MARK AUREL
SELBSTBETRACHTUNGEN
Deutsche Bibliothek in Berlin
SELBSTBETRACHTUNGEN
Deutsche Bibliothek in Berlin
Für die Deutsche Bibliothek nach der Übersetzung von
F.C. Schneider
herausgegeben und eingeleitet von Alexander von Gleichen-Rußwurm
EINLEITUNG
Der Philosoph auf dem Kaiserthron gehört zu den bedeutendsten Männern des ausklingenden Altertums.
Marcus Annius Verus wurde den 25. April des Jahres 121 n. Chr. Geb. zu Rom geboren wo seine Familie, seit der Urgroßvater aus Spanien eingewandert war, sich zu hohem Rang emporgearbeitet hatte. Sorgfältige Erziehung, gepaart mit großer Lernbegierde, erschlossen ihm die Wissenschaft seines Jahrhunderts, die in der Philosophie den höchsten, in unserem Sinn sogar den einzigen Ausdruck fand. Schon im zwölften Jahr nahm der kräftig aufblühende Jüngling den weißen Mantel und bekundete dadurch, daß er auch äußerlich zur Kaste der Philosophen gehören wolle.
Streng und ernst gab sich die Weltweisheit
des zweiten Jahrhunderts. Entbehrungen, oft bis
zum Übermaß gesteigert, wie sie später zur typischen
Eigenschaft christlicher Asketen wurden, verlangten
die Anhänger der Stoa und sahen in der Abkehr von
allen Interessen, Zerstreuungen wie Freuden der Welt
die einzig richtige Stellungnahme eines Weisen den
vergänglichen Dingen gegenüber.
Zurückgezogen von seinen Altersgenossen,
vielleicht ein wenig ostentativ in den weißen Mantel
gehüllt, mit den Stoikern Rusticus, Apollonius, Claudius
Maximus in anregend erzieherischem Gespräch, wandelte
der Jüngling durch die stillen abgelegenen Gärten
einer Villa, bis zu deren Mauern der Lärm der römischen
Weltstadt brandete. Auf Bitten seiner Mutter,
die mit Bangen bemerkte, daß ihr Sohn unter der Last
selbstauferlegter Entbehrungen blasser und schmächtiger
wurde, stellte er seinen Lebenswandel auf gesündere
Basis und gesellte den geistigen Exerzitien nützliche,
körperliche Übungen. Die Herrschaft des gesunden
Menschenverstandes, die in den Taten und Schriften
des späteren Kaisers so glücklich zum Ausdruck kommt,
beginnt schon in den Jünglingsjahren, sobald der einseitige
Einfluß allzu strenger stoischer Lebensanschauung
gemäßigt erscheint. Den Anhängern der Stoa treten
als Lehrer zur Seite Claudius Severus, der Peripatetiker
und der Platoniker Sextus aus Chaeronea, ein Enkel
Plutarchs. Epiktets nachgelassene, von Arrhianos
gesammelte Schriften prägen sich der eindrucksfähigen
jungen Seele ein und wirken bestimmend auf die ethische
Entwicklung des still für sich Heranwachsenden.
Kaiser Hadrian fand Gefallen an dem
ernsten, außerordentlich wahrhaften Philosophenschüler
und veranlaßte im Jahr 136 dessen Verlobung mit der
Tochter seines Mitregenten Verus. Als Folge dieser
Verlobung ist dann die Adoptierung seitens Antoninus
(eines Sohnes des Verus) zu betrachten, der selbst
von Hadrian an Kindes Statt angenommen und zum Thronfolger
ernannt war. Unter dem Namen Marcus Aelius Aurelius
Verus trat der junge Denker aus der Verborgenheit
auf den Schauplatz der großen Welt.
Sein Biograph berichtet, daß er nur
ungern sein beschauliches Leben verlassen und einen
Palast in der Stadt auf Hadrians Befehl bezogen habe.
Doch im Treiben des Hofes, im bewegten politischen
Frage- und Antwortspiel, auf dem Forum vor Gericht,
bei den Mühen kriegerischer Unternehmungen wuchs und
reifte erst die philosophische Saat des herben jugendlichen
Frühlings zu reicher Ernte. Als Kaiser Hadrian
am 10. Juli 138 zu Bajä starb, bestieg Antonin
den Thron und berief sofort Marc Aurel an seine Seite,
ihn in alle Geheimnisse der Regierungskunst einzuweihen.
Die frühere Verlobung wurde aufgehoben und die Vermählung
mit Faustina, der Kaisertochter, gefeiert. Nun
war im römischen Reich jene Zeit angebrochen, die
Platos Ideal vom Staate nach einer Richtung hin zu
erfüllen schien. Zwei Philosophen herrschten gemeinsam,
von edelster, einzig dastehender Freundschaft getragen
und förderten während dreiundzwanzig friedlicher Jahre
Wohlstand und Kultur in bemerkenswerter Weise.
Gut bedachte soziale Maßregeln glichen manche Härten
aus, es wurde für vornehm gehalten, gebildet, ja gelehrt
zu sein und edle Duldsamkeit herrschte in den Fragen
des Glaubens, soweit sie nur den Glauben, nicht aber
die politische Betätigung betrafen.
Der gekrönte Apostel der Menschenliebe — wie
Stuart Mill den Kaiser Marc Aurel genannt hat — hoffte
nach dem Tod Antonins (im März 161) die friedliche,
sonnige Zeit der Philosophenherrschaft weiter zu führen
und sein Ideal eines Herrschers in sozialer Fürsorge
zu verwirklichen. Aber das Schicksal, das ihm
einen herrlichen Lebenssommer gewährt, gab ihm einen
desto stürmischeren Herbst. Hungersnot und Pest
suchten Rom und die römischen Provinzen heim, schwere
Kriege mit den Parthern und Markomanen brachen aus,
Aufstände wie derjenige in Ägypten vom Jahr 170 bildeten
drohende Gefahren für das Reich. Dies alles lenkte
von wohltätiger Friedensarbeit ab und zwang die Arbeit
des Philosophenkaisers auf andere, ihm innerlich fremde
Bahnen. Dazu kamen harte Mißstimmungen in der
eigenen Familie. Faustinas üppiges, man sagt
sogar ausschweifendes Leben stand in grellem Gegensatz
zu Marc Aurels anspruchsloser Einfachheit und die
ungerechten, oft auf willkürlicher Anmaßung beruhenden
Handlungen seines Sohnes Kommodus führten zu schlimmen
Befürchtungen in bezug auf die Zukunft des Reiches.
Stunden der Sorge und der stillen
Einkehr im Feldlager oder im kaiserlichen Palast waren
es, in denen der alternde Herrscher seine Gedanken
niederschrieb zum eigenen Trost. Milde Gesinnung,
strenge Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue sind das
Zeichen seiner Sinnesweise und haben die “Selbstbetrachtungen”
zu einem Denkmal edler Menschlichkeit gemacht, das
nie veraltet, weil es ein Bekenntnis ohne Pose, ohne
zeitlich beschränkten Zweck und ohne Darstellung vergänglicher
äußerer Tatsachen ist.
Die Handschriften, der Mode entsprechend
in griechischer Sprache abgefaßt, trugen den Titel
“[Greek: chatheauton],” was später
mit “Selbstbetrachtungen” wiedergegeben
wurde. Nach hartem Tagewerk des Abends beim Schein
der unruhig flackernden Öllampen verfaßt, bald im
Lager an der Donau bei Carnunt, bald nach lebhaften,
ermüdenden Senatssitzungen in Rom, sind Marc Aurels
Aphorismen aus der Quelle des wirklichen Lebens geflossen.
Starke Taten des Geistes verkünden sie und sind Worte
eines hohen Herzens.
Ihr Ursprung läßt sich nicht verkennen.
Als Tagebuch einer gesunden Seele, die stark und fest
die Krankheiten des Körpers und die Schläge des Schicksals
von sich abweist, geben sie Kraft und Frieden.
Kurz und scharf, klar gefaßt und manchmal aufleuchtend
wie ein Edelstein zeigen sie Ruhe des Herzens und
Begeisterungsfähigkeit, Vernunft und aufrichtige Liebe
für alles Tüchtige. “Sie offenbaren” — wie
Hippolyte Taine sich ausdrückt — “die
Seele eines großen Dichters, der sich bezwingt, die
Augen vom Herrlichen gebannt und im Flüsterton voll
Bewunderung sich selber sagt: ´Mensch, als Bürger
dieser großen Stadt hast du gelebt; fünf oder drei
Jahre, was ficht´s dich an!´”
Die Auffassung des Kaisers über den
Wert des Lebens steht der des freigelassenen Sklaven
Epiktet sehr nahe. Beiden liegen am innigsten
jene Lehren der Stoa am Herzen, die sich mit sittlichen
und religiösen Fragen beschäftigen. Nicht darauf
kommt es dem Kaiser an, daß man möglichst viel Wissen
anhäufe, sondern daß man mit dem Gott in der eigenen
Brust sich verständige und ihm in Lauterkeit diene.
Die Philosophie soll in stetem Wechsel der Ereignisse,
im Wandel von Glück und Unglück, vergänglichen Sorgen
und vergänglichen Freuden einen festen Halt bieten
und ein Panzer sein gegen die Eitelkeiten der Welt.
Ihre Aufgabe ist also die Bildung des Charakters und
die Beruhigung des Gemüts. Sie erfüllt diese
beiden Bedingungen, wenn ihre Anhänger die drei wichtigsten
Punkte des stoischen Systems nie außer Augen lassen:
die Lehre vom steten Wechsel, dem Dahinfließen aller
Dinge, dann das Bewußtsein der Hinfälligkeit des Daseins
und schließlich die Erkenntnis, daß Werden und Vergehen
einen Kreislauf bilden, in dem ein Einzelnes nicht
Bestand haben kann.
An solche Grundsätze knüpft Marc Aurel
die Betrachtung, wie wenig eine Persönlichkeit, ganz
einerlei ob sie bedeutend oder unbedeutend sei, im
großen Strom des Daseins gelte. Deshalb ist es
verkehrt, Vergängliches zu sehr zu lieben, sein Herz
an Sterblichkeit zu hängen und Ruhm als heiliges Gut
zu begehren.
Diesem Verneinen und Ablehnen steht
als positiver Kern der Lehre die Pflichttreue gegenüber,
trotz der Eitelkeit und Vergänglichkeit allen Strebens
der Sterblichen. Seiner Lebensstellung und seinem
kräftigeren Charakter entsprechend hält Marc Aurel
nachdrücklicher an den Pflichten des Einzelnen der
menschlichen Gesellschaft gegenüber fest, als es die
Stoiker im allgemeinen und der phrygische Sklave Epiktet
im besonderen getan. Aus diesem Grund lehnte
er das Christentum vollständig ab, wenn er auch wie
die Christen Duldung und allgemeine Menschenliebe verlangte.
Er spricht fast immer von Göttern, manchmal von “dem
Gott” und selten von “Zeus”, der
ihm als Gesamtausdruck der Gottheit vorschwebt.
Äußerlich hielt er streng an dem bestehenden öffentlichen
Kultus fest, in dem er als Oberhaupt des römischen
Staates eine politische Notwendigkeit sah, innerlich
war er gottgläubig im Sinne der Philosophen, nahm
“die Volksgötter” für Symbole und sagte
sich, daß es nicht verlohne noch menschenwürdig sei,
in einer Welt ohne Gottheit zu leben. Aus diesem
seinem Glauben und aus einer festbegründeten politischen
Überzeugung sah er im Gebaren der Christen Auflehnung
gegen die Staatsgewalt, also eine Schädigung des Gemeinwohls
und ging mit heftigen Verfolgungen gegen die Aufwiegler
vor. Grundlosen Trotz nannte der milde Kaiser
das Benehmen der Märtyrer.
Im sittlichen Leben des Menschen ruht
der Schwerpunkt seiner Weltanschauung. Ihm, dem
vielbeschäftigten, vom Tage vollauf in Anspruch genommenen
Herrscher, liegt es fern zu forschen, dialektisch zu
arbeiten oder überhaupt ein System aufzustellen.
Seine Weisheit ist Lebenskunst. Er baut sie auf
dem Wissen und den Erkenntnissen seiner Zeit, wie ein
Emerson, ein Lubbok, ein Maeterlinck ihre Weltanschauung
auf die Wissenschaft ihres Jahrhunderts stellten,
ohne in der Theorie einen Fortschritt zu bedeuten.
Vernünftige Arbeit ist ihm das Ziel, das ein vernunftbegabtes
Wesen verfolgen muß und das allein Glück wie zeitliche
Güter zu bieten vermag. Aber nur wer sich zu erheben
vermag über jedes persönliche Interesse an Dingen
und Menschen, wer mit jedem Wunsch und jeder Begierde
fertig ist, mit der Gegenwart zufrieden und mit dem
Tode vertraut erscheint, zeigt sich mit der Natur
im Einklang und erfüllt die stille Pflicht, sich und
sein Leben als belanglosen Teil des Ganzen zu betrachten.
Was in den Selbstbetrachtungen mit
feierlicher Größe niedergelegt war, hat lange unbeachtet
und vergessen in stillen Büchersammlungen überwintert,
wie das Samenkorn im tiefgepflügten Feld. Unter
den Wirren der Völkerwanderung und während der Jahrhunderte
der Scholastik dachte niemand des Kaisers, der als
Gefolgsmann der Stoa mit dieser Lehre christlicher
Verachtung anheimgefallen war. Erst als die geistige
Bewegung der Renaissance mit dem Humanismus einsetzte,
begann außer Plato auch die Stoa beachtet zu werden,
wenn sich auch die Wertschätzung zunächst auf Seneca
beschränkte. Doch es war noch ein weiter Weg
zurückzulegen, bis Spinoza in seinem Ideal des Weisen
eine Gestalt schuf, die sich wohl mit Marc Aurel vergleichen
läßt. In der Ethik sagt Spinoza “Der Weise
... wird in der Seele kaum beunruhigt sondern seiner
selbst, Gottes und der Außenwelt mit einer gewissen
Notwendigkeit bewußt. Er hört niemals auf zu
sein und ist immer in tiefster Seele wahrhaft befriedigt.”
Auch Leibniz benutzte die Gedankenreihen der Stoiker
in der Theodizee, deren Aussprüche manchmal stark an
die Selbstbetrachtungen anklingen. Daß Kant und
nach ihm Fichte den Pflichtgedanken ähnlich wie ihn
der kaiserliche Philosoph gefühlt, zu synthetischer
Entwicklung brachten, ist bekannt, Verwandtes klingt
in Schleiermacher, in Schopenhauer und in den modernen
Denkern an, die abseits von dem Wirken der Fachphilosophen
sich bemühen, der Gegenwart eine praktische Ethik
zu geben.
In deutscher Sprache ist Marc Aurels
Büchlein öfters an die Öffentlichkeit gekommen.
Die vorliegende Neuherausgabe schließt sich an Schneiders
vielgerühmte Übersetzung, die zum erstenmal im Jahr
1864 erschien und mehrfach aufgelegt wurde, die fehlenden
Stellen (über 100 Nummern hat Schneider ausgelassen)
sind zum Teil nach der Ausgabe von Cleß (aus dem Jahr
1866) ergänzt, zum Teil nach dem griechischen Text
unter Vergleichung der Cleßschen Übersetzung neu hergestellt.
Der Gegenwart bietet das schlichte
Selbstbekenntnis eines großen Mannes aus dem Altertum
viel ernste Anregung und stärkt den Wunsch, in wohlbegründeter
Weltanschauung Halt und Richtung zu finden.
Alexander v. Gleichen-Rußwurm
ERSTES BUCH
1. Von meinem Großvater [Verus] weiß ich, was edle Sitten sind und was es heißt: frei sein von Zorn.
2. Der Ruf und das Andenken,
in welchem mein Vater steht, predigen mir Bescheidenheit
und männliches Wesen.
3. Der Mutter Werk ist es, wenn
ich gottesfürchtig und mitteilsam bin; wenn ich nicht
nur schlechte Taten, sondern auch schlechte Gedanken
fliehe; auch daß ich einfach lebe und nicht prunke
wie reiche Leute.
4. Mein Urgroßvater litt nicht,
daß ich die öffentliche Schule besuchte, sorgte aber
dafür, daß ich zu Hause von tüchtigen Lehrern unterrichtet
wurde, und überzeugte mich, daß man zu solchem Zweck
nicht sparen dürfe.
5. Mein Erzieher gab nicht zu,
daß ich mich an den Wettfahrten beteiligte, weder
in Grün noch in Blau, auch nicht, daß ich Ring- und
Fechterkünste trieb. Er lehrte mich Mühen ertragen,
wenig bedürfen, selbst Hand anlegen, mich wenig kümmern
um anderer Leute Angelegenheiten und einen Widerwillen
haben gegen jede Ohrenbläserei.
6. Diognet bewahrte mich vor
allen unnützen Beschäftigungen; vor dem Glauben an
das, was Wundertäter und Gaukler von Zauberformeln,
vom Geisterbannen usw. lehrten; davor, daß ich Wachteln
hielt, und vor andern solchen Liebhabereien.
Er lehrte mich ein freies Wort vertragen; gewöhnte
mich an philosophische Studien, schickte mich zuerst
zu Bacchius, dann zu Tandasis und Marcian, ließ mich
schon als Knabe Dialoge verfassen und gab mir Geschmack
an dem einfachen, mit einem Fell bedeckten Feldbett,
wie es bei den Lehrern der griechischen Schule im
Gebrauch ist.
7. Dem Rusticus verdanke ich,
daß es mir einfiel, in sittlicher Hinsicht für mich
zu sorgen und an meiner Veredlung zu arbeiten; daß
ich frei blieb von dem Ehrgeiz der Sophisten; daß
ich nicht Abhandlungen schrieb über abstrakte Dinge,
noch Reden hielt zum Zweck der Erbauung, noch prunkend
mich als einen streng und wohlgesinnten jungen Mann
darstellte, und daß ich von rhetorischen, poetischen
und stilistischen Studien abstand; daß ich zu Hause
nicht im Staatskleid einherging oder sonst etwas derartiges
tat, und daß die Briefe, die ich schrieb, einfach
waren, so einfach und schmucklos, wie er selbst einen
an meine Mutter von Sinuessa aus schrieb. Ihm
habe ich´s auch zu danken, wenn ich mit denen, die
mich gekränkt oder sonst sich gegen mich vergangen
haben, leicht zu versöhnen bin, sobald sie nur selbst
schnell bereit sind, entgegenzukommen. Auch lehrte
er mich, was ich las, genau zu lesen und mich nicht
mit einer oberflächlichen Kenntnis zu begnügen, auch
nicht gleich beizustimmen dem, was oberflächliche
Beurteiler sagen. Endlich war er´s auch, der
mich mit den Schriften Epiktets bekannt machte, die
er mir aus freien Stücken mitteilte.
8. Apollonius zeigte mir, daß
Geistesfreiheit eine Festigkeit sei, die dem Spiel
des Zufalls nichts einräumt; daß man auf nichts ohne
Ausnahme so achten müsse, wie auf die Gebote der Vernunft.
Auch was Gleichmut sei bei heftigen Schmerzen, bei
Verlust eines Kindes, in langen Krankheiten, habe
ich von ihm lernen können. — Er zeigte mir
handgreiflich an einem lebendigen Beispiel, daß man
der ungestümste und gelassenste Mensch zugleich sein
kann, und daß man beim Studium philosophischer Werke
die gute Laune nicht zu verlieren brauche. Er
ließ mich einen Menschen sehen, der es offenbar für
die geringste seiner guten Eigenschaften hielt, daß
er Übung und Gewandtheit besaß, die Grundgesetze der
Wissenschaft zu lehren; und bewies mir, wie man von
Freunden sogenannte Gunstbezeugungen aufnehmen müsse,
ohne dadurch in Abhängigkeit von ihnen zu geraten,
aber auch ohne gefühllos darüber hinzugehen.
9. An Sextus konnt´ ich lernen,
was Herzensgüte sei. Sein Haus bot das Muster
eines väterlichen Regimentes und er gab mir den Begriff
eines Lebens, das der Natur entspricht. Er besaß
eine ungekünstelte Würde und war stets bemüht, die
Wünsche seiner Freunde zu erraten. Duldsam gegen
Unwissende hatte er doch keinen Blick für die, die
an bloßen Vorurteilen kleben. Sonst wußte er
sich mit allen gut zu stellen, so daß er denselben
Menschen, die ihm wegen seines gütigen und milden Wesens
nicht schmeicheln konnten, zu gleicher Zeit die größte
Ehrfurcht einflößte. Seine Anleitung, die zum
Leben notwendigen Grundsätze aufzufinden und näher
zu gestalten, war eine durchaus verständliche.
Niemals zeigte er eine Spur von Zorn oder einer andern
Leidenschaft, sondern er war der leidenschaftsloseste
und der hingebendste Mensch zugleich Er suchte Lob,
aber ein geräuschloses; er war hochgelehrt, aber ohne
Prahlerei.
10. Von Alexander, dem Grammatiker
lernte ich, wie man sich jeglicher Scheltworte enthalten
und es ohne Vorwurf hinnehmen kann, was einem auf
fehlerhafte, rohe oder plumpe Art vorgebracht wird;
ebenso aber auch, wie man sich geschickt nur über
das, was zu sagen not tut, auszulassen habe, sei´s
in Form einer Antwort oder der Bestätigung oder der
gemeinschaftlichen Überlegung über die Sache selbst,
nicht über den Ausdruck, oder durch eine treffende
anderweite Bemerkung.
11. Durch Phronto gewann ich
die Überzeugung, daß der Despotismus Mißgunst, Unredlichkeit
und Heuchelei in hohem Maße zu erzeugen pflege, und
daß der Edelgeborene im allgemeinen ziemlich unedel
sei.
12. Alexander, der Platoniker
brachte mir bei, daß ich mich nur selten und nie ohne
Not zu jemand mündlich oder schriftlich äußern dürfe:
ich hätte keine Zeit; und daß ich nicht so, unter
dem Vorwande dringender Geschäfte, mich beständig
weigern solle, die Pflichten zu erfüllen, die uns
die Beziehungen zu denen, mit denen wir leben, auferlegen.
13. Catulus riet mir, daß ich´s
nicht unberücksichtigt lassen sollte, wenn sich ein
Freund bei mir über etwas beklage, selbst wenn er keinen
Grund dazu hätte, sondern daß ich versuchen müsse,
die Sache ins reine zu bringen. Wie man von seinen
Lehrern stark eingenommen sein kann, sah ich an ihm;
ebenso aber auch, wie lieb man seine Kinder haben müsse.
14. An meinem Bruder Severus
hatte ich häuslichen Sinn, Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe
zu bewundern Er machte mich mit Thraseas, Helvidius,
Cato, Dio und Brutus bekannt und führte mich zu dem
Begriff eines Staates, in welchem alle Bürger gleich
sind vor dem Gesetz, und einer Regierung, die nichts
so hoch hält als die bürgerliche Freiheit. Außerdem
blieb er, um anderes zu übergehen, in der Achtung vor
der Philosophie sich immer gleich; war wohltätig,
ja in hohem Grade freigebig; hoffte immer das Beste
und zweifelte nie an der Liebe seiner Freunde.
Hatte er etwas gegen jemand, so hielt er damit nicht
zurück, und seine Freunde hatten niemals nötig, ihn
erst auszuforschen, was er wollte oder nicht wollte,
weil es offen am Tage lag.
15. Von Maximus konnte ich lernen,
mich selbst beherrschen, nicht hin-und herschwanken,
guten Mutes sein in mißlichen Verhältnissen oder in
Krankheiten auch wie man in seinem Benehmen Weisheit
mit Würde verbinden muß, und an ein Werk, das rasch
auszuführen ist, doch nicht unbesonnen gehen darf.
Von ihm waren alle überzeugt, daß er gerade so dachte,
wie er sprach, und was er tat, in guter Absicht tat.
Etwas zu bewundern oder sich verblüffen zu lassen,
zu eilen oder zu zögern, ratlos zu sein und niedergeschlagen
oder ausgelassen in Freude oder Zorn oder argwöhnisch — das
alles war seine Sache nicht. Aber wohltätig zu
sein und versöhnlich, hielt er für seine Pflicht.
Er haßte jede Unwahrheit und machte so mehr den Eindruck
eines geraden als eines feinen Mannes. Niemals
hat sich einer von ihm verachtet geglaubt; aber ebensowenig
wagte es jemand, sich für besser zu halten als er war.
Auch wußte er auf anmutige Weise zu scherzen.
16. Mein Vater hatte in seinem
Wesen etwas Sanftes, aber zugleich auch eine unerschütterliche
Festigkeit in dem, was er gründlich erwogen hatte.
Er war ohne Ehrgeiz hinsichtlich dessen, was man gewöhnlich
Ehre nennt. Er arbeitete gern und unermüdlich.
Wer mit Dingen kam, die das gemeine Wohl zu fördern
versprachen, den hörte er an und versäumte es nie,
einem jeden die Anerkennung zu zollen, die ihm gebührte.
Wo vorwärts zu gehen und wo einzuhalten sei, wußte
er. Er war herablassend gegen jedermann; erließ
den Freunden die Pflicht, immer mit ihm zu speisen
oder, wenn er reiste, mit ihm zu gehen; und stets blieb
er sich gleich auch gegen die, die er notgedrungen
zu Hause ließ. Seine Erörterungen in den Ratsversammlungen
waren stets sehr genau, und er hielt aus und begnügte
sich nicht mit Ideen, die auf der flachen Hand liegen,
bloß um die Versammlung für geschlossen zu erklären.
Er war sorgsam bemüht, sich seine Freunde zu erhalten,
wurde ihrer niemals überdrüssig, verlangte aber auch
nicht heftig nach ihnen. Er war sich selbst genug
in allen Stücken und immer heiter. Er hatte einen
scharfen Blick für das, was kommen würde, und traf
für die kleinsten Dinge Vorbereitungen ohne Aufhebens
zu machen, so wie er sich denn überhaupt jedes Beifallrufen
und alle Schmeicheleien verbat. Was seiner Regierung
notwendig war, überwachte er stets, ging mit den öffentlichen
Geldern haushälterisch um und ließ es sich ruhig gefallen,
wenn man ihm darüber Vorwürfe machte. — Den
Göttern gegenüber war er frei von Aberglauben, und
was sein Verhältnis zu den Menschen betrifft, so fiel
es ihm nicht ein, um die Volksgunst zu buhlen, dem
großen Haufen sich gefällig zu erzeigen und sich bei
ihm einzuschmeicheln, sondern er war in allen Stücken
nüchtern, besonnen, taktvoll und ohne Sucht nach Neuerungen.
Von den Dingen, die zur Annehmlichkeit des Lebens
beitragen — und deren bot ihm das Glück eine
Menge dar — machte er ohne zu prunken, aber
auch ohne sich zu entschuldigen Gebrauch, so daß er,
was da war, einfach nahm, was nicht da war, auch nicht
entbehrte. Niemand konnte sagen, daß er ein Krittler,
oder daß er ein gewöhnlicher Mensch oder ein Pedant
sei, sondern man mußte ihn einen reifen, vollendeten,
über jede Schmeichelei erhabenen Mann nennen, der
wohl imstande sei, eigenen und fremden Angelegenheiten
vorzustehen. Außerdem: die echten Philosophen
schätzte er sehr, ließ aber auch die andern unangetastet,
obschon er ihnen keinen Einfluß auf sich einräumte.
In seinem Umgange war er ferner höchst liebenswürdig
und witzig, ohne darin zu übertreiben. In der
Sorge für seinen Leib wußte er das rechte Maß zu halten,
nicht wie ein Lebenssüchtiger oder wie einer, der
sich schniegelt oder sich vernachlässigt; sondern
er brachte es durch die eigene Aufmerksamkeit nur
dahin, daß er den Arzt fast gar nicht brauchte und
weder innere noch äußere Mittel nötig hatte. — Vor
allem aber war ihm eigen, denen, die wirklich etwas
leisteten, sei´s in der Beredsamkeit oder in der Gesetzeskunde
oder in der Sittenlehre oder in irgendeinem anderen
Fach, ohne Neid den Vorrang einzuräumen und sie wo
er konnte zu unterstützen, damit ein jeder in seinem
Fache auch die nötige Anerkennung fände. Wie
seine Vorfahren geherrscht, so herrschte er auch, ohne
jedoch die Meinung hervorrufen zu wollen, als wache
er über dem Althergebrachten. Er war nicht leicht
zu bewegen oder von etwas abzubringen, sondern pflegte
auch gern zu bleiben, wo er gerade war und wobei.
Nach den heftigsten Kopfschmerzen sah man ihn frisch
und kräftig zu den gewohnten Geschäften eilen.
Geheimnisse pflegte er nur äußerst wenige und nur in
seltenen Fällen zu haben und nur um des allgemeinen
Wohles willen. Verständig und mäßig im Anordnen
von Schauspielen, von Bauten, von Spenden an das Volk
u. dgl. mehr, zeigte er sich als ein Mann, der nur
auf seine Pflicht sieht, sich aber um den Ruhm nicht
kümmert, den seine Handlungen ihm verschaffen können. — Er
badete nur zur gewöhnlichen Stunde, liebte das Bauen
nicht, legte auf das Essen keinen Wert, auch nicht
auf Kleider und deren Stoffe und Farben, noch auf schöne
Sklaven. Seine Kleider ließ er sich meist aus
Lorium, dem unteren Landgute, oder aus Lanubium kommen
und bediente sich dazu des Generalpächters in Tusculum,
der ihn um diesen Dienst gebeten hatte. — In
seiner ganzen Art zu sein war nichts Unschickliches
oder gar Ungeziemendes oder auch nur Ungestümes oder
was man sagt: “bis zur Hitze”, sondern
alles war bei ihm wohl überdacht, ruhig, gelassen,
wohl geordnet, fest und mit sich selbst im Einklang.
Man könnte auf ihn anwenden, was man vom Sokrates gesagt
hat, daß er sowohl sich solcher Dinge zu enthalten
imstande war, deren sich viele aus Schwachheit nicht
enthalten können, als auch daß er genießen durfte,
was viele darum nicht dürfen, weil sie sich gehen
lassen. Das eine gründlich vertragen, und in dem
andern nüchtern sein, das aber ist die Sache eines
Mannes von starkem, unbesiegbaren Geiste, wie er ihn
z.B. auch in der Krankheit des Maximus an den Tag gelegt
hat.
17. Den Göttern habe ich´s zu
danken, daß ich treffliche Vorfahren, treffliche Eltern,
eine treffliche Schwester, treffliche Lehrer, treffliche
Diener und fast lauter treffliche Verwandte und Freunde
habe, und daß ich gegen keinen von ihnen fehlte, obgleich
ich bei meiner Natur leicht hätte dahin kommen können.
Es ist eine Wohltat der Götter, daß die Umstände nicht
so zusammentrafen, daß ich mir Schande auflud.
Sie fügten es so, daß ich nicht länger von der Geliebten
meines Großvaters erzogen wurde; daß ich meine Jugendfrische
mir erhielt und daß ich meinem fürstlichen Vater untertan
war, der mir allen Dünkel austreiben und mich überzeugen
wollte, man könne bei Hof leben ohne Leibwache, ohne
kostbare Kleider, ohne Fackeln, ohne gewisse Bildsäulen
und ähnlichen Pomp, und daß es sehr wohl anging, sich
so viel als möglich bürgerlich einzurichten, wenn
man dabei nur nicht zu demütig und zu sorglos würde
in Erfüllung der Pflichten, die der Regent gegen das
Ganze hat. Götter haben mir einen Bruder gegeben,
dessen sittlicher Wandel mich antrieb, auf mich selber
acht zu haben, und dessen Achtung und Liebe mich glücklich
machten. — Sie haben mir Kinder gegeben, die
nicht ohne geistige Anlagen sind und von gesundem
Körper. — Den Göttern verdanke ich´s, daß
ich nicht weiter kam in der Redekunst und in der Dichtkunst
und in den übrigen Studien, welche mich völlig in Beschlag
genommen hätten, wären mir gute Fortschritte beschieden
gewesen. Ebenso daß ich meine Erzieher frühzeitig
schon so in Ehren hielt, wie sie´s zu verlangen schienen,
und ihnen nicht bloß Hoffnung machte, ich würde das
später tun, indem sie zu der Zeit ja noch so jung seien.
Ferner, daß ich Apollonius, Rusticus und Maximus kennen
lernte; daß ich das Bild eines naturgemäßen Lebens
so klar und so oft vor der Seele hatte, daß es nicht
an den Göttern und an den Gaben, Hilfen und Winken,
die ich von dorther empfing, liegen kann, wenn ich
an einem solchen Leben gehindert worden bin; sondern
wenn ich´s bisher nicht geführt habe, muß es meine
Schuld sein, indem ich die Erinnerungen der Götter,
ich möchte sagen, ihre ausdrücklichen Belehrungen,
nicht beherzigte. Den Göttern verdanke ich´s,
daß mein Körper ein solches Leben so lange ausgehalten
hat; — daß ich weder die Benedicta noch den
Theodot berührt habe, und daß ich später überhaupt
von dieser Leidenschaft genas; daß ich in meinem heftigen
Unwillen den ich so oft gegen Rusticus empfand, nichts
weiter tat, was ich hätte bereuen müssen; und daß
meine Mutter, der ein früher Tod beschieden war, doch
noch ihre letzten Jahre bei mir leben konnte.
Auch fügten sie´s, daß ich, sooft ich einen Armen oder
sonst Bedürftigen unterstützen wollte, nie hören durfte,
es fehle mir an den hierzu erforderlichen Mitteln,
und daß ich selbst nie in die Notwendigkeit versetzt
wurde, bei einem andern zu borgen; und daß ich ein
solches Weib besitze: so folgsam, zärtlich und
in ihren Sitten so einfach, und daß ich meinen Kindern
tüchtige Erzieher geben konnte. Die Götter gaben
mir durch Träume Hilfsmittel an die Hand gegen allerlei
Krankheiten so gegen Blutauswurf und Schwindel.
Auch verhüteten sie, als ich das Studium der Philosophie
anfing, daß ich einem Sophisten in die Hände fiel oder
mit einem solchen Schriftsteller meine Zeit verdarb,
oder mit der Lösung ihrer Trugschlüsse mich einließ,
oder mit der Himmelskunde mich beschäftigte.
Denn zu allen diesen Dingen bedarf es der helfenden
Götter und des Glückes.
Geschrieben bei den Quaden am Granna.
18.Man muß sich beizeiten sagen:
ich werde einem vorwitzigen, einem undankbaren, einem
schmähsüchtigen, einem verschlagenen oder neidischen
oder unverträglichen Menschen begegnen. Denn solche
Eigenschaften liegen jedem nahe, der die wahren Güter
und die wahren Übel nicht kennt. Habe ich aber
eingesehen, einmal, daß nur die Tugend ein Gut und
nur das Laster ein Übel, und dann, daß der, der Böses
tut, mir verwandt ist, nicht sowohl nach Blut und
Abstammung, als in der Gesinnung und in dem, was der
Mensch von den Göttern hat, so kann ich weder von jemand
unter ihnen Schaden leiden — denn ich lasse
mich nicht verführen — noch kann ich dem,
der mir verwandt ist, zürnen oder mich feindlich von
ihm abwenden, da wir ja dazu geboren sind, uns gegenseitig
zu unterstützen, wie die Füße, die Hände, die Augenlider,
die Reihen der oberen und unteren Zähne einander dienen.
Also ist es gegen die Natur, einander feindlich zu
leben. Und das tut doch, wer auf jemand zürnt
oder ihm entgegenwirkt.
19. Was ich bin, ist ein Dreifaches:
Körper und Seele und was das Ganze beherrscht. — Lege
beiseite, was dich zerstreut, die Bücher und alles,
was hier zu nichts führt; des Fleischlichen achte gering
wie einer, der bald sterben muß! Es ist Blut
und Knochen und ein Geflecht aus Nerven, Adern und
Gefäßen gewebt. Dann betrachte deine Seele, und
was sie ist: ein Hauch; nicht immer dasselbe,
sondern fortwährend ausgegeben und wieder eingesogen.
Drittens also das, was die Herrschaft führt! Da
sei doch kein Tor, du bist nicht mehr jung: so
laß auch nicht länger geschehen daß es diene; daß
es hingenommen werde von einem Zuge, der dich dem
Menschlichen entfremdet; daß es dem Verhängnis oder
dem gegenwärtigen Augenblicke grolle oder ausweiche
dem, was kommen soll!
20.Das Göttliche ist voll von Spuren
der Vorsehung, das Zufällige nach Art, Zusammenhang
und Verflechtung ist nicht zu trennen von dem durch
die Vorsehung Geordneten. Alles fließt von hier
aus. Daneben das Notwendige und was dem Weltall,
dessen Teil du bist, zuträglich ist. Jedem Teile
der Natur aber ist das gut, was seinen Halt an der
Natur des Ganzen hat und wovon diese wiederum getragen
wird. Die Welt aber wird getragen wie von den
Verwandlungen der Grundstoffe so auch von denen der
zusammengesetzten Dinge. — Das muß dir genügen
und feststehen für immer. Nach der Weisheit,
wie sie in Büchern zu finden ist, strebe nicht, sondern
halte sie dir fern, damit du ohne Seufzer, mit wahrer
Seelenruhe und den Göttern von Herzen dankbar sterben
kannst.
ZWEITES BUCH
Erinnere dich, seit wann du diese Betrachtungen nun schon aufschiebst, und wie oft dir die Götter Zeit und Stunde dazu gegeben haben, ohne daß du sie nutztest. Endlich solltest du doch einmal einsehen, was das für eine Welt ist, der du angehörst, und wie der die Welt regiert, dessen Ausfluß du bist; und daß dir die Zeit zugemessen ist, die, wenn du sie nicht brauchst dich abzuklären, vergehen wird, wie du selbst, und nicht wiederkommen.
2
Immer sei darauf bedacht, wie es einem
Manne geziemt, bei allem, was es zu tun gibt, eine
strenge und ungekünstelte Gewissenhaftigkeit, Liebe,
Freimut und Gerechtigkeit zu üben, und dir dabei alle
Nebengedanken fernzuhalten. Und du wirst sie
dir fernhalten, sobald du jede deiner Handlungen als
die letzte im Leben ansiehst: fern von jeder
Unbesonnenheit und der Erregtheit, die dich taub macht
gegen die Stimme der richtenden Vernunft, frei von
Verstellung von Selbstliebe und von Unwillen über
das, was das Schicksal dir beschieden hat. — Du
siehst, wie wenig es ist, was man sich aneignen muß,
um ein glückliches, ja göttliches Leben zu führen.
Denn auch die Götter verlangen nicht mehr von dem,
der dies beobachtet.
3
Fahre nur immer fort, dir selbst zu
schaden, liebe Seele! Dich zu fördern wirst du
kaum noch Zeit haben. Denn das Leben flieht einen
jeglichen. Für dich ist es aber schon so gut als
zu Ende, der du ohne Selbstachtung dein Glück aus
dir heraus verlegst in die Seelen anderer.
4
Trotz deines Bestrebens, an Erkenntnis
zu wachsen und dein unstetes Wesen aufzugeben, zerstreuen
dich die Außendinge noch immer? Mag sein, wenn
du jenes Streben nur festhälst. Denn das bleibt
die größte Torheit, sich müde zu arbeiten ohne ein
Ziel, auf das man all sein Dichten und Trachten lenkt.
5
Wenn man nicht herausbringen kann,
was in des andern Seele vorgeht, so ist das schwerlich
ein Unglück; aber notwendigerweise unglücklich ist
man, wenn man über die Regungen der eigenen Seele im
unklaren ist.
6
Daran mußt du immer denken, was das
Wesen der Welt und was das deinige ist, und wie sich
beides zueinander verhält, nämlich was für ein Teil
des Ganzen du bist und zu welchem Ganzen du gehörst,
und daß dich niemand hindern kann, stets nur das zu
tun und zu reden, was dem Ganzen entspricht, dessen
Teil du bist.
7
Theophrast sagt in seiner Vergleichung
der menschlichen Fehler — wie diese denn
allenfalls verglichen werden können — :
schwerer seien die, die aus Begierde, als die, welche
aus Zorn begangen werden. Und wirklich erscheint
der Zornige als ein Mensch, der nur mit einem gewissen
Schmerz und mit innerem Widerstreben von der Vernunft
abgekommen ist, während der aus Begierde Fehlende,
weil ihn die Lust überwältigt, zügelloser erscheint
und schwächer in seinen Fehlern. Wenn er nun also
behauptet: es zeuge von größerer Schuld, einen
Fehler zu begehen mit Freuden als mit Bedauern, so
ist das gewiß richtig und der Philosophie nur angemessen.
Man erklärt dann überhaupt den einen für einen Menschen,
der gekränkt worden ist und zu seinem eigenen Leidwesen
zum Zorn gezwungen wird, während man bei dem andern,
der etwas aus Begierde tut, die Sache so ansieht,
als begehe er das Unrecht aus heiler Haut.
8
Jegliches tun und bedenken wie einer,
der im Begriff ist, das Leben zu verlassen, das ist
das Richtige. Das Fortgehen von den Menschen aber,
wenn es Götter gibt, ist kein Unglück. Denn das
Übel hört dann wohl auf. Gibt es aber keine,
oder kümmern sie sich nicht um die menschlichen Dinge,
was soll mir das Leben in einer götterleeren Welt,
in einer Welt ohne Vorsehung? Doch sie sind und
sie kümmern sich um die menschlichen Dinge. Noch
mehr. Sie haben es, was die Übel betrifft, und
zwar die eigentlichen, ganz in des Menschen Hand gelegt,
sich davor zu bewahren. Ja auch hinsichtlich
der sonstigen Übel, kann man sagen, haben sie es so
eingerichtet, daß es nur auf uns ankommt, ob sie uns
widerfahren werden. Denn wie sollte etwas, wobei
der Mensch nicht schlimmer wird, sein Leben verschlimmern?
Selbst die bloße Natur — sei es, daß wir sie
uns ohne Bewußtsein oder mit Bewußtsein begabt vorstellen;
gewiß ist, daß sie nicht vermag, dem Übel vorzubeugen
oder es wieder gut zu machen — hätte dergleichen
nicht übersehen, hätte nicht in dem Grade gefehlt aus
Ohnmacht oder aus Mangel an Anlage, daß sie Gutes und
Böses in gleicher Weise guten und bösen Menschen unterschiedslos
zuteil werden ließe. Tod aber und Leben, Ruhm
und Ruhmlosigkeit, Leid und Freude, Reichtum und Armut
und alles dieses wird den guten wie den bösen Menschen
ohne Unterschied zuteil, als Dinge, die weder sittliche
Vorzüge noch sittliche Mängel begründen: also
sind sie auch weder gut noch böse (weder ein Glück
noch ein Unglück).
9
Wie doch alles so schnell verbleicht!
In der sichtbaren Welt die Leiber, in der Geisteswelt
deren Gedächtnis! Was ist doch alles Sinnliche,
zumal was durch Vergnügen anlockt oder durch Schmerz
abschreckt oder in Stolz und Hochmut sich breit macht!
Wie nichtig und verächtlich, wie schmutzig, hinfällig,
tot! — Man folge dem Zug des Geistes; man
frage nach denen, die sich durch Werke des Geistes
berühmt gemacht haben; man untersuche, was eigentlich
sterben heißt (und man wird, wenn man der Phantasie
keinen Einfluß auf seine Gedanken verstattet, darin
nichts anderes als ein Werk der Natur erkennen:
kindisch aber wäre es doch, vor einem Werk der Natur,
das derselben ohnehin auch noch zuträglich ist, sich
zu fürchten); man mache sich klar, wie der Mensch Gott
ergreift und mit welchem Teile seines Wesens, und
wie es mit diesem Teile des Menschen bestellt ist,
wenn er Gott ergriffen hat.
10
Nichts Elenderes als ein Mensch, der
alles wie im Kreise durchläuft, die Tiefen der Erde
ergründen will, wie Pindar sagt, der um alles und jedes
sich kümmert, auch um das, woran sonst niemand denkt,
der nicht aufhört über die Vorgänge in der Seele des
Nächsten seine Gedanken zu machen und nicht begreifen
mag, daß es genug ist, für den Gott in der eignen Brust
zu leben und ihm zu dienen, wie sich´s gebührt.
Das aber ist sein Dienst: ihn rein zu erhalten
von Leidenschaft von Unbesonnenheit und von Unlust
über das, was von Göttern und Menschen geschieht.
Denn die Handlungen der Götter zu ehren, gebietet
die Tugend, und mit denen der Menschen sich zu befreunden
die Gleichheit der Abkunft, obwohl die letzteren allerdings
auch zuweilen etwas Klägliches haben, weil soviele
nicht wissen, was Güter und was Übel sind, — eine
Blindheit, nicht geringer als die, wenn man Schwarz
und Weiß nicht unterscheiden kann.
11
Und wenn du dreitausend Jahre leben
solltest, ja noch zehnmal mehr, es hat ja doch niemand
ein anderes Leben zu verlieren, als eben das, was er
lebt, so wie niemand ein anderes lebt, als was er einmal
verlieren wird. Und so läuft das längste wie
das kürzeste auf dasselbe hinaus. Denn das Jetzt
ist das Gleiche für alle, wenn auch das Vergangene
nicht gleich ist, und der Verlust des Lebens erscheint
doch so als ein Jetzt, indem niemand verlieren kann
weder was vergangen noch was zukünftig ist. Oder
wie sollte man einem etwas abnehmen können, was er
nicht besitzt? — An die beiden Dinge also
müssen wir denken: einmal, daß alles seinem Wesen
nach unter sich gleichartig ist und von gleichem Verlauf,
und daß es keinen Unterschied macht, ob man hundert
oder zweihundert Jahre lang oder ewig ein und dasselbe
sieht. Und dann, daß auch der, der am längsten
gelebt hat, doch nur dasselbe verliert, wie der, der
sehr jung stirbt. Denn nur das Jetzt ist es,
dessen man beraubt werden kann, weil man nur dieses
besitzt, und niemand kann verlieren, was er nicht hat.
12
Alles beruht auf der Ansicht!
Dafür zeugen die Aussprüche des Kynikers Menimus und
für diesen zeugt wieder die Brauchbarkeit des Gesagten,
wenn man es auf das Wahre darin einschränkt.
13
Die Seele des Menschen tut sich selbst
den größten Schaden, wenn sie sich von der Natur abzusondern,
gleichsam aus ihr herauszuwachsen strebt. So,
wenn sie unzufrieden ist über irgend etwas, das sich
ereignet. Es ist dies ein entschiedener Abfall
von der Natur, in der ja diese eigentümliche Verkettung
der Umstände begründet ist. Ebenso, wenn sie
jemand verabscheut oder anfeindet oder im Begriff ist,
jemand weh zu tun, wie allemal im Zorn. Ebenso
wenn sie von Lust oder von Schmerz sich hinnehmen
läßt; oder wenn sie heuchelt, heuchlerisch und unwahr
etwas tut oder spricht; oder wenn ihre Handlungen
und Triebe keinen Zweck haben, sondern ins Blaue hinausgehen
und über sich selbst völlig im unklaren sind.
Denn auch das Kleinste muß in Beziehung zu einem Zweck
gesetzt werden. Der Zweck aber aller vernunftbegabten
Wesen ist: den Grundsätzen und Satzungen des
ältesten Gemeinwesens Folge zu leisten.
14
Das menschliche Leben ist, was seine
Dauer betrifft, ein Punkt; des Menschen Wesen flüssig,
sein Empfinden trübe, die Substanz seines Leibes leicht
verweslich, seine Seele — einem Kreisel vergleichbar,
sein Schicksal schwer zu bestimmen, sein Ruf eine
zweifelhafte Sache. Kurz, alles Leibliche an
ihm ist wie ein Strom, und alles Seelische ein Traum,
ein Rauch: sein Leben Krieg und Wanderung, sein
Nachruhm Vergessenheit. Was ist es nun, das ihn
über das alles zu erheben vermag? Einzig die
Philosophie, sie, die uns lehrt, den göttlichen Funken,
den wir in uns tragen, rein und unverletzt zu erhalten,
daß er Herr sei über Freude und Leid, daß er nichts
ohne Überlegung tue, nichts erlüge und erheuchele
und stets unabhängig sei von dem, was andere tun oder
nicht tun, daß er alles, was ihm widerfährt und was
ihm zugeteilt wird, so aufnehme, als komme es von
da, von wo er selbst gekommen, und daß er endlich den
Tod mit heiterem Sinn erwarte, als den Moment der
Trennung aller Elemente, aus denen jegliches lebendiges
Wesen besteht. Denn wenn den Elementen dadurch
nichts Schlimmes widerfährt, daß sie fortwährend ineinander
übergehen, weshalb sollte man sich scheuen vor der
Verwandlung und Lösung aller auf einmal? Vielmehr
ist dies das Naturgemäße, und das Naturgemäße ist
niemals vom Übel.
DRITTES BUCH
1
Wir müssen uns nicht bloß bedenken,
daß das Leben mit jedem Tage schwindet und ein immer
kleinerer Teil davon übrigbleibt, sondern auch beherzigen,
daß es ja ungewiß ist, wenn man ein längeres Leben
vor sich hat, ob sich die Geisteskräfte immer gleichbleiben
und zum Verständnis der Dinge, so wie zu all den Wahrnehmungen
und Betrachtungen hinreichen werden, die uns auf dem
Gebiete des Göttlichen und Menschlichen erfahren machen.
Denn wieviele werden im Alter nicht kindisch!
Und bei wem ein solcher Zustand eingetreten ist, dem
fehlt es zwar nicht an der Fähigkeit zu atmen, sich
zu nähren, sich etwas vorzustellen und etwas zu begehren;
aber das Vermögen, sich frei zu bestimmen, die Reihe
der Pflichten, die ihm obliegen zu überschauen, die
Erscheinungen sich zu zergliedern und darüber, ob´s
Zeit zum Sterben sei oder was sonst einer durchaus
geweckten Denkkraft bedarf, sich klar zu werden — das
ist bei ihm erloschen. Also eilen muß man, nicht
bloß weil uns der Tod mit jedem Tage näher tritt,
sondern auch weil die Fähigkeit, die Dinge zu betrachten
und zu verfolgen, oft vorher aufhört.
2
Merkwürdig ist, wie an den Erzeugnissen
der Natur auch das, was nur beiläufiges Merkmal ist,
einen gewissen Reiz ausübt. So machen z.B. die
Risse und Sprünge im Brot, die gewissermaßen gegen
die Absicht des Bäckers sind, die Eßlust besonders
rege. Ebenso geht es mit den Feigen, die, wenn
sie überreif sind, aufbrechen, und den Oliven, die
gerade wegen der Stellen geschätzt werden, wo sie
nahe daran sind, faul zu werden. Die niederhängenden
Ähren, die Stirnfalte des Löwen, der Schaum am Munde
des Ebers und manches andere dergleichen hat freilich
keinen Reiz, wenn man´s für sich betrachtet; aber
weil es uns an den Werken der Natur und im Zusammenhange
mit ihnen entgegentritt, erscheint es als eine Zierde
und wirkt anziehend. Fehlt es uns also nur nicht
an Empfänglichkeit und an Tiefe des Blicks in die
Welt der Dinge, so werden wir kaum etwas von solchen
Nebenumständen auffinden, was uns nicht angenehm deuchte.
Ebenso werden wir dann aber auch z.B. wirkliche Tierkämpfe
nicht weniger gern ansehen, als die Darstellungen,
die uns Maler und Bildhauer davon geben; und unser
keusches Äuge wird mit gleichem Wohlgefallen auf der
würdigen Gestalt des Greises wie auf der liebreizenden
des Mädchens ruhen. Doch gehört dazu eben eine
innige Vertrautheit mit der Natur und ihren Werken.
3
Hippokrates hat viele Krankheiten
geheilt, dann ist er selbst an einer Krankheit gestorben.
Die Chaldäer weissagten vielen den Tod, dann hat sie
selber das Geschick ereilt. Alexander, Pompejus,
Cäsar — nach dem sie so manche Stadt von
Grund aus zerstört und in der Schlacht soviele Tausende
ums Leben gebracht, schieden selbst aus dem Leben.
Heraklit, der über den Weltbrand philosophiert, starb
an der Wassersucht, den Demokrit brachte das Ungeziefer
um, den Sokrates — ein Ungeziefer anderer
Art. Kurz, zu einem jeden heißt es einmal:
du bist eingestiegen, gefahren, im Hafen eingelaufen:
so steige nun aus! Geht´s in ein anderes Leben — gewiß
in keins, das ohne Götter ist. Ist´s aber ein
Zustand der Unempfindlichkeit — auch gut:
wir hören auf von Leid und Freude hin gehalten zu
werden und verlassen ein Behältnis von um so schlechterer
Art je edler der Eingeschlossene, denn er ist Geist
und göttlichen Wesens, jenes aber Staub und verweslicher
Stoff.
4
Verschwende deine Zeit nicht mit Gedanken
über das, was andere angeht, es sei denn, daß du jemand
damit ersprießlich sein kannst. Du versäumst
offenbar notwendigere Dinge, wenn dich nichts weiter
beschäftigt, als was der und jener macht und aus welchem
Grunde er so handelt, was er sagt oder will oder anstellt.
So etwas zieht den Geist nur ab von der Beobachtung
seiner selbst. Man muß alles Eitle und Vergebliche
aus der Kette der Gedanken zu entfernen suchen, vorzüglich
alle müßige und nichtswürdige Neugier, und sich nur
an solche Gedanken gewöhnen, über die wir sofort,
wenn uns jemand fragt, was wir gerade denken, gern
und mit aller Offenheit Rechenschaft geben können,
so daß man gleicht sieht: hier ist alles lauter
und gut und so, wie es einem Gliede der menschlichen
Gesellschaft geziemt, hier wohnt nichts von Genußsucht
und Lüsternheit, nichts von Zank oder Neid oder Mißtrauen,
nichts von alle dem, wovon der Mensch nur mit Erröten
gestehen kann, daß es seine Seele beschäftige.
Und ein solcher Mensch — dem es nun ja auch
nicht an dem Streben nach Auszeichnung fehlen kann — ist
ein Priester und Diener der Götter, der Gewinn aus
dem inneren Gottesbewußtsein zu ziehen weiß, so daß
ihn keine Lust beflecken, kein Schmerz verwunden, kein
Stolz berücken, nichts Böses überhaupt reizen kann;
er ist ein Held in jenem großen Kampf gegen die Leidenschaft
und eingetaucht in das Wesen der Gerechtigkeit vermag
er jegliches Geschick von ganzer Seele zu begrüßen.
Ein solcher Mensch aber denkt selten und nur, wenn
es das allgemeine Beste erfordert, an das, was andere
sagen oder tun oder meinen. Sondern die eigene
Pflicht ist der einzige Gegenstand seines Tuns, so
wie, was ihm das Schicksal gesponnen im Gewebe des
Ganzen, der Hauptgegenstand seines Nachdenkens.
Dort hält er Tugend, hier den guten Glauben. Und
in der Tat ist jedem zuträglich, was sich mit ihm
zuträgt nach dem Willen des Schicksals. Stets
ist er eingedenk, daß alle Vernunftwesen einander
verwandt sind, und daß es zur menschlichen Natur gehört,
für andere zu sorgen. Nach Ansehen strebt er
nur bei denen, die ein naturgemäßes Leben führen,
da er ja weiß, was die, die nicht so leben, sind, wie
sie´s zu Hause und außer dem Hause, am Tage und bei
Nacht und mit wem sie ihr Wesen treiben. Das
Lob derer also, die nicht sich selber zu genügen wissen,
hat für ihn nicht den geringsten Wert.
5
Tue nichts mit Widerwillen, nichts
ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl, nichts ungeprüft,
nichts wobei du noch ein Bedenken hast. Drücke
deine Gedanken aus ohne Ziererei. Sei kein Schwätzer
und kein Vielgeschäftiger. Sondern mit einem
Worte: der Gott in dir führe das Regiment, welchem
Geschlecht, Alter, Beruf, welcher Abkunft und Stellung
du nun auch angehören magst, so daß du immer in der
Verfassung bist, wenn du abgerufen werden solltest,
gern und willig zu folgen. — Eidschwur und
Zeugenschaft mußt du immer entbehren können. — Innerlich
aber sei heiter, nicht bedürfend, daß die Hilfe von
außen dir komme, auch nicht des Friedens bedürftig,
den andere uns geben können. — Steh aufrecht,
heißt es, nicht: lasse dich stellen!
6
Kannst du im menschlichen Leben etwas
Besseres finden als Gerechtigkeit, Wahrheit, Selbstbeherrschung,
Tapferkeit oder mit einem Wort: als den Zustand
der Seele, wo du in allem, was eine Sache der Vernunft
und Selbstbestimmung ist, mit dir selbst, in dem aber,
was ohne dich geschieht, mit dem Schicksale zufrieden
bist; kannst du, sage ich, etwas entdecken, was noch
besser ist als dies, so wende dich dem mit ganzer
Seele zu und freue dich, daß du das Beste aufgefunden
hast. Sollte es aber in Wahrheit nichts Besseres
geben, als den in dir wohnenden Gott, der deine Begierden
sich untertänig zu machen weiß, der die Gedanken prüft,
den sinnlichen Empfindungen, wie Sokrates sagt, sich
zu entziehen sucht, und der sich selbst — den
Göttern unterwirft und für das Wohl der Menschen Sorge
trägt: solltest du finden, daß gegen dieses alles
andere gering ist und verschwindet, so folge nun auch
keiner anderen Stimme und laß in deine Seele nichts
eindringen, was, wenn es dich einmal angezogen, dich
an der ungeteilten Pflege jenes herrlichen Schatzes,
deines Eigentums, hindert. Denn diesem Gute, dem
höchsten nach Wesen und Wirkung, irgend etwas anderes
wie Ehre, Herrschaft, Reichtum, Genuß an die Seite
setzen zu wollen, wäre Torheit, weil uns all dieses,
selbst wenn wir es nur ein wenig anziehend finden,
dann mit einem Male ganz in Beschlag nimmt und verführt.
Darum sage ich, man solle einfach und unbedingt das
Bessere wählen und ihm anhängen. Das Bessere ist
aber auch immer zugleich das Zuträgliche, sei es,
daß es uns frommt als denkenden oder als empfindenden
Wesen. Finden wir nun etwas, das uns als Vernunftwesen
zu fördern verspricht, so müssen wir´s festhalten und
pflegen. Ist es aber nur für unser Empfinden zuträglich,
so haben wir es mit Bescheidenheit und schlichtem
Sinn hin zunehmen, und nur dafür zu sorgen, daß wir
uns unser gesundes Urteil bewahren und fortgesetzt
die Dinge gehörig prüfen.
7
Bilde dir nie ein, daß etwas gut für
dich sein könnte, was dich nötigt, einmal die Treue
zu brechen, die Scham hintanzusetzen, jemand zu hassen,
argwöhnisch zu sein, in Verwünschungen auszubrechen,
dich zu verstellen oder Dinge zu begehren, bei denen
man Vorhänge und verschlossene Türen braucht.
Derjenige, welcher die Vernunft, seinen Genius und
deren Dienst jederzeit die erste Rolle spielen läßt,
wird nie zu einer Tragödie Anlaß geben oder seufzen
oder die Einsamkeit oder große Gesellschaft suchen;
er wird leben im höchsten Sinne des Worts und weder
auf der Jagd noch auf der Flucht. Ob seine Seele
auf lange oder kurze Zeit im Leibe eingeschlossen
bleiben soll, kümmert ihn wenig; er würde, auch wenn
er bald scheiden müßte, sich dazu ganz ebenso auf den
Weg machen, wie wenn es gelte, irgend etwas anderes
mit Anstand und mit edlem Wesen auszuführen; sondern
wofür er durchs ganze Leben Sorge trägt, ist nur das,
daß seine Seele sich stets in einem Zustande befinde,
der einem auf das Zusammenleben mit andern angewiesenen
vernünftigen Wesen geziemt.
8
In der Seele eines Menschen, der in
Zucht und Schranken gehalten worden und so gehörig
geläutert ist, findet man nun auch jene Wunden und
Schäden nicht mehr, die so häufig unter einer gesunden
Oberfläche heimlich fortwuchern. Nichts Knechtisches
ist in ihm und nichts Geziertes; sein Wesen hat nichts
besonders Verbindliches, aber auch nichts Abstoßendes;
ihn drückt keine Schuld und nichts, was ihn zu Heimlichkeiten
nötigte. Auch hat ein solcher Mensch wirklich
“vollendet”, wenn ihn das Schicksal ereilt,
was man von andern oft nur mit demselben Rechte sagt,
wie von dem Helden eines Dramas, daß er ein tragischer
sei, noch ehe das Stück geendet hat.
9
Was die Fähigkeit zu urteilen und
Schlüsse zu machen anbetrifft, so mußt du sie in Ehren
halten. Denn es wohnt ihr die Kraft bei, zu verhüten,
daß sich in deiner Seele irgendeine Ansicht festsetze,
welche widernatürlich ist oder einem vernunftbegabten
Wesen unangemessen. Ihre Bestimmung ist, uns
geistig unabhängig zu machen, den Menschen zugetan
und den Göttern gehorsam.
10
Alles übrige ist Nebensache.
Das Wenige, was ich gesagt habe, reicht völlig hin.
Dabei bleibe man sich bewußt, daß jeder eigentlich
nur dem gegenwärtigen Augenblick lebe. Denn alles
übrige ist entweder durchlebt oder in Dunkel gehüllt.
Also ein Kleines ist´s, was jeder lebt, und ein Kleines,
wo er lebt — das Winkelchen Erde, und ein
Kleines der Ruhm, auch der größte, den er hinterläßt:
damit er sich forterbe in der Kette dieser Menschenkinder,
die so geschwind sterben müssen und die nicht einmal
sich selbst begreifen, geschweige denn einen längst
vor ihnen Gestorbenen!
11
Den aufgestellten Lebensregeln ist
aber noch eine hinzuzufügen. Von jedem Gegenstande,
der sich deinem Nachdenken darbietet, suche dir stets
einen klaren und bestimmten Begriff zu machen, so daß
du weißt, was er an sich und was er nach allen seinen
Beziehungen ist, damit du ihn selbst sowohl wie seine
einzelnen Momente nennen und bezeichnen kannst.
Denn nichts erzeugt in dem Grad hohen Sinn und edle
Denkungsart, als wenn man imstande ist, sich von jeder
im Leben gemachten Erfahrung, dem Wesen ihres Gegenstandes
und ihrer Vermittlung nach, Rechenschaft zu geben,
und alle Begebenheiten so anzusehen, daß man bei sich
überlegt, in welchem Zusammenhang sie erscheinen und
welche Stelle sie in demselben einnehmen, welchen
Wert sie für das Ganze haben und was sie dem Menschen
bedeuten, diesem Bürger eines höchsten Reiches, zu
dem sich die übrigen Reiche wie die einzelnen Häuser
zu der ganzen Ortschaft verhalten daß man weiß, was
man jedesmal vor sich hat, wo es sich herschreibt
und wie lange es bestehen wird, und wie sich der Mensch
dazu zu verhalten habe, ob milde oder tapfer, zweifelsüchtig
oder vertrauend voll, hingebend oder auf sich selbst
beruhend; so daß man sich von jedem Einzelnen sagen
muß, entweder: es kommt von Gott, oder: es
ist ein Stück jenes großen Gewebes, das das Schicksal
spinnt, und so und so gefügt, oder endlich: es
kommt von einem unsrer Genossen und Brüder, der nicht
gewußt hat, was naturgemäß ist. Du aber weißt
es, und darum begegnest du ihm, wie es das natürliche
Gesetz der Gemeinschaft fordert, mit Liebe und Gerechtigkeit.
Und auch in gleichgültigen Dingen zeigst du ein ihrem
Wert entsprechendes Verhalten.
12
Wenn du der gesunden Vernunft folgst
und bei dem, was dir zu tun gerade obliegt, mit Eifer,
Kraft und Liebe tätig bist, ohne daß dich ein anderer
Gedanke dabei leitet, als der, dein Inneres rein zu
erhalten, als solltest du bald deinen Geist aufgeben;
wenn du dich auf diese Weise zusammennimmst und dabei
weder zögerst noch eilst, sondern dir genügen lässest
an der dir von Natur zu Gebote stehenden Energie und
an der Wahrhaftigkeit, die aus jedem deiner Worte
hervor leuchten muß, so wirst du ein glückliches Leben
führen. Und ich wüßte nicht, wer dich daran hindern
sollte.
13
Wie die Ärzte zu raschen Heilungen
stets ihre Instrumente und Eisen zur Hand haben, so
mußt du behufs der Erkenntnis göttlicher und menschlicher
Dinge die Lehren der Philosophie in steter Bereitschaft
halten, damit du in allem, auch im Kleinsten, immer
so handelst wie einer, der sich des Zusammenhangs
beider bewußt ist. Denn Menschliches läßt sich
ebensowenig richtig behandeln ohne Beziehung auf Göttliches
als umgekehrt.
14
Höre endlich auf, dich selbst zu verwirren!
Es ist nicht daran zu denken, daß du dazu kommst,
was du dir für spätere Zeiten deines Lebens aufbehalten
hattest, dies und jenes zu treiben und zu lesen und
wieder hervorzusuchen. Darum gib solche törichte
Pläne auf, und wenn du dich selber lieb hast, schaffe
dir — noch vermagst du´s — eiligst
die Hilfe, deren du bedarfst!
15
In manchem Wort, das unbedeutend scheint,
wie z.B. Stehlen, Säen, Kaufen, Ruhen, Sehen,
was es zu tun gibt, liegt oft ein tieferer Sinn.
Wie mancher sagt: “ich will doch sehen,
was es gibt”, und denkt nicht daran, daß es
dazu eines anderen Schauens bedarf, als das der Augen.
16
Leib, Seele, Geist — das
war jene Dreiheit: der Leib mit seinen Empfindungen,
die Seele mit ihren Begierden und der Geist mit seinen
Erkenntnissen. Aber Bilder und Vorstellungen haben
auch unsere Haustiere; von Begierden in Bewegung gesetzt
werden auch die wilden Tiere oder Menschen, die nicht
mehr Menschen sind, ein Phalaris, ein Nero; in allem,
was vorteilhaft scheint, sich vom Geiste leiten zu
lassen, ist auch die Sache solcher, die das Dasein
der Götter leugnen, das Vaterland verraten und die
schändlichsten Dinge tun, sobald es nur niemand sieht.
Wenn soweit also jenes etwas allen Gemeinsames ist,
so bleibt als das dem Guten Eigentümliche nur übrig,
das ihm vom Schicksal Bestimmte willkommen zu heißen,
das Heiligtum in seiner Brust nicht zu entweihen,
sich nicht durch Gedankenmenge zu verwirren, sondern
im Gleichmaß zu verharren, der Stimme des Gottes zu
folgen, nichts zu reden wider die Wahrheit und nichts
zu tun wider die Gerechtigkeit. Und daß man dabei
ein einfaches, züchtiges und wohlgemutes Leben führt,
daran sollte eigentlich niemand zweifeln. Geschähe
es aber, wir würden deshalb doch keinem zürnen, noch
von dem Wege weichen, der an das Ziel des Lebens führt,
bei welchem wir unbefleckt, gelassen, wohlgerüstet
und willig dem Schicksal gehorchend ankommen müssen.
VIERTES BUCH
1
Wenn der in uns herrschende Geist
seiner Natur folgt, kann es uns — den Ereignissen
gegenüber — nicht schwer fallen, auf jede
Möglichkeit vorbereitet zu sein und das Gegebene hinzunehmen.
Das Festbestimmte, Abgemachte ist es dann überhaupt
nicht, wofür wir Interesse haben, sondern: was
uns gut und wünschenswert scheint, ist doch immer nur
mit Vorbehalt ein Gegenstand unseres Strebens; was
sich uns aber geradezu in den Weg stellt, betrachten
wir als ein Mittel zu unsrer Übung — :
der Flamme gleich, die sich auch solcher Stoffe zu
bemächtigen weiß, deren Berührung ein kleineres Licht
verlöschen würde, aber ein helles Feuer nimmt in sich
auf und verzehrt, was man ihm zuführt, und wird nur
größer dadurch.
2
Bei allem, was du tust, gehe besonnen
zu Werke und so, daß du dabei die höchste Lebenskunst
im Auge hast!
3
Man liebt es, sich zuzeiten aufs Land,
ins Gebirge, an die See zurückzuziehn. Auch du
sehnst dich vielleicht dahin. Im Grunde genommen
aber steckt dahinter eine große Beschränktheit.
Es steht dir ja frei, zu jeglicher Stunde dich in
dich selbst zurückzuziehn, und nirgends finden wir
eine so friedliche und ungestörte Zuflucht als in der
eignen Seele, sobald wir nur etwas von dem in uns
tragen, was wir nur anzuschauen brauchen, um uns in
eine vollkommen ruhige und glückliche Stimmung versetzt
zu sehn — eine Stimmung, die nach meiner Ansicht
freilich ein anständiges, sittliches Wesen bedingt.
Auf diese Weise also ziehe dich beständig zurück,
um dich immer wieder auf zufrischen. Einfach und
klar und bestimmt aber seien jene Ideen, die aus deiner
Seele so manches hinweg spülen, wenn du sie dir vergegenwärtigst,
und dir eine Zuflucht schaffen sollen, aus der du
nicht übel launisch zurückkehrst. Und was sollte
dich auch alsdann verdrießen? “Die Schlechtigkeit
der Menschen?” Aber wenn du bedenkst, daß die
vernünftigen Wesen füreinander geboren sind, daß das
Ertragen des Unrechts zur Gerechtigkeit gehört, daß
die Menschen unfreiwillig sündigen, und dann — wie
viel streitsüchtige, argwöhnische, gehässige und gewalttätige
Menschen dahin gemußt haben und nun ein Raub der Verwesung
sind — wirst du da deine Abneigung nicht los
werden? “Oder ist es dein Schicksal?”
So erinnere dich nur jenes Zwiefachen: entweder
wir sagen: es gibt eine Vorsehung, oder:
wir sehen uns als Teile und Glieder eines Ganzen an,
und unserer Betrachtug der Welt liegt die Idee eines
Reiches zugrunde. “Oder ist es dein Leib,
der irgendwie schmerzt?” Aber du weißt ja, der
Geist, wenn er sich selbst begriffen und seine Macht
kennen gelernt hat, hängt nicht ab von sanfteren oder
rauheren Lüften; auch weißt du, wie wir über Schmerz
und Freude denken, und bist einverstanden damit.
“Oder macht dir der Ehrgeiz zu schaffen?”
Aber wie schnell breitet Vergessenheit über alles ihren
Schleier! wie unablässig drängt eins das andere in
dieser Welt ohne Anfang und ohne Ende! Wie nichtig
ist jeder Nachklang unseres Tuns! wie veränderlich
und wie urteilslos jede Meinung, die sich über uns
bildet und wie eng der Kreis, in dem sie sich bildet!
Die ganze Erde ist ja nur ein Punkt im All, und wie
klein ist nun wieder der Winkel auf ihr, wo von uns
die Rede sein kann! Wie viele können es sein,
und was für welche, die unsern Ruhm verkünden?
In der Tat also gilt es sich zurückzuziehen auf eben
diesen kleinen Raum, der unser ist, und hier sich
weder zerstreuen, noch einspannen zu lassen, sondern
sich frei zu bewegen und die Dinge anzusehen wie ein
Mensch, wie ein Glied der Gesellschaft, wie ein sterbliches
Wesen. Unter allen Wahrheiten aber, die dir am
geläufigsten sind, müssen jedenfalls die beiden sein:
die eine: daß Außendinge die Seele nicht berühren
dürfen, sondern wirklich Außendinge sein und bleiben
müssen. Denn Widerwärtigkeiten gibt es nur für
den, der sie dafür hält. Die andere: daß
alles, was du siehst, sich bald verwandeln und nicht
mehr sein werde, wie du selbst schon eine Menge Wandlungen
durchgemacht hast. Mit einem Wort: die Welt
ist ein ewiger Wechsel, das Leben ein Wahn!
4
Haben wir alle das Denkvermögen gemein,
dann auch die Vernunft? dann auch die Stimme, die
uns sagt, was wir tun und lassen sollen; dann auch
eine Gesetzgebung; wir sind also alle Bürger eines
und desselben Reiches. Und so würde folgen, daß
die Welt ein Reich ist. Denn welches Reich wäre
sonst dem menschlichen Geschlecht gemein? — Stammt
nun etwa jene Denkkraft, jenes Vernünftige und Gesetzgebende
aus diesem uns allen gemeinsamen Reiche oder sonst
woher? Denn gleichwie bei verschiedenen Stoffen
jeder seine besondere Quelle hat (denn es ist Nichts,
was aus dem Nichts entstände, so wenig wie Etwas in
das Nichts übergeht), so muß auch das Geistige irgendwoher
stammen.
5
Mit dem Tode verhält sich´s wie mit
der Geburt: beide sind Geheimnisse der Natur.
Dieselben Elemente welche hier sich einigen, werden
dort gelöst. Und das ist nichts, was uns unwürdig
vorkommen könnte. Es widerspricht weder dem vernünftigen
Wesen selbst, noch der Art und Weise seiner Einrichtung.
6
Es liegt freilich in der Natur der
Sache, daß gewisse Leute einen solchen Widerspruch
darin finden. Aber wer dies nicht will, will nicht,
daß der Feigenbaum Saft habe. Überhaupt aber sei dessen
eingedenk, daß ihr beide, du und er, in kürzester
Zeit sterben werdet, und daß bald nicht einmal euer
Name übrigbleibt.
7
Laß deinen Wahn schwinden, du hörst
auf dich zu beklagen. Beklagst du dich nicht
mehr, ist auch das Übel weg.
8
Der Begriff des Heilsamen und des
Schädlichen schließt es schon in sich, daß, was den
Menschen nicht verdirbt, auch sein Leben nicht verderben
oder verbittern kann weder äußerlich noch innerlich.
9
Weil es nützlich ist, handelt die
Natur notwendigerweise so, wie sie handelt.
10
Alles, was geschieht, geschieht mit
Recht; einer genauen Beobachtung kann das nicht entgehen.
Auch sage ich nicht bloß: es ist in der Ordnung,
sondern: es ist recht, d.h. als käme es von einem,
der alles nach Recht und Würdigkeit austeilt.
Setze deine Beobachtungen nur fort, und du selbst — was
du auch tust, mache gut! gut im eigentlichsten Sinne
des Worts! Denke daran bei jeder deiner Handlungen!
11
Wie derjenige denkt, der dich verletzt,
oder wie er will, daß du denken sollst, so denke gerade
nicht. Sondern sieh die Sache an, wie sie in
Wahrheit ist.
12
Zu zweierlei müssen wir stets bereit
sein: einmal, zu handeln einzig den Forderungen
gemäß, welche das in uns herrschende Gesetz an uns
stellt — und das heißt immer auch zugleich
zum Nutzen der Menschen handeln. Sodann:
auf unserer Meinung nicht zu beharren, wenn einer da
ist, der sie berichtigen und uns so von ihr abbringen
kann. Doch muß jede Sinnesänderung davon ausgehen,
daß die neue Ansicht die richtige und gute sei, nicht
davon, daß sie Annehmlichkeiten und äußere Vorteile
verschaffe.
13
Wenn du Vernunft hast, warum gebrauchst
du sie nicht? Tut sie das ihrige, was kannst
du mehr verlangen?
14
Was du bist, ist doch nicht das Ganze.
So wirst du denn auch einst aufgehen in dem, der dich
erzeugte; oder vielmehr, nach geschehener Wandlung
wirst du wieder aufgenommen werden in seine Erzeugernatur.
15
Viele Weihrauchkörner fallen auf denselben
Altar der Gottheit — das ist des Menschen
Leben. Wieviel davon schon gestreut ist, wieviel
noch nicht, was liegt daran?
16
Sobald du dich zu den Grundsätzen
und dem Dienst der Vernunft bekehrst, kannst du innerhalb
zehn Tagen denen ein Gott sein, denen du jetzt so
verächtlich erscheinst wie ein Affe oder ein wildes
Tier.
17
Richte dich nicht ein, als solltest
du hundert Jahre alt werden. Denn wie nahe ist
vielleicht dein Ende! Aber solange du lebst, solange
es in deiner Macht steht — sei gut!
18
Welch ein Gewinn, wenn man auf anderer
Leute Worte, Angelegenheiten und Gedanken nicht achtet,
sondern nur merkt auf das eigene Tun, ob es gerecht
und fromm und gut sei,
“ — das Auge abgewendet
vom Pfuhl des Lasters, nur der eignen Bahn nachgehend,
grad und unverrückt.”
19
Der Ruhmbegierige bedenkt nicht, daß
auch die in aller Kürze nicht mehr sein werden, die
seiner gedenken, und daß es sich mit jedem folgenden
Geschlecht ebenso verhält, bis endlich die Erinnerung,
durch solche fortgepflanzt, die nun erloschen sind,
selber erlischt. Aber gesetzt auch, sie wären
unsterblich, die deinen Namen nennen, und unsterblich
dieses Namens Gedächtnis: was nützt dir´s? dir,
der du bereits gestorben bist? Aber auch, was
nützt dir´s bei deinem Leben? Es sei denn, daß
du zeitliche Vorteile dabei hast. Sind also Ruhm
und Ehre dir zuteil geworden, achte dieser Gabe nicht!
sie macht dich eitel und abhängig vom Geist und Wort
der andern.
20
Jegliches Schöne ist schön durch sich
selbst und in sich vollendet, so daß für ein Lob kein
Raum in ihm ist. Wird es doch durch Lob weder
schlechter noch besser. Dies gilt auch von dem,
was man in der Regel schön nennt, von dem körperlich
Schönen und den Werken der Kunst. Das wahrhaft
Schöne bedarf des Lobes ebensowenig als das göttliche
Gesetz, die Wahrheit, die Güte, die Scham. Oder
vermag daran etwa das Lob zu bessern oder der Tadel
zu verderben? Wird die Schönheit des Edelsteins,
des Purpurs, des Goldes, des Elfenbeins, die Schönheit
eines Instruments, einer Blüte, eines Bäumchens geringer
dadurch, daß man sie nicht lobt?
21
Wenn die Seelen fortdauern, wie vermag
sie der Luftraum von Ewigkeit her zu fassen?
Aber wie ist denn die Erde imstande, die Leichname
sovieler Jahrtausende zu fassen? Die Leiber,
nachdem sie eine Zeitlang gedauert haben, verwandeln
sich und lösen sich auf, und so wird andern Leibern
Platz gemacht. Ebenso die in den Äther versetzten
Seelen. Eine Zeitlang halten sie zusammen, dann
verändern sie sich, dehnen sich aus, verbrennen und
gehen in das allgemeine Schöpferwesen auf, so daß ein
Raum für neue Bewohner entsteht. So etwa ließe
sich die Ansicht von der Fortdauer der Seelen erklären.
Was aber die Leiber betrifft, so kommt hier nicht
bloß die Menge der auf jene Weise untergebrachten,
sondern auch die der täglich von uns und von den Tieren
verzehrten Leiber in Betracht. Welch eine Menge
verschwindet und wird so gleichsam begraben in den
Leibern derer, die sich davon nähren, und immer derselbe
Raum ist´s, der sie faßt, durch Verwandlung in Blut,
in Luft- und Wärmestoffe. Das Prinzip oder die
Summe aller dieser Erscheinungen ist also: die
Auflösung in die Materie und in den Urgrund aller Dinge.
22
Stets entschieden, gilt es, zu sein
und das Rechte im Auge zu haben bei jeglichem Streben.
In dem Gedankenleben aber sei das Begreifliche dein
Leitstern.
23
Was mit dir zusammenstimmt, o Welt,
ist auch für mich angemessen! Nichts kommt zu
früh für mich und nichts zu spät, wenn´s bei dir heißt:
“Zu guter Stunde.” Eine süße Frucht
ist mir alles, was du gezeitigt hast, Natur.
Von dir und in dir ist alles und zu dir kehrt es zurück. — Als
Aristophanes Theben wiedersah, rief er: “Du
liebe Stadt des Kekrops!” und ich, ich sollte
mit dem Blick auf dich nicht sagen: “Du
liebe Stadt des höchsten Gottes?”
24
Nur auf wenig Dinge, heißt es, darf
sich deine Tätigkeit erstrecken, wenn du dich wohl
befinden willst. Aber wäre es nicht besser, sie
auf das Notwendige zu richten? auf das, was wir als
Wesen, die auf das Leben in Gemeinschaft angewiesen
sind, tun sollen? Denn das hieße nicht bloß das
Vielerlei, sondern auch das Schlechte vermeiden und
müßte uns also doppelt glücklich machen. Gewiß
würden wir ruhiger und zufriedener sein, wenn wir
das meiste von dem, was wir zu reden und zu tun pflegen,
als überflüssig ließen. Ist es doch durchaus
notwendig, daß wir in jedem einzelnen Falle, ehe wir
handeln, eine Stimme der Warnung vernehmen; und sollte
die von etwas ausgehen können, das an sich selbst unnötig
ist? Zuerst aber befreie deine Gedanken von allem,
was unnütz ist, dann wirst du auch nichts Unnützes
tun.
25
Mache den Versuch — vielleicht
gelingt dir´s — zu leben wie ein Mensch,
der mit seinem Schicksal zufrieden ist, und, weil er
recht handelt und liebevoll gesinnt ist, auch den
inneren Frieden besitzt.
26
Willst du? so höre noch dies:
Rege dich nicht selbst auf, und bleibe immer bei dir.
Hat sich jemand an dir vergangen: an sich selbst
hat er sich vergangen. Ist dir etwas Trauriges
widerfahren: es war dir von Anfang an bestimmt;
was geschieht, ist alles Fügung. Und im Ganzen:
das Leben ist kurz. Die Gegenwart ist´s, die
wir nutzen sollen, durch rechtschaffenes und überlegtes
Handeln, und wenn wir ausruhen wollen, durch ein besonnenes
Ausruhen. Auch in Erholungsstunden bleibe nüchtern!
27
Entweder ist die Welt ein wohlgeordnetes
Ganzes oder ein zufälliges Gemenge, das man aber doch
eine Weltordnung nennt. Doch wie? Kann in
dir eine gewisse Ordnung herrschen, wenn im Weltganzen
Unordnung herrscht? Und das könnte sein bei der
ineinandergestimmten Vereinigung aller möglichen Kräfte,
die einander widerstreiten und zerteilt sind?
28
Es gibt schwarze Charaktere, weibische,
halsstarrige, tierische, viehische, kindische, träge,
zweideutige, geckenhafte, betrügerische, tyrannische
Charaktere.
29
Wenn der ein Fremdling ist in der
Welt, der nicht weiß, was auf ihr ist und geschieht,
so nenne ich den einen Flüchtling, der sich den Ansprüchen
des Staates entzieht; einen Blinden, der das Auge seines
Geistes schließt; einen Bettler, der eines andern bedarf
und nicht in sich alles zum Leben Nötige trägt; einen
Auswuchs des Weltalls, der von dem Grundgesetz der
Allnatur abweicht und — mit dem Schicksal
hadert! als hätte sie, die dich hervorgebracht, nicht
auch dieses erzeugt; ein abgehauenes Glied der menschlichen
Gesellschaft, der mit seiner Seele von dem Lebensprinzip
der einen alle Vernunftwesen umfassenden Gemeinde
geschieden ist.
30
Es gibt Philosophen, die keinen Rock
anzuziehen haben und halbnackt einhergehen. “Nichts
zu essen, aber treu der Idee.” Auch für
mich ist die Philosophie kein Brotstudium.
31
Liebe immerhin die Kunst, die du gelernt
hast, und ruhe dich aus in ihr. Doch gehe durchs
Leben nicht anders wie einer, der alles, was er hat
von ganzem Herzen den Göttern weiht, niemandes Tyrann
und niemandes Knecht.
32
Betrachten wir die Geschichte, z.B.
die Zeiten Vespasians, so finden wir Menschen, die
sich freien, Kinder zeugen, krank liegen, sterben,
Krieg führen, Feste feiern, Handel treiben, Acker
bauen; finden Schmeichler, Freche, Mißtrauische, Listige,
oder solche, die ihr Ende herbeiwünschen, die sich
über die schlimmen Zeiten beklagen; finden Liebhaber,
Geizhälse, Ehrgeizige, Herrschsüchtige. Nicht
wahr? Ihr Leben ist jetzt nirgends mehr zu finden.
Gehen wir über auf die Zeiten des Trajan: alles
ganz ebenso. Und auch diese Zeit ging zu Grabe. — So
betrachte die Grabschriften aller Zeiten und Völker,
damit du siehst, wie viele, die sich aufschwangen,
nach kurzer Zeit wieder sanken und vergingen.
Namentlich muß man immer wieder an die denken, bei
denen wir´s mit eignen Augen gesehen haben, wie sie
nach eitlen Dingen trachteten, wie sie nicht taten,
was ihrer Bildung entsprach, daran nicht unablässig
festhielten und sich daran nicht genügen ließen.
Und fällt uns dann die Regel ein, daß die Behandlung
einer Sache ihren Maßstab in dem Wert der Sache selbst
hat, so wollen wir sie doch ja beobachten, damit wir
uns vor dem Ekel bewahren, der die notwendige Folge
davon ist, daß man den Dingen mehr Wert beilegt, als
sie verdienen.
33
Worte, die ehemals im Gebrauch waren,
sind nun veraltet. So sind auch die Namen einst
hochberühmter Männer, eines Camill, Scipio, Cato, dann
eines Augustus, dann Hadrians, dann Antoninus Pius,
später gleichsam veraltete Worte. Sie verbleichen
bald und nehmen das Gewand der Sage an, bald sind
sie gar versunken in Vergessenheit. Dies gilt
von denen, die ehemals so wunderbar geleuchtet haben.
Denn von den andern, sind sie nur tot, weiß man nichts
mehr, hat man nie etwas gehört. Also ist Unvergeßlichkeit
ein leeres Wort. Aber was ist es denn nun, wonach
sich´s lohnt zu streben? Nur das eine: eine
tüchtige Gesinnung, ein Leben zum Besten anderer,
Wahrheit in jeder Äußerung, ein Zustand des Gemüts,
wonach dir alles, was geschieht, notwendig scheint
und dir befreundet, aus einer Quelle fließend, mit
der du vertraut bist.
34
Gib dich dem Schicksal willig hin,
und erlaube ihm, dich mit den Dingen zu verflechten,
die es dir irgend zuerkennt.
35
Eintagsfliegen sind beide, der Gedenkende und der,
dessen gedacht wird.
36
Alles entsteht durch Verwandlung,
und die Natur liebt nichts so sehr, als das Vorhandene
umzumodeln und Neues von ähnlicher Art zu erzeugen.
Jedes Einzelwesen ist gewissermaßen der Same eines
zukünftigen, und es wäre eine große Beschränktheit,
nur das als ein Samenkorn anzusehen, was in die Erde
oder in den Mutterschoß geworfen wird.
37
Wie bald wirst du tot sein, und noch
immer bist du nicht ohne Falsch, nicht ohne Leidenschaft,
nicht frei von dem Vorurteil, daß Äußeres dem Menschen
schaden könne, nicht sanftmütig gegen jedermann, und
noch immer nicht überzeugt, daß Gerechtigkeit die
einzig wahre Klugheit sei.
38
Mache dich mit den herrschenden Gesinnungen
der Menschen bekannt, mit ihren Sorgen und mit dem,
was sie fliehen und was sie erstreben.
39
In der Seele eines andern sitzt es
nicht, was dich unglücklich macht, auch nicht in der
Wendung deiner äußeren Verhältnisse. Wo denn,
fragst du? In deinem Urteil! Halte es nicht
für ein Unglück, und alles steht gut. Und wenn,
was dich zunächst umgibt, deine Haut verwundet, geschnitten,
gebrannt wird, muß der Teil deines Wesens, der über
solche Dinge urteilt, in Ruhe sein, d.h. er muß denken,
daß das, was ebenso den Guten wie den Bösen treffen
kann, unser Unglück oder unser Glück unmöglich ausmacht.
Denn was bald der erfährt, der gegen die Natur lebt,
bald wieder der, der ihrer Stimme folgt, das kann doch
selbst nicht widernatürlich oder natürlich heißen.
40
Die Welt ist ein einziges lebendiges
Wesen, ein Weltstoff und eine Weltseele. In dieses
Weltbewußtsein wird alles aufgenommen, so wie aus
ihm alles hervorgeht, so jedoch, daß von den Einzelwesen
eines des anderen Mitursache ist und auch sonst die
innigste Verknüpfung unter ihnen stattfindet.
41
Nach Epiktet ist der Mensch — eine Seele
mit einem Toten belastet.
42
Was zu dem Wandlungsprozeß gehört,
dem wir alle unterworfen sind, das kann als solches
weder gut noch böse sein.
43
Ein Strom des Werdens, in dem eins
das andre jagt, ist die Zeit. Denn ein jegliches
Ding — verschlungen ist´s, kaum da es aufgetaucht.
Aber kaum ist das eine dahin, trägt die Woge schon
wieder ein anderes her. Doch auch dieses wird
weggeschwemmt.
44
Wie die Rose die Vertraute des Sommers
und die Früchte die Freunde des Herbstes sind, so
ist das Schicksal uns freundlich gesinnt, mag es nun
Krankheit oder Tod oder Schimpf und Schande heißen.
Denn Kummer machen solche Dinge nur dem Toren.
45
Das Folgende entspricht immer dem
Vorangehenden, nicht nur in der Weise des Nacheinander
mit bloß äußerer Verknüpfung, sondern durch ein inneres
geistiges Band. Denn wie im Reiche des Gewordenen
alles harmonisch gefügt ist, so tritt uns auch auf
dem Gebiete des Werdens keine bloße Aufeinanderfolge,
sondern eine wunderbare innere Verwandtschaft entgegen.
46
Mag es richtig sein, was Heraklit
sagt, daß in der Natur das eine des andern Tod sei,
der Erde Tod das Wasser, des Wassers die Luft, der
Luft das Feuer und umgekehrt; doch hat er nicht gewußt,
wohin alles führt. Aber es läßt sich auch von
solchen Leuten lernen, die das Ziel ihres Weges aus
dem Gedächtnis verloren haben, auch von solchen, die,
je mehr sie mit dem alles beherrschenden Geiste verkehren,
tatsächlich sich desto mehr von ihm entfernen, auch
von denen, welchen gerade das fremd ist, was sie täglich
beschauen, oder die wie im Traume handeln und reden
(denn auch das nennt man noch Tätigkeit), oder endlich
von solchen, die wie die kleinen Kinder alles nachmachen.
47
Wenn dir ein Gott weissagte, du werdest
morgen, höchstens übermorgen sterben, so könntest
du dich über dieses “Übermorgen” doch nur
freuen, wenn gar nichts Edles in dir steckt.
Denn was ist´s für ein Aufschub! Ebenso gleichgültig
aber müßte es dir sein, wenn man dir prophezeite:
nicht morgen, sondern erst nach langen Jahren!
48
Bedenke, wie viele Ärzte sind gestorben,
nachdem sie an wie vielen Krankenbetten bedenklich
den Kopf geschüttelt; wie viele Astrologen, die erst
andern mit großer Wichtigkeit den Tod verkündigten;
wie viele Philosophen, nachdem sie über Tod und Unsterblichkeit
ihre tausenderlei Gedanken ausgekramt; wie viele Kriegshelden
mit dem Blute anderer bespritzt; wie viele Fürsten,
die ihres Rechtes über Leben und Tod mit großem Übermute
brauchten, als wären sie selbst nicht auch sterbliche
Menschen; wie viele Städte — Helion, Pompeji,
Herkulanum und unzählige andere — sind, daß
ich so sage, gestorben! Dann die du selbst gekannt
hast, einer nach dem andern! Der jenen begrub,
wurde dann selbst begraben, und das binnen kurzem.
Denn alles Menschliche ist nichtig und vorübergehend,
das Gestern eine Seifenblase, das Morgen — erst
eine einbalsamierte Leiche, dann ein Haufen Asche.
Darum nutze das Heute so wie du sollst, dann scheidet
sich´s leicht: wie die Olive, wenn sie reif geworden
abfällt — preisend den Zweig, an dem sie hing,
dankend dem Baum, der sie hervorgebracht!
49
Wie der Fels im Meere, an dem die
Wellen unaufhörlich rütteln, steht, so daß ringsum
der Brandung Ungestüm sich legen muß, so stehe auch
du! Nenne dich nicht unglücklich, wenn dir ein
“Unglück” widerfuhr! Nein, sondern
preise dich glücklich, daß, obwohl es dir widerfahren
ist, der Schmerz dir doch nichts anhat und weder Gegenwärtiges
dich mürbe machen, noch Zukünftiges dich ängstigen
kann. Jedem könnt´ es begegnen, aber nicht jeder
hätte es so ertragen. Und warum nennst du das
eine ein Unglück, das andere ein Glück? Nennst
du nicht das ein Unglück für den Menschen, was ein
Fehlgriff seiner Natur ist? Aber wie sollte das
ein Fehlgriff der menschlichen Natur sein können,
was nicht wider ihren Willen ist? Und du kennst
doch ihren Willen? Kann dich denn irgendein Schicksal
hindern, gerecht zu sein, hochherzig, besonnen, klug,
selbständig in deiner Meinung, wahrhaft in deinen Reden,
sittsam und frei in deinem Betragen, hindern an dem,
was, wenn es vorhanden ist, so recht dem Zweck der
Menschennatur entspricht? So oft also etwas Schmerzhaftes
dir nahe tritt: denke, es sei kein Unglück; aber
ein Glück ist, es mit edlem Mut zu tragen.
50
Es ist zwar ein lächerliches aber
wirksames Hilfsmittel, wenn man den Tod verachten
lernen will, sich die Menschen zu vergegenwärtigen,
die mit aller Inbrunst am Leben hingen. Denn
was war ihr Los, als daß sie zu früh starben?
Begraben liegen sie alle, die Fabius, Julianus, Lepidus
oder wie sie heißen mögen, die allerdings so manche
andere überlebten, dann aber doch auch an die Reihe
mußten. — Wie klein ist dieser ganze Lebensraum,
und unter wieviel Mühen, mit wie schlechter Gesellschaft,
in wie zerbrechlichem Körper wird er zurückgelegt!
Es ist nicht der Rede wert. Hinter dir eine Ewigkeit
und vor dir eine Ewigkeit: dazwischen — was
für ein Unterschied ob du drei Tage oder drei Jahrhunderte
zu leben hast?
51
Immer wandle den kürzesten Weg, den
du zu gehen hast! Er ist der natürliche.
Man folgt da im Reden und Tun nur der gesunden Vernunft.
Du wirst dich auf diese Weise von mancher Sorge und
von manchem Ballast befreien.
FÜNFTES BUCH
1
Früh, wenn´s dir leid tut schon aufgewacht
zu sein, sage dir gleich, du seist erwacht, dich menschlich
zu betätigen. Um der Tätigkeit willen bist du
geboren und in die Welt gekommen, und du wolltest verdrießlich
sein, daß du ans Werk gehen mußt? Oder bist du
dazu geschaffen, in den Federn liegend dich zu pflegen?
Freilich ist dies angenehmer; aber bist du um des
Vergnügens willen da, nicht vielmehr um etwas zu schaffen
und dich anzustrengen? Sieh alle Kreaturen, die
Sperlinge, die Ameisen, die Spinnen, die Bienen, wie
jedes sein Werk vollbringt und jedes in seiner Weise
an der Aufgabe des Ganzen arbeitet! Und du wolltest
das deinige nicht tun? nicht den Weg laufen, den die
menschliche Natur dir vorschreibt? — Man
muß doch auch ausruhen, sagst du. Freilich muß
man. Doch in dem Maße, das die Natur dir selbst
an die Hand gibt, ebenso wie für das Essen und Trinken.
Darin aber willst du die Grenze überschreiten und
mehr tun als nötig ist, nur in der Tätigkeit zurückbleiben?
Da sieht man, daß du dich selbst nicht lieb hast,
sonst würdest du die menschliche Natur und deren Willen
lieb haben. Andere, die mit Liebe die Kunst betreiben,
die sie gelernt haben, sind oft so versessen darauf,
daß sie darüber vergessen, sich zu waschen oder zu
frühstücken. Du aber ehrst die Menschheit in
dir nicht einmal so hoch wie jene ihre Kunst, wie
der Drechsler seine Drechselei, der Tänzer seine Sprünge,
der Geizhals sein Geld, der Ehrgeizige seinen Ruhm.
Denn sobald solche Leute ihrem Beruf mit Eifer hingegeben
sind, liegt ihnen am Essen und Schlafen weit weniger,
als daran, daß sie´s weiter bringen in dem, was ihres
Amtes ist. Und du bist imstande, das für andere
Tätigsein niedriger zu stellen und eines solchen Eifers
nicht für wert zu halten?
2
Es ist wahrlich nicht so schwer, jeden
beunruhigenden und unziemlichen Gedanken, der sich
aufdrängt, wieder loszuwerden und hinwegzutilgen, so
daß die vollkommene Stille und Heiterkeit des Gemüts
gleich wiederhergestellt ist.
3
Erkenne, daß du jeder echt menschlichen
Äußerung in Wort und Werk würdig bist, und laß dich
von keinem Tadel oder Stichelrede, die andere dir
nachsenden, beschwatzen. Was edel ist zu sagen
und zu tun, dessen bist du niemals unwürdig.
Jene haben ihre eigenen Grundsätze, denen sie folgen,
und ihren eigenen Sinn. Darauf darfst du keine
Rücksicht nehmen, sondern mußt den geraden Weg gehen,
den deine und die allgemein menschliche Natur dir
vorschreibt. Und es ist in der Tat nur ein Weg,
den diese beiden dir weisen.
4
So laß uns durchs Leben gehen, bis
wir verfallen und uns zur Ruhe begeben, den Geist
dahin aushauchend, von wo wir ihn tagtäglich eingesogen,
dahin zurücksinkend, woher der Keim zu unserm Dasein
stammt, woher wir durch so viele Jahre Speise und
Trank nahmen, was uns durchs Leben trug und wovon
wir oft genug einen schlechten Gebrauch gemacht haben.
5
Dein Scharfsinn ist es nicht, weswegen
man dich bewundern muß. Aber gesetzt auch, er
könnte dir nicht abgesprochen werden, so wirst du doch
gestehen müssen, daß vieles andere mehr in deiner Natur
liegt. Und dies ist es nun, was du vor allem
pflegen und kundgeben mußt, z.B. deine Lauterkeit
und deinen Ernst, deine Sündhaftigkeit und deine Abneigung
gegen sinnlichen Genuß, deine Zufriedenheit mit deinem
Schicksal, deine Mäßigkeit, Güte, Freisinnigkeit Einfachheit,
dein gesetztes würdevolles Wesen. Und fühlst
du nicht, was du alles hättest sein können? was deine
Natur und angeborenes Geschick so wohl zugelassen hätten,
und bist es dennoch schuldig geblieben? Oder
war es die Mannhaftigkeit deiner Naturanlage, was
dich zwang, mürrisch zu sein und knickerig und
ein Schmeichler, ein Feind oder Sklave deines eigenen
Leibes, ein eitler und ehrgeiziger Mensch? Wahrlich,
nein. Du könntest längst von diesen Fehlern frei
sein. Ist es aber wahr, daß du von Natur etwas
schwerfällig bist und langsam von Begriffen, so gilt
es auch darin sich anzustrengen und zu üben, nicht,
diese Schwäche unberücksichtigt zu lassen oder gar
sich darin zu gefallen.
6
Es gibt Menschen, die, wenn sie jemand
einen Gefallen getan haben, dies gleich als eine Gunstbezeigung
angesehen wissen wollen; ferner solche, die, wenn
sie auch nicht gerade solche Ansprüche erheben, doch
sehr genau wissen wollen, was sie getan haben, und
den, dem sie wohlgetan, bei sich selbst wenigstens
als ihren Schuldner betrachten; endlich solche, die
gewissermaßen nicht wissen, was sie taten — dem
Weinstock gleich, der seine Trauben trägt und nichts
weiter will, nachdem er die ihm eigentümliche Frucht
einmal hervorgebracht hat. Das Pferd, das seinen
Weg gelaufen ist, der Hund, der das Wild erjagt, und
die Biene, die ihren Honig bereitet hat, erhebt kein
Geschrei, ruft niemand zu: seht, das hab´ ich
getan, sondern geht gleich zu etwas anderem über, wie
der Baum wieder neue Früchte ansetzt zu seiner Zeit.
Und so soll´s auch beim Menschen sein, wenn er ein
gutes Werk vollbracht hat. — Also wirklich,
zu denen soll man gehören, die, was sie tun, gleichsam
auf unbegreifliche Weise tun? Ja; aber daß wir
zu ihnen gehören, soll man begreifen! Du sagst:
ein Wesen, das zur Gemeinschaft geboren ist, müsse
doch wissen, wenn es seiner Bestimmung gemäß, d.i.
wenn es für andere handelt, und wahrlich doch auch
wollen, daß dies der andere merke. Wohl wahr,
aber du machst davon nicht die richtige Anwendung,
und darum bist du nun einmal einer von denen, die
ich eben beschrieben habe, denn auch bei jenen ist
es der Schein von Wahrheit, der sie irre leitet.
Jedenfalls aber würdest du mich mißverstehen, wenn
du aus irgendeinem Grunde es unterlassen wolltest,
etwas zum Wohle anderer zu tun.
7
Die Athener beteten: “Regne,
regne, lieber Zeus, auf die Äcker und Wiesen der Athener!”
Und man bete entweder gar nicht oder nur in dieser
Weise, einfältig und ohne Kunst.
8
Gerade, wie man sagt, daß der Arzt
dem einen das Reiten, dem andern kalte Bäder, dem
dritten barfuß zu gehen verordnete, ebenso muß
man auch sagen, daß die Natur bald Krankheit, bald
Verletzung, bald schmerzliche Verluste zu verordnen
pflegt. Dort wendet man den Ausdruck an, um zu
bezeichnen, daß er den Menschen jene Mittel als der
Gesundheit entsprechend gegeben habe, und hier gilt
es ja auch, daß alles das, was einem widerfährt, ihm
als dem allgemeinen Schicksal entsprechend gegeben
wird. Ebenso brauchen wir von unsern Schicksalen
den Ausdruck “sich fügen”, wie ihn die
Baumeister brauchen von den Quadern, die bei Mauer-
oder Pyramidenbauten sich schönstens zusammenordnen.
Denn durch alles geht eine große Harmonie. Und
wie im Reiche der Natur die Natur eines Einzelwesens
nicht begriffen werden kann außer im Zusammenhange
aller andern Einzelwesen, so auch auf dem Gebiete
des Geschehens kein einzelner Umstand und Grund abgesehen
von allen übrigen: was denn auch der Sinn jener
vulgären Ausdrucksweise ist, wenn man sagt: es
“trug sich zu”, oder, es war ihm
“beschieden”. Lasset uns also
dergleichen hinnehmen, gleichwie jene nahmen, was
Äskulap ihnen verordnet; denn auch davon war manches
bitter und wurde süß nur durch die Hoffnung auf Genesung.
Dieselbe Bedeutung aber, welche für dich deine Gesundheit
hat, muß auch die Erfüllung und Vollendung dessen
für dich haben, was im Sinne des Universums liegt,
und du mußt alles, was geschieht, und wäre es auch
noch so wenig freundlich, willkommen heißen, weil
sein Ziel ja nichts anderes ist als die Gesundheit
der Welt, das Glück und Wohlbefinden des höchsten Gottes.
Hätte es sich doch gar nicht zugetragen, wenn es nicht
für das Ganze zuträglich gewesen wäre; hätte es doch
kein Zufall so gefügt, fügte es sich nicht harmonisch
in die Verwaltung aller Dinge. Also zwei Gründe
sind, weshalb dir dein Schicksal gefallen muß.
Der eine: weil es dein Schicksal ist,
weil es dir verordnet ward mit Rücksicht auf dich — von
oben her in ursächlicher Verkettung mit dem ersten
Grunde. Der andere: weil es der Grund des
vollkommenen Glückes, ja fürwahr auch des Bestehens
dessen ist, der alles regiert. Denn es ist eine
Verletzung des Ganzen in seiner Vollständigkeit, wenn
du den geringsten seiner Bestandteile — und
seine Bestandteile sind immer auch zugleich Ursachen — aus
seiner Verbindung und seinem Zusammenhange reißest.
Und — soweit das in deiner Hand steht, reißest
du wirklich los und trennst das Zusammengehörige,
sobald du murrst über dein Schicksal.
9
Du darfst nicht unwillig werden, den
Mut nicht sinken lassen oder gar verzweifeln, wenn
es dir nicht vollständig gelingt, immer nach richtigen
Grundsätzen zu handeln. Bist du von deiner Höhe
heruntergefallen, erhebe dich wieder, sei zufrieden,
wenn nur wenigstens das meiste an dir nach echter
Menschenart ist, und laß dich beglücken von dem, was
dir von neuem gelang. Meine nicht, daß die Philosophie
ein Zuchtmeister sei. Greife zu ihr nur so wie
die Augenkranken zum Schwamm oder zum Ei, wie andere
zum Pflaster oder zum Guß. Denn nichts wird dich
zwingen, der Vernunft zu gehorchen. Man muß sich
ihr viel mehr vertrauensvoll hingeben. Du weißt
die Philosophie will nichts anderes, als was deine
Natur auch will. Du aber hast etwas anderes gewollt,
etwas ihr Widerstreitendes, weil es dir angenehmer
schien. Die Lust macht uns solche Vorspiegelungen.
Aber besinne dich, ob Hochherzigkeit, Freiheit des
Geistes, Einfalt, Gleichmut, Sittenreinheit nicht doch
das Angenehmere sind. Oder was ist angenehmer
als Weisheit, wenn man darunter das nie Anstoßende,
glatt Hinfließende der geistigen Kraft versteht?
10
Das Wesen und die Bedeutung der Verhältnisse
dieses Lebens sind im allgemeinen in ein solches Dunkel
gehüllt, daß sie nicht wenig Philosophen und nicht
bloß den gewöhnlichen als völlig unbegreiflich erscheinen
Auch die Stoiker bekennen, daß sie sie kaum verstehen.
Dann sind auch unsere Ansichten so höchst veränderlich.
Es gibt ja keinen Menschen, der sich in seinen Ansichten
gleich bliebe. Ferner was nun die “Güter”
dieses Lebens anlangt, wie vergänglich und nichtig
sind sie! Können sie doch das Eigentum jedes
Nichtswürdigen werden! Aber nicht minder elend
steht es mit dem Geist der Zeit. Selbst die beste
seiner Äußerungen, welche Mühe hat man sie, zu ertragen,
ja es kostet nicht wenig, sich selber zu ertragen.
Bei solcher Taubheit und Verkommenheit der Zustände,
bei diesem ewigen Wechsel des Wesens und der Form,
bei dieser Unberechenbarkeit der Richtung, die die
Dinge nehmen — was da der Liebe und des Strebens
noch wert sein soll, vermag ich nicht zu sehen.
Im Gegenteil, es ist der einzige Trost, daß man der
allgemeinen Auflösung entgegengeht. — Drum
trage geduldig die Zeit, die noch dazwischen liegt,
und beherzige nur das, daß nichts dir widerfahren
kann, was nicht in der Natur des Ganzen begründet liegt,
und dann: daß du die Freiheit hast, alles zu
unterlassen, was wider die Stimme deines Genius ist.
Denn die zu überhören kann dich niemand zwingen.
11
Wozu gebrauchst du jetzt deine Seele?
So muß man sich bei jeder Gelegenheit fragen.
Oder, was geht jetzt vor in dem Teile deines Wesens,
den man den vornehmsten nennt? Oder was für eine
Seele hast du jetzt, die eines Kindes oder eines Jünglings,
eines Weibes, eines Tyrannen, eines zahmen oder eines
wilden Tieres?
12
Wie es im Grunde damit steht, was
bei der Menge als das Gute gilt, kann man auch daraus
erkennen, daß jenes Wort eines alten Komikers:
“denn für den Edlen ziemt sich solches nicht”
auf alle diese Scheingüter, wie Reichtum Luxus, Ehre,
anwendbar ist (wiewohl die Leute das allerdings nicht
gelten lassen wollen), während es auf wahre Güter,
wie Klugheit, Mäßigkeit, Gerechtigkeit, Tapferkeit,
angewendet vollkommen widersinnig wäre.
13
Woraus wir bestehen, ist Form und
Inhalt. Keins von beiden aber wird ins Nichts
verschwinden, so wenig wie es aus dem Nichts hervorgegangen
ist. Sondern jeder Teil unseres Wesens wird durch
Verwandlung übergeführt in irgendeinen Teil des Weltganzen
dieser geht dann wieder in einen andern über und so
ins Unendliche. Durch diesen Verwandlungsprozeß
erhalte ich mein Dasein, durch ihn erhielten es auch
die, die mich erzeugten, und so wieder rückwärts ins
Unendliche. Denn “ins Unendliche”
darf man wirklich sagen, wenn auch der Weltlauf seine
fest begrenzten Zeiträume hat.
14
Die Vernunft und die Lebenskunst sind
Kräfte, die sich selbst genügen und die keinen andern
Richter über ihre Äußerungen haben als sich selbst.
Sie haben ihr Prinzip und ihre Ziele in sich, und richtig
heißen ihre Handlungen, weil durch sie der rechte
Weg offenbar wird.
15
Nichts ist Sache des Menschen, was
ihn als Menschen nichts angeht, was von der menschlichen
Natur weder gefordert noch verheißen wird, und was
zu ihrer Vollendung nichts beiträgt — was
also auch kein Ziel menschlichen Strebens sein oder
ein Gut d.i. ein Mittel zu diesem Ziele zu gelangen
genannt werden kann. Wäre dies nicht, so hätten
wir unrecht, es als eine Pflicht des Menschen anzusehen,
dergleichen Dinge zu verachten und sich ihnen zu widersetzen,
und dürften den nicht loben, der ihrer nicht bedarf.
Auch könnte, wenn dies Güter wären, der nicht gut
sein, der freiwillig dem Genusse solcher Dinge entsagt.
Nun aber sind wir in der Tat um so viel besser, je
mehr wir solcher Dinge uns enthalten, und je leichter
wir ihren Mangel ertragen.
16
Wie die Gedanken sind, die du am häufigsten
denkst, ganz so ist auch deine Gesinnung. Denn
von den Gedanken wird die Seele gesättigt. Sättige
sie also mit solchen wie die: daß man, wo man
auch leben muß, glücklich sein könne; daß alles um
irgendeiner Sache willen gemacht sei, und wozu es
gemacht sei, dahin werde es auch getragen, und wohin
es getragen werde, da liege auch der Zweck seines
Daseins, wo aber dieser, da sei auch das ihm Zuträgliche
und Heilsame. Das den vernünftigen Wesen Heilsame
aber ist die Gemeinschaft. Denn zur Gemeinschaft
sind wir geboren. Oder liegt es nicht auf der
Hand, daß das Geringere um des Besseren willen, die
besseren Dinge aber füreinander da sind? Besser
aber als das Unbeseelte ist das Beseelte, und besser
als dieses das Vernünftige.
17
Nach dem Unmöglichen streben ist wahnsinnig;
unmöglich aber ist es, daß der gemeine Mensch anders
als gemein handelt.
18
Nichts geschieht uns, was zu ertragen
uns nicht natürlich wäre. Bei manchen Schicksalen
sind wir freilich nur aus Stumpfsinn oder aus Prahlerei
standhaft und unverwundbar. Und das ist eben das
Traurige, daß Gefühllosigkeit und Gefallsucht stärker
sein sollen, als Einsicht!
19
Die Umstände sind es nun einmal durchaus
nicht, wodurch die Seele berührt wird; sie haben keinen
Zugang zu ihr und können sie weder umstimmen, noch
irgend bewegen. Die Seele stimmt und bewegt sich
einzig selber, und je nach dem Urteil und der Auffassung
zu der sie´s bringen kann, gestaltet sie die Dinge,
die vor ihr liegen.
20
Das Gesetz, das uns vorschreibt, den
Menschen wohl zu tun und sie zu ertragen, macht sie
uns zu den befreundetsten Wesen. Insofern sie
uns aber hinderlich werden können, das uns Gebührende
zu tun, ist mir der Mensch etwas ebenso Gleichgültiges
wie die Sonne, der Wind, das Tier. Nur daß sich
ihrem verderblichen Einflusse ja eben entgegentreten
läßt. Man entziehe sich ihnen oder suche sie
umzuwandeln, so geschieht unserm Streben und unserer
Neigung kein Eintrag. Auf diese Weise verwandelt
und bildet die Seele ein Hindernis unseres Willens
um in sein Gegenteil: was unser Werk aufhalten
sollte, gestaltet sich selbst zum guten Werke, und
ein Weg eröffnet sich eben da, wo uns der Weg versperrt
ward.
21
Dem, was das Beste in der Welt ist,
dem Wesen nämlich, das alles hat und alles verwaltet,
gebührt unsere Ehrfurcht. Nicht minder aber auch
dem, was das Beste in uns ist. Es ist jenem verwandt,
da ja auch in uns etwas ist, was alles andere hat
und wovon dein ganzes Leben regiert wird.
22
Was dem Staate nicht schadet, schadet
auch dem Bürger nicht. Diese Regel halte fest,
sooft du dir einbildest, daß dir ein Schaden geschieht.
Ist´s keiner für die Gemeinschaft, der du angehörst,
dann auch keiner für dich. Und wenn´s für jene
keiner ist — kannst du dem Menschen zürnen,
der nichts getan hat, was dem Ganzen schadet?
23
Denke recht oft daran, wie alles,
was ist und was geschieht, so schnell wieder hinweggeführt
wird und entschlüpft. Die ganze Materie ist ein
ewig bewegter Strom, alles Gewirkte und alles Wirkende
ein tausendfacher Wechsel, eine Kette ewiger Verwandlungen.
Nichts steht fest. Vorwärts und rückwärts eine
Unendlichkeit in der alles verschwindet. Wie töricht
also jeder, der mit irgend etwas groß tut, oder von
irgendeiner Sache sich hin- und herreißen läßt oder
darüber jammert, als ob der Kummer nicht nur kurze
Zeit währte.
24
Denke, welch ein winziges Stück des
ganzen Weltwesens du bist, wie klein und verschwindend
der Punkt in der ganzen Ewigkeit, auf den du gestellt
bist, und dein Schicksal — welch ein Bruchteil
des gesamten!
25
Hat mich jemand beleidigt — mag
er selbst zusehen. Es ist seine Neigung, seine
Art zu handeln, der er folgte. Ich habe die meinige,
so wie die Natur des Alls sie mir gegeben, und ich
handle so, wie meine Natur will, daß ich handeln soll.
26
Der die Herrschaft führende Teil deines
Wesens bleibe stets ungerührt von den leisen oder
heftigen Regungen in deinem Fleisch. Er mische
sich nicht hinein, beschränke sich auf sein Gebiet
und umgrenze jene Reize in den Gliedern. Steigen
sie aber auf einem anderen Wege der Mitleidenschaft
zur Seele auf, die ja doch immer mit dem Leibe in
Verbindung bleibt, dann ist die Empfindung eine naturgemäße,
und man darf ihr nicht entgegen sein, nur daß die
Vernunft nicht komme und ihr Urteil hinzufüge, ob
hier etwas gut oder böse sei.
27
Lebe mit den Göttern! D.h. zeige
ihnen, daß deine Seele zufrieden sei mit dem, was
sie dir beschieden, daß sie tue, was der Genius will,
den uns der höchste Gott als ein Stück seiner selbst
zum Leiter und Führer gegeben hat. Dieser Genius
aber ist der Geist, die Vernunft eines jeden.
28
Kannst du jemand zürnen, der ein körperliches
Gebrechen hat? Er kann nichts dafür, wenn seine
Nähe dir widerwärtig ist. Ebenso betrachte nun
auch die sittlichen Mängel. Allein der Mensch,
sagst du, hat seine Vernunft, und kann erkennen, was
ihm fehlt. Sehr richtig. Folglich hast du
deine Vernunft auch und kannst durch dein vernünftiges
Verhalten deinen Nächsten zur Vernunft bringen, kannst
dich ihm offenbaren ihn erinnern, und so, wenn er
dich hört, ihn heilen, ohne daß du nötig hättest zu
zürnen oder zu seufzen oder hoffärtig zu sein.
29
Wie du beim Abschied vom Leben über
das Leben denken wirst, so darfst du schon jetzt darüber
denken und danach leben. Hindert man dich, dann
scheide freiwillig, doch so, als erführst du dabei
nichts Übles. “Ein Rauch ist alles? laßt
mich gehen!” Warum scheint dir das so schwer?
Solange mich jedoch nichts dergleichen wirklich zwingt,
die Welt zu verlassen, will ich auch frei bleiben
und mich von niemand hindern lassen zu tun, was ich
will. Denn was ich will, ist entsprechend der
Natur eines vernünftigen, für das Leben in der Gemeinschaft
bestimmten Wesens.
30
Der Geist des Alls ist gesellig.
Er hat die Wesen niederer Gattung um der höheren willen
erzeugt und die der höheren zueinander gefügt.
Man kann es deutlich sehen, wie all sein Tun im Unterordnen
und im Beiordnen besteht, wie er einem jeglichen die
Stellung gab, die seinem Wesen entspricht, und die
Wesen der höchsten Ordnung durch gleichen Sinn einander
einte.
31
Prüfe dich, wie du bis dahin dich
verhalten hast gegen Götter, Eltern, Brüder, Weib,
Kinder, Lehrer, Erzieher, Freunde, Genossen und Diener;
ob du bis dahin keinem unter ihnen auf ungebührliche
Weise begegnet bist mit Wort und Werk. Erinnere
dich, was du schon durchgemacht, und was du imstande
gewesen bist zu tragen. Wie leicht ist´s möglich,
daß die Geschichte deines Lebens bereits vollendet,
dein Dienst vollbracht ist; und wie viel Schönes hast
du schon gesehen wie oft ist´s dir vergönnt gewesen,
Freud und Leid gering zu achten, deinen Ehrgeiz zu
unterdrücken und gegen Unverständige verständig zu
sein!
32
Warum betrüben rohe unerfahrene Gemüter die gebildeten
und erfahrenen?
Aber welche Seele nennst du gebildet und erfahren? Die, welche den
Ursprung und das Ziel der Dinge und die Vernunft kennt, die das ganze
Universum durchdringt und durch die ganze Ewigkeit in bestimmten
Perioden alles verwaltet.
Aber welche Seele nennst du gebildet und erfahren? Die, welche den
Ursprung und das Ziel der Dinge und die Vernunft kennt, die das ganze
Universum durchdringt und durch die ganze Ewigkeit in bestimmten
Perioden alles verwaltet.
33
Wie lange noch, und du bist Staub
und Asche! Und nur der Name lebt noch, ja nicht
einmal der Name; denn was ist er? — Ein bloßer
Schall und Nachklang. Und was im Leben am meisten
geschätzt wird, ist nichtig, faul, von größerer Bedeutung
nicht, als wenn sich ein paar Hunde herumbeißen oder
ein paar Kinder sich zanken, jetzt lachend und dann
wieder weinend. Glaube aber und Ehrfurcht, Gerechtigkeit
und Wahrheit —
— “zum Olymp, der
weitstraßigen Erde entflohen!” Was also hält
dich hier noch fest? Alles sinnlich Wahrnehmbare
ist unbeständig und fort und fort der Verwandlung
unterworfen, die Sinne selbst sind trüb und leicht
zu täuschen und was man Seele nennt, ein Aufdampfen
des Bluts. Ein Berühmtsein in solcher Welt, wie
eitel! So bleibt nur übrig, geduldig zu warten
bis wir verlöschen und unsere Stelle wechseln, und
bis das geschieht, die Götter zu ehren und zu preisen,
den Menschen wohl zu tun, sie zu ertragen oder sich
ihnen zu entziehen. Was aber außerhalb der Grenzen
deines Körper- und Seelenwesens liegt, kann weder dein
werden, noch dich irgend angehen.
34
Stets kann es dir gut gehen, wenn
du richtig wandelst, rechtschaffen denkst und tust.
Denn von jedem denkenden Wesen, sei es Gott oder Mensch,
gilt dieses Zwiefache: einmal, daß es in seinem
Laufe von einem andern nicht aufgehalten werden kann,
und zweitens, daß sein größtes Gut in der gerechten
Sinnes- und Handlungsweise besteht, und sein Streben
darüber nicht hinausgeht.
35
Wenn dies oder jenes, das sich ereignet,
nicht meine Schlechtigkeit noch die Folge meiner Schlechtigkeit
ist, noch ein Schaden, der das Ganze trifft, was kann
es mir verschlagen? Nur muß man darüber im klaren
sein, in welchem Falle das Ganze betroffen wird.
36
Nie darfst du dich mit deinen Gedanken
von den andern losmachen, sondern mußt ihnen helfen
nach besten Kräften und in dem rechten Maße. Sind
sie freilich nur in unwesentlichen Dingen heruntergekommen,
so dürfen sie das nicht für einen wirklichen Schaden
halten. Es ist nur eine schlimme Gewohnheit.
Du für deine Person mache es also immer wie jener Greis,
der beim Weggehen von einem spielenden Kinde sich
dessen Kreisel geben ließ, obwohl er recht gut wußte,
daß es nur ein Spielzeug war. Oder wolltest du,
ständest du vor dem Richterstuhl und hörtest die Frage,
ob du nicht wüßtest, was es mit diesen Dingen auf
sich habe, antworten: “Ja, aber sie schienen
doch dem und jenem so wünschenswert?” und dann
den wohlverdienten Spruch empfangen: “Also,
darum mußtest auch du ein Narr sein!” — So
sei denn endlich einmal, und gerade wenn du recht verlassen
bist, ein glücklicher Mensch, d.i. ein Mensch, der
sich das Glück selbst zu bereiten weiß, d.i. die guten
Regungen der Seele, die guten Vorsätze und die guten
Handlungen.
SECHTES BUCH
1
Der Stoff der Welt ist bildsam und
gefügig, aber etwas Böses kann der ihn beherrschende
Geist damit aus sich selbst heraus nicht vornehmen,
weil Schlechtes in ihm gar keine Statt hat. Durch
ihn kann nichts zu Schaden kommen, und es ist nichts,
was sich nicht ihm gemäß gestaltete und vollendete.
2
Darauf darf dir nichts ankommen, ob
du vor Kälte klappernd oder im Schweiß gebadet deine
Pflicht tust; ob du dabei einschläfst oder des Schlafes
überdrüssig wirst; ob du dadurch in schlechten oder
in guten Ruf kommst; ob du darunter das Leben einbüßest
oder sonst etwas leiden mußt. Denn auch das Sterben
ist ja nur eine von den Aufgaben des Lebens.
Genug, wenn du sie glücklich lösest, sobald sie dir
vorliegt.
3
Sieh auf den Grund jeder Sache!
Ihre Eigenschaften dürfen deinem Blick ebensowenig
wie ihr Wert entgehen.
4
In der Sinnenwelt verwandelt sich
alles sehr schnell und löst sich entweder auf, wenn
die Körperwelt ein Ganzes bleibt, oder zerstreut sich
in Atome.
5
Die alles beherrschende Vernunft weiß
wohl, in welcher Stellung sie sich befindet und auf
welche Art von Stoff sie wirkt.
6
Die beste Art, sich an jemand zu rächen,
ist, es ihm nicht gleich zu tun.
7
Darin allein suche deine Freude und
Erholung, mit dem Gedanken an Gott von einer Liebestat
zur andern zu schreiten!
8
Das nenne ich die Seele oder das die
Herrschaftführende im Menschen, was ihn weckt und
lenkt, was ihn zu dem macht, was er ist und sein will,
und was bewirkt, daß alles, was ihm widerfährt, ihm
so erscheine, wie er´s haben will.
9
Jegliches Ding vollendet sich gemäß
der Natur des Ganzen, nicht in Gemäßheit eines andern
Wesens, das etwa die Dinge von außen umgebe oder eingeschlossen
wäre in ihrem Innern oder gar völlig getrennt von ihnen.
10
Entweder es ist alles ein Gebräu des
Zufalls, Verflechtung und Zerstreuung, oder es gibt
eine Einheit, eine Ordnung, eine Vorsehung. Nehm
ich das erstere an, wie kann ich wünschen in diesem
planlosen Gemisch, in dieser allgemeinen Verwirrung
zu bleiben? Was könnte mir dann lieber sein,
als so bald wie möglich Erde zu werden? Denn die
Auflösung wartete meiner, was ich auch anfinge.
Ist aber das andere, so bin ich mit Ehrfurcht erfüllt
und heiteren Sinnes und vertraue dem Herrscher des
Alls.
11
Wenn in deiner Umgebung etwas geschieht,
was dich aufbringen und empören will, so ziehe dich
rasch in dich selbst zurück, und gib den Eindrücken,
die deine Haltung aufs Spiel setzen, dich nicht über
Gebühr hin. Je öfter wir die harmonische Stimmung
der Seele wiederzugewinnen wissen, desto fähiger werden
wir, sie immer zu behaupten.
12
Wenn du eine Stiefmutter und eine
rechte Mutter zugleich hättest, so würdest du zwar
jene ehren, deine Zuflucht aber doch stets bei dieser
suchen. Ebenso ist es bei mir mit dem Hofleben
und der Philosophie. Hier der Ort, wo ich einkehre,
hier meine Ruhestätte. Auch ist es die Philosophie,
die mir jenes erträglich macht und die mich selbst
erträglich macht an meinem Hofe.
13
Es ist gar nicht so unrecht, wenn
man sich beim Essen und Trinken sagt: also dies
ist der Leichnam eines Fisches, dies der Leichnam eines
Vogels, eines Schweines usw. und beim Falernerwein:
dies hier der ausgedrückte Saft einer Traube, oder
beim Anblick eines Purpurkleides: Was du hier
siehst, sind Tierhaare in Schneckenblut getaucht — denn
solche Vorstellungen geben uns ein Bild der Sache,
wie sie wirklich ist, und dringen in ihr inneres Wesen
ein. — Man mache es nur überhaupt im Leben
so, entkleide alles, was sich uns als des Strebens
würdig aufdrängt, seiner Umhüllung, und sehe von dem
äußeren Glanze ab, mit dem es wichtig tut. Der
Schein ist ein gefährlicher Betrüger. Gerade wenn
du glaubst mit ernsten und hohen Dingen beschäftigt
zu sein, übt er am meisten seine täuschende Gewalt.
14
Die Menge legt den höchsten Wert auf
den Besitz rein sinnlicher Dinge. Teils sind
es Dinge von festem und natürlichem Zusammenhalt, wie
Steine und Holzarten, z.B. Feigenbäume, Weinstöcke
und Ölbäume. Höher hinauf fängt man an den Nutzen
einzusehen, den uns die belebte Natur leistet, wie
Herden von Groß- oder Kleinvieh, und noch eine Stufe
höher die Brauchbarkeit der in unserm Dienst stehenden
Einzelvernunft. Wer aber nichts Edleres und Höheres
kennt, als das allgemeine Vernunftwesen, dem ist jenes
alles geringfügig und unbedeutend. Er hat kein
anderes Interesse, als daß seine Vernunft der allgemeinen
Menschenvernunft entspreche und so sich jederzeit
bewege, und daß er andere seinesgleichen ebendahin
bringe.
15
Hier ist etwas, das im Werden begriffen
ist, dort etwas, das geworden sein möchte; und doch
ist jedes Werdende zum Teil auch schon vergangen.
Dieses Fließen und Wechseln erneuert die Welt fort
und fort, wie der ununterbrochene Schritt der Zeit
die Ewigkeit erneuert. Wolltest du nun auf etwas,
das diesem Strome angehört der nimmer still steht,
einen besonderen Wert legen, so würdest du einem Menschen
gleichen, der eben anfinge, einen vorüberfliegenden
Sperling in sein Herz zu schließen, gerade wenn er
seinen Blicken auch schon entschwunden ist. Ist
doch das Leben selbst nichts anderes als das Verdunsten
des Bluts und das Einatmen der Luft. Und sowie
du, was du eingezogen hast, im nächstfolgenden Augenblick
immer wieder hingibst, so wirst du auch dieses ganze
Atmungsvermögen, das du gestern oder vorgestern empfingst,
wieder hingeben.
16
Nicht das ist das Wichtige, daß wir
ausatmen wie die Pflanzen, einatmen wie die Tiere,
oder daß wir die Bilder der Dinge in unserer Vorstellung
haben, daß wir durch Triebe in Bewegung gesetzt werden,
daß wir uns zusammenscharen, oder daß wir uns nähren — denn
dieselbe Bedeutung hat auch das Ausscheiden der überflüssigen
Nahrung; auch nicht, daß wir beklatscht werden — und
die Ehre ist größtenteils nichts anderes. Sondern
daß man der uns eigentümlichen Bildung gemäß sich gehen
lasse oder an sich halte, worauf ja jedes Studium
und jede Kunst gerichtet ist. Denn jede Arbeit
will nichts anderes als die Dinge ihrem Zweck gemäß
gestalten, wie man am Weingärtner, am Pferdebändiger,
am Lehrer und Pädagogen sehen kann. In dieser
gestaltenden Tätigkeit liegt der ganze Wert unseres
Daseins. Steht es damit gut bei dir, so brauchst
du dir um andere Dinge keine Sorge zu machen.
Hörst du aber nicht auf, auf eine Menge anderer Dinge
Wert zu legen, so bist du auch noch kein freier, selbständiger,
leidenschaftsloser Mensch, sondern stets in der Lage,
neidisch und eifersüchtig und hinterlistig zu sein
gegen die, die besitzen, was du so hochstellst, und
argwöhnisch, daß es dir einer nehmen möchte, und in
Verzweiflung, wenn es dir fehlt, und voll Tadel gegen
die Götter. Ist es aber die Gesinnung allein,
die deinen Wert und deine Würde in deinen Augen ausmacht,
so wirst du dich selber achten, deinen Nebenmenschen
gefallen und die Götter loben und preisen können.
17
Aufwärts und niederwärts — ein
Kreislauf ist die Bewegung der Urstoffe. Auch
die Tugend geht ihren Gang, doch er ist ganz anderer
Art, mehr so wie der Lauf, den das Göttliche nimmt.
Mag er auch schwer zu begreifen sein: das sieht
man, daß sie vorwärts schreitet.
18
Was tut man? Die Zeitgenossen
mag man nicht rühmen, aber von den Nachkommen, die
man nicht kennt noch jemals kennen wird, will man
gerühmt werden. Ist das nicht gerade so, wie wenn´s
dich schmerzte, daß deine Vorfahren nichts von dir
zu rühmen hatten?
19
Denke nicht, wenn dir etwas schwer
fällt, es sei nicht menschen-möglich. Und was
nur irgendeinem Menschen möglich und geziemend ist,
davon sei überzeugt daß es auch für dich erreichbar
sein wird.
20
Wenn uns in der Fechtschule jemand
geritzt oder beim Ringen einen Schlag versetzt hat,
so tragen wir ihm das gewiß nicht nach, fühlen uns
auch nicht beleidigt und denken nichts Übles von dem
Menschen; wir nehmen uns wohl vor ihm in acht, aber
nicht als vor einem Feinde, der uns verdächtig sein
müßte, sondern nur so, daß wir ihm ruhig aus dem Wege
gehen. Machten wir es doch im Leben auch so!
Ließen wir doch da auch so manches unbeachtet, was
uns von denen widerfährt, mit denen wir ringen.
Es steht uns ja immer frei, den Leuten, wie ich´s genannt
habe, aus dem Wege zu gehen, ohne Argwohn und ohne
Groll.
21
Wenn mich jemand überzeugen und mir
beweisen kann, daß meine Ansicht oder meine Handlungsweise
nicht die richtige sei, so will ich sie mit Freuden
ändern. Denn ich suche die Wahrheit, sie, die
niemand Schaden zufügt. Wohl aber nimmt Derjenige
Schaden, der auf seinem Irrtum und seiner Unwissenheit
beharrt.
22
Ich suche das meinige zu tun:
alles übrige, alles was leblos oder vernunftlos oder
seines Weges unkundig und verirrt ist, geht mich nichts
an und kann mich nicht irremachen.
23
Die unvernünftigen Tiere und alle
vernunftlosen Dinge, die dir, dem Vernunftbegabten
zu Gebote stehen, magst du mit edlem, freiem Sinn
gebrauchen. Die Menschen aber, die ebenso vernunftbegabten,
brauche so, daß du auf die Verbindung Rücksicht nimmst,
in der du von Natur mit ihnen stehst. Und bei
allem, was du tust, rufe die Götter an, ohne dir Sorge
zu machen um das “Wie lang?”, denn selbst
drei Stunden Lebensfrist genügten!
24
Alexander der Große und sein Maultiertreiber
sind beide an denselben Ort gegangen. Entweder
wurden sie beide in dieselben Kräfte der zu immer
neuen Schöpfungen bereiten Welt aufgenommen, oder sie
lösten sich beide auf gleiche Weise in ihre Atome
auf.
25
Bedenke, wie vielerlei in einem jeden
unter uns in einem und demselben Augenblick zugleich
vorgeht, sei´s Leibliches, sei´s Geistiges. So
kannst du dich nicht wundern, wenn so viel mehr, wenn
alles, was geschieht in dem einen und allen, das wir
Welt nennen, zugleich vorhanden ist.
26
Wenn jemand dich fragte, wie der Name
Antonin geschrieben wird, würdest du da nicht jeden
Buchstaben deutlich und mit gehaltener Stimme angeben?
Warum machst du´s nicht auch so, wenn jemand mit dir
zankt? Warum zankst du wieder und bringst deine
Worte nicht ruhig und gemessen vor? Auf die Gemessenheit
kommt´s an bei jeder Pflichterfüllung. Bewahre
sie dir, laß dich nicht aufbringen, leide den, der
dich nicht leiden kann, und gehe ruhig deines Weges.
27
Welch ein Mangel an Bildung, wenn
du den Menschen verbieten willst, nach dem zu streben,
was ihnen gut und nützlich scheint! Und doch tust
du´s gewissermaßen immer, wenn du darüber Klage führst,
daß sie unrecht handeln. Denn auch dabei sind
sie doch stets um das bemüht, was ihnen gut und nützlich
ist. Du sagst, es sei nicht so, es sei nicht das
wahrhaft Nützliche. Darum belehre sie und zeige
es ihnen, ohne darüber zu klagen.
28
Der Tod ist das Ausruhen von den Widersprüchen
der sinnlichen Wahrnehmungen, von den Regungen unserer
Leidenschaften, von den Entwicklungen unseres Geistes
und von dem Dienst des Fleisches.
29
Schändlich ist es, wenn die Seele
in deinem Leben eher den Dienst versagt, als der Leib
ermüdet ist.
30
Nimm dich in acht ein Tyrann zu werden,
es liegt etwas Ansteckendes in dieser Hofluft.
Bewahre deine Einfalt, Tugend, Reinheit, Würde, deine
Natürlichkeit, Gottesfurcht, deine Gerechtigkeitsliebe,
deine Liebe und Güte und deinen Eifer in Erfüllung
der Pflicht. Ringe danach, daß du bleibst, wie
dich die Philosophie haben will. Ehre die Götter
und sorge für das Heil der Menschen! Das Leben
ist kurz. Daß es dir eine Frucht nicht schuldig
bleibe: die heilige Gesinnung, aus der die Werke
für das Wohl der andern fließen! Drum sei in
allen Stücken ein Schüler deines Vorgängers Antonin!
so beharrlich und fest wie er im Gehorsam gegen die
Gebote der Vernunft, so gleichmütig in allen Dingen,
so ehrwürdig und heiter und warm, auch im Äußeren,
so freundlich, so fern von jeder Ruhmbegier und doch
so eifrig, alles zu begreifen und in sich zu verarbeiten!
Unterließ er doch nichts, wovon er sich nicht zuvor
gründlich überzeugt hätte, daß es untunlich sei; ertrug
er doch geduldig alle, die in ungerechter Weise tadelten,
ohne sie wieder zu tadeln. Nichts betrieb er
auf eilfertige Manier, und niemals fanden Verleumdungen
bei ihm Gehör. Wie selbständig war sein Urteil
über die Sitten und Handlungen seiner Umgebung!
Darum war er auch gänzlich fern von Schmähsucht oder
von Ängstlichkeit, von Mißtrauen oder von der Sucht,
andere zu meistern. Wie wenig Bedürfnisse er hatte,
konnte man sehen an seiner Art zu wohnen, zu schlafen,
sich zu kleiden, zu speisen und sich bedienen zu lassen.
Und wie geduldig war er und langmütig! Seine
freundschaftlichen Verbindungen hielt er fest; er konnte
die gut leiden, die seinen Ansichten offen widersprachen,
und sich freuen über jeden, der ihm das Bessere zeigte.
Dabei hat er die Götter geehrt, ohne in Aberglauben
zu verfallen. Und so nimm ihn dir zum steten Vorbild,
damit du so wie er dem Tode mit gutem Gewissen entgegengehen
kannst.
31
Besinne dich, komm wieder zu dir.
Wie du beim Aufwachen gesehen, daß es Träume waren,
was dich beunruhigt hat: siehe auch das, was dir
im Wachen begegnet, nicht anders an!
32
Für den Leib des Menschen ist alles
gleichgültig, d.h. eine unterschiedslose Masse, denn
er hat die Fähigkeit nicht zu unterscheiden.
Aber auch für die Seele ist alles gleich, was nicht
ihre eigene Tätigkeit betrifft. Alles aber, was
eine Wirkung der Seele ist, hängt auch lediglich von
ihr ab, vorausgesetzt, daß sie sich auf etwas Gegenwärtiges
bezieht. Denn was sie zu tun haben wird oder getan
hat, ist auch kein Gegenstand für sie.
33
Keine Arbeit für meine Hände oder
meine Füße ist widernatürlich, solange sie nur in
den Bereich dessen fällt, was Hände und Füße zu tun
haben. Ebenso gibt es für den Menschen als solchen
keine Anstrengung, die man unnatürlich nennen könnte,
sobald der Mensch dabei tut, was menschlich ist.
Ist sie aber nichts Unnatürliches, dann ist sie gewiß
auch nichts Übles.
34
Was sind´s für Freuden, die der Ehebrecher,
Räuber, Mörder, der Tyrann empfindet?
35
Siehst du nicht, wie der gewöhnliche
Künstler sich zwar nach dem Geschmack des Publikums
zu richten weiß, aber doch an den Vorschriften seiner
Kunst festhält und ihren Regeln zu genügen strebt?
Und ist es nicht schlimm, wenn Leute wie der Architekt,
der Arzt das Gesetz ihrer Kunst besser im Auge behalten,
als der Mensch das Gesetz seines Lebens, das er gemein
hat mit den Göttern?!
36
Was ist Asien und Europa? ein paar
kleine Stückchen der Welt. Was ist das ganze
Meer? ein Tropfen der Welt. Und der Athos? eine
Weltscholle. Alles ist klein, veränderlich, verschwindend.
Aber alles kommt und geht hervor oder folgt aus jenem
allwaltenden Geiste. Und das Schädliche und Giftige
ist nur ein Anhängsel des Wohltätigen und Schönen.
Denke nicht, daß es mit dem, was du verehrst, nichts
zu schaffen habe; sondern siehe bei allem nur immer
auf die Quelle!
37
Wer sieht, was heute geschieht, hat
alles gesehen, was von Ewigkeit war und in Ewigkeit
sein wird. Denn es ist alles von derselben Art
und Gestalt.
38
Alle Dinge stehen untereinander in
Verbindung und sind insofern einander befreundet.
Eines folgt dem andern und bildet mit ihm eine Reihe,
durch die Gemeinschaft des Ortes oder des Wesens vermittelt.
39
Schmiege dich in die Verhältnisse, die dir gesetzt
sind, und liebe die
Menschen, mit denen du verbunden bist, liebe sie wahrhaft!
Menschen, mit denen du verbunden bist, liebe sie wahrhaft!
40
Jedes Werkzeug und Gefäß ist gut,
wenn es imstand ist zu leisten, wozu es gemacht wurde,
wenn auch der, der es verfertigte, längst fort ist.
In der Natur aber tragen alle Dinge die sie bildende
Kraft in sich und behalten sie, solange sie selber
sind. Und um so ehrwürdiger erscheint diese Kraft,
je mehr du ihrem Bildungstriebe folgst, d.h. je mehr
sich alles in dir nach dem Geiste richtet. Denn
im Universum richtet sich auch alles nach dem Geiste.
41
Solange du etwas, was keine Sache
des Vorsatzes und des freien Willens ist, für gut
oder böse hältst, so lange kannst du auch nicht umhin,
wenn dich ein Unfall betrifft oder das Glück ausbleibt,
die Götter zu tadeln oder die Menschen zu hassen als
die Urheber deines Unglücks, die — vermutlich
wenigstensschuld sind, daß du leidest. Und so
verführt uns dieser Standpunkt zu mancher Ungerechtigkeit.
Wenden wir dagegen die Begriffe Gut und Böse nur bei
den Dingen an, die in unserer Macht stehen, so fällt
jeder Grund weg, Gott anzuklagen und uns feindlich
zu stellen gegen irgendeinen Menschen.
42
Wir alle arbeiten an der Vollendung
eines Werkes, die einen mit Bewußtsein und Verstand,
die anderen unbewußt. Sogar die Schlafenden nennt,
wenn ich nicht irre, Heraklit Arbeiter, Mitarbeiter
an dem, was in der Welt geschieht. Aber jeder
auf andere Art. Luxusarbeit ist die Arbeit des
Tadlers, dessen, der den Ereignissen entgegenzutreten
wagt und das Geschehene ungeschehen machen will.
Denn auch solche Leute braucht das Weltganze.
Und du mußt wissen, zu welchen du gehörst. Er,
der alles Verwaltende wird sich deiner schon auf angemessene
Weise bedienen und dich schon aufnehmen in die Zahl
der Mitarbeiter und Gehilfen. Du aber sorge dafür,
daß du nicht bist wie jener schlechte Vers im Gedicht,
dessen Chrysipp gedenkt!
43
Will denn die Sonne leisten, was der
Regen leistet? Will Äskulap als Fruchtspender
etwas hervorbringen? Will auch nur einer von den
Sternen ganz dasselbe, was der andere will? Und
doch fördern alle dasselbe Werk.
44
Wenn die Götter überhaupt über mich
und über das, was geschehen soll, ratschlagen, dann
ist ihr Rat auch ein guter. Denn einmal, einen
ratlosen Gott kann man sich nicht leicht vorstellen.
Und dann, aus welchem Grunde sollten sie mir weh tun
wollen? Was könnte dabei für sie oder für das
Ganze, dem sie besonders vorstehen, herauskommen?
Betreffen ihre Beratungen aber nicht meine besonderen
Angelegenheiten so doch gewiß die allgemeinen der
Welt, aus denen dann auch die meinigen sich ergeben,
und die ich willkommen heißen und lieben muß.
Kümmern sie sich aber um gar nichts, was wir jedoch
nicht glauben dürfen — und was würde dann
aus unsern Opfern, unsern Gebeten, unsern Eidschwüren
und aus alle dem, was wir lediglich in der Voraussetzung
zu tun pflegen, daß die Götter da sind und daß sie
mit uns leben? — aber gesetzt, sie kümmerten
sich nicht um meine Angelegenheiten so liegt es doch
mir selbst ob, mich darum zu kümmern. Denn dazu
habe ich meine Vernunft daß ich weiß, was mir dienlich
ist.
45
Was überall und jedem geschieht, ist
dem Ganzen zuträglich. Schon dies wäre hinreichend.
Doch bei genauer Beobachtung wirst du überall auch
das noch finden: Was dem einen widerfährt, ist
auch dem andern zuträglich. Hier ist nämlich
das Wort “zuträglich” allgemein zu verstehen,
auch von den gleichgültigsten Dingen.
46
Was du im Theater und an ähnlichen
Orten empfindest, wo sich deinem Auge ein und dasselbe
Schauspiel immer wieder darbietet bis zum Ekel, das
hast du im Leben eigentlich fortwährend zu leiden.
Denn alles, was geschieht, von welcher Seite es auch
kommen mag, ist doch immer dasselbe. Wie lange
wird´s nur noch dauern?
47
Stelle dir beständig die Gestorbenen
jeden Standes, jeder Berufsart und jeden Stammes vor,
steige in dieser Reihe bis zu einem Philistion, einem
Phöbus und Origanion hinunter! Dann gehe zu den
anderen Klassen über! Auch wir müssen ja unsere
Wohnung dorthin verlegen, wo so viele gewaltige Redner,
so viele ehrwürdige Philosophen, wie Heraklit, Pythagoras
und Sokrates, ferner so viele Helden der Vorzeit, so
viele Heerführer und Gewaltherrscher späterer Tage
und außer diesen Eudorus, Hipparch, Archimedes und
andere scharfsinnige, hochherzige, arbeitslustige,
gewandte, selbstgefällige Geister, ja selbst jene
spöttischen Verächter des hinfälligen kurzdauernden
Menschenlebens, wie ein Menippus und so viele andere
seiner Art verweilen. Von diesen allen stelle
dir vor, daß sie längst beigesetzt sind. Was liegt
nun für sie Furchtbares darin? Was denn für jene,
deren Namen überhaupt nicht mehr genannt werden?
Da ist eines nur von hohem Wert, nämlich Wahrheit und
Gerechtigkeit getreu durchs ganze Leben zu üben, auch
im Kampf gegen Lügner und Ungerechte.
48
Willst du dir eine Freude bereiten,
so richte deinen Blick auf die trefflichen Eigenschaften
deiner Zeitgenossen und siehe, wie der eine ein so
hohes Maß von Tatkraft, der andere von Bescheidenheit
besitzt, wie freigebig der dritte ist usf. Denn
nichts ist so erquicklich als das Bild von Tugenden,
die sich in den Sitten der mit uns Lebenden offenbaren
und reichlich unserm Blick sich darbieten. Darum
halte es dir nun auch beständig vor Augen!
49
Ärgert´s dich, daß du nur so viel
Pfund wiegst und nicht mehr? So sei auch nicht
ärgerlich darüber, daß dir nicht länger zu leben bestimmt
ist. Denn wie jeder zufrieden ist mit seinem Körpergewicht,
so sollten wir alle auch zufrieden sein mit der uns
zugemessenen Lebensdauer.
50
Komm, wir wollen versuchen sie zu
überreden! Handle aber auch gegen ihren Willen,
wenn es Gerechtigkeit und Vernunft gebieten. Hindern
sie uns mit Gewalt, so benutzen wir dieses Hemmnis
zur Übung in einer andern Tugend, im Gleichmut und
in der Seelenruhe. Denn alles, was wir erstreben,
erstreben wir ja nur unter gewissen Voraussetzungen.
Halten diese nicht Stich — wer wird das Unmögliche
wollen? Nur daß unser Streben ein edles war!
Denn ein solches trägt seinen Lohn in sich selbst — wie
alles, was wir tun, wenn wir unserer innersten Natur
gehorchen.
51
Der Ehrgeizige setzt sein Glück in
die Tätigkeit eines andern, der Vergnügungssüchtige
in die eigene Leidenschaft, der Vernünftige in seine
Handlungsweise.
52
Du hast es gar nicht nötig, dir über
irgendeine Sache Gedanken zu machen und deine Seele
zu beschweren. Denn eine absolute Notwendigkeit
zum Urteil liegt niemals in den Dingen.
53
Gewöhne dich, wenn du jemand sprechen
hörst, so genau als möglich hinzuhören, und dich in
seine Seele zu versetzen.
54
Was dem Schwarm nicht zuträglich ist, taugt auch nichts
für die einzelne
Biene.
Biene.
55
Dem Gelbsüchtigen schmeckt der Honig
bitter; der von einem tollen Hunde Gebissene scheut
das Wasser; das Kind kennt nichts Schöneres als seinen
Ball. Wie kannst du zürnen? Verlangst du,
daß der Irrtum weniger Einfluß haben soll als eine
kranke Galle, als ein dem Körper eingeflößtes Gift?
56
Niemand kann dich hindern, dem Gesetze
deiner eigensten Natur zu folgen. Was du im Widerspruch
mit der allgemeinen Menschennatur tust, wird dir nicht
gelingen.
57
Wollten die Schiffsleute den Steuermann,
die Kranken den Arzt schmähen, würden sie dann sonst
noch auf jemand achten? Aber wie sollte jener
der Mannschaft eine glückliche Landung oder dieser
den Leidenden Genesung verschaffen?
58
Wie viele von denen, mit denen ich
zusammen die Welt betreten habe, sind schon wieder
daraus geschieden!
59
Wer sind die, denen man gefallen möchte,
und um welcher Vorteile willen und durch welcherlei
Mittel? Wie schnell wird die Zeit alles verschlingen
und wie vieles hat sie schon verschlungen!
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