, wer in diesem Augenblicke zittert, ist schuldig; denn nie
zittert die Unschuld vor der öffentlichen Wachsamkeit. (Allgemeiner
Beifall.) Man hat auch mich schrecken wollen; man gab mir zu verstehen, daß die
Gefahr, indem sie sich Danton nähere, auch bis zu mir dringen könne.
Man schrieb mir, Dantons Freunde hielten mich umlagert, in der
Meinung, die Erinnerung an eine alte Verbindung, der blinde Glauben an
erheuchelte Tugenden könnten mich bestimmen, meinen Eifer und meine
Leidenschaft für die Freiheit zu mäßigen. - So erkläre ich denn:
nichts soll mich aufhalten, und sollte auch Dantons Gefahr die meinige
werden. Wir alle haben etwas Mut und etwas Seelengröße nötig. Nur
Verbrecher und gemeine Seelen fürchten, ihresgleichen an ihrer Seite
fallen zu sehen, weil sie, wenn keine Schar von Mitschuldigen sie mehr
versteckt, sich dem Licht der Wahrheit ausgesetzt sehen. Aber wenn es
dergleichen Seelen in dieser Versammlung gibt, so gibt es in ihr auch
heroische. Die Zahl der Schurken ist nicht groß; wir haben nur wenige
Köpfe zu treffen, und das Vaterland ist gerettet. (Beifall.) Ich verlange, daß Legendres Vorschlag zurückgewiesen werde.
(Die Deputierten erheben sich sämtlich zum Zeichen allgemeiner Beistimmung.)
(Die Deputierten erheben sich sämtlich zum Zeichen allgemeiner Beistimmung.)
St. Just.
- Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben,
die das Wort »Blut« nicht wohl vertragen können. Einige allgemeine
Betrachtungen mögen sie überzeugen, daß wir nicht grausamer sind als
die Natur und als die Zeit. Die Natur folgt ruhig und unwiderstehlich
ihren Gesetzen; der Mensch wird vernichtet, wo er mit ihnen in
Konflikt kommt. Eine Änderung in den Bestandteilen der Luft, ein
Auflodern des tellurischen Feuers, ein Schwanken in dem Gleichgewicht
einer Wassermasse und eine Seuche, ein vulkanischer Ausbruch, eine
Überschwemmung begraben Tausende. Was ist das Resultat? Eine
unbedeutende, im großen Ganzen kaum bemerkbare Veränderung der
physischen Natur, die fast spurlos vorübergegangen sein würde, wenn
nicht Leichen auf ihrem Wege lägen. Ich frage nun: soll die geistige
Natur in ihren Revolutionen mehr
Rücksicht nehmen als die physische? Soll eine Idee nicht ebensogut wie
ein Gesetz der Physik vernichten dürfen, was sich ihr widersetzt? Soll
überhaupt ein Ereignis, was die ganze Gestaltung der moralischen
Natur, das heißt der Menschheit, umändert, nicht durch Blut gehen
dürfen? Der Weltgeist bedient sich in der geistigen Sphäre unserer
Arme ebenso, wie er in der physischen Vulkane und Wasserfluten
gebraucht. Was liegt daran, ob sie an einer Seuche oder an der
Revolution sterben? Die Schritte der Menschheit sind langsam, man kann
sie nur nach Jahrhunderten zählen; hinter jedem erheben sich die Gräber
von Generationen. Das Gelangen zu den einfachsten Erfindungen und
Grundsätzen hat Millionen das Leben gekostet, die auf dem Wege starben.
Ist es denn nicht einfach, daß zu einer Zeit, wo der Gang der Geschichte
rascher ist, auch mehr Menschen außer Atem kommen? Wir schließen
schnell und einfach: Da alle unter gleichen
Verhältnissen geschaffen werden, so sind alle gleich, die Unterschiede
abgerechnet, welche die Natur selbst gemacht hat; es darf daher jeder
Vorzüge und darf daher keiner Vorrechte haben, weder ein einzelner
noch eine geringere oder größere Klasse von Individuen. - Jedes Glied
dieses in der Wirklichkeit angewandten Satzes hat seine Menschen
getötet. Der 14. Juli, der 10. August, der 31. Mai sind seine
Interpunktionszeichen. Er hatte vier Jahre Zeit nötig, um in der
Körperwelt durchgeführt zu werden, und unter gewöhnlichen Umständen
hätte er ein Jahrhundert dazu gebraucht und wäre mit Generationen
interpunktiert worden. Ist es da so zu verwundern, daß der Strom der
Revolution bei jedem Absatz, bei jeder neuen Krümmung seine Leichen
ausstößt? Wir werden unserm Satze noch einige Schlüsse hinzuzufügen
haben;
sollen einige hundert Leichen uns verhindern, sie zu machen? - Moses
führte sein Volk durch das Rote Meer und in die Wüste, bis die alte
verdorbne Generation sich aufgerieben hatte, eh' er den neuen Staat
gründete. Gesetzgeber! Wir haben weder das Rote Meer noch die Wüste,
aber wir haben den Krieg und die Guillotine. Die Revolution ist wie die
Töchter des Pelias: sie zerstückt die Menschheit, um sie zu verjüngen.
Die Menschheit wird aus dem Blutkessel wie die Erde aus den Wellen der
Sündflut mit urkräftigen Gliedern sich erheben, als wäre sie zum ersten
Male geschaffen. (Langer, anhaltender Beifall. Einige Mitglieder erheben sich im Enthusiasmus.) Alle geheimen Feinde der Tyrannei, welche in Europa und auf dem ganzen
Erdkreise den Dolch des Brutus unter ihren Gewändern tragen, fordern
wir auf, diesen erhabnen Augenblick mit uns zu teilen. (Die Zuhörer
und die Deputierten stimmen die Marseillaise an.)
DRITTER AKT
ERSTE SZENE
Das Luxembourg. Ein Saal mit Gefangnen
Chaumette, Payne, Mercier, Hérault-Séchelles und andre Gefangne.
Chaumette (zupft Payne am Ärmel).
- Hören Sie, Payne, es könnte doch so sein, vorhin überkam es mich so;
ich habe heute Kopfweh, helfen Sie mir ein wenig mit Ihren Schlüssen,
es ist mir ganz unheimlich zumut.
Payne.-
So komm, Philosoph Anaxagoras, ich will dich katechisieren. - Es gibt
keinen Gott, denn: Entweder hat Gott die Welt geschaffen oder nicht.
Hat er sie nicht geschaffen, so hat die Welt ihren Grund in sich, und
es gibt keinen Gott, da Gott nur dadurch Gott wird, daß er den Grund
alles Seins enthält. Nun kann aber Gott die Welt nicht geschaffen
haben; denn entweder ist die Schöpfung ewig wie Gott, oder sie hat
einen Anfang. Ist letzteres der Fall, so muß Gott sie zu einem
bestimmten Zeitpunkt geschaffen haben, Gott muß also, nachdem er eine
Ewigkeit geruht, einmal tätig geworden sein, muß also einmal eine
Veränderung in sich erlitten haben, die den Begriff Zeit auf ihn
anwenden läßt, was beides gegen das Wesen Gottes streitet. Gott kann
also die Welt nicht geschaffen haben. Da wir nun aber sehr deutlich
wissen, daß die Welt oder daß unser Ich wenigstens vorhanden ist und
daß sie dem Vorhergehenden nach also auch ihren Grund in sich oder in
etwas haben muß, das nicht Gott ist, so kann es keinen Gott geben.
Quod erat demonstrandum.
Chaumette. - Ei wahrhaftig, das gibt mir wieder Licht; ich danke, danke!
Mercier. - Halten Sie, Payne! Wenn aber die Schöpfung ewig ist?
Payne.-
Dann ist sie schon keine Schöpfung mehr, dann ist sie eins mit Gott
oder ein Attribut desselben, wie Spinoza sagt; dann ist Gott in allem,
in Ihnen, Wertester, im Philosoph Anaxagoras und in mir. Das wäre so
übel nicht, aber Sie müssen mir zugestehen, daß es gerade nicht viel
um die himmlische Majestät ist, wenn der liebe Herrgott in jedem von
uns Zahnweh kriegen, den Tripper haben, lebendig begraben werden oder
wenigstens die sehr unangenehmen Vorstellungen davon haben kann.
Mercier. - Aber eine Ursache muß doch da sein.
Payne. - Wer leugnet dies? Aber wer
sagt Ihnen denn, daß diese Ursache das sei, was wir uns als Gott, d. h.
als das Vollkommne denken? Halten Sie die Welt für vollkommen?
Mercier. - Nein.
Payne.
- Wie wollen Sie denn aus einer unvollkommnen Wirkung auf eine
vollkommne Ursache schließen? - Voltaire wagte es ebensowenig mit Gott
als mit den Königen zu verderben, deswegen tat er es. Wer einmal
nichts hat als Verstand und ihn nicht einmal konsequent zu gebrauchen
weiß oder wagt, ist ein Stümper.
Mercier. - Ich frage dagegen: kann
eine vollkommne Ursache eine vollkommne Wirkung haben, d. h. kann etwas
Vollkommnes was Vollkommnes schaffen? Ist das nicht unmöglich, weil das
Geschaffne doch nie seinen Grund in sich haben kann, was doch, wie Sie
sagten, zur Vollkommenheit gehört?
Chaumette. - Schweigen Sie! Schweigen Sie!
Payne.
- Beruhige dich, Philosoph! - Sie haben recht; aber muß denn Gott einmal
schaffen, kann er nur was Unvollkommnes schaffen, so läßt er es
gescheuter ganz bleiben. Ist's nicht sehr menschlich, uns Gott nur als
schaffend denken zu können? Weil wir uns immer regen und schütteln
müssen, um uns nur immer sagen zu können: wir sind! müssen wir Gott
auch dies elende Bedürfnis andichten? - Müssen wir, wenn sich unser
Geist in das Wesen einer harmonisch in sich ruhenden, ewigen Seligkeit
versenkt, gleich annehmen, sie müsse die Finger ausstrecken und über
Tisch Brotmännchen kneten? aus überschwenglichem Liebesbedürfnis, wie
wir uns ganz geheimnisvoll in die Ohren sagen. Müssen wir das alles,
bloß um uns zu Göttersöhnen zu machen? Ich nehme mit einem geringern
Vater vorlieb; wenigstens werd ich ihm nicht nachsagen können, daß er
mich unter seinem Stande in Schweineställen oder auf den Galeeren habe
erziehen lassen.
Schafft das Unvollkommne weg, dann allein könnt ihr Gott
demonstrieren; Spinoza hat es versucht. Man kann das Böse leugnen,
aber nicht den Schmerz; nur der Verstand kann Gott beweisen, das
Gefühl empört sich dagegen. Merke dir es, Anaxagoras: warum leide ich?
Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und
rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riß in der Schöpfung von
oben bis unten.
Mercier. - Und die Moral?
Payne.
- Erst beweist ihr Gott aus der Moral und dann die Moral aus Gott! - Was
wollt ihr denn mit eurer Moral? Ich weiß nicht, ob es an und für sich
was Böses oder was Gutes gibt, und habe deswegen doch nicht nötig,
meine Handlungsweise zu ändern. Ich handle meiner Natur gemäß; was ihr
angemessen, ist für mich gut und ich tue es, und was ihr zuwider, ist
für mich bös und ich tue es nicht und verteidige mich dagegen, wenn es
mir in den Weg kommt. Sie können, wie man so sagt, tugendhaft bleiben
und sich gegen das sogenannte Laster wehren, ohne deswegen ihre Gegner
verachten zu müssen, was ein gar trauriges Gefühl ist.
Chaumette. - Wahr, sehr wahr!
Hérault.-
O Philosoph Anaxagoras, man könnte aber auch sagen: damit Gott alles
sei, müsse er auch sein eignes Gegenteil sein, d. h. vollkommen und
unvollkommen, bös und gut, selig und leidend; das Resultat freilich
würde gleich Null sein, es würde sich gegenseitig heben, wir kämen zum
Nichts. - Freue dich, du kömmst glücklich durch: du kannst ganz ruhig
in Madame Momoro das Meisterstück der Natur anbeten, wenigstens hat
sie dir die Rosenkränze dazu in den Leisten gelassen.
Chaumette. - Ich danke Ihnen verbindlichste meine Herren! (Ab.)
Payne. - Er traut noch nicht, er
wird sich zu guter Letzt noch die Ölung geben, die Füße nach Mekka zu
legen und sich beschneiden lassen, um ja keinen Weg zu verfehlen.
(Danton, Lacroix, Camille, Philippeau werden hereingeführt.)
Hérault.- (läuft auf Danton zu und umarmt ihn).
Guten Morgen! Gute Nacht sollte ich sagen. Ich kann nicht fragen, wie
hast du geschlafen -: wie wirst du schlafen?
Danton. - Nun gut, man muß lachend zu Bett gehn.
Mercier (zu Payne). -
Diese Dogge mit Taubenflügeln! Er ist der böse Genius der Revolution;
er wagte sich an seine Mutter, aber sie war stärker als er.
Payne. - Sein Leben und sein Tod sind ein gleich großes Unglück.
Lacroix (zu Danton). - Ich dachte nicht, daß sie so schnell kommen würden.
Danton. - Ich wußt' es, man hatte mich gewarnt.
Lacroix. - Und du hast nichts gesagt?
Danton.
- Zu was? Ein Schlagfluß ist der beste Tod; wolltest du zuvor krank
sein? Und - ich dachte nicht, daß sie es wagen würden. (Zu Hérault:)
Es ist besser, sich in die Erde legen als sich Leichdörner auf ihr
laufen; ich habe sie lieber zum Kissen als zum Schemel.
Hérault. - Wir werden wenigstens nicht mit Schwielen an den Fingern der hübschen Dame Verwesung die Wangen streicheln.
Camille (zu Danton). - Gib dir nur
keine Mühe! du magst die Zunge noch so weit zum Hals heraushängen, du
kannst dir damit doch nicht den Todesschweiß von der Stirne lecken. - O
Lucile! Das ist ein großer Jammer!
(Die Gefangnen drängen sich um die neu Angekommnen.)
Danton (zu Payne).-
Was Sie für das Wohl Ihres Landes getan, habe ich für das meinige
versucht. Ich war weniger glücklich, man schickt mich aufs Schafott;
meinetwegen, ich werde nicht stolpern.
Mercier (zu Danton). - Das Blut der Zweiundzwanzig ersäuft dich.
Ein Gefangener (zu Hérault). - Die Macht des Volkes und die Macht der Vernunft sind eins.
Ein andrer (zu Camille). - Nun,
Generalprokurator der Laterne, deine Verbesserung der Straßenbeleuchtung
hat in Frankreich nicht heller gemacht.
Ein andrer. - Laßt ihn! Das sind die Lippen, welche das Wort »Erbarmen« gesprochen.
(Er umarmt Camille, mehrere Gefangne folgen seinem Beispiel.)
(Er umarmt Camille, mehrere Gefangne folgen seinem Beispiel.)
Philippeau.
- Wir sind Priester, die mit Sterbenden gebetet haben; wir sind
angesteckt worden und sterben an der nämlichen Seuche.
Einige Stimmen. - Der Streich, der euch trifft, tötet uns alle.
Einige Stimmen. - Der Streich, der euch trifft, tötet uns alle.
Camille. - Meine Herren, ich beklage
sehr, daß unsere Anstrengungen so fruchtlos waren; ich gehe aufs
Schafott, weil mir die Augen über das Los einiger Unglücklichen naß
geworden.
ZWEITE SZENE
Ein Zimmer
Fouquier-Tinville. Herman.
Fouquier. - Alles bereit?
Herman. - Es wird schwer halten; wäre Danton nicht darunter, so ginge es leicht.
Fouquier. - Er muß vortanzen.
Herman. - Er wird die Geschwornen erschrecken, er ist die Vogelscheuche der Revolution.
Fouquier. - Die Geschwornen müssen wollen.
Herman. - Ein Mittel wüßt' ich, aber es wird die gesetzliche Form verletzen.
Fouquier. - Nur zu!
Herman. - Wir losen nicht, sondern suchen die Handfesten aus.
Fouquier.
- Das muß gehen. Das wird ein gutes Heckefeuer geben. Es sind ihrer
neunzehn. Sie sind geschickt zusammengewörfelt. Die vier Fälscher,
dann einige Bankiers und Fremde. Es ist ein pikantes Gericht. Das Volk
braucht dergleichen. - Also zuverlässige Leute! Wer zum Beispiel?
Herman. - Leroi. Er ist taub und
hört daher nichts von all dem, was die Angeklagten vorbringen. Danton
mag sich den Hals bei ihm rauh schreien.
Fouquier. - Sehr gut; weiter!
Herman. -
Vilatte und Lumière. Der eine sitzt immer in der Trinkstube, und der
andere schläft immer; beide öffnen den Mund nur, um das Wort
»Schuldig« zu sagen. - Girard hat den Grundsatz, es dürfe keiner
entwischen, der einmal vor das Tribunal gestellt sei.
Renaudin…
Fouquier. - Auch der? Er half einmal einigen Pfaffen durch.
Herman.
- Sei ruhig! Vor einigen Tagen kommt er zu mir und verlangt, man solle
allen Verurteilten vor der Hinrichtung zur Ader lassen, um sie ein
wenig matt zu machen; ihre meist trotzige Haltung ärgere ihn.
Fouquier. - Ach, sehr gut. Also ich verlasse mich!
Herman. - Laß mich nur machen!
DRITTE SZENE
Die Conciergerie. Ein Korridor
Lacroix, Danton, Mercier und andre Gefangne auf und ab gehend.
Lacroix (zu einem Gefangnen). - Wie, so viel Unglückliche, und in einem so elenden Zustande?
Der Gefangne. - Haben Ihnen die Guillotinenkarren nie gesagt, daß Paris eine Schlachtbank sei?
Mercier.
- Nicht wahr, Lacroix, die Gleichheit schwingt ihre Sichel über allen
Häuptern, die Lava der Revolution fließt, die Guillotine
republikanisiert! Da klatschen die Galerien, und die Römer reiben sich
die Hände; aber sie hören nicht, daß jedes dieser Worte das Röcheln
eines Opfers ist. Geht einmal euren Phrasen nach bis zu dem Punkt, wo
sie verkörpert werden. - Blickt um euch, das alles habt ihr
gesprochen; es ist eine mimische Übersetzung eurer Worte. Diese
Elenden, ihre Henker und die Guillotine sind eure lebendig gewordnen
Reden. Ihr bautet eure Systeme, wie Bajazet seine Pyramiden, aus
Menschenköpfen.
Danton.
- Du hast recht : man arbeitet heutzutag alles in Menschenfleisch. Das
ist der Fluch unserer Zeit. Mein Leib wird jetzt auch verbraucht. Es ist
grade ein Jahr, daß ich das Revolutionstribunal schuf. Ich
bitte Gott und Menschen dafür um Verzeihung; ich wollte neuen
Septembermorden zuvorkommen, ich hoffte die Unschuldigen zu retten,
aber dies langsame Morden mit seinen Formalitäten ist gräßlicher und
ebenso unvermeidlich. Meine Herren, ich hoffte, Sie alle diesen Ort
verlassen zu machen.
Mercier. - Oh, herausgehen werden wir.
Danton. - Ich bin jetzt bei Ihnen; der Himmel weiß, wie das enden soll.
VIERTE SZENE
Das Revolutionstribunal
Herman (zu Danton). - Ihr Name, Bürger.
Danton.
- Die Revolution nennt meinen Namen. Meine Wohnung ist bald im Nichts
und mein Name im Pantheon der Geschichte.
Herman. - Danton, der Konvent
beschuldigt Sie, mit Mirabeau, mit Dumouriez, mit Orléans, mit den
Girondisten, den Fremden und der Faktion Ludwigs des XVII. konspiriert
zu haben.
Danton.
- Meine Stimme, die ich so oft für die Sache des Volkes ertönen ließ,
wird ohne Mühe die Verleumdung zurückweisen. Die Elenden, welche mich
anklagen, mögen hier erscheinen, und ich werde sie mit Schande
bedecken. Die Ausschüsse mögen sich hierher begeben, ich werde nur vor
ihnen antworten. Ich habe sie als Kläger und als Zeugen nötig. Sie
mögen sich zeigen. Übrigens, was liegt mir an euch und eurem Urteil? Ich hab es euch
schon gesagt: das Nichts wird bald mein Asyl sein; - das Leben ist mir
zur Last, man mag mir es entreißen, ich sehne mich danach, es
abzuschütteln.
Herman. - Danton, die Kühnheit ist dem Verbrecher, die Ruhe der Unschuld eigen.
Danton.
- Privatkühnheit ist ohne Zweifel zu tadeln, aber jene Nationalkühnheit,
die ich so oft gezeigt, mit welcher ich so oft für die Freiheit
gekämpft habe, ist die verdienstvollste aller Tugenden. - Sie ist
meine Kühnheit, sie ist es, der ich mich hier zum Besten der Republik
gegen meine erbärmlichen Ankläger bediene. Kann ich mich fassen, wenn
ich mich auf eine so niedrige Weise verleumdet sehe? - Von einem
Revolutionär wie ich darf man keine kalte Verteidigung erwarten.
Männer meines Schlages sind in Revolutionen unschätzbar, auf ihrer
Stirne schwebt das Genie der Freiheit. (Zeichen von Beifall unter den
Zuhörern.)
Mich klagt man an, mit Mirabeau, mit Dumouriez, mit Orléans
konspiriert, zu den Füßen elender Despoten gekrochen zu haben; mich
fordert man auf, vor der unentrinnbaren, unbeugsamen Gerechtigkeit zu
antworten. - Du elender St. Just wirst der Nachwelt für diese
Lästerung verantwortlich sein!
Herman.
- Ich fordere Sie auf, mit Ruhe zu antworten; gedenken Sie Marats, er
trat mit Ehrfurcht vor seine Richter.
Danton. - Sie haben die Hände an
mein ganzes Leben gelegt, so mag es sich denn aufrichten und ihnen
entgegentreten; unter dem Gewichte jeder meiner Handlungen werde ich sie
begraben. - Ich bin nicht stolz darauf. Das Schicksal führt uns den
Arm, aber nur gewaltige Naturen sind seine Organe.
Ich habe auf dem Marsfelde dem Königtume den Krieg erklärt, ich habe
es am 10. August geschlagen, ich habe es am 21. Januar getötet und den
Königen einen Königskopf als Fehdehandschuh hingeworfen. (Wiederholte
Zeichen von Beifall. - Er nimmt die Anklageakte.) Wenn ich einen Blick
auf diese Schandschrift werfe, fühle ich mein ganzes Wesen beben. Wer
sind denn die, welche Danton nötigen mußten, sich an jenem
denkwürdigen Tage (dem 10. August) zu zeigen? Wer sind denn die
privilegierten Wesen, von denen er seine Energie borgte? - Meine
Ankläger mögen erscheinen! Ich bin ganz bei Sinnen, wenn ich es
verlange. Ich werde die platten Schurken entlarven und sie in das
Nichts zurückschleudern, aus dem sie nie hätten hervorkriechen
sollen.
Herman (schellt). - Hören Sie die Klingel nicht?
Danton.
- Die Stimme eines Menschen, welcher seine Ehre und sein Leben
verteidigt, muß deine Schelle überschreien. Ich habe im September die
junge Brut der Revolution mit den zerstückten Leibern der Aristokraten
geätzt. Meine Stimme hat aus dem Golde der Aristokraten und Reichen dem
Volke Waffen geschmiedet. Meine Stimme war der Orkan, welcher die
Satelliten des Despotismus unter
Wogen von Bajonetten begrub. (Lauter Beifall.)
Wogen von Bajonetten begrub. (Lauter Beifall.)
Herman.-
Danton, Ihre Stimme ist erschöpft, Sie sind zu heftig bewegt. Sie
werden das nächste Mal Ihre Verteidigung beschließen, Sie haben Ruhe
nötig. - Die Sitzung ist aufgehoben.
Danton.
Jetzt kennt Ihr Danton - noch wenige Stunden, und er wird in den Armen
des Ruhmes entschlummern.
FÜNFTE SZENE
Das Luxembourg. Ein Kerker
Dillon. Laflotte. Ein Gefangenwärter.
Dillon. - Kerl, leuchte mir mit deiner Nase nicht so ins Gesicht. Hä, hä, hä!
Laflotte.- Halte den Mund zu, deine Mondsichel hat einen Hof. Hä, hä, hä!
Wärter. - Hä, hä, hä! Glaubt Ihr, Herr, daß Ihr bei ihrem Schein lesen könntet?
(Zeigt auf einen Zettel, den er in der Hand hält.)
(Zeigt auf einen Zettel, den er in der Hand hält.)
Dillon. - Gib her!
Wärter. - Herr, meine Mondsichel hat Ebbe bei mir gemacht.
Laflotte. - Deine Hosen sehen aus, als ob Flut wäre.
Wärter.
- Nein, sie zieht Wasser. (Zu Dillon:) Sie hat sich vor Eurer Sonne
verkrochen, Herr; Ihr müßt mir was geben, das sie wieder feurig macht,
wenn Ihr dabei lesen wollt.
Dillon.-
Da, Kerl! Pack dich! (Er gibt ihm Geld. Wärter ab. - Dillon liest:)
Danton hat das Tribunal erschreckt, die Geschwornen schwankten, die
Zuhörer murrten. Der Zudrang war außerordentlich. Das Volk drängte
sich um den Justizpalast und stand bis zu den Brücken. Eine Handvoll
Geld, ein Arm endlich - hin! hin! (Er geht auf und ab und schenkt sich
von Zeit zu Zeit aus einer Flasche ein.) Hätt' ich nur den Fuß auf der
Gasse! Ich werde mich nicht so schlachten lassen. Ja, nur den Fuß auf
der Gasse!
Laflotte. - Und auf dem Karren, das ist eins.
Dillon.-
Meinst du? Da lägen noch ein paar Schritte dazwischen, lange genug, um
sie mit den Leichen der Dezemvirn zu messen. - Es ist endlich Zeit,
daß die rechtschaffnen Leute das Haupt erheben.
Laflotte (für sich).
- Desto besser, um so leichter ist es zu treffen. Nur zu, Alter; noch
einige Gläser, und ich werde flott.
Dillon.
- Die Schurken, die Narren, sie werden sich zuletzt noch selbst
guillotinieren. (Er läuft auf und ab.)
Laflotte (beiseite).
- Man könnte das Leben ordentlich wieder liebhaben, wie sein Kind, wenn
man sich's selbst gegeben. Das kommt gerade nicht oft vor, daß man so
mit dem Zufall Blutschande treiben und sein eigner Vater werden kann.
Vater und Kind zugleich. Ein behaglicher Ödipus!
Dillon.-
Man füttert das Volk nicht mit Leichen; Dantons und Camilles Weiber
mögen Assignaten unter das Volk werfen, das ist besser als Köpfe.
Laflotte (beiseite).-
Ich würde mir hintennach die Augen nicht ausreißen; ich könnte sie
nötig haben, um den guten General zu beweinen.
Dillon.
- Die Hand an Danton! Wer ist noch sicher? Die Furcht wird sie
vereinigen.
Laflotte (beiseite).
- Er ist doch verloren. Was ist's denn, wenn ich auf eine Leiche trete,
um aus dem Grab zu klettern?
Dillon. - Nur den Fuß auf der Gasse!
Ich werde Leute genug finden, alte Soldaten, Girondisten, Exadlige; wir
erbrechen die Gefängnisse, wir müssen uns mit den Gefangnen
verständigen.
Laflotte (beiseite).-
Nun freilich, es riecht ein wenig nach Schufterei. Was tut's? Ich
hätte Lust, auch das zu versuchen; ich war bisher zu einseitig. Man
bekommt Gewissensbisse, das ist doch eine Abwechslung; es ist nicht so
unangenehm, seinen eignen Gestank zu riechen. - Die Aussicht auf die
Guillotine ist mir langweilig geworden; so lang auf die Sache zu
warten! Ich habe sie im Geist schon zwanzigmal durchprobiert. Es ist
auch gar nichts Pikantes mehr dran; es ist ganz gemein geworden.
Dillon. - Man muß Dantons Frau ein Billett zukommen lassen.
Laflotte (beiseite).-
Und dann - ich fürchte den Tod nicht, aber den Schmerz. Es könnte wehe
tun, wer steht mir dafür? Man sagt zwar, es sei nur ein Augenblick;
aber der Schmerz hat ein feineres Zeitmaß, er zerlegt eine Tertie.
Nein! Der Schmerz ist die einzige Sünde, und das Leiden ist das
einzige Laster; ich werde tugendhaft bleiben.
Dillon.-
Höre, Laflotte, wo ist der Kerl hingekommen? Ich habe Geld, das muß
gehen. Wir müssen das Eisen schmieden; mein Plan ist fertig.
Laflotte.
- Gleich, gleich! Ich kenne den Schließer, ich werde mit ihm sprechen.
Du kannst auf mich zählen, General, wir werden aus dem Loch kommen -
(für sich im Hinausgehn:) um in ein anderes zu gehen: ich in das
weiteste, die Welt, er in das engste, das Grab.
SECHSTE SZENE
Der Wohlfahrtsausschuß
St. Just. Barère. Collot d'Herbois. Billaud-Varennes.
Barère. - Was schreibt Fouquier?
St. Just.
- Das zweite Verhör ist vorbei. Die Gefangnen verlangen das Erscheinen
mehrerer Mitglieder des Konvents und des Wohlfahrtsausschusses; sie
appellierten an das Volk, wegen Verweigerung der Zeugen. Die Bewegung
der Gemüter soll unbeschreiblich sein. - Danton parodierte den Jupiter
und schüttelte die Locken.
Collot. - Um so leichter wird ihn Samson daran packen.
Barère.-
Wir dürfen uns nicht zeigen, die Fischweiber und die Lumpensammler
könnten uns weniger imposant finden.
Billaud.
- Das Volk hat einen Instinkt, sich treten zu lassen, und wäre es nur
mit Blicken; dergleichen insolente Physiognomien gefallen ihm. Solche
Stirnen sind ärger als ein adliges Wappen, der feine Aristokratismus
der Menschenverachtung sitzt auf ihnen. Es sollte sie jeder
einschlagen helfen, den es verdrießt, einen Blick von oben herunter zu
erhalten.
Barère.-
Er ist wie der hörnerne Siegfried, das Blut der Septembrisierten hat
ihn unverwundbar gemacht. Was sagt Robespierre?
St. Just.-
Er tut, als ob er etwas zu sagen hätte. Die Geschwornen müssen sich
für hinlänglich unterrichtet erklären und die Debatten schließen.
Barère. - Unmöglich, das geht nicht.
St. Just.-
Sie müssen weg, um jeden Preis, und sollten wir sie mit den eignen
Händen erwürgen. Wagt! Danton soll uns das Wort nicht umsonst gelehrt
haben. Die Revolution wird über ihre Leichen nicht stolpern; aber
bleibt Danton am Leben, so wird er sie am Gewand fassen, und er hat
etwas in seiner Gestalt, als ob er die Freiheit notzüchtigen könnte.
(St. Just wird hinausgerufen.)
(Ein Schließer tritt ein.)
Schließer. - In St. Pelagie liegen Gefangne am Sterben, sie verlangen einen Arzt.
Billaud. - Das ist unnötig, so viel Mühe weniger für den Scharfrichter.
Schließer. - Es sind schwangere Weiber dabei.
Billaud. - Desto besser, da brauchen ihre Kinder keinen Sarg.
Barère. - Die Schwindsucht eines Aristokraten spart dem Revolutionstribunal eine Sitzung. Jede Arznei wäre contrerevolutionär.
Collot (nimmt ein Papier). - Eine Bittschrift, ein Weibername!
Barère.
- Wohl eine von denen, die gezwungen sein möchten, zwischen einem
Guillotinenbrett und dem Bett eines Jakobiners zu wählen. Die wie
Lukretia nach dem Verlust ihrer Ehre sterben, aber etwas später als
die Römerin: im Kindbett oder am Krebs oder aus Altersschwäche. - Es
mag nicht so unangenehm sein, einen Tarquinius aus der Tugendrepublik
einer Jungfrau zu treiben.
Collot.-
Sie ist zu alt. Madame verlangt den Tod, sie weiß sich auszudrücken:
das Gefängnis liege auf ihr wie ein Sargdeckel; sie sitzt erst seit
vier Wochen. Die Antwort ist leicht. (Er schreibt und liest:)
»Bürgerin, es ist noch nicht lange genug, daß du den Tod wünschest.«
(Schließer ab.)
Barère.
- Gut gesagt! Aber, Collot, es ist nicht gut, daß die Guillotine zu
lachen anfängt; die Leute haben sonst keine Furcht mehr davor; man muß
sich nicht so familiär machen.
(St. Just kommt zurück.)
St. Just.
- Eben erhalte ich eine Denunziation. Man konspiriert in den
Gefängnissen; ein junger Mensch namens Laflotte hat alles entdeckt. Er
saß mit Dillon im nämlichen Zimmer, Dillon hat getrunken und
geplaudert.
Barère.
Er schneidet sich mit seiner Bouteille den Hals ab; das ist schon mehr
vorgekommen.
St. Just.
Dantons und Camilles Weiber sollen Geld unter das Volk werfen, Dillon
soll ausbrechen, man will die Gefangnen befreien, der Konvent soll
gesprengt werden.
Barère. - Das sind Märchen.
St. Just.
- Wir werden sie aber mit dem Märchen in Schlaf erzählen. Die Anzeige
habe ich in Händen; dazu die Keckheit der Angeklagten, das Murren des
Volks, die Bestürzung der Geschwornen - ich werde einen Bericht
machen.
Barère. - Ja, geh, St. Just, und
spinne deine Perioden, worin jedes Komma ein Säbelhieb und jeder Punkt
ein abgeschlagner Kopf ist!
St. Just. - Der Konvent muß
dekretieren, das Tribunal solle ohne Unterbrechung den Prozeß fortführen
und dürfe jeden Angeklagten, welcher die dem Gerichte schuldige Achtung
verletzte oder störende Auftritte
veranlaßte, von den Debatten ausschließen.
veranlaßte, von den Debatten ausschließen.
Barère.-
Du hast einen revolutionären Instinkt; das lautet ganz gemäßigt und
wird doch seine Wirkung tun. Sie können nicht schweigen, Danton muß
schreien.
St. Just.
- Ich zähle auf eure Unterstützung. Es gibt Leute im Konvent, die ebenso
krank sind wie Danton und welche die nämliche Kur fürchten. Sie haben
wieder Mut bekommen, sie werden über Verletzung der Formen
schreien…
Barère(ihn unterbrechend)
- Ich werde ihnen sagen: Zu Rom wurde der Konsul, welcher die
Verschwörung des Katilina entdeckte und die Verbrecher auf der Stelle
mit dem Tod bestrafte, der verletzten Förmlichkeit angeklagt. Wer
waren seine Ankläger?
Collot (mit Pathos).-
Geh, St. Just! Die Lava der Revolution fließt. Die Freiheit wird die
Schwächlinge, welche ihren mächtigen Schoß befruchten wollten, in
ihren Umarmungen ersticken; die Majestät des Volks wird ihnen wie
Jupiter der Semele unter Donner und Blitz erscheinen und sie in Asche
verwandeln. Geh, St. Just, wir werden dir helfen, den Donnerkeil auf
die Häupter der Feiglinge zu schleudern! (St. Just ab.)
Barère. - Hast du das Wort Kur
gehört? Sie werden noch aus der Guillotine ein Spezifikum gegen die
Lustseuche machen. Sie kämpfen nicht mit den Moderierten, sie kämpfen
mit dem Laster.
Billaud. - Bis jetzt geht unser Weg zusammen.
Barère.-
Robespierre will aus der Revolution einen Hörsaal für Moral machen und
die Guillotine als Katheder gebrauchen.
Billaud. - Oder als Betschemel.
Collot. - Auf dem er aber alsdann nicht stehen, sondern liegen soll.
Barère.
- Das wird leicht gehen. Die Welt müßte auf dem Kopf stehen, wenn die
sogenannten Spitzbuben von den sogenannten rechtlichen Leuten gehängt
werden sollten.
Collot(zu Barère). - Wann kommst du wieder nach Clichy?
Barère - Wenn der Arzt nicht mehr zu mir kommt.
Collot.-
Nicht wahr, über dem Ort steht ein Haarstern, unter dessen
versengenden Strahlen dein Rückenmark ganz ausgedörrt
wird?
Billaud.-
Nächstens werden die niedlichen Finger der reizenden Demaly es ihm aus
dem Futterale ziehen und es als Zöpfchen über den Rücken
hinunterhängen machen.
Barère (zuckt die Achseln). - Pst! davon darf der Tugendhafte nichts wissen.
Billaud. - Er ist ein impotenter Masoret. (Billaud und Collot ab.)
Barère (allein). Die Ungeheuer! - »Es ist noch nicht lange genug, daß du den Tod wünschest!« Diese Worte hätten die Zunge müssen verdorren machen, die sie gesprochen. Und ich? - Als die Septembriseurs in die Gefängnisse drangen, faßt ein Gefangner sein Messer, er drängt sich unter die Mörder, er stößt es in die Brust eines Priesters, er ist gerettet! Wer kann was dawider haben? Ob ich mich nun unter die Mörder dränge oder mich in den Wohlfahrtsausschuß setze, ob ich ein Guillotinen- oder ein Taschenmesser nehme? Es ist der nämliche Fall, nur mit etwas verwickelteren Umständen; die Grundverhältnisse sind sich gleich. - Und durft' er einen morden: durft' er auch zwei, auch drei, auch noch mehr? wo hört das auf? Da kommen die Gerstenkörner! Machen zwei einen Haufen, drei, vier, wieviel dann? Komm, mein Gewissen, komm, mein Hühnchen, komm, bi, bi, bi, da ist Futter! Doch - war ich auch Gefangner? Verdächtig war ich, das läuft auf eins hinaus; der Tod war mir gewiß. (Ab.)
SIEBENTE SZENE
Barère (allein). Die Ungeheuer! - »Es ist noch nicht lange genug, daß du den Tod wünschest!« Diese Worte hätten die Zunge müssen verdorren machen, die sie gesprochen. Und ich? - Als die Septembriseurs in die Gefängnisse drangen, faßt ein Gefangner sein Messer, er drängt sich unter die Mörder, er stößt es in die Brust eines Priesters, er ist gerettet! Wer kann was dawider haben? Ob ich mich nun unter die Mörder dränge oder mich in den Wohlfahrtsausschuß setze, ob ich ein Guillotinen- oder ein Taschenmesser nehme? Es ist der nämliche Fall, nur mit etwas verwickelteren Umständen; die Grundverhältnisse sind sich gleich. - Und durft' er einen morden: durft' er auch zwei, auch drei, auch noch mehr? wo hört das auf? Da kommen die Gerstenkörner! Machen zwei einen Haufen, drei, vier, wieviel dann? Komm, mein Gewissen, komm, mein Hühnchen, komm, bi, bi, bi, da ist Futter! Doch - war ich auch Gefangner? Verdächtig war ich, das läuft auf eins hinaus; der Tod war mir gewiß. (Ab.)
SIEBENTE SZENE
Die Conciergerie
Lacroix. Danton. Philippeau. Camille.
Lacroix. Danton. Philippeau. Camille.
Lacroix.-
Du hast gut geschrien, Danton; hättest du dich etwas früher so um dein
Leben gequält, es wäre jetzt anders. Nicht wahr, wenn der Tod einem so
unverschämt nahe kommt und so aus dem Hals stinkt und immer
zudringlicher wird?
Camille.
- Wenn er einen noch notzüchtigte und seinen Raub unter Ringen und Kampf
aus den heißen Gliedern riß! Aber so in allen Formalitäten wie bei der
Hochzeit mit einem alten Weibe, wie die Pakten aufgesetzt, wie die
Zeugen gerufen, wie das Amen gesagt und wie dann die Bettdecke gehoben
wird und es langsam hereinkriecht mit seinen kalten Gliedern!
Danton.
- Wär' es ein Kampf, daß die Arme und Zähne einander packten! Aber es
ist mir, als wäre ich in ein Mühlwerk gefallen, und die Glieder würden
mir langsam systematisch von der kalten physischen Gewalt abgedreht.
So mechanisch getötet zu werden!
Camille. - Und dann daliegen allein,
kalt, steif in dem feuchten Dunst der Fäulnis - vielleicht, daß einem
der Tod das Leben langsam aus den Fibern martert - mit Bewußtsein
vielleicht sich wegzufaulen!
Philippeau.
- Seid ruhig, meine Freunde! Wir sind wie die Herbstzeitlose, welche
erst nach dem Winter Samen trägt. Von Blumen, die versetzt werden,
unterscheiden wir uns nur dadurch, daß wir über dem Versuch ein wenig
stinken. Ist das so arg?
Danton.-
Eine erbauliche Aussicht! Von einem Misthaufen auf den andern! Nicht
wahr, die göttliche Klassentheorie? Von Prima nach Sekunda, von
Sekunda nach Tertia und so weiter? Ich habe die Schulbänke satt, ich
habe mir Gesäßschwielen wie ein Affe darauf gesessen.
Philippeau. - Was willst du denn?
Danton. - Ruhe.
Philippeau. - Die ist in Gott.
Danton.
- Im Nichts. Versenke dich in was Ruhigers als das Nichts, und wenn die
höchste Ruhe Gott ist, ist nicht das Nichts Gott? Aber ich bin ein
Atheist. Der verfluchte Satz: Etwas kann nicht zu nichts werden! Und
ich bin etwas, das ist der Jammer! - Die Schöpfung hat sich so breit
gemacht, da ist nichts leer, alles voll Gewimmels. Das Nichts hat sich
ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen,
die Welt ist das Grab, worin es fault. - Das lautet verrückt, es ist
aber doch was Wahres daran.
Camille. - Die Welt ist der Ewige
Jude, das Nichts ist der Tod, aber er ist unmöglich. Oh, nicht sterben
können, nicht sterben können! wie es im Lied heißt.
Danton.
- Wir sind alle lebendig begraben und wie Könige in drei- oder
vierfachen Särgen beigesetzt, unter dem Himmel, in unsern Häusern, in
unsern Röcken und Hemden. - Wir kratzen fünfzig Jahre lang am
Sargdeckel. Ja, wer an Vernichtung glauben könnte! dem wäre geholfen.
- Da ist keine Hoffnung im Tod; er ist nur eine einfachere, das Leben
eine verwickeltere, organisiertere Fäulnis, das ist der ganze
Unterschied! - Aber ich bin gerad einmal an diese Art des Faulens
gewöhnt; der Teufel weiß, wie ich mit einer andern zurechtkomme. O
Julie! Wenn ich allein ginge! Wenn sie mich einsam ließe! - Und wenn
ich ganz zerfiele, mich ganz auflöste: ich wäre eine Handvoll
gemarterten Staubes, jedes meiner Atome könnte nur Ruhe finden bei
ihr. - Ich kann nicht sterben, nein, ich kann nicht sterben. Wir sind
noch nicht geschlagen. Wir müssen schreien; sie müssen mir jeden
Lebenstropfen aus den Gliedern reißen.
Lacroix. - Wir müssen auf unsrer Forderung bestehen; unsre Ankläger und die Ausschüsse müssen vor dem Tribunal erscheinen.
ACHTE SZENE
Ein Zimmer
Fouquier. Amar. Vouland.
Fouquier. - Ich weiß nicht mehr, was ich antworten soll; sie fordern eine Kommission.
Amar. - Wir haben die Schurken: da hast du, was du verlangst. (Er überreicht Fouquier ein Papier.)
Vouland. - Das wird sie zufriedenstellen.
Fouquier. - Wahrhaftig, das hatten wir nötig.
Amar. - Nun mache, daß wir und sie die Sache vom Hals bekommen.
NEUNTE SZENE
Das Revolutionstribunal
Danton.
- Die Republik ist in Gefahr, und er hat keine Instruktion! Wir
appellieren an das Volk; meine Stimme ist noch stark genug, um den
Dezemvirn die Leichenrede zu halten. - Ich wiederhole es, wir
verlangen eine Kommission; wir haben wichtige Entdeckungen zu machen.
Ich werde mich in die Zitadelle der Vernunft zurückziehen, ich werde
mit der Kanone der Wahrheit hervorbrechen und meine Feinde zermalmen.
(Zeichen des Beifalls.)
(Fouquier, Amar und Vouland treten ein.)
Fouquier.
- Ruhe im Namen der Republik, Achtung dem Gesetz! Der Konvent
beschließt: In Betracht, daß in den Gefängnissen sich Spuren von Meutereien
zeigen, in Betracht, daß Dantons und Camilles Weiber Geld unter das
Volk werfen und daß der General Dillon ausbrechen und sich an die
Spitze der Empörer stellen soll, um die Angeklagten zu befreien, in
Betracht endlich, daß diese selbst unruhige Auftritte herbeizuführen
sich bemüht und das Tribunal zu beleidigen versucht haben, wird das
Tribunal ermächtigt, die Untersuchung ohne Unterbrechung fortzusetzen
und jeden Angeklagten, der die dem Gesetze schuldige Ehrfurcht außer
Augen setzen sollte, von den Debatten auszuschließen.
Danton. - Ich frage die Anwesenden, ob wir dem Tribunal, dem Volke oder dem Nationalkonvent Hohn gesprochen haben?
Viele Stimmen. - Nein! Nein!
Camille. - Die Elenden, sie wollen meine Lucile morden!
Danton.-
Eines Tages wird man die Wahrheit erkennen. Ich sehe großes Unglück
über Frankreich hereinbrechen. Das ist die Diktatur; sie hat ihren
Schleier zerrissen, sie trägt die Stirne hoch, sie schreitet über
unsere Leichen. (Auf Amar und Vouland deutend:) Seht da die feigen
Mörder, seht da die Raben des Wohlfahrtsausschusses! Ich klage
Robespierre, St. Just und ihre Henker des Hochverrats an. Sie wollen
die Republik im Blut ersticken. Die Gleise der Guillotinenkarren sind
die Heerstraßen, auf welchen die Fremden in das Herz des Vaterlandes
dringen sollen. Wie lange sollen die Fußstapfen der Freiheit Gräber
sein? - Ihr wollt
Brot, und sie werfen euch Köpfe hin! Ihr durstet, und sie machen euch
das Blut von den Stufen der Guillotine lecken! (Heftige Bewegung unter
den Zuhörern, Geschrei des Beifalls.)
Viele Stimmen. - Es lebe Danton, nieder mit den Dezemvirn! (Die Gefangnen werden mit Gewalt hinausgeführt.)
ZEHNTE SZENE
Platz vor dem Justizpalast
Ein Volkshaufe.
Einige Stimmen. - Nieder mit den Dezemvirn! Es lebe Danton!
Erster Bürger. - Ja, das ist wahr, Köpfe statt Brot, Blut statt Wein!
Einige Weiber. - Die Guillotine ist eine schlechte Mühle und Samson ein schlechter Bäckerknecht; wir wollen Brot, Brot!
Zweiter Bürger. - Euer Brot, das hat Danton gefressen. Sein Kopf wird euch allen wieder Brot geben, er hatte recht.
Erster Bürger. - Danton war unter
uns am 10. August, Danton war unter uns im September. Wo waren die
Leute, welche ihn angeklagt haben?
Zweiter Bürger. - Und Lafayette war mit euch in Versailles und war doch ein Verräter.
Erster Bürger. - Wer sagt, daß Danton ein Verräter sei?
Zweiter Bürger. - Robespierre.
Erster Bürger. - Und Robespierre ist ein Verräter!
Zweiter Bürger. - Wer sagt das?
Erster Bürger. - Danton.
Zweiter Bürger.
- Danton hat schöne Kleider, Danton hat ein schönes Haus, Danton hat
eine schöne Frau, er badet sich in Burgunder, ißt das Wildbret von
silbernen Tellern und schläft bei euren Weibern und Töchtern, wenn er
betrunken ist. - Danton war arm wie ihr. Woher hat er das alles? Das
Veto hat es ihm gekauft, damit er ihm die Krone rette. Der Herzog von
Orléans hat es ihm geschenkt, damit er ihm die Krone stehle. Der
Fremde hat es ihm gegeben, damit er euch alle verrate. - Was hat
Robespierre? Der tugendhafte Robespierre! Ihr kennt ihn alle. Alle. Es
lebe Robespierre! Nieder mit Danton! Nieder mit dem Verräter!
VIERTER AKT
ERSTE SZENE
Ein Zimmer
Julie. Ein Knabe.
Julie.
- Es ist aus. Sie zitterten vor ihm. Sie töten ihn aus Furcht. Geh! ich
habe ihn zum letzten Mal gesehen; sag ihm, ich könne ihn nicht so
sehen. (Sie gibt ihm eine Locke.) Da, bring ihm das und sag ihm, er
würde nicht allein gehn - er versteht mich schon. Und dann schnell
zurück, ich will seine Blicke aus deinen Augen lesen.
ZWEITE SZENE
Eine Straße
Dumas. Ein Bürger.
Bürger. - Wie kann man nach einem solchen Verhör soviel Unschuldige zum Tod
verurteilen?
Dumas.
- Das ist in der Tat außerordentlich; aber die Revolutionsmänner haben
einen Sinn, der andern Menschen fehlt, und dieser Sinn trügt sie
nie.
Bürger. - Das ist der Sinn des Tigers. - Du hast ein Weib.
Dumas. - Ich werde bald eins gehabt haben.
Bürger. - So ist es denn wahr?
Dumas. -Das Revolutionstribunal wird unsere Ehescheidung aussprechen; die Guillotine wird uns von Tisch und Bett trennen.
Bürger. - Du bist ein Ungeheuer!
Dumas. - Schwachkopf! Du bewunderst Brutus?
Bürger. - Von ganzer Seele.
Dumas.
- Muß man denn gerade römischer Konsul sein und sein Haupt mit der Toga
verhüllen können, um sein Liebstes dem Vaterlande zu opfern? Ich werde
mir die Augen mit dem Ärmel meines roten Fracks abwischen; das ist der
ganze Unterschied.
Bürger. - Das ist entsetzlich!
Dumas. - Geh, du begreifst mich nicht! (Sie gehen ab.)
DRITTE SZENE
Die Conciergerie
Lacroix, Hérault auf einem Bett, Danton, Camille auf einem andern.
Lacroix.
- Die Haare wachsen einem so und die Nägel, man muß sich wirklich
schämen.
Hérault.-
Nehmen Sie sich ein wenig in acht, Sie niesen mir das ganze Gesicht
voll Sand!
Lacroix. - Und treten Sie mir nicht so auf die Füße, Bester, ich habe Hühneraugen!
Hérault. - Sie leiden noch an Ungeziefer.
Lacroix. - Ach, wenn ich nur einmal die Würmer ganz los wäre!
Hérault.
Nun, schlafen Sie wohl! wir müssen sehen, wie wir miteinander
zurechtkommen, wir haben wenig Raum. - Kratzen Sie mich nicht mit
Ihren Nägeln im Schlaf! - So! Zerren Sie nicht so am Leichtuch, es ist
kalt da unten!
Danton. - Ja, Camille, morgen sind wir durchgelaufne Schuhe, die man der Bettlerin Erde in den Schoß wirft.
Camille.-
Das Rindsleder, woraus nach Platon die Engel sich Pantoffeln
geschnitten und damit auf der Erde herumtappen. Es geht aber auch
danach. Meine Lucile!
Danton. - Sei ruhig, mein Junge!
Camille.
- Kann ich's? Glaubst du, Danton? Kann ich's? Sie können die Hände nicht
an sie legen! Das Licht der Schönheit, das von ihrem süßen Leib sich
ausgießt, ist unlöschbar. Sieh, die Erde würde nicht wagen, sie zu
verschütten; sie würde sich um sie wölben, der Grabdunst würde wie Tau
an ihren Wimpern funkeln, Kristalle würden wie Blumen um ihre Glieder
sprießen und helle Quellen in Schlaf sie murmeln.
Danton. - Schlafe, mein Junge, schlafe!
Camille.-
Höre, Danton, unter uns gesagt, es ist so elend, sterben müssen. Es
hilft auch zu nichts. Ich will dem Leben noch die letzten Blicke aus
seinen hübschen Augen stehlen, ich will die Augen offen haben.
Danton.-
Du wirst sie ohnehin offen behalten, Samson drückt einem die Augen
nicht zu. Der Schlaf ist barmherziger. Schlafe, mein Junge,
schlafe!
Camille. - Lucile, deine Küsse
phantasieren auf meinen Lippen; jeder Kuß wird ein Traum, meine Augen
sinken und schließen ihn fest ein.
Danton.
- Will denn die Uhr nicht ruhen? Mit jedem Picken schiebt sie die Wände
enger um mich, bis sie so eng sind wie ein Sarg. - Ich las einmal als
Kind so 'ne Geschichte, die Haare standen mir zu Berg. Ja, als Kind!
Das war der Mühe wert, mich so groß zu füttern und mich warm zu
halten. Bloß Arbeit für den Totengräber!
Es ist mir, als röch' ich schon.
Mein lieber Leib, ich will mir die Nase zuhalten und mir einbilden, du
seist ein Frauenzimmer, was vom Tanzen schwitzt und stinkt, und dir
Artigkeiten sagen. Wir haben uns sonst schon mehr miteinander die Zeit
vertrieben. Morgen bist du eine zerbrochene Fiedel; die Melodie darauf
ist
ausgespielt. Morgen bist du eine leere Bouteille; der Wein ist
ausgetrunken, aber ich habe keinen Rausch davon und gehe nüchtern zu
Bett - das sind glückliche Leute, die sich noch besaufen können.
Morgen bist du eine durchgerutschte Hose; du wirst in die Garderobe
geworfen, und die Motten werden dich fressen, du magst stinken, wie du
willst. Ach, das hilft nichts! Jawohl, es ist so elend, sterben müssen.
Der Tod äfft die Geburt; beim Sterben sind wir so hilflos und nackt wie
neugeborne Kinder. Freilich, wir bekommen das Leichentuch zur Windel.
Was wird es helfen? Wir können im Grab so gut wimmern wie in der
Wiege. Camille! Er schläft; (indem er sich über ihn bückt:) ein Traum spielt zwischen seinen Wimpern. Ich will den goldnen Tau des Schlafes ihm nicht von den Augen streifen (Er erhebt sich und tritt ans Fenster.) Ich werde nicht allein gehn: ich danke dir, Julie! doch hätte ich anders sterben mögen, so ganz mühelos, so wie ein Stern fällt, wie ein Ton sich selbst aushaucht, sich mit den eignen Lippen rotküßt, wie ein Lichtstrahl in klaren Fluten sich begräbt. - Wie schimmernde Tränen sind die Sterne durch die Nacht gesprengt; es muß ein großer Jammer in dem Aug' sein, von dem sie abträufelten.
Wiege. Camille! Er schläft; (indem er sich über ihn bückt:) ein Traum spielt zwischen seinen Wimpern. Ich will den goldnen Tau des Schlafes ihm nicht von den Augen streifen (Er erhebt sich und tritt ans Fenster.) Ich werde nicht allein gehn: ich danke dir, Julie! doch hätte ich anders sterben mögen, so ganz mühelos, so wie ein Stern fällt, wie ein Ton sich selbst aushaucht, sich mit den eignen Lippen rotküßt, wie ein Lichtstrahl in klaren Fluten sich begräbt. - Wie schimmernde Tränen sind die Sterne durch die Nacht gesprengt; es muß ein großer Jammer in dem Aug' sein, von dem sie abträufelten.
Camille. - Oh! (Er hat sich aufgerichtet und tastet nach der Decke.)
Danton. - Was hast du, Camille?
Camille. - Oh, oh!
Danton (schüttelt ihn). - Willst du die Decke herunterkratzen?
Camille. - Ach du, du - o halt mich! sprich, du!
Danton. - Du bebst an allen Gliedern, der Schweiß steht dir auf der Stirne.
Camille.
- Das bist du, das ich - so! Das ist meine Hand! Ja! jetzt besinn ich
mich. O Danton, das war entsetzlich!
Danton. - Was denn?
Camille. - Ich lag so zwischen Traum
und Wachen. Da schwand die Decke, und der Mond sank herein, ganz nahe,
ganz dicht, mein Arm erfaßt' ihn. Die Himmelsdecke mit ihren Lichtern
hatte sich gesenkt, ich stieß daran, ich betastete die Sterne, ich
taumelte wie ein Ertrinkender unter der Eisdecke. Das war entsetzlich,
Danton!
Danton. - Die Lampe wirft einen runden Schein an die Decke, das sahst du.
Camille. - Meinetwegen, es braucht
grade nicht viel, um einem das bißchen Verstand verlieren zu machen. Der
Wahnsinn faßte mich bei den Haaren. (Er erhebt sich.) Ich mag nicht
mehr schlafen, ich mag nicht verrückt
werden. (Er greift nach einem Buch.)
werden. (Er greift nach einem Buch.)
Danton. - Was nimmst du?
Camille. - Die Nachtgedanken.
Danton.
- Willst du zum voraus sterben? Ich nehme die Pucelle. Ich will mich aus
dem Leben nicht wie aus dem Betstuhl, sondern wie aus dem Bett einer
Barmherzigen Schwester wegschleichen. Es ist eine Hure; es treibt mit
der ganzen Welt Unzucht.
VIERTE SZENE
Platz vor der Conciergerie
Ein Schließer. Zwei Fuhrleute mit Karren. Weiber.
Schließer. - Wer hat euch herfahren geheißen?
Erster Fuhrmann. - Ich heiße nicht Herfahren, das ist ein kurioser Namen.
Schließer. - Dummkopf, wer hat dir die Bestallung dazu gegeben?
Erster Fuhrmann. - Ich habe keine Stallung dazu kriegt, nichts als zehn Sous für den Kopf.
Zweiter Fuhrmann. - Der Schuft will mich ums Brot bringen.
Erster Fuhrmann.
- Was nennst du dein Brot? (Auf die Fenster der Gefangnen deutend:) Das
ist Wurmfraß.
Zweiter Fuhrmann. - Meine Kinder
sind auch Würmer, und die wollen auch ihr Teil davon. Oh, es geht
schlecht mit unsrem Metier, und doch sind wir die besten Fuhrleute.
Erster Fuhrmann. - Wie das?
Zweiter Fuhrmann. - Wer ist der beste Fuhrmann?
Erster Fuhrmann. - Der am weitesten und am schnellsten fährt.
Zweiter Fuhrmann.
- Nun, Esel, wer fährt weiter, als der aus der Welt fährt, und wer fährt
schneller, als der 's in einer Viertelstunde tut? Genau gemessen ist's
eine Viertelstunde von da bis zum Revolutionsplatz.
Schließer. - Rasch, ihr Schlingel! Näher ans Tor; Platz da, ihr Mädel!
Erster Fuhrmann. - Halt't Euren Platz vor! Um ein Mädel fährt man nit herum, immer in die Mitt' 'nein.
Zweiter Fuhrmann. - Ja, das glaub
ich: du kannst mit Karren und Gäulen hinein, du findst gute Gleise; aber
du mußt Quarantäne halten, wenn du herauskommst.
(Sie fahren vor.)
(Sie fahren vor.)
Zweiter Fuhrmann. (zu den Weibern). - Was gafft ihr?
Ein Weib. - Wir warten auf alte Kunden.
Zweiter Fuhrmann. - Meint ihr, mein
Karren wär' ein Bordell? Er ist ein anständiger Karren, er hat den König
und alle vornehmen Herren aus Paris zur Tafel gefahren.
Lucile - (tritt auf. Sie setzt sich auf einen Stein unter die Fenster
der Gefangnen).
Camille, Camille! (Camille erscheint am Fenster.) Höre, Camille, du
machst mich lachen mit dem langen Steinrock und der eisernen Maske vor
dem Gesicht; kannst du dich nicht bücken? Wo sind deine Arme? - Ich
will dich locken, lieber Vogel. (Singt:)
Es stehn zwei Sternlein an dem Himmel,
Scheinen heller als der Mond,
Der ein' scheint vor Feinsliebchens Fenster,
Der andre vor die Kammertür.
Scheinen heller als der Mond,
Der ein' scheint vor Feinsliebchens Fenster,
Der andre vor die Kammertür.
Komm, komm, mein Freund! Leise die Truppe herauf, sie schlafen alle.
Der Mond hilft mir schon lange warten. Aber du kannst ja nicht zum Tor
herein, das ist eine unleidliche Tracht. Das ist zu arg für den Spaß,
mach ein Ende! Du rührst dich auch gar nicht, warum sprichst du nicht?
Du machst mir Angst. Höre! die Leute sagen, du müßtest sterben, und machen dazu so
ernsthafte Gesichter. Sterben! ich muß lachen über die Gesichter.
Sterben! Was ist das für ein Wort? Sag mir's, Camille. Sterben! Ich
will nachdenken. Da, da ist's. Ich will ihm nachlaufen; komm, süßer
Freund, hilf mir fangen, komm! komm! (Sie läuft weg.)
Camille (ruft). - Lucile! Lucile!
FÜNFTE SZENE
Camille (ruft). - Lucile! Lucile!
FÜNFTE SZENE
Die Conciergerie
Danton an einem Fenster, was ins nächste Zimmer geht. Camille.
Philippeau. Lacroix. Hérault.
Philippeau. Lacroix. Hérault.
Danton. - Du bist jetzt ruhig, Fabre.
Eine Stimme (von innen). - Am Sterben.
Danton. - Weißt du auch, was wir jetzt machen werden?
Die Stimme. - Nun?
Danton. - Was du dein ganzes Leben hindurch gemacht hast - des vers.
Camille (für sich). - Der Wahnsinn
saß hinter ihren Augen. Es sind schon mehr Leute wahnsinnig geworden,
das ist der Lauf der Welt. Was können wir dazu? Wir waschen unsere Hände
-. Es ist auch besser so.
Danton.- Ich lasse alles in einer
schrecklichen Verwirrung. Keiner versteht das Regieren. Es könnte
vielleicht noch gehn, wenn ich Robespierre meine Huren und Couthon meine
Waden hinterließe.
Lacroix. - Wir hätten die Freiheit zur Hure gemacht!
Danton.
- Was wäre es auch! Die Freiheit und eine Hure sind die
kosmopolitischsten Dinge unter der Sonne. Sie wird sich jetzt
anständig im Ehebett des Advokaten von Arras prostituieren. Aber ich
denke, sie wird die Klytämnestra gegen ihn spielen; ich lasse ihm
keine sechs Monate Frist, ich ziehe ihn mit mir.
Camille (für sich).
- Der Himmel verhelf ihr zu einer behaglichen fixen Idee. Die
allgemeinen fixen Ideen, welche man die gesunde Vernunft tauft, sind
unerträglich langweilig. Der glücklichste Mensch war der, welcher sich
einbilden konnte, daß er Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist sei.
Lacroix. - Die Esel werden schreien »Es lebe die Republik«, wenn wir vorbeigehen.
Danton.
- Was liegt daran? Die Sündflut der Revolution mag unsere Leichen
absetzen, wo sie will; mit unsern fossilen Knochen wird man noch immer
allen Königen die Schädel einschlagen können.
Hérault. - Ja, wenn sich gerade ein Simson für unsere Kinnbacken findet.
Danton. - Sie sind Kainsbrüder.
Lacroix. - Nichts beweist mehr, daß
Robespierre ein Nero ist, als der Umstand, daß er gegen Camille nie
freundlicher war als zwei Tage vor dessen Verhaftung. Ist es nicht so,
Camille?
Camille. - Meinetwegen, was geht das
mich an? - (Für sich:) Was sie an dem Wahnsinn ein reizendes Kind
geboren hat! Warum muß ich jetzt fort? Wir hätten zusammen mit ihm
gelacht, es gewiegt und geküßt.
Danton.
- Wenn einmal die Geschichte ihre Grüfte öffnet, kann der Despotismus
noch immer an dem Duft unsrer Leichen ersticken.
Hérault.
- Wir stanken bei Lebzeiten schon hinlänglich. - Das sind Phrasen für
die Nachwelt, nicht wahr, Danton; uns gehn sie eigentlich nichts
an.
Camille.-
Er zieht ein Gesicht, als solle es versteinern und von der Nachwelt
als Antike ausgegraben werden. Das verlohnt sich auch der Mühe,
Mäulchen zu machen und Rot aufzulegen und mit einem guten Akzent zu
sprechen; wir sollten einmal die Masken abnehmen, wir sähen dann, wie
in einem Zimmer mit Spiegeln, überall nur den einen uralten,
zahnlosen, unverwüstlichen Schafskopf, nichts mehr, nichts weniger.
Die Unterschiede sind so groß nicht, wir alle sind Schurken und Engel,
Dummköpfe und Genies, und zwar das alles in einem: die vier Dinge
finden Platz genug in dem nämlichen Körper, sie sind nicht so breit,
als man sich einbildet. Schlafen, Verdauen, Kinder machen - das
treiben alle; die übrigen Dinge sind nur Variationen aus verschiedenen
Tonarten über das nämliche Thema. Da braucht man sich auf die Zehen zu
stellen und Gesichter zu schneiden, da braucht man sich voreinander zu
genieren! Wir haben uns alle am nämlichen Tische krank gegessen und
haben Leibgrimmen; was haltet ihr euch die Servietten vor das Gesicht?
Schreit nur und greint, wie es euch ankommt! Schneidet nur keine so
tugendhafte und so witzige und so heroische und so geniale Grimassen,
wir kennen uns ja einander, spart euch die Mühe!
Hérault. - Ja, Camille, wir wollen uns beieinandersetzen und schreien; nichts dummer, als die Lippen
zusammenzupressen, wenn einem was weh tut. Griechen und Götter schrien, Römer und Stoiker machten die heroische Fratze.
zusammenzupressen, wenn einem was weh tut. Griechen und Götter schrien, Römer und Stoiker machten die heroische Fratze.
Danton.
- Die einen waren so gut Epikureer wie die andern. Sie machten sich ein
ganz behagliches Selbstgefühl zurecht. Es ist nicht so übel, seine
Toga zu drapieren und sich umzusehen, ob man einen langen Schatten
wirft. Was sollen wir uns zerren? Ob wir uns nun Lorbeerblätter,
Rosenkränze oder Weinlaub vor die Scham binden oder das häßliche Ding
offen tragen und es uns von den Hunden lecken lassen?
Philippeau.-
Meine Freunde, man braucht gerade nicht hoch über der Erde zu stehen,
um von all dem wirren Schwanken und Flimmern nichts mehr zu sehen und
die Augen von einigen großen, göttlichen Linien erfüllt zu haben. Es
gibt ein Ohr, für welches das Ineinanderschreien und der Zeter, die
uns betäuben, ein Strom von Harmonien sind.
Danton.
- Aber wir sind die armen Musikanten und unsere Körper die Instrumente.
Sind denn die häßlichen Töne, welche auf ihnen herausgepfuscht werden,
nur da, um höher und höher dringend und endlich leise verhallend wie
ein wollüstiger Hauch in himmlischen Ohren zu sterben?
Hérault.-
Sind wir wie Ferkel, die man für fürstliche Tafeln mit Ruten
totpeitscht, damit ihr Fleisch schmackhafter werde?
Danton.
- Sind wir Kinder, die in den glühenden Molochsarmen dieser Welt
gebraten und mit Lichtstrahlen gekitzelt werden, damit die Götter sich
über ihr Lachen freuen?
Camille.-
Ist denn der Äther mit seinen Goldaugen eine Schüssel mit Goldkarpfen,
die am Tisch der seligen Götter steht, und die seligen Götter lachen
ewig, und die Fische sterben ewig, und die Götter erfreuen sich ewig
am Farbenspiel des Todeskampfes?
Danton. - Die Welt ist das Chaos. Das Nichts ist der zu gebärende Weltgott.
(Der Schließer tritt ein.)
Schließer. - Meine Herren, Sie können abfahren, die Wagen halten vor der Tür.
Philippeau.-
Gute Nacht, meine Freunde! Legen wir ruhig die große Decke über uns,
worunter alle Herzen ausschlagen und alle Augen zufallen. (Sie umarmen
einander.)
Hérault. (nimmt Camilles Arm).
Freue dich, Camille, wir bekommen eine schöne Nacht. Die Wolken hängen
am stillen Abendhimmel wie ein ausglühender Olymp mit verbleichenden,
versinkenden Göttergestalten. (Sie gehen ab.)
SECHSTE SZENE
Ein Zimmer
Julie.
- Das Volk lief in den Gassen, jetzt ist alles still. Keinen Augenblick
möchte ich ihn warten lassen. (Sie zieht eine Phiole hervor.) Komm,
liebster Priester, dessen Amen uns zu Bette gehn macht. (Sie tritt ans
Fenster.) Es ist so hübsch, Abschied zu nehmen; ich habe die Türe nur
noch hinter mir zuzuziehen. (Sie trinkt.) Man möchte immer so stehn. - Die Sonne ist hinunter; der Erde Züge
waren so scharf in ihrem Licht, doch jetzt ist ihr Gesicht so still
und ernst wie einer Sterbenden. - Wie schön das Abendlicht ihr um
Stirn und Wangen spielt. - Stets bleicher und bleicher wird sie, wie
eine Leiche treibt sie abwärts in der Flut des Äthers. Will denn kein
Arm sie bei den goldnen Locken fassen und aus dem Strom sie ziehen und
sie begraben?
Ich gehe leise. Ich küsse sie nicht, daß kein Hauch, kein Seufzer sie
aus dem Schlummer wecke. - Schlafe, schlafe! (Sie stirbt.)
SIEBENTE SZENE
Der Revolutionsplatz
Die Wagen kommen angefahren und
halten vor der Guillotine. Männer und Weiber singen und tanzen die
Carmagnole. Die Gefangenen stimmen die Marseillaise an.
Ein Weib (mit Kindern).-
Platz! Platz! Die Kinder schreien, sie haben Hunger. Ich muß sie
zusehen machen, daß sie still sind. Platz!
Ein Weib. - He, Danton, du kannst jetzt mit den Würmern Unzucht treiben.
Eine andere. - Hérault, aus deinen hübschen Haaren laß ich mir eine Perücke machen.
Hérault. - Ich habe nicht Waldung genug für einen so abgeholzten Venusberg.
Camille.
- Verfluchte Hexen! Ihr werdet noch schreien: »Ihr Berge, fallet auf
uns!«
Ein Weib. - Der Berg ist auf euch, oder ihr seid ihn vielmehr hinuntergefallen.
Danton (zu Camille). - Ruhig, mein Junge! Du hast dich heiser geschrien.
Camille (gibt dem Fuhrmann Geld). - Da, alter Charon, dein Karren ist ein guter Präsentierteller! - Meine
Herren, ich will mich zuerst servieren. Das ist ein klassisches Gastmahl; wir liegen auf unsern Plätzen und verschütten etwas Blut als Libation. Adieu, Danton! (Er besteigt das Blutgerüst, die Gefangnen
folgen ihm, einer nach dem andern. Danton steigt zuletzt hinauf.)
Herren, ich will mich zuerst servieren. Das ist ein klassisches Gastmahl; wir liegen auf unsern Plätzen und verschütten etwas Blut als Libation. Adieu, Danton! (Er besteigt das Blutgerüst, die Gefangnen
folgen ihm, einer nach dem andern. Danton steigt zuletzt hinauf.)
Lacroix (zu dem Volk).-
Ihr tötet uns an dem Tage, wo ihr den Verstand verloren habt; ihr
werdet sie an dem töten, wo ihr ihn wiederbekommt.
Einige Stimmen. - Das war schon einmal da; wie langweilig!
Lacroix. - Die Tyrannen werden über unsern Gräbern den Hals brechen.
Hérault (zu Danton). - Er hält seine Leiche für ein Mistbeet der Freiheit.
Philippeau (auf dem Schafott).-
Ich vergebe euch; ich wünsche, eure Todesstunde sei nicht bittrer als
die meinige.
Hérault.-
Dacht' ich's doch! er muß sich noch einmal in den Busen greifen und
den Leuten da unten zeigen, daß er reine Wäsche hat.
Fabre. - Lebe wohl, Danton! Ich sterbe doppelt.
Danton. - Adieu, mein Freund! Die Guillotine ist der beste Arzt.
Hérault (will Danton umarmen). - Ach, Danton, ich bringe nicht einmal einen Spaß mehr heraus. Da ist's
Zeit. (Ein Henker stößt ihn zurück.)
Zeit. (Ein Henker stößt ihn zurück.)
Danton (zum Henker). - Willst du grausamer sein als der Tod? Kannst du verhindern, daß unsere
Köpfe sich auf dem Boden des Korbes küssen?
Köpfe sich auf dem Boden des Korbes küssen?
ACHTE SZENE
Eine Straße
Lucile. -
Es ist doch was wie Ernst darin. Ich will einmal nachdenken. Ich fange
an, so was zu begreifen.
Sterben - Sterben -! - Es darf ja alles leben, alles, die kleine Mücke
da, der Vogel. Warum denn er nicht? Der Strom des Lebens müßte
stocken, wenn nur der eine Tropfen verschüttet würde. Die Erde müßte
eine Wunde bekommen von dem Streich. Es regt sich alles, die Uhren gehen, die Glocken schlagen, die Leute
laufen, das Wasser rinnt, und so alles weiter bis da, dahin - nein, es
darf nicht geschehen, nein, ich will mich auf den Boden setzen und
schreien, daß erschrocken alles stehn bleibt, alles stockt, sich
nichts mehr regt. (Sie setzt sich nieder, verhüllt sich die Augen und
stößt einen Schrei aus. Nach einer Pause erhebt sie sich:) Das hilft
nichts, da ist noch alles wie sonst; die Häuser, die Gasse, der Wind
geht, die Wolken ziehen. - Wir müssen's wohl leiden.
(Einige Weiber kommen die Gasse herunter.)
Erstes Weib. - Ein hübscher Mann, der Hérault!
Zweites Weib.-
Wie er beim Konstitutionsfest so am Triumphbogen stand, da dacht' ich
so, der muß sich gut auf der Guillotine ausnehmen, dacht' ich. Das war
so 'ne Ahnung.
Drittes Weib.-
Ja, man muß die Leute in allen Verhältnissen sehen; es ist recht gut,
daß das Sterben so öffentlich wird. (Sie geben vorbei.)
Lucile. - Mein Camille! Wo soll ich dich jetzt suchen?
NEUNTE SZENE
Der Revolutionsplatz
Zwei Henker, an der Guillotine beschäftigt.
Erster Henker (steht auf der Guillotine und singt).
Und wann ich hame geh,
Scheint der Mond so scheh…
Und wann ich hame geh,
Scheint der Mond so scheh…
Zweiter Henker. - He, holla! Bist bald fertig?
Erster Henker. - Gleich, gleich! (Singt:)
Scheint in meines Ellervaters Fenster -
Kerl, wo bleibst so lang bei de Menscher?
Kerl, wo bleibst so lang bei de Menscher?
So! Die Jacke her! (Sie gehn singend ab:)
Und wann ich hame geh,
Scheint der Mond so scheh…
Scheint der Mond so scheh…
Lucile (tritt auf und setzt sich auf
die Stufen der Guillotine). - Ich setze mich auf deinen Schoß, du
stiller Todesengel. (Sie singt:)
Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,
Hat Gewalt vom höchsten Gott.
Hat Gewalt vom höchsten Gott.
Du liebe Wiege, die du meinen Camille in Schlaf gelullt, ihn unter
deinen Rosen erstickt hast. Du Totenglocke, die du ihn mit deiner
süßen Zunge zu Grabe sangst. (Sie singt:)
Viel Hunderttausend ungezählt,
Was nur unter die Sichel fällt.
Was nur unter die Sichel fällt.
(Eine Patrouille tritt auf.)
Ein Bürger. - He, wer da?
Lucile (sinnend und wie einen Entschluß fassend, plötzlich). - Es lebe der König!
Bürger.-
Im Namen der Republik! (Sie wird von der Wache umringt und
weggeführt.)
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