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Wednesday, July 1, 2015

EMILIA GALOTTI von GOTTHOLD EPHRAIM LESSING ( Fragment)




http://www.plathey.net/livres/germanophone/photos/gotthold-ephraim-lessing.jpg


Gotthold Ephraim Lessing  1729 - 1781



Gotthold Ephraim Lessing war ein bedeutender Dichter der deutschen Aufklärung. Mit seinen Dramen und seinen theoretischen Schriften, die vor allem dem Toleranzgedanken verpflichtet sind, hat dieser Aufklärer der weiteren Entwicklung des Theaters einen wesentlichen Weg gewiesen und die öffentliche Wirkung von Literatur nachhaltig beeinflusst. Lessing ist der erste deutsche Dramatiker, dessen Werk bis heute ununterbrochen in den Theatern aufgeführt wird.

"Emilia Galotti" von Gotthold Ephraim Lessing ist ein Trauerspiel in fünf Aufzügen, das 1772 uraufgeführt wurde. Die Handlung spielt im 18.Jahrhundert in der italienischen Stadt Gustalla und ihrer Umgebung.




http://www.karl-leisner.de/wp-content/uploads/2014/05/2014_05_20_Emilia2.jpg




PERSONEN:

Emilia Galotti

Odoardo und Claudia Galotti, Eltern der Emilia

Hettore Gonzaga, Prinz von Guastalla

Marinelli, Kammerherr des Prinzen

Camillo Rota, einer von des Prinzen Räten


Conti, Maler

Graf Appiani

Gräfin Orsina

Angelo und einige Bediente
ERSTER  AUFZUG

Die Szene: ein Kabinett des Prinzen.
Erster Auftritt

DER PRINZ - (an einem Arbeitstische voller Briefschaften und Papiere, deren einige er durchläuft). Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften!—Die traurigen Geschäfte; und man beneidet uns noch!—Das glaub ich; wenn wir allen helfen könnten: dann wären wir zu beneiden.—Emilia? (Indem er noch eine von den Bittschriften aufschlägt und nach dem unterschriebenen Namen sieht.) Eine Emilia?—Aber eine Emilia Bruneschi—nicht Galotti. Nicht Emilia Galotti!—Was will sie, diese Emilia Bruneschi? (Er lieset.) Viel gefodert, sehr viel.—Doch sie heißt Emilia. Gewährt! (Er unterschreibt und klingelt, worauf ein Kammerdiener hereintritt.) Es ist wohl noch keiner von den Räten in dem Vorzimmer?
DER KAMMERDIENER -  Nein.

DER PRINZ -  Ich habe zu früh Tag gemacht. Der Morgen ist so schön. Ich will ausfahren. Marchese Marinelli soll mich begleiten. Laßt ihn rufen. (Der Kammerdiener geht ab.) Ich kann doch nicht mehr arbeiten.  Ich war so ruhig, bild ich mir ein, so ruhig .Auf einmal muß eine arme Bruneschi Emilia heißen: weg ist meine Ruhe, und alles!

Der Kammerdiener (welcher wieder hereintritt). Nach dem Marchese ist geschickt. Und hier, ein Brief von der Gräfin Orsina.


DER PRINZ - Der Orsina ? Legt ihn hin.

DER KAMMERDIENER -   Ihr Läufer wartet.

DER PRINZ -  Ich will die Antwort senden; wenn es einer bedarf. Wo ist sie ? In der Stadt ? oder auf ihrer Villa ?

DER KAMMERDIENER-  Sie ist gestern in die Stadt gekommen.
DER PRINZ -  Desto schlimmer besser, wollt' ich sagen. So braucht der Läufer um so weniger zu warten. (Der Kammerdiener geht ab.) Meine teure Gräfin! (Bitter, indem er den Brief in die Hand nimmt) So gut, als gelesen! (und ihn wieder wegwirft.) Nun ja; ich habe sie zu lieben geglaubt ! Was glaubt man nicht alles ? Kann sein, ich habe sie auch wirklich geliebt. Aber, ich habe !

DER KAMMERDIENER (der nochmals hereintritt).-  Der Maler Conti will die Gnade haben.

DER PRINZ - Conti ? Recht wohl; laßt ihn hereinkommen.  Das wird mir andere Gedanken in den Kopf bringen. (Steht auf.)
Zweiter Auftritt
Conti. Der Prinz.
DER PRINZ - Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie? Was macht die Kunst?

CONTI - Prinz, die Kunst geht nach Brot.

DER PRINZer -  Das muß sie nicht; das soll sie nicht in meinem kleinen Gebiete gewiß nicht. Aber der Künstler muß auch arbeiten wollen.

CONTI - Arbeiten ? Das ist seine Lust. Nur zu viel arbeiten müssen kann ihn um den Namen Künstler bringen.

DER PRINZ - Ich meine nicht vieles, sondern viel; ein weniges, aber mit Fleiß. Sie kommen doch nicht leer, Conti ?

CONTI - Ich bringe das Porträt, welches Sie mir befohlen haben, gnädiger Herr. Und bringe noch eines, welches Sie mir nicht befohlen: aber weil es gesehen zu werden verdient.

DER PRINZ-  Jenes ist? Kann ich mich doch kaum erinnern.

CONTI- Die Gräfin Orsina.

DER PRINZ - Wahr! Der Auftrag ist nur ein wenig von lange her.

CONTI - Unsere schönen Damen sind nicht alle Tage zum Malen. Die Gräfin hat, seit drei Monaten, gerade einmal sich entschließen können zu sitzen.

DER PRINZ- Wo sind die Stücke?

CONTI -  In dem Vorzimmer, ich hole sie.
Dritter Auftritt

DER PRINZ - Ihr Bild! mag! Ihr Bild, ist sie doch nicht selber. Und vielleicht find ich in dem Bilde wieder, was ich in der Person nicht mehr erblicke. Ich will es aber nicht wiederfinden. Der beschwerliche Maler! Ich glaube gar, sie hat ihn bestochen. Wär' es auch ! Wenn ihr ein anderes Bild, das mit andern Farben, auf einen andern Grund gemalet ist in meinem Herzen wieder Platz machen will: —Wahrlich, ich glaube, ich wär' es zufrieden. Als ich dort liebte, war ich immer so leicht, so fröhlich, so ausgelassen. Nun bin ich von allem das Gegenteil. Doch nein; nein, nein! Behäglicher oder nicht behäglicher: ich bin so besser.
Vierter Auftritt

Der Prinz. Conti mit den Gemälden, wovon er das eine verwandt gegen einen Stuhl lehnet.

CONTI - (indem er das andere zurechtstellet). Ich bitte, Prinz, daß Sie die Schranken unserer Kunst erwägen wollen. Vieles von dem Anzüglichsten der Schönheit liegt ganz außer den Grenzen derselben. Treten Sie so!

DER PRINZ - (nach einer kurzen Betrachtung). Vortrefflich, Conti, ganz vortrefflich! Das gilt Ihrer Kunst, Ihrem

Pinsel. Aber geschmeichelt, Conti; ganz unendlich geschmeichelt!

CONTI - Das Original schien dieser Meinung nicht zu sein. Auch ist es in der Tat nicht mehr geschmeichelt, als die Kunst schmeicheln muß. Die Kunst muß malen, wie sich die plastische Natur wenn es eine gibt das Bild dachte: ohne den Abfall, welchen der widerstrebende Stoff unvermeidlich macht; ohne den Verderb, mit welchem die Zeit dagegen ankämpfet.

DER PRINZ - Der denkende Künstler ist noch eins soviel wert. Aber das Original, sagen Sie, fand demungeachtet.

CONTI - Verzeihen Sie, Prinz.Das Original ist eine Person, die meine Ehrerbietung fodert. Ich habe

nichts Nachteiliges von ihr äußern wollen.

DER PRINZ - Soviel als Ihnen beliebt! Und was sagte das Original ?

CONTI - Ich bin zufrieden, sagte die Gräfin, wenn ich nicht häßlicher aussehe.

DER PRINZ - Nicht häßlicher ? O das wahre Original!

CONTI -  Und mit einer Miene sagte sie das von der freilich dieses ihr Bild keine Spur, keinen Verdacht zeiget.

DER PRINZ -  Das meint' ich ja; das ist es eben, worin ich die unendliche Schmeichelei finde. Oh! ich kenne sie, jene stolze, höhnische Miene, die auch das Gesicht einer Grazie entstellen würde!  Ich leugne nicht, daß ein schöner Mund, der sich ein wenig spöttisch verziehet, nicht selten um so viel schöner ist. Aber, wohl gemerkt, ein wenig: die Verziehung muß nicht bis zur Grimasse gehen, wie bei dieser Gräfin. Und Augen müssen über den wollüstigen Spötter die Aufsicht führen Augen, wie sie die gute Gräfin nun gerade gar nicht hat. Auch nicht einmal hier im Bilde hat.

CONTI - Gnädiger Herr, ich bin äußerst betroffen.

DER PRINZ - Und worüber? Alles, was die Kunst aus den großen, hervorragenden, stieren, starren Medusenaugen der Gräfin Gutes machen kann, das haben Sie, Conti, redlich daraus gemacht. Redlich, sag ich? Nicht so redlich, wäre redlicher. Denn sagen Sie selbst, Conti, läßt sich aus diesem Bilde wohl der Charakter der Person schließen? Und das sollte doch. Stolz haben Sie in Würde, Hohn in Lächeln, Ansatz zu trübsinniger Schwärmerei in sanfte Schwermut verwandelt.


CONTI (etwas ärgerlich). - Ah, mein Prinz wir Maler rechnen darauf, daß das fertige Bild den Liebhaber noch ebenso warm findet, als warm er es bestellte. Wir malen mit Augen der Liebe: und Augen der Liebe müßten uns auch nur beurteilen.

DER PRINZ -  Je nun, Conti, warum kamen Sie nicht einen Monat früher damit? Setzen Sie weg. Was ist das andere Stück?

CONTI (indem er es holt und noch verkehrt in der Hand hält). - Auch ein weibliches Porträt.

DER PRINZ - So möcht' ich es bald lieber gar nicht sehen. Denn dem Ideal hier (mit dem Finger auf die Stirne) oder vielmehr hier (mit dem Finger auf das Herz) kömmt es doch nicht bei. Ich wünschte, Conti,
Ihre Kunst in andern Vorwürfen zu bewundern.

CONTI - Eine bewundernswürdigere Kunst gibt es, aber sicherlich keinen bewundernswürdigern Gegenstand als diesen.

DER PRINZ - So wett ich, Conti, daß es des Künstlers eigene Gebieterin ist. (Indem der Maler das Bild umwendet.) Was seh ich? Ihr Werk, Conti? oder das Werk meiner Phantasie? Emilia Galotti!

CONTI - Wie, mein Prinz? Sie kennen diesen Engel?

DER PRINZ (indem er sich zu fassen sucht, aber ohne ein Auge von dem Bilde zu verwenden). - So halb! -um sie eben wiederzukennen. Es ist einige Wochen her, als ich sie mit ihrer Mutter in einer Vegghia traf. Nachher ist sie mir nur an heiligen Stätten wieder vorgekommen, wo das Angaffen sich weniger ziemet. Auch kenn ich ihren Vater. Er ist mein Freund nicht. Er war es, der sich meinen Ansprüchen auf Sabionetta am meisten widersetzte. Ein alter Degen, stolz und rauh, sonst bieder und gut!.

CONTI - Der Vater! Aber hier haben wir seine Tochter.


DER PRINZ -  Bei Gott! wie aus dem Spiegel gestohlen! (Noch immer die Augen auf das Bild geheftet.) Oh, Sie wissen es ja wohl, Conti, daß man den Künstler dann erst recht lobt, wenn man über sein Werk sein
Lob vergißt.

CONTI - Gleichwohl hat mich dieses noch sehr unzufrieden mit mir gelassen. Und doch bin ich wiederum sehr zufrieden mit meiner Unzufriedenheit mit mir selbst. Ha! daß wir nicht unmittelbar mit den Augen malen! Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den Pinsel, wieviel geht da verloren! Aber, wie ich sage, daß ich es weiß, was hier verlorengegangen und wie es verlorengegangen und warum es verlorengehen müssen: darauf bin ich ebenso stolz und stolzer, als ich auf alles das bin, was ich nicht verlorengehen lassen. Denn aus jenem erkenne ich, mehr als aus diesem, daß ich wirklich ein großer Maler bin, daß es aber meine Hand nur nicht immer ist. Oder meinen Sie, Prinz, daß Raffael nicht das größte malerische Genie gewesen wäre, wenn er unglücklicherweise ohne Hände wäre geboren worden? Meinen Sie, Prinz?

DER PRINZ (indem er nur eben von dem Bilde wegblickt). - Was sagen Sie, Conti ? Was wollen Sie wissen ?

CONTI - O nichts, nichts! Plauderei! Ihre Seele, merk ich, war ganz in Ihren Augen. Ich liebe solche Seelen und solche Augen.

DER PRINZ (mit einer erzwungenen Kälte). - Also, Conti, rechnen Sie doch wirklich Emilia Galotti mit zu den vorzüglichsten Schönheiten unserer Stadt?

CONTI - Also? mit? mit zu den vorzüglichsten? und den vorzüglichsten unserer Stadt? Sie spotten meiner, Prinz. Oder Sie sahen die ganze Zeit ebensowenig, als Sie hörten.

DER PRINZ - Lieber Conti (die Augen wieder auf das Bild gerichtet,) wie darf unsereiner seinen Augen trauen? Eigentlich weiß doch nur allein ein Maler von der Schönheit zu urteilen.

CONTI - Und eines jeden Empfindung sollte erst auf den Ausspruch eines Malers warten? Ins Kloster mit dem, der es von uns lernen will, was schön ist! Aber das muß ich Ihnen doch als Maler sagen, mein Prinz: eine von den größten Glückseligkeiten meines Lebens ist es, daß Emilia Galotti mir gesessen. Dieser Kopf, dieses Antlitz, diese Stirne, diese Augen, diese Nase, dieser Mund, dieses Kinn, dieser Hals, diese Brust, dieser Wuchs, dieser ganze Bau, sind, von der Zeit an, mein einziges Studium der weiblichen Schönheit. Die Schilderei selbst, wovor sie gesessen, hat ihr abwesender Vater bekommen. Aber diese Kopie...

DER PRINZ (der sich schnell gegen ihn kehret).- Nun, Conti? ist doch nicht schon versagt?

CONTI -  Ist für Sie, Prinz, wenn Sie Geschmack daran finden.

DER PRINZ - Geschmack! (Lächelnd.) Dieses Ihr Studium der weiblichen Schönheit, Conti, wie könnt' ich besser tun, als es auch zu dem meinigen zu machen? Dort, jenes Porträt nehmen Sie nur wieder mit—einen Rahmen darum zu bestellen.

CONTI -  Wohl!

DER PRINZ - So schön, so reich, als ihn der Schnitzer nur machen kann. Es soll in der Galerie aufgestellet werden. Aber dieses bleibt hier. Mit einem Studio macht man soviel Umstände nicht: auch läßt man das
nicht aufhängen, sondern hat es gern bei der Hand. Ich danke Ihnen, Conti; ich danke Ihnen recht sehr. Und wie gesagt: in meinem Gebiete soll die Kunst nicht nach Brot gehen bis ich selbst keines habe. Schicken Sie, Conti, zu meinem Schatzmeister, und lassen Sie, auf Ihre Quittung, für beide Porträte sich bezahlen was Sie wollen. Soviel Sie wollen, Conti.

CONTI -  Sollte ich doch nun bald fürchten, Prinz, daß Sie so noch etwas anders belohnen wollen als die Kunst.

DER PRINZ - O des eifersüchtigen Künstlers! Nicht doch!—Hören Sie, Conti; soviel Sie wollen. (Conti geht ab.)
Fünfter Auftritt

DER PRINZ - Soviel er will! (Gegen das Bild.) Dich hab ich für jeden Preis noch zu wohlfeil. Ah! schönes Werk der Kunst, ist es wahr, daß ich dich besitze? Wer dich auch besäße, schönres Meisterstück der Natur! Was Sie dafür wollen, ehrliche Mutter! Was du willst, alter Murrkopf! Fodre nur! Fodert nur! Am liebsten kauft' ich dich, Zauberin, von dir selbst! Dieses Auge voll Liebreiz und Bescheidenheit! Dieser Mund! Und wenn er sich zum Reden öffnet! wenn er lächelt! Dieser Mund! Ich höre kommen. Noch bin ich mit dir zu neidisch. (Indem er das Bild gegen die Wand drehet.) Es wird Marinelli sein. Hätt' ich ihn doch nicht rufen lassen! Was für einen Morgen könnt' ich haben!
Sechster Auftritt

Marinelli. Der Prinz.
MARINELLI-  Gnädiger Herr, Sie werden verzeihen.—Ich war mir eines so frühen Befehls nicht gewärtig.

DER PRINZ - Ich bekam Lust, auszufahren. Der Morgen war so schön. Aber nun ist er ja wohl verstrichen; und die Lust ist mir vergangen. (Nach einem kurzen Stillschweigen.) Was haben wir Neues, Marinelli?

MARINELLI - Nichts von Belang, das ich wüßte. Die Gräfin Orsina ist gestern zur Stadt gekommen.

DER PRINZ - Hier liegt auch schon ihr guter Morgen (auf ihren Brief zeigend) oder was es sonst sein mag! Ich bin gar nicht neugierig darauf. Sie haben sie gesprochen?

MARINELLI -  Bin ich, leider, nicht ihr Vertrauter? Aber, wenn ich es wieder von einer Dame werde, der es einkömmt, Sie in gutem Ernste zu lieben, Prinz: so...

DER PRINZ - Nichts verschworen, Marinelli!


MARINELLI - Ja? In der Tat, Prinz? Könnt' es doch kommen? Oh! so mag die Gräfin auch so unrecht nicht haben.

DER PRINZ - Allerdings, sehr unrecht! Meine nahe Vermählung mit der Prinzessin von Massa will durchaus, daß ich alle dergleichen Händel fürs erste abbreche.

MARINELLI - Wenn es nur das wäre: so müßte freilich Orsina sich in ihr Schicksal ebensowohl zu finden wissen als der Prinz in seines.

DER PRINZ -  Das unstreitig härter ist als ihres. Mein Herz wird das Opfer eines elenden Staatsinteresse. Ihres darf sie nur zurücknehmen, aber nicht wider Willen verschenken.

MARINELLI -  Zurücknehmen? Warum zurücknehmen? fragt die Gräfin: wenn es weiter nichts als eine Gemahlin ist, die dem Prinzen nicht die Liebe, sondern die Politik zuführet? Neben so einer Gemahlin sieht die Geliebte noch immer ihren Platz. Nicht so einer Gemahlin fürchtet sie aufgeopfert zu sein, sondern ...

DER PRINZ - Einer neuen Geliebten.  Nun denn? Wollten Sie mir daraus ein Verbrechen machen, Marinelli?


MARINELLI - Ich? Oh! vermengen Sie mich ja nicht, mein Prinz, mit der Närrin, deren Wort ich führe aus Mitleid führe. Denn gestern, wahrlich, hat sie mich sonderbar gerühret. Sie wollte von ihrer Angelegenheit mit Ihnen gar nicht sprechen. Sie wollte sich ganz gelassen und kalt stellen. Aber mitten in dem gleichgültigsten Gespräche entfuhr ihr eine Wendung, eine Beziehung über die andere, die ihr gefoltertes Herz verriet. Mit dem lustigsten Wesen sagte sie die melancholischsten Dinge: und wiederum die lächerlichsten Possen mit der allertraurigsten Miene. Sie hat zu den Büchern ihre Zuflucht genommen; und ich fürchte, die werden ihr den Rest geben.

DER PRINZ - So wie sie ihrem armen Verstande auch den ersten Stoß gegeben. Aber was mich vornehmlich mit von ihr entfernt hat, das wollen Sie doch nicht brauchen, Marinelli, mich wieder zu ihr zurückzubringen? Wenn sie aus Liebe närrisch wird, so wäre sie es, früher oder später, auch ohne Liebe geworden. Und nun, genug von ihr.  Von etwas andern! Geht denn gar nichts vor in der Stadt?

MARINELLI -  So gut wie gar nichts. Denn daß die Verbindung des Grafen Appiani heute vollzogen wird ist nicht viel mehr als gar nichts.


DER PRINZ -  Des Grafen Appiani? und mit wem denn? Ich soll ja noch hören, daß er versprochen ist.

MARINELLI - Die Sache ist sehr geheimgehalten worden. Auch war nicht viel Aufhebens davon zu machen. Sie werden lachen, Prinz. Aber so geht es den Empfindsamen! Die Liebe spielet ihnen immer die schlimmsten Streiche. Ein Mädchen ohne Vermögen und ohne Rang hat ihn in ihre Schlinge zu ziehen gewußt mit ein wenig Larve, aber mit vielem Prunke von Tugend und Gefühl und Witz und was weiß ich?

DER PRINZ - Wer sich den Eindrücken, die Unschuld und Schönheit auf ihn machen, ohne weitere Rücksicht, so ganz überlassen darf ich dächte, der wäre eher zu beneiden als zu belachen. Und wie heißt denn die Glückliche? Denn bei alledem ist Appiani, ich weiß wohl, daß Sie, Marinelli, ihn nicht leiden können; ebensowenig als er Sie, bei alledem ist er doch ein sehr würdiger junger Mann, ein schöner Mann, ein reicher Mann, ein Mann voller Ehre. Ich hätte sehr gewünscht, ihn mir verbinden zu können. Ich werde noch darauf denken.

MARINELLI -  Wenn es nicht zu spät ist. Denn soviel ich höre, ist sein Plan gar nicht, bei Hofe sein Glück zu machen. Er will mit seiner Gebieterin nach seinen Tälern von Piemont Gemsen zu jagen, auf den Alpen, und Murmeltiere abzurichten. Was kann er Besseres tun? Hier ist es durch das Mißbündnis, welches er trifft, mit ihm doch aus. Der Zirkel der ersten Häuser ist ihm von nun an verschlossen

DER PRINZ - Mit euren ersten Häusern! in welchen das Zeremoniell, der Zwang, die Langeweile und nicht selten die Dürftigkeit herrschet. Aber so nennen Sie mir sie doch, der er dieses so große Opfer bringt.


MARINELLI - Es ist eine gewisse Emilia Galotti.

DER PRINZ - Wie, Marinelli? eine gewisse

MARINELLI -  Emilia Galotti.


DER PRINZ - Emilia Galotti? Nimmermehr!

MARINELLI - Zuverlässig, gnädiger Herr.

DER PRINZ - Nein, sag ich; das ist nicht, das kann nicht sein. Sie irren sich in dem Namen. Das Geschlecht der Galotti ist groß. Eine Galotti kann es sein: aber nicht Emilia Galotti, nicht Emilia!

MARINELLI - Emilia - Emilia Galotti!

DER PRINZ -  So gibt es noch eine, die beide Namen führt. Sie sagten ohnedem, eine gewisse Emilia Galotti eine gewisse. Von der rechten kann nur ein Narr so sprechen

MARINELLI - Sie sind außer sich, gnädiger Herr. Kennen Sie denn diese Emilia?

DER PRINZ - Ich habe zu fragen, Marinelli, nicht Er.Emilia Galotti? Die Tochter des Obersten Galotti, bei Sabionetta?

MARINELLI -  Ebendie.

DER PRINZ - Die hier in Guastalla mit ihrer Mutter wohnet?

MARINELLI - Ebendie.

DER PRINZ - Unfern der Kirche Allerheiligen?

MARINELLI -Ebendie.

DER PRINZ -  Mit einem Worte (Indem er nach dem Porträte springt und es dem Marinelli in die Hand gibt.) Da! Diese? Diese Emilia Galotti? Sprich dein verdammtes "Ebendie" noch einmal und stoß mir den Dolch ins Herz!

MARINELLI - Ebendie!

DER PRINZ -Henker! Diese? Diese Emilia Galotti wird heute

MARINELLI -  Gräfin Appiani ! (Hier reißt der Prinz dem Marinelli das Bild wieder aus der Hand und wirft es beiseite.) Die Trauung geschiehet in der Stille, auf dem Landgute des Vaters bei Sabionetta. Gegen Mittag fahren Mutter und Tochter, der Graf und vielleicht ein paar Freunde dahin ab.

DER PRINZ - (der sich voll Verzweiflung in einen Stuhl wirft) -  So bin ich verloren! So will ich nicht leben!

MARINELLI - Aber was ist Ihnen, gnädiger Herr?

DER PRINZ (der gegen ihn wieder aufspringt). - Verräter! was mir ist? Nun ja, ich liebe sie; ich bete sie an. Mögt ihr es doch wissen! Mögt ihr es doch längst gewußt haben, alle ihr, denen ich der tollen Orsina schimpfliche Fesseln lieber ewig tragen sollte! Nur daß Sie, Marinelli, der Sie so oft mich Ihrer innigsten Freundschaft versicherten O ein Fürst hat keinen Freund! kann keinen Freund haben! - daß Sie, Sie, so treulos, so hämisch mir bis auf diesen Augenblick die Gefahr verhehlen dürfen, die meiner Liebe drohte: wenn ich Ihnen jemals das vergebe so werde mir meiner Sünden keine vergeben!

MARINELLI -  Ich weiß kaum Worte zu finden, Prinz wenn Sie mich auch dazu kommen ließen , Ihnen mein Erstaunen zu bezeigen. Sie lieben Emilia Galotti! Schwur dann gegen Schwur: Wenn ich von dieser Liebe das geringste gewußt, das geringste vermutet habe, so möge weder Engel noch Heiliger von mir wissen! Ebendas wollt' ich in die Seele der Orsina schwören. Ihr Verdacht schweift auf einer ganz andern Fährte.

DER PRINZ -  So verzeihen Sie mir, Marinelli (indem er sich ihm in die Arme wirft) und bedaueren Sie mich.

MARINELLI  - Nun da, Prinz! Erkennen Sie da die Frucht Ihrer Zurückhaltung! "Fürsten haben keinen Freund! können keinen Freund haben!" Und die Ursache, wenn dem so ist? Weil sie keinen haben wollen. Heute beehren sie uns mit ihrem Vertrauen, teilen uns ihre geheimsten Wünsche mit, schließen uns ihre ganze Seele auf: und morgen sind wir ihnen wieder so fremd, als hätten sie nie ein Wort mit uns gewechselt.

DER PRINZ -  Ah! Marinelli, wie konnt' ich Ihnen vertrauen, was ich mir selbst kaum gestehen wollte?

MARINELLI -  Und also wohl noch weniger der Urheberin Ihrer Qual gestanden haben?

DER PRINZ -  Ihr? Alle meine Mühe ist vergebens gewesen, sie ein zweites Mal zu sprechen.

MARINELLI - Und das erstemal

DER PRINZ - Sprach ich sie, Oh, ich komme von Sinnen! Und ich soll Ihnen noch lange erzählen? Sie sehen mich einen Raub der Wellen: was fragen Sie viel, wie ich es geworden? Retten Sie mich, wenn Sie können: und fragen Sie dann.

MARINELLI - Retten? ist da viel zu retten? Was Sie versäumt haben, gnädiger Herr, der Emilia Galotti zu bekennen, das bekennen Sie nun der Gräfin Appiani. Waren, die man aus der ersten Hand nicht haben kann, kauft man aus der zweiten und solche Waren nicht selten aus der zweiten um so viel wohlfeiler.

DER PRINZ -  Ernsthaft, Marinelli, ernsthaft, oder...

MARINELLI - Freilich, auch um so viel schlechter

DER PRINZ - Sie werden unverschämt!

MARINELLI -  Und dazu will der Graf damit aus dem Lande. Ja, so müßte man auf etwas anders denken.

DER PRINZ -  Und auf was? Liebster, bester Marinelli, denken Sie für mich. Was würden Sie tun, wenn Sie an meiner Stelle wären?

MARINELLI -  Vor allen Dingen eine Kleinigkeit als eine Kleinigkeit ansehen und mir sagen, daß ich nicht vergebens sein wolle, was ich bin Herr!

DER PRINZ  - Schmeicheln Sie mir nicht mit einer Gewalt, von der ich hier keinen Gebrauch absehe. Heute, sagen Sie? schon heute?

MARINELLI -  Erst heute soll es geschehen. Und nur geschehenen Dingen ist nicht zu raten. (Nach einer kurzen Überlegung.) Wollen Sie mir freie Hand lassen, Prinz? Wollen Sie alles genehmigen, was ich tue?

DER PRINZ -  Alles, Marinelli, alles, was diesen Streich abwenden kann.

MARINELLI  - So lassen Sie uns keine Zeit verlieren. Aber bleiben Sie nicht in der Stadt. Fahren Sie sogleich nach Ihrem Lustschlosse, nach Dosalo. Der Weg nach Sabionetta geht da vorbei. Wenn es mir nicht gelingt, den Grafen augenblicklich zu entfernen: so denk ich—Doch, doch; ich glaube, er geht in diese Falle gewiß. Sie wollen, Prinz, wegen Ihrer Vermählung einen Gesandten nach Massa schicken? Lassen Sie den Grafen dieser Gesandte sein; mit dem Bedinge, daß er noch heute abreiset. Verstehen Sie?

DER PRINZ -  Vortrefflich! Bringen Sie ihn zu mir heraus. Gehen Sie, eilen Sie. Ich werfe mich sogleich in den Wagen. (Marinelli geht ab.)
Siebenter Auftritt

DER PRINZ - Sogleich! sogleich! Wo blieb es? (Sich nach dem Porträte umsehend.) Auf der Erde? das war zu arg! (Indem er es aufhebt.) Doch betrachten? betrachten mag ich dich fürs erste nicht mehr. Warum sollt' ich mir den Pfeil noch tiefer in die Wunde drücken? (Setzt es beiseite) Geschmachtet, geseufzet hab ich lange genug länger als ich gesollt hätte: aber nichts getan! und über die zärtliche Untätigkeit bei einem Haar alles verloren! Und wenn nun doch alles verloren wäre? Wenn Marinelli nichts ausrichtete? Warum will ich mich auch auf ihn allein verlassen? Es fällt mir ein—um diese Stunde (nach der Uhr sehend), um diese nämliche Stunde pflegt das fromme Mädchen alle Morgen bei den Dominikanern die Messe zu hören. Wie, wenn ich sie da zu sprechen suchte? Doch heute, heut an ihrem Hochzeittage heute werden ihr andere Dinge am Herzen liegen als die Messe. Indes, wer weiß? Es ist ein Gang. (Er klingelt, und indem er einige von den Papieren auf dem Tische hastig zusammenrafft, tritt der Kammerdiener herein.) Laßt vorfahren! Ist noch keiner von den Räten da?
Der Kammerdiener. Camillo Rota.


DER PRINZ -  Er soll hereinkommen. (Der Kammerdiener geht ab.) Nur aufhalten muß er mich nicht wollen. Dasmal nicht!—Ich stehe gern seinen Bedenklichkeiten ein andermal um so viel länger zu Diensten. —Da war ja noch die Bittschrift einer Emilia Bruneschi.(Sie suchend. ) Die ist's.

Achter Auftritt


Camillo Rota, Schriften in der Hand. Der Prinz.

DER PRINZ -  Kommen Sie, Rota, kommen Sie. Hier ist, was ich diesen Morgen erbrochen. Nicht viel Tröstliches! Sie werden von selbst sehen, was darauf zu verfügen. Nehmen Sie nur.

CAMILLO ROTA - Gut, gnädiger Herr.

DER PRINZ - Noch ist hier eine Bittschrift einer Emilia Galot...Bruneschi will ich sagen. Ich habe meine Bewilligung zwar schon beigeschrieben. Aber doch, die Sache ist keine Kleinigkeit. Lassen
Sie die Ausfertigung noch anstehen. Oder auch nicht anstehen: wie Sie wollen.

CAMILLO ROTA -  Nicht wie ich will, gnädiger Herr.

DER PRINZ - Was ist sonst? Etwas zu unterschreiben?

CAMILLO ROTA - Ein Todesurteil wäre zu unterschreiben.

DER PRINZ - Recht gern. Nur her! geschwind.

CAMILLO ROTA (stutzig und den Prinzen starr ansehend). Ein Todesurteil sagt' ich.

DER PRINZ - Ich höre ja wohl. Es könnte schon geschehen sein. Ich bin eilig.

CAMILLO ROTA (seine Schriften nachsehend). Nun hab ich es doch wohl nicht mitgenommen! Verzeihen Sie, gnädiger Herr. Es kann Anstand damit haben bis morgen.

DER PRINZ -  Auch das! Packen Sie nur zusammen; ich muß fort Morgen, Rota, ein Mehres! (Geht ab.)

CAMILLO ROTA (den Kopf schüttelnd, indem er die Papiere zu sich nimmt und abgeht). -  Recht gern? Ein Todesurteil recht gern? Ich hätt' es ihn in diesem Augenblicke nicht mögen unterschreiben lassen, und wenn es den Mörder meines einzigen Sohnes betroffen hätte. Recht gern! Recht gern! Es geht mir durch die Seele dieses gräßliche Recht gern!
ZWEITER AUFZUG

Die Szene: ein Saal in dem Hause der Galotti.
Erster Auftritt
Claudia Galotti. Pirro.
CLAUDIA (im Heraustreten zu Pirro, der von der andern Seite hereintritt). - Wer sprengte da in den Hof?

PIRRO -  Unser Herr, gnädige Frau.

CLAUDIA -  Mein Gemahl? Ist es möglich?

PIRRO -  Er folgt mir auf dem Fuße.

CLAUDIA - So unvermutet? (Ihm entgegeneilend.) Ach! mein Bester!

Zweiter Auftritt

Odoardo Galotti und die Vorigen.
ODOARDO - Guten Morgen, meine Liebe! Nicht wahr, das heißt überraschen?

CLAUDIA - Und auf die angenehmste Art! Wenn es anders nur eine Überraschung sein soll.

ODOARDO -  Nichts weiter! Sei unbesorgt. Das Glück des heutigen Tages weckte mich so früh; der Morgen war so schön; der Weg ist so kurz; ich vermutete euch hier so geschäftig. Wie leicht vergessen sie etwas, fiel mir ein. Mit einem Worte: ich komme, und sehe, und kehre sogleich wieder zurück. Wo ist Emilia? Unstreitig beschäftigt mit dem Putze?

CLAUDIA -  Ihrer Seele! Sie ist in der Messe. "Ich habe heute, mehr als jeden andern Tag, Gnade von oben zu erflehen", sagte sie und ließ alles liegen und nahm ihren Schleier und eilte

ODOARDO -  Ganz allein?

CLAUDIA -  Die wenigen Schritte

ODOARDO - Einer ist genug zu einem Fehltritt!

CLAUDIA -  Zürnen Sie nicht, mein Bester; und kommen Sie herein, einen Augenblick auszuruhen und, wann Sie wollen, eine Erfrischung zu nehmen.

ODOARDO - Wie du meinest, Claudia. Aber sie sollte nicht allein gegangen sein.

Claudia - Und Ihr, Pirro, bleibt hier in dem Vorzimmer, alle Besuche auf heute zu verbitten.
Dritter Auftritt
Pirro und bald darauf Angelo.
PIRRO - Die sich nur aus Neugierde melden lassen. Was bin ich seit einer Stunde nicht alles ausgefragt worden! Und wer kömmt da?

ANGELO (noch halb hinter der Szene, in einem kurzen Mantel, den er über das Gesicht gezogen, den Hut in die Stirne). - Pirro! Pirro!

PIRRO - Ein Bekannter? (Indem Angelo vollends hereintritt und den Mantel auseinanderschlägt.) Himmel! Angelo? Du?

ANGELO - Wie du siehst. Ich bin lange genug um das Haus herumgegangen, dich zu sprechen. Auf ein Wort!

PIRRO - Und du wagst es, wieder ans Licht zu kommen? Du bist seit deiner letzten Mordtat vogelfrei erkläret; auf deinen Kopf steht eine Belohnung

ANGELO - Die doch du nicht wirst verdienen wollen?

PIRRO - Was willst du? Ich bitte dich, mache mich nicht unglücklich.

ANGELO - Damit etwa? (Ihm einen Beutel mit Gelde zeigend.) Nimm! Es gehöret dir!

PIRRO - Mir?

ANGELO - Hast du vergessen? Der Deutsche, dein voriger Herr

PIRRO - Schweig davon!

ANGELO - Den du uns, auf dem Wege nach Pisa, in die Falle führtest.

PIRRO - Wenn uns jemand hörte!

ANGELO -  Hatte ja die Güte, uns auch einen kostbaren Ring zu hinterlassen. Weißt du nicht? Er war zu kostbar, der Ring, als daß wir ihn sogleich ohne Verdacht hätten zu Gelde machen können. Endlich ist mir es damit gelungen. Ich habe hundert Pistolen dafür erhalten, und das ist dein Anteil. Nimm!

PIRRO -  Ich mag nichts behalt alles.

ANGELO -  Meinetwegen! wenn es dir gleichviel ist, wie hoch du deinen Kopf feil trägst (Als ob er den Beutel wieder einstecken wollte.)

PIRRO -  So gib nur! (Nimmt ihn.) Und was nun? Denn daß du bloß deswegen mich aufgesucht haben solltest

ANGELO - Das kömmt dir nicht so recht glaublich vor? Halunke! Was denkst du von uns? daß wir fähig sind, jemand seinen Verdienst vorzuenthalten? Das mag unter den sogenannten ehrlichen Leuten Mode sein: unter uns nicht. Leb wohl!  (Tut, als ob er gehen wollte, und kehrt wieder um.) Eins muß ich doch fragen.—Da kam ja der alte Galotti so ganz allein in die Stadt gesprengt. Was will der?

PIRRO - Nichts will er; ein bloßer Spazierritt. Seine Tochter wird heut abend auf dem Gute, von dem er herkömmt, dem Grafen Appiani angetrauet. Er kann die Zeit nicht erwarten

ANGELO - Und reitet bald wieder hinaus?

PIRRO - So bald, daß er dich hier trifft, wo du noch lange verziehest.  Aber du hast doch keinen Anschlag auf ihn? Nimm dich in acht. Er ist ein Mann...

ANGELO - Kenn ich ihn nicht? Hab ich nicht unter ihm gedienet? Wenn darum bei ihm nur viel zu holen wäre! Wenn fahren die junge Leute nach?

PIRRO -  Gegen Mittag.

ANGELO  - Mit viel Begleitung?

PIRRO - In einem einzigen Wagen. die Mutter, die Tochter und der Graf. Ein paar Freunde kommen aus Sabionetta als Zeugen.

ANGELO - Und Bediente?

PIRRO -  Nur zwei; außer mir, der ich zu Pferde voraufreiten soll.

ANGELO -  Das ist gut. Noch eins: wessen ist die Equipage? Ist es eure? oder des Grafen?

PIRRO - Des Grafen.

ANGELO -  Schlimm! Da ist noch ein Vorreiter, außer einem handfesten Kutscher. Doch!

PIRRO -  Ich erstaune. Aber was willst du? Das bißchen Schmuck, das die Braut etwa haben dürfte, wird schwerlich der Mühe lohnen

ANGELO -  So lohnt ihrer die Braut selbst!

PIRRO -  Und auch bei diesem Verbrechen soll ich dein Mitschuldiger sein?

ANGELO - Du reitest vorauf. Reite doch, reite! und kehre dich an nichts!

PIRRO - Nimmermehr!

ANGELO - Wie? ich glaube gar, du willst den Gewissenhaften spielen. Bursche! ich denke, du kennst mich. Wo du plauderst! Wo sich ein einziger Umstand anders findet, als du mir ihn angegeben!

PIRRO -  Aber, Angelo, um des Himmels willen!

ANGELO -  Tu, was du nicht lassen kannst! (Geht ab.)

PIRRO -  Ha! Laß dich den Teufel bei einem Haare fassen, und du bist sein auf ewig! Ich Unglücklicher!
Vierter Auftritt

Odoardo und Claudia Galotti. Pirro.
ODOARDO - Sie bleibt mir zu lang aus.

CLAUDIA -  Noch einen Augenblick, Odoardo! Es würde sie schmerzen, deines Anblicks so zu verfehlen.

ODOARDO - Ich muß auch bei dem Grafen noch einsprechen. Kaum kann ich's erwarten, diesen würdigen jungen Mann meinen Sohn zu nennen. Alles entzückt mich an ihm. Und vor allem der Entschluß, in seinen väterlichen Tälern sich selbst zu leben.

CLAUDIA - Das Herz bricht mir, wenn ich hieran gedenke. So ganz sollen wir sie verlieren, diese einzige, geliebte Tochter ?

ODOARDO - Was nennst du, sie verlieren ? Sie in den Armen der Liebe zu wissen? Vermenge dein Vergnügen an ihr nicht mit ihrem Glücke. Du möchtest meinen alten Argwohn erneuern: daß es mehr das Geräusch und die Zerstreuung der Welt, mehr die Nähe des Hofes war als die Notwendigkeit, unserer Tochter eine anständige Erziehung zu geben, was dich bewog, hier in der Stadt mit ihr zu bleiben fern von einem Manne und Vater, der euch so herzlich liebet.

CLAUDIA - Wie ungerecht, Odoardo! Aber laß mich heute nur ein einziges Wort für diese Stadt, für diese Nähe des Hofes sprechen, die deiner strengen Tugend so verhaßt sind. Hier, nur hier konnte die Liebe zusammenbringen, was füreinander geschaffen war. Hier nur konnte der Graf Emilien finden; und fand sie.

ODOARDO - Das räum ich ein. Aber, gute Claudia, hattest du darum recht, weil dir der Ausgang recht gibt? Gut, daß es mit dieser Stadterziehung so abgelaufen! Laß uns nicht weise sein wollen, wo wir nichts als glücklich gewesen! Gut, daß es so damit abgelaufen! Nun haben sie sich gefunden, die füreinander bestimmt waren: nun laß sie ziehen, wohin Unschuld und Ruhe sie rufen. Was sollte der Graf hier? Sich bücken, schmeicheln und kriechen und die Marinellis auszustechen suchen? um endlich ein Glück zu machen, dessen er nicht bedarf? um endlich einer Ehre gewürdiget zu werden, die für ihn keine wäre? Pirro!

PIRRO - Hier bin ich.

ODOARDO -  Geh und führe mein Pferd vor das Haus des Grafen. Ich komme nach und will mich da wieder aufsetzen. (Pirro geht ab.) Warum soll der Graf hier dienen, wenn er dort selbst befehlen kann? Dazu bedenkest du nicht, Claudia, daß durch unsere Tochter er es vollends mit dem Prinzen verderbt. Der Prinz haßt mich...

CLAUDIA - Vielleicht weniger, als du besorgest.

ODOARDO - Besorgest ! Ich besorg auch so was!

CLAUDIA - Denn hab ich dir schon gesagt, daß der Prinz unsere Tochter gesehen hat ?

ODOARDO -  Der Prinz ? Und wo das ?

CLAUDIA - In der letzten Vegghia, bei dem Kanzler Grimaldi, die er mit seiner Gegenwart beehrte. Er bezeigte sich gegen sie so gnädig

ODOARDO - So gnädig?

CLAUDIA - Er unterhielt sich mit ihr so lange

ODOARDO -  Unterhielt sich mit ihr ?

CLAUDIA - Schien von ihrer Munterkeit und ihrem Witze so bezaubert

ODOARDO - So bezaubert ?

CLAUDIA - Hat von ihrer Schönheit mit so vielen Lobeserhebungen gesprochen

ODOARDO - Lobeserhebungen ? Und das alles erzählst du mir in einem Tone der Entzückung ? O Claudia! eitle, törichte Mutter !

CLAUDIA -  Wieso?

ODOARDO - Nun gut, nun gut ! Auch das ist so abgelaufen. Ha! wenn ich mir einbilde ...Das gerade wäre der Ort, wo ich am tödlichsten zu verwunden bin! Ein Wollüstling, der bewundert, begehrt. Claudia! Claudia! der bloße Gedanke setzt mich in Wut. Du hättest mir das sogleich sollen gemeldet haben. Doch, ich möchte dir heute nicht gern etwas Unangenehmes sagen. Und ich würde (indem sie ihn bei der Hand ergreift), wenn ich länger bliebe. Drum laß mich! laß mich! Gott befohlen, Claudia! Kommt glücklich nach!
Fünfter Auftritt
Claudia Galotti. Welch ein Mann!—Oh, der rauhen Tugend!—wenn anders sie diesen Namen verdienet.—Alles scheint ihr verdächtig, alles strafbar!—Oder, wenn das die Menschen kennen heißt:—wer sollte sich wünschen, sie zu kennen?—Wo bleibt aber auch Emilia?—Er ist des Vaters Feind: folglich—folglich, wenn er ein Auge für die Tochter hat, so ist es einzig, um ihn zu beschimpfen?
Sechster Auftritt
Emilia und Claudia Galotti.

EMILIA -  (stürzet in einer ängstlichen Verwirrung herein). Wohl mir! wohl mir! Nun bin ich in Sicherheit. Oder ist er mir gar gefolgt? (Indem sie den Schleier zurückwirft und ihre Mutter erblicket.) Ist er, meine Mutter? ist er? Nein, dem Himmel sei Dank!

CLAUDIA -  Was ist dir, meine Tochter ? was ist dir?

EMILIA - Nichts, nichts

CLAUDIA - Und blickest so wild um dich? Und zitterst an jedem Gliede?

EMILIA - Was hab ich hören müssen ? Und wo, wo hab ich es hören müssen?

CLAUDIA - Ich habe dich in der Kirche geglaubt

EMILIA - Eben da ! Was ist dem Laster Kirch' und Altar? Ach, meine Mutter! (Sich ihr in die Arme werfend.)

CLAUDIA - Rede, meine Tochter! Mach meiner Furcht ein Ende. Was kann dir da, an heiliger Stätte, so Schlimmes begegnet sein?

EMILIA - Nie hätte meine Andacht inniger, brünstiger sein sollen als heute: nie ist sie weniger gewesen, was sie sein sollte.

CLAUDIA - Wir sind Menschen, Emilia. Die Gabe zu beten ist nicht immer in unserer Gewalt. Dem Himmel ist beten wollen auch beten.

EMILIA - Und sündigen wollen auch sündigen.

CLAUDIA - Das hat meine Emilia nicht wollen!

EMILIA - Nein, meine Mutter; so tief ließ mich die Gnade nicht sinken. Aber daß fremdes Laster uns, wider unsern Willen, zu Mitschuldigen machen kann!

CLAUDIA - Fasse dich ! Sammle deine Gedanken, soviel dir möglich. Sag es mir mit eins, was dir geschehen.

EMILIA - Eben hatt' ich mich weiter von dem Altare, als ich sonst pflege, denn ich kam zu spät , auf meine Knie gelassen. Eben fing ich an, mein Herz zu erheben: als dicht hinter mir etwas seinen Platz nahm. So dicht hinter mir! Ich konnte weder vor noch zur Seite rücken so gern ich auch wollte; aus Furcht, daß eines andern Andacht mich in meiner stören möchte. Andacht! das war das Schlimmste, was ich besorgte. Aber es währte nicht lange, so hört' ich, ganz nah an meinem Ohre nach einem tiefen Seufzer, nicht den Namen einer Heiligen den Namen zürnen Sie nicht, meine Mutter den Namen Ihrer Tochter ! Meinen Namen ! O daß laute Donner mich verhindert hätten, mehr zu hören! Es sprach von Schönheit, von Liebe .Es klagte, daß dieser Tag, welcher mein Glück mache wenn er es anders mache sein Unglück auf immer entscheide. Es beschwor mich hören mußt' ich dies alles. Aber ich blickte nicht um; ich wollte tun, als ob ich es nicht hörte. Was konnt' ich sonst? Meinen guten Engel bitten, mich mit Taubheit zu schlagen; und wann auch, wenn auch auf immer ! Das bat ich; das war das einzige, was ich beten konnte. Endlich ward es Zeit, mich wieder zu erheben. Das heilige Amt ging zu Ende. Ich zitterte, mich umzukehren. Ich zitterte, ihn zu erblicken, der sich den Frevel erlauben dürfen. Und da ich mich umwandte, da ich ihn erblickte

CLAUDIA - Wen, meine Tochter ?

EMILIA - Raten Sie, meine Mutter, raten Sie...Ich glaubte in die Erde zu sinken Ihn selbst.

CLAUDIA - Wen, ihn selbst?

EMILIA - Den Prinzen.

CLAUDIA - Den Prinzen ! O gesegnet sei die Ungeduld deines Vaters, der eben hier war und dich nicht erwarten wollte!

EMILIA - Mein Vater hier ? und wollte mich nicht erwarten ?

CLAUDIA - Wenn du in deiner Verwirrung auch ihn das hättest hören lassen!

EMILIA - Nun, meine Mutter ? Was hätt' er an mir Strafbares finden können?

CLAUDIA - Nichts; ebensowenig als an mir. Und doch, doch - Ha, du kennest deinen Vater nicht ! In seinem Zorne hätt' er den unschuldigen Gegenstand des Verbrechens mit dem Verbrecher verwechselt. In seiner Wut hätt' ich ihm geschienen, das veranlaßt zu haben, was ich weder verhindern noch vorhersehen können. Aber weiter, meine Tochter, weiter! Als du den Prinzen erkanntest - Ich will hoffen, daß du deiner mächtig genug warest, ihm in einem Blicke alle die Verachtung zu bezeigen, die er verdienst.

EMILIA - Das war ich nicht, meine Mutter! Nach dem Blicke, mit dem ich ihn erkannte, hatt' ich nicht das Herz, einen zweiten auf ihn zu richten. Ich floh...

CLAUDIA - Und der Prinz dir nach...

EMILIA - Was ich nicht wußte, bis ich in der Halle mich bei der Hand ergriffen fühlte. Und von ihm! Aus Scham mußt' ich standhalten: mich von ihm loszuwinden würde die Vorbeigehenden zu aufmerksam auf uns gemacht haben. Das war die einzige Überlegung, deren ich fähig war oder deren ich nun mich wieder erinnere. Er sprach; und ich hab ihm geantwortet. Aber was er sprach, was ich ihm geantwortet fällt mir es noch bei, so ist es gut, so will ich es Ihnen sagen, meine Mutter. Jetzt weiß ich von dem allen nichts. Meine Sinne hatten mich verlassen. Umsonst denk ich nach, wie ich von ihm weg und aus der Halle gekommen. Ich finde mich erst auf der Straße wieder, und höre ihn hinter mir herkommen, und höre ihn mit mir zugleich in das Haus treten, mit mir die Treppe hinaufsteigen

CLAUDIA -  Die Furcht hat ihren besondern Sinn, meine Tochter ! Ich werde es nie vergessen, mit welcher Gebärde du hereinstürztest. Nein, so weit durfte er nicht wagen, dir zu folgen. Gott! Gott! wenn dein Vater das wüßte! Wie wild er schon war, als er nur hörte, daß der Prinz dich jüngst nicht ohne Mißfallen gesehen! Indes, sei ruhig, meine Tochter! Nimm es für einen Traum, was dir begegnet ist. Auch wird es noch weniger Folgen haben als ein Traum. Du entgehest heute mit eins allen Nachstellungen.

EMILIA - Aber, nicht, meine Mutter? Der Graf muß das wissen. Ihm muß ich es sagen.

CLAUDIA - Um alle Welt nicht ! Wozu ? warum ? Willst du für nichts und wieder für nichts ihn unruhig machen? Und wann er es auch itzt nicht würde: wisse, mein Kind, daß ein Gift, welches nicht gleich wirket, darum kein minder gefährliches Gift ist. Was auf den Liebhaber keinen Eindruck macht, kann ihn auf den Gemahl machen. Den Liebhaber könnt' es sogar schmeicheln, einem so wichtigen Mitbewerber den Rang abzulaufen. Aber wenn er ihm den nun einmal abgelaufen hat: ah! mein Kind, so wird aus dem Liebhaber oft ein ganz anderes Geschöpf. Dein gutes Gestirn behüte dich vor dieser Erfahrung.

EMILIA - Sie wissen, meine Mutter, wie gern ich Ihren bessern Einsichten mich in allem unterwerfe. Aber, wenn er es von einem andern erführe, daß der Prinz mich heute gesprochen? Würde mein Verschweigen nicht, früh oder spät, seine Unruhe vermehren? Ich dächte doch, ich behielte lieber vor ihm nichts auf dem Herzen.

CLAUDIA - Schwachheit! verliebte Schwachheit! Nein, durchaus nicht, meine Tochter! Sag ihm nichts. Laß ihn nichts merken!

EMILIA - Nun ja, meine Mutter ! Ich habe keinen Willen gegen den Ihrigen. Aha! (Mit einem tiefen Atemzuge.) Auch wird mir wieder ganz leicht. Was für ein albernes, furchtsames Ding ich bin! Nicht, meine Mutter? Ich hätte mich noch wohl anders dabei nehmen können und würde mir ebensowenig vergeben haben.

CLAUDIA - Ich wollte dir das nicht sagen, meine Tochter, bevor dir es dein eigner gesunder Verstand sagte. Und ich wußte, er wurde dir es sagen, sobald du wieder zu dir selbst gekommen. Der Prinz ist galant. Du bist die unbedeutende Sprache der Galanterie zu wenig gewohnt. Eine Höflichkeit wird in ihr zur Empfindung, eine Schmeichelei zur Beteurung, ein Einfall zum Wunsche, ein Wunsch zum Vorsatze. Nichts klingt in dieser Sprache wie alles, und alles ist in ihr so viel als nichts.

EMILIA - O meine Mutter! so müßte ich mir mit meiner Furcht vollends lächerlich vorkommen! Nun soll er gewiß nichts davon erfahren, mein guter Appiani! Er könnte mich leicht für mehr eitel als tugendhaft halten. Hui! daß er da selbst kömmt! Es ist sein Gang.
Siebenter Auftritt

Graf Appiani. Die Vorigen.
APPIANI - (tritt tiefsinnig, mit vor sich hin geschlagenen Augen herein und kömmt näher, ohne sie zu erblicken; bis Emilia ihm entgegenspringt). Ah, meine Teuerste! Ich war mir Sie in dem Vorzimmer nicht vermutend.

EMILIA - milia. Ich wünschte Sie heiter, Herr Graf, auch wo Sie mich nicht vermuten. So feierlich? so ernsthaft? Ist dieser Tag keiner freudigern Aufwallung wert?

APPIANI - Er ist mehr wert als mein ganzes Leben. Aber schwanger mit so viel Glückseligkeit für mich, mag es wohl diese Glückseligkeit selbst sein, die mich so ernst, die mich, wie Sie es nennen, mein Fräulein, so feierlich macht.(Indem er die Mutter erblickt.) Ha!  auch Sie hier, meine gnädige Frau ! nun bald mir mit einem innigern Namen zu verehrende !

CLAUDIA -  Der mein größter Stolz sein wird! Wie glücklich bist du, meine Emilia! Warum hat dein Vater unsere Entzückung nicht teilen wollen?

APPIANI - Eben habe ich mich aus seinen Armen gerissen: oder vielmehr, er sich aus meinen. Welch ein Mann, meine Emilia, Ihr Vater! Das Muster aller männlichen Tugend! Zu was für Gesinnungen erhebt sich meine Seele in seiner Gegenwart! Nie ist mein Entschluß, immer gut, immer edel zu sein, lebendiger, als wenn ich ihn sehe, wenn ich ihn mir denke. Und womit sonst als mit der Erfüllung dieses Entschlusses kann ich mich der Ehre würdig machen, sein Sohn zu heißen der Ihrige zu sein, meine Emilia?

EMILIA - Und er wollte mich nicht erwarten !

APPIANI - Ich urteile, weil ihn seine Emilia, für diesen augenblicklichen Besuch, zu sehr erschüttert, zu sehr sich seiner ganzen Seele bemächtiget hätte.

CLAUDIA - Er glaubte dich mit deinem Brautschmucke beschäftiget zu finden und hörte

APPIANI - Was ich mit der zärtlichsten Bewunderung wieder von ihm gehört habe. So recht, meine Emilia! Ich werde eine fromme Frau an Ihnen haben, und die nicht stolz auf ihre Frömmigkeit ist.

CLAUDIA - Aber, meine Kinder, eines tun und das andere nicht lassen! Nun ist es hohe Zeit; nun mach, Emilia!

APPIANI - Was? meine gnädige Frau.

CLAUDIA - Sie wollen sie doch nicht so, Herr Graf, so wie sie da ist, zum Altare führen?

APPIANI - Wahrlich, das werd ich nun erst gewahr. Wer kann Sie sehen, Emilia, und auch auf Ihren Putz achten? Und warum nicht so, so wie sie da ist?

EMILIA - Nein, mein lieber Graf, nicht so; nicht ganz so. Aber auch nicht viel prächtiger, nicht viel. Husch, husch, und ich bin fertig!  Nichts, gar nichts von dem Geschmeide, dem letzten Geschenke Ihrer verschwenderischen Großmut! Nichts, gar nichts, was sich nur zu solchem Geschmeide schickte! Ich könnte ihm gram sein, diesem Geschmeide, wenn es nicht von Ihnen wäre. Denn dreimal hat mir von ihm geträumt

CLAUDIA - Nun! davon weiß ich ja nichts.

EMILIA - Als ob ich es trüge, und als ob plötzlich sich jeder Stein desselben in eine Perle verwandele. Perlen aber, meine Mutter, Perlen bedeuten Tränen.

CLAUDIA - Kind! Die Bedeutung ist träumerischer als der Traum.  Warest du nicht von jeher eine größere Liebhaberin von Perlen als von Steinen?

EMILIA - Freilich, meine Mutter, freilich

APPIANI - (nachdenkend und schwermütig). Bedeuten Tränen, bedeuten Tränen!

EMILIA - Wie? Ihnen fällt das auf ? Ihnen ?

APPIANI -  Jawohl, ich sollte mich schämen. Aber, wenn die Einbildungskraft einmal zu traurigen Bildern gestimmt ist

EMILIA - Warum ist sie das auch ? Und was meinen Sie, das ich mir ausgedacht habe? Was trug ich, wie sah ich, als ich Ihnen zuerst gefiel? Wissen Sie es noch?

APPIANI -  Ob ich es noch weiß ? Ich sehe Sie in Gedanken nie anders als so; und sehe Sie so, auch wenn ich Sie nicht so sehe.

EMILIA - Also, ein Kleid von der nämlichen Farbe, von dem nämlichen Schnitte; fliegend und frei

APPIANI - Vortrefflich !

EMILIA - Und das Haar

APPIANI - In seinem eignen braunen Glanze; in Locken, wie sie die Natur schlug

EMILIA - Die Rose darin nicht zu vergessen! Recht! recht! Eine kleine Geduld, und ich stehe so vor Ihnen da!
Achter Auftritt

Graf Appiani. Claudia Galotti.
APPIANI(indem er ihr mit einer niedergeschlagenen Miene nachsieht). - Perlen bedeuten Tränen! Eine kleine Geduld! Ja, wenn die Zeit nur außer uns wäre! Wenn eine Minute am Zeiger sich in uns nicht in Jahre ausdehnen könnte!

CLAUDIA - Emiliens Beobachtung, Herr Graf, war so schnell als richtig. Sie sind heut ernster als gewöhnlich. Nur noch einen Schritt von dem Ziele Ihrer Wünsche sollt' es Sie reuen, Herr Graf, daß es das Ziel Ihrer Wünsche gewesen?
APPIANI -  Ah, meine Mutter, und Sie können das von Ihrem Sohne argwöhnen? Aber, es ist wahr; ich bin heut ungewöhnlich trübe und finster. Nur sehen Sie, gnädig Frau: noch einen Schritt vom Ziele oder noch gar nicht ausgelaufen sein, ist im Grunde eines. Alles was ich sehe, alles was ich höre, alles was ich träume, prediget mir seit gestern und ehegestern diese Wahrheit. Dieser eine Gedanke kettet sich an jeden andern, den ich haben muß und haben will. Was ist das? Ich versteh es nicht.

CLAUDIA - Sie machen mich unruhig, Herr Graf

APPIANI - Eines kömmt dann zum andern! Ich bin ärgerlich; ärgerlich über meine Freunde, über mich selbst

CLAUDIA - Wieso?


APPIANI - Meine Freunde verlangen schlechterdings, daß ich dem Prinzen von meiner Heirat ein Wort sagen soll, ehe ich sie vollziehe. Sie geben mir zu, ich sei es nicht schuldig; aber die Achtung gegen ihn woll' es nicht anders. Und ich bin schwach genug gewesen, es ihnen zu versprechen. Eben wollt' ich noch bei ihm vorfahren.

CLAUDIA -  Bei dem Prinzen ?
Neunter Auftritt

Pirro, gleich darauf Marinelli und die Vorigen.
PIRRO - Gnädige Frau, der Marchese Marinelli hält vor dem Hause und erkundiget sich nach dem Herrn Grafen.

APPIANI - Nach mir ?

PIRRO - Hier ist er schon. (Öffnet ihm die Türe und gehet ab.)

MARINELLI -  Ich bitt um Verzeihung, gnädige Frau. Mein Herr Graf, ich war vor Ihrem Hause und erfuhr, daß ich Sie hier treffen würde. Ich hab ein dringendes Geschäft an Sie, Gnädige Frau, ich bitte nochmals um Verzeihung; es ist in einigen Minuten geschehen.

CLAUDIA - Die ich nicht verzögern will. (Macht ihm eine Verbeugung und geht ab.)
Zehnter Auftritt

Marinelli. Appiani.
APPIANI - Nun, mein Herr?

MARINELLI - Ich komme von des Prinzen Durchlaucht.

APPIANI - Was ist zu seinem Befehle?

MARINELLI - Ich bin stolz, der Überbringer einer so vorzüglichen Gnade zu sein. Und wenn Graf Appiani nicht mit Gewalt einen seiner ergebensten Freunde in mir verkennen will

APPIANI - Ohne weitere Vorrede, wenn ich bitten darf.

MARINELLI - Auch das! Der Prinz muß sogleich an den Herzog von Massa, in Angelegenheit seiner Vermählung mit dessen Prinzessin Tochter, einen Bevollmächtigten senden. Er war lange unschlüssig, wen er dazu ernennen sollte. Endlich ist seine Wahl, Herr Graf, auf Sie gefallen.

APPIANI - Auf mich?

MARINELLI -  Und das, wenn die Freundschaft ruhmredig sein darf, nicht ohne mein Zutun

APPIANI - Wahrlich, Sie setzen mich wegen eines Dankes in Verlegenheit. Ich habe schon längst nicht mehr erwartet, daß der Prinz mich zu brauchen geruhen werde.

MARINELLI - Ich bin versichert, daß es ihm bloß an einer würdigen Gelegenheit gemangelt hat. Und wenn auch diese so eines Mannes wie Graf Appiani noch nicht würdig genug sein sollte, so ist freilich meine Freundschaft zu voreilig gewesen.

APPIANI - Freundschaft und Freundschaft um das dritte Wort! Mit wem red ich denn? Des Marchese  Marinelli Freundschaft hätt' ich mir nie träumen lassen.

MARINELLI -  Ich erkenne mein Unrecht, Herr Graf, mein unverzeihliches Unrecht, daß ich, ohne Ihre Erlaubnis, Ihr Freund sein wollen. Bei dem allen: was tut das? Die Gnade des Prinzen, die Ihnen angetragene Ehre bleiben, was sie sind: und ich zweifle nicht, Sie werden sie mit Begierd' ergreifen.

APPIANI - (nach einiger Überlegung). Allerdings.

MARINELLI - Nun so kommen Sie.

APPIANI - Wohin ?

MARINELLI - Nach Dosalo, zu dem Prinzen. Es liegt schon alles fertig; und Sie müssen noch heut abreisen.

APPIANI - Was sagen Sie? Noch heute?

MARINELLI - Lieber noch in dieser nämlichen Stunde als in der folgenden. Die Sache ist von der äußersten Eil'.

APPIANI - In Wahrheit? So tut es mir leid, daß ich die Ehre, welche mir der Prinz zugedacht, verbitten muß.

MARINELLI - Wie?

APPIANI - Ich kann heute nicht abreisen auch morgen nicht auch übermorgen noch nicht.

MARINELLI - Sie scherzen, Herr Graf.

APPIANI -  Mit Ihnen ?

MARINELLI -  Unvergleichlich! Wenn der Scherz dem Prinzen gilt, so ist er um so viel lustiger. Sie können nicht?

APPIANI - Nein, mein Herr, nein. Und ich hoffe, daß der Prinz selbst meine Entschuldigung wird gelten lassen.

MARINELLI - Die bin ich begierig zu hören.

APPIANI - Oh, eine Kleinigkeit! Sehen Sie; ich soll noch heut eine Frau nehmen.

MARINELLI - Nun? und dann?

APPIANI - Und dann?...und dann?—Ihre Frage ist auch verzweifelt naiv.

MARINELLI - Man hat Exempel, Herr Graf, daß sich Hochzeiten aufschieben lassen. Ich glaube freilich nicht, daß der Braut oder dem Bräutigam immer damit gedient ist. Die Sache mag ihr Unangenehmes haben. Aber doch, dächt' ich, der Befehl des Herrn

APPIANI - Der Befehl des Herrn ? des Herrn? Ein Herr, den man sich selber wählt, ist unser Herr so eigentlich nicht Ich gebe zu, daß Sie dem Prinzen unbedingtem Gehorsam schuldig wären. Aber nicht ich. Ich kam an seinen Hof als ein Freiwilliger. Ich wollte die Ehre haben, ihm zu dienen, aber nicht sein Sklave werden. Ich bin der Vasall eines größern Herrn

MARINELLI-  Größer oder kleiner: Herr ist Herr.

APPIANI - Daß ich mit Ihnen darüber strittet. Genug, sagen Sie dem Prinzen, was Sie gehört haben daß es mir leid tut, seine Gnade nicht annehmen zu können, weil ich eben heut eine Verbindung vollzöge, die mein ganzes Glück ausmache.

MARINELLI - Wollen Sie ihm nicht zugleich wissen lassen, mit wem?

APPIANI -  Mit Emilia Galotti.

MARINELLI -  Der Tochter aus diesem Hause?

APPIANI - Aus diesem Hause.

MARINELLI - Hm! Hm!

APPIANI - Was beliebt?

MARINELLI - Ich sollte meinen, daß es sonach um so weniger Schwierigkeit haben könne, die Zeremonie bis zu Ihrer Zurückkunft auszusetzen.

APPIANI -  Die Zeremonie? Nur die Zeremonie?

MARINELLI - Die guten Eltern werden es so genau nicht nehmen.

APPIANI - Die guten Eltern?

MARINELLI - Und Emilia bleibt Ihnen ja wohl gewiß.

APPIANI - Ja wohl gewiß ? Sie sind mit Ihrem ja wohl, ja wohl ein ganzer Affe !

MARINELLI - Mir das, Graf ?

APPIANI -  Warum nicht ?

MARINELLI -  Himmel und Hölle! Wir werden uns sprechen.

APPIANI - Pah! Hämisch ist der Affe; aber...

MARINELLI -  Tod und Verdammnis! Graf, ich fodere Genugtuung.

APPIANI - Das versteht sich.

MARINELLI - Und würde sie gleich itzt nehmen nur daß ich dem zärtlichen Bräutigam den heutigen Tag nicht verderben mag.

APPIANI -  Gutherziges Ding ! Nicht doch ! Nicht doch ! (Indem er ihn bei der Hand ergreift.) Nach Massa freilich mag ich mich heute nicht schicken lassen, aber zu einem Spaziergange mit Ihnen hab ich Zeit übrig. Kommen Sie, kommen Sie!

MARINELLI - (der sich losreißt und abgeht). Nur Geduld, Graf, nur Geduld!
Elfter Auftritt

Appiani. Claudia Galotti.
APPIANI - Geh, Nichtswürdiger! Ha! das hat gut getan. Mein Blut ist in Wallung gekommen. Ich fühle mich anders und besser.

CLAUDIA - (eiligst und besorgt). Gott! Herr Graf—Ich hab einen heftigen Wortwechsel gehört. Ihr Gesicht glühet. Was ist vorgefallen?

APPIANI - Nichts, gnädige Frau, gar nichts. Der Kammerherr Marinelli hat mir einen großen Dienst erwiesen. Er hat mich des Ganges zum Prinzen überhoben.

CLAUDIA - In der Tat?

APPIANI - Wir können nun um so viel früher abfahren. Ich gehe, meine Leute zu treiben, und bin sogleich wieder hier. Emilia wird indes auch fertig.

CLAUDIA - Kann ich ganz ruhig sein, Herr Graf ?

APPIANI - Ganz ruhig, gnädige Frau. (Sie geht herein und er fort.)



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Sunday, June 7, 2015

DANTONS TOD - von Georg Büchner (Zweite Teil - die letzte )

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Maximilien François Marie Isidore de Robespierre 1758 –  1794

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

Ein Zimmer

Danton. Lacroix. Philippeau. Paris. Camille Desmoulins.

Camille.- Rasch, Danton, wir haben keine Zeit zu verlieren!

Danton (er kleidet sich an).-  Aber die Zeit verliert uns. Das ist sehr langweilig, immer das Hemd zuerst und dann die Hosen drüber zu ziehen und des Abends ins Bett und morgens wieder herauszukriechen und einen Fuß immer so vor den andern zu setzen; da ist gar kein Absehen, wie es anders werden soll. Das ist sehr traurig, und daß Millionen es schon so gemacht haben, und daß Millionen es wieder so machen werden, und daß wir noch obendrein aus zwei Hälften bestehen, die beide das nämliche tun, so daß alles doppelt geschieht - das ist sehr traurig.

Camille. - Du sprichst in einem ganz kindlichen Ton.

Danton. - Sterbende werden oft kindisch.

Lacroix. - Du stürzest dich durch dein Zögern ins Verderben, du reißest alle deine Freunde mit dir. Benachrichtige die Feiglinge, daß es Zeit ist, sich um dich zu versammeln, fordere sowohl die vom Tale als die vom Berge auf! Schreie über die Tyrannei der Dezemvirn, sprich von Dolchen, rufe Brutus an, dann wirst du die Tribunen erschrecken und selbst die um dich sammeln, die man als Mitschuldige Héberts bedroht! Du mußt dich deinem Zorn überlassen. Laßt uns wenigstens nicht entwaffnet und erniedrigt wie der schändliche Hébert sterben!

Danton.-  Du hast ein schlechtes Gedächtnis, du nanntest mich einen toten Heiligen. Du hattest mehr recht, als du selbst glaubtest. Ich war bei den Sektionen; sie waren ehrfurchtsvoll, aber wie Leichenbitter. Ich bin eine Reliquie, und Reliquien wirft man auf die Gasse, du hattest recht.

Lacroix. - Warum hast du es dazu kommen lassen?

Danton. - Dazu? Ja, wahrhaftig, es war mir zuletzt langweilig. Immer im nämlichen Rock herumzulaufen und die nämlichen Falten zu ziehen! Das ist erbärmlich. So ein armseliges Instrument zu sein, auf dem eine Saite immer nur einen Ton angibt! - 's ist nicht zum Aushalten. Ich wollte mir's bequem machen. Ich habe es erreicht; die Revolution setzt mich in Ruhe, aber auf andere Weise, als ich dachte. Übrigens, auf was sich stützen? Unsere Huren könnten es noch mit den Guillotinen-Betschwestern aufnehmen; sonst weiß ich nichts. Es läßt sich an den Fingern herzählen: die Jakobiner haben erklärt, daß die Tugend an der Tagesordnung sei, die Cordeliers nennen mich Héberts Henker, der Gemeinderat tut Buße, der Konvent - das wäre noch ein Mittel! aber es gäbe einen 31. Mai, sie würden nicht gutwillig weichen. Robespierre ist das Dogma der Revolution, es darf nicht ausgestrichen werden. Es ginge auch nicht. Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht. Und wenn es ginge - ich will lieber guillotiniert werden als guillotinieren lassen. Ich hab es satt; wozu sollen wir Menschen miteinander kämpfen? Wir sollten uns nebeneinander setzen und Ruhe haben. Es wurde ein Fehler gemacht, wie wir geschaffen wurden; es fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür - aber wir werden es einander nicht aus den Eingeweiden herauswühlen, was sollen wir uns drum die Leiber aufbrechen? Geht, wir sind elende Alchymisten!

Camille. - Pathetischer gesagt, würde es heißen: wie lange soll die Menschheit in ewigem Hunger ihre eignen Glieder fressen? oder: wie lange sollen wir Schiffbrüchige auf einem Wrack in unlöschbarem Durst einander das Blut aus den Adern saugen? oder: wie lange sollen wir Algebraisten im Fleisch beim Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten X unsere Rechnungen mit zerfetzten Gliedern schreiben?

Danton. - Du bist ein starkes Echo.

Camille. - Nicht wahr, ein Pistolenschuß schallt gleich wie ein Donnerschlag. Desto besser für dich, du solltest mich immer bei dir haben.

Philippeau. - Und Frankreich bleibt seinen Henkern?

Danton. -  Was liegt daran? Die Leute befinden sich ganz wohl dabei. Sie haben Unglück; kann man mehr verlangen um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu sein, oder um überhaupt keine Langeweile zu haben? - Ob sie nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter sterben! Es ist noch vorzuziehen, sie treten mit gelenken Gliedern hinter die Kulissen und können im Abgehen noch hübsch gestikulieren und die Zuschauer klatschen hören. Das ist ganz artig und paßt für uns; wir stehen immer auf dem Theater, wenn wir auch zuletzt im Ernst erstochen werden. Es ist recht gut, daß die Lebenszeit ein wenig reduziert wird; der Rock war zu lang, unsere Glieder konnten ihn nicht ausfüllen. Das Leben wird ein Epigramm, das geht an; wer hat auch Atem und Geist genug für ein Epos in fünfzig oder sechzig Gesängen? 's ist Zeit, daß man das bißchen Essenz nicht mehr aus Zubern, sondern aus Likörgläschen trinkt; so bekommt man doch das Maul voll, sonst konnte man kaum einige Tropfen in dem plumpen Gefäß zusammenrinnen machen. Endlich - ich müßte schreien; das ist mir der Mühe zuviel, das Leben ist nicht die Arbeit wert, die man sich macht, es zu erhalten.

Paris. - So flieh, Danton!

Danton. - Nimmt man das Vaterland an den Schuhsohlen mit? Und endlich - und das ist die Hauptsache: sie werden's nicht wagen. (Zu Camille:) Komm, mein Junge; ich sage dir, sie werden's nicht wagen. Adieu, adieu! (Danton und Camille ab.)

Philippeau. - Da geht er hin.

Lacroix. - Und glaubt kein Wort von dem, was er gesagt hat. Nichts als Faulheit! Er will sich lieber guillotinieren lassen als eine Rede halten.

Paris. - Was tun?

Lacroix. - Heimgehn und als Lukretia auf einen anständigen Fall studieren.
ZWEITE  SZENE

Eine Promenade
Spaziergänger.

Ein Bürger. - Meine gute Jacqueline - ich wollte sagen Korn… wollt ich: Kor…

Simon. Kornelia, Bürger, Kornelia.

Bürger. - Meine gute Kornelia hat mich mit einem Knäblein erfreut.

Simon. - Hat der Republik einen Sohn geboren.

Bürger. - Der Republik, das lautet zu allgemein; man könnte sagen…

Simon. - Das ist's gerade, das Einzelne muß sich dem Allgemeinen…

Bürger. - Ach ja, das sagt meine Frau auch.

Bänkelsänger (singt). - Was doch ist, was doch ist
                                  Aller Männer Freud' und Lüst'?

Bürger. - Ach, mit den Namen, da komm ich gar nicht ins reine.

Simon. - Tauf ihn Pike, Marat!

Bänkelsänger. - Unter Kummer, unter Sorgen
                        Sich bemühn vom frühen Morgen,
                        Bis der Tag vorüber ist.

Bürger. - Ich hätte gern drei - es ist doch was mit der Zahl Drei - und dann was Nützliches und was Rechtliches; jetzt hab ich's: Pflug, Robespierre. Und dann das dritte?

Simon. - Pike.

Bürger. - Ich dank Euch, Nachbar; Pike, Pflug, Robespierre, das sind hübsche Namen, das macht sich schön.

Simon. -  Ich sage dir, die Brust deiner Kornelia wird wie das Euter der römischen Wölfin - nein, das geht nicht: Romulus war ein Tyrann, das geht nicht. (Gehn vorbei.)

Ein Bettler (singt). - »Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos…« Liebe Herren, schöne Damen!

Erster Herr. - Kerl, arbeite, du siehst ganz wohlgenährt aus!

Zweiter Herr. - Da! (Er gibt ihm Geld.) Er hat eine Hand wie Sammet. Das ist unverschämt.

Bettler. - Mein Herr, wo habt Ihr Euren Rock her?

Zweiter Herr. - Arbeit, Arbeit! Du könntest den nämlichen haben; ich will dir Arbeit geben, komm zu mir, ich wohne…

Bettler. - Herr, warum habt Ihr gearbeitet?

Zweiter Herr. - Narr, um den Rock zu haben.

Bettler.-  Ihr habt Euch gequält, um einen Genuß zu haben; denn so ein Rock ist ein Genuß, ein Lumpen tut's auch.

Zweiter Herr. - Freilich, sonst geht's nicht.

Bettler. - Daß ich ein Narr wäre! Das hebt einander. Die Sonne scheint warm an das Eck, und das geht ganz leicht. (Singt:) »Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos…«

Rosalie (zu Adelaiden).-  Mach fort, da kommen Soldaten! Wir haben seit gestern nichts Warmes in den Leib gekriegt.

Bettler. - »Ist auf dieser Erde einst mein letztes Los!« Meine Herren, meine Damen!

Soldat. - Halt! Wo hinaus, meine Kinder? (Zu Rosalie:) Wie alt bist du?

Rosalie. - So alt wie mein kleiner Finger.

Soldat. - Du bist sehr spitz.

Rosalie. - Und du sehr stumpf.

Soldat. - So will ich mich an dir wetzen. (Er singt:)
                                                          Christinlein, lieb Christinlein mein,
                                                          Tut dir der Schaden weh, Schaden weh,
                                                           Schaden weh, Schaden weh?

Rosalie (singt) : Ach nein, ihr Herrn Soldaten,
                       Ich hätt' es gerne meh, gerne meh,
                       Gerne meh, gerne meh!

(Danton und Camille treten auf.)

Danton. -  Geht das nicht lustig? - Ich wittre was in der Atmosphäre; es ist, als brüte die Sonne Unzucht aus. - Möchte man nicht drunter springen, sich die Hosen vom Leibe reißen und sich über den Hintern begatten wie die Hunde auf der Gasse? (Gehn vorbei.)

Junger Herr. - Ach, Madame, der Ton einer Glocke, das Abendlicht an den Bäumen, das Blinken eines Sterns…

Madame. - Der Duft einer Blume! Diese natürlichen Freuden, dieser reine Genuß der Natur! (Zu ihrer Tochter:) Sieh, Eugenie, nur die Tugend hat Augen dafür.

Eugenie (küßt ihrer Mutter die Hand). - Ach, Mama, ich sehe nur Sie.

Madame. - Gutes Kind!

Junger Herr (zischelt Eugenien ins Ohr). - Sehen Sie dort die hübsche Dame mit dem alten Herrn?

Eugenie. - Ich kenne sie.

Junger Herr. - Man sagt, ihr Friseur habe sie à l'enfant frisiert.

Eugenie (lacht). - Böse Zunge!

Junger Herr. - Der alte Herr geht nebenbei; er sieht das Knöspchen schwellen und führt es in die Sonne spazieren und meint, er sei der Gewitterregen, der es habe wachsen machen.

Eugenie. - Wie unanständig! Ich hätte Lust, rot zu werden.

Junger Herr. - Das könnte mich blaß machen. (Gehn ab.)

Danton (zu Camille). - Mute mir nur nichts Ernsthaftes zu! Ich begreife nicht, warum die Leute nicht auf der Gasse stehenbleiben und einander ins Gesicht lachen. Ich meine, sie müßten zu den Fenstern und zu den Gräbern heraus lachen, und der Himmel müsse bersten, und die Erde müsse sich wälzen vor Lachen. (Gehn ab.)

Erster Herr. - Ich versichre Sie, eine außerordentliche Entdeckung! Alle technischen Künste bekommen dadurch eine andere Physiognomie. Die Menschheit eilt mit Riesenschritten ihrer hohen Bestimmung entgegen.

Zweiter Herr. - Haben Sie das neue Stück gesehen? Ein babylonischer Turm! Ein Gewirr von Gewölben, Treppchen, Gängen, und das alles so leicht und kühn in die Luft gesprengt. Man schwindelt bei jedem Tritt. Ein bizarrer Kopf. (Er bleibt verlegen stehn.)

Erster Herr. - Was haben Sie denn?

Zweiter Herr. - Ach, nichts! Ihre Hand, Herr! die Pfütze - so! Ich danke Ihnen. Kaum kam ich vorbei; das konnte gefährlich werden!

Erster Herr. Sie fürchteten doch nicht?

Zweiter Herr. - Ja, die Erde ist eine dünne Kruste; ich meine immer, ich könnte durchfallen, wo so ein Loch ist. - Man muß mit Vorsicht auftreten, man könnte durchbrechen. Aber gehn Sie ins Theater, ich rat es Ihnen!
DRITTE SZENE

Ein Zimmer
Danton. Camille. Lucile.

Camille. - Ich sage euch, wenn sie nicht alles in hölzernen Kopien bekommen, verzettelt in Theatern, Konzerten und Kunstausstellungen, so haben sie weder Augen noch Ohren dafür. Schnitzt einer eine Marionette, wo man den Strick hereinhängen sieht, an dem sie gezerrt wird und deren Gelenke bei jedem Schritt in fünffüßigen Jamben krachen - welch ein Charakter, welche Konsequenz! Nimmt einer ein Gefühlchen, eine Sentenz, einen Begriff und zieht ihm Rock und Hosen an, macht ihm Hände und Füße, färbt ihm das Gesicht und läßt das Ding sich drei Akte hindurch herumquälen, bis es sich zuletzt verheiratet oder sich totschießt - ein Ideal! Fiedelt einer eine Oper, welche das Schweben und Senken im menschlichen Gemüt wiedergibt wie eine Tonpfeife mit Wasser die Nachtigall - ach, die Kunst! Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse: die erbärmliche Wirklichkeit! - Sie vergessen ihren Herrgott über seinen schlechten Kopisten. Von der Schöpfung, die glühend, brausend und leuchtend, um und in ihnen, sich jeden Augenblick neu gebiert, hören und sehen sie nichts. Sie gehen ins Theater, lesen Gedichte und Romane, schneiden den Fratzen darin die Gesichter nach und sagen zu Gottes Geschöpfen: wie gewöhnlich! - Die Griechen wußten, was sie sagten, wenn sie erzählten, Pygmalions Statue sei wohl lebendig geworden, habe aber keine Kinder bekommen.

Danton. - Und die Künstler gehn mit der Natur um wie David, der im September die Gemordeten, wie sie aus der Force auf die Gasse geworfen wurden, kaltblütig zeichnete und sagte: ich erhasche die letzten Zuckungen des Lebens in diesen Bösewichtern. (Danton wird hinausgerufen.)

Camille. - Was sagst du, Lucile?

Lucile. - Nichts, ich seh dich so gern sprechen.

Camille. - Hörst mich auch?

Lucile. - Ei freilich!

Camille. - Hab ich recht? Weißt du auch, was ich gesagt habe?

Lucile. - Nein, wahrhaftig nicht.

(Danton kommt zurück.)

Camille. - Was hast du?

Danton. - Der Wohlfahrtsausschuß hat meine Verhaftung beschlossen. Man hat mich gewarnt und mir einen Zufluchtsort angeboten. Sie wollen meinen Kopf; meinetwegen. Ich bin der Hudeleien überdrüssig. Mögen sie ihn nehmen. Was liegt daran? Ich werde mit Mut zu sterben wissen; das ist leichter, als zu leben.

Camille. - Danton, noch ist's Zeit!

Danton. - Unmöglich - aber ich hätte nicht gedacht…

Camille. - Deine Trägheit!

Danton. - Ich bin nicht träg, aber müde; meine Sohlen brennen mich.

Camille. - Wo gehst du hin?

Danton. - Ja, wer das wüßte!

Camille. - Im Ernst, wohin?

Danton. - Spazieren, mein Junge, spazieren. (Er geht.)

Lucile. - Ach, Camille!

Camille. - Sei ruhig, lieb Kind!

Lucile. -  Wenn ich denke, daß sie dies Haupt -! Mein Camille! das ist Unsinn, gelt, ich bin wahnsinnig?

Camille. - Sei ruhig, Danton und ich sind nicht eins.

Lucile.-  Die Erde ist weit, und es sind viel Dinge drauf - warum denn gerade das eine? Wer sollte mir's nehmen? Das wäre arg. Was wollten sie auch damit anfangen?

Camille. - Ich wiederhole dir: du kannst ruhig sein. Gestern sprach ich mit Robespierre: er war freundlich. Wir sind ein wenig gespannt, das ist wahr; verschiedne Ansichten, sonst nichts!

Lucile. - Such ihn auf!

Camille. - Wir saßen auf einer Schulbank. Er war immer finster und einsam. Ich allein suchte ihn auf und machte ihn zuweilen lachen. Er hat mir immer große Anhänglichkeit gezeigt. Ich gehe.

Lucile. - So schnell, mein Freund? Geh! Komm! Nur das (sie küßt ihn) und das!
Geh! Geh! (Camille ab.) Das ist eine böse Zeit. Es geht einmal so. Wer kann da drüber hinaus?
Man muß sich fassen. (Singt:)
                                           Ach Scheiden, ach Scheiden, ach Scheiden,
                                            Wer hat sich das Scheiden erdacht?
Wie kommt mir grad das in Kopf? Das ist nicht gut, daß es den Weg so von selbst findet. - Wie er hinaus ist, war mir's, als könnte er nicht mehr umkehren und müsse immer weiter weg von mir, immer weiter.
Wie das Zimmer so leer ist; die Fenster stehn offen, als hätte ein
Toter drin gelegen. Ich halt es da oben nicht aus. (Sie geht.)

VIERTE SZENE

Freies Feld

Danton.-  Ich mag nicht weiter. Ich mag in dieser Stille mit dem Geplauder meiner Tritte und dem Keuchen meines Atems nicht Lärm machen. (Er setzt sich nieder; nach einer Pause:)  Man hat mir von einer Krankheit erzählt, die einem das Gedächtnis verlieren mache. Der Tod soll etwas davon haben. Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, daß er vielleicht noch kräftiger wirke und einem alles verlieren mache. Wenn das wäre! - Dann lief ich wie ein Christ, um einen Feind, d. h. mein Gedächtnis, zu retten. Der Ort soll sicher sein, ja für mein Gedächtnis, aber nicht für mich; mir gibt das Grab mehr Sicherheit, es schafft mir wenigstens Vergessen. Es tötet mein Gedächtnis. Dort aber lebt mein Gedächtnis und tötet mich. Ich oder es? Die Antwort ist leicht. (Er erhebt sich und kehrt um.) Ich kokettiere mit dem Tod; es ist ganz angenehm, so aus der Ferne mit dem Lorgnon mit ihm zu liebäugeln. Eigentlich muß ich über die ganze Geschichte lachen. Es ist ein Gefühl des Bleibens in mir, was mir sagt: es wird morgen sein wie heute, und übermorgen und weiter hinaus ist alles wie eben. Das ist leerer Lärm, man will mich schrecken; sie werden's nicht wagen! (Ab.)
FÜNFTE SZENE

Ein Zimmer
Es ist Nacht.

Danton (am Fenster). Will denn das nie aufhören? Wird das Licht nie ausglühn und der Schall nie modern? Will's denn nie still und dunkel werden, daß wir uns die garstigen Sünden einander nicht mehr anhören und ansehen? - September!

Julie  (ruft von innen). - Danton! Danton!

Danton. - He?

Julie (tritt ein). - Was rufst du?

Danton. - Rief ich?

Julie. - Du sprachst von garstigen Sünden, und dann stöhntest du: September!

Danton.-  Ich, ich? Nein, ich sprach nicht; das dacht' ich kaum, das waren nur ganz leise, heimliche Gedanken.

Julie. - Du zitterst, Danton!

Danton. - Und soll ich nicht zittern, wenn so die Wände plaudern? Wenn mein Leib so zerteilt ist, daß meine Gedanken unstet, umirrend mit den Lippen der Steine reden? Das ist seltsam.

Julie. - Georg, mein Georg!

Danton. -  Ja, Julie, das ist sehr seltsam. Ich möchte nicht mehr denken, wenn das gleich so spricht. Es gibt Gedanken, Julie, für die es keine Ohren geben sollte. Das ist nicht gut, daß sie bei der Geburt gleich schreien wie Kinder; das ist nicht gut.

Julie. - Gott erhalte dir deine Sinne! Georg, Georg, erkennst du mich?

Danton. - Ei warum nicht! Du bist ein Mensch und dann eine Frau und endlich meine Frau, und die Erde hat fünf Weltteile, Europa, Asien, Afrika, Amerika, Australien, und zwei mal zwei macht vier. Ich bin bei Sinnen, siehst du. - Schrie's nicht September? Sagtest du nicht so was?

Julie. - Ja, Danton, durch alle Zimmer hört ich's.

Danton. - Wie ich ans Fenster kam - (er sieht hinaus:) die Stadt ist ruhig, alle Lichter aus…

Julie. - Ein Kind schreit in der Nähe.

Danton. - Wie ich ans Fenster kam - durch alle Gassen schrie und zetert' es: September!

Julie. - Du träumtest, Danton. Faß dich!

Danton. - Träumtest? Ja, ich träumte; doch das war anders, ich will dir es gleich sagen - mein armer Kopf ist schwach - gleich! So, jetzt hab ich's: Unter mir keuchte die Erdkugel in ihrem Schwung; ich hatte sie wie ein wildes Roß gepackt, mit riesigen Gliedern wühlt' ich in ihren Mähnen und preßt' ich ihre Rippen, das Haupt abwärts gewandt, die Haare flatternd über dem Abgrund; so ward ich geschleift. Da schrie ich in der Angst, und ich erwachte. Ich trat ans Fenster - und da hört' ich's, Julie. Was das Wort nur will? Warum gerade das? Was hab ich damit zu schaffen? Was streckt es nach mir die blutigen Hände? Ich hab es nicht geschlagen. - O hilf mir, Julie, mein Sinn ist stumpf! War's nicht im September, Julie?

Julie. - Die Könige waren nur noch vierzig Stunden von Paris…

Danton. - Die Festungen gefallen, die Aristokraten in der Stadt…

Julie. - Die Republik war verloren.

Danton. - Ja, verloren. Wir konnten den Feind nicht im Rücken lassen, wir wären Narren gewesen: zwei Feinde auf einem Brett; wir oder sie, der Stärkere stößt den Schwächeren hinunter - ist das nicht billig?

Julie. - Ja, ja.

Danton. - Wir schlugen sie - das war kein Mord, das war Krieg nach innen.

Julie. - Du hast das Vaterland gerettet.

Danton.-  Ja, das hab ich; das war Notwehr, wir mußten. Der Mann am Kreuze hat sich's bequem gemacht: es muß ja Ärgernis kommen, doch wehe dem, durch welchen Ärgernis kommt! - Es muß; das war dies Muß. Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß gesprochen, wer? Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet? Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! die Schwerter, mit denen Geister kämpfen - man sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen. - Jetzt bin ich ruhig.

Julie. - Ganz ruhig, lieb Herz?

Danton. - Ja, Julie; komm, zu Bette!
SECHSTE SZENE

Straße vor Dantons Haus
Simon. Bürgersoldaten.

Simon. - Wie weit ist's in der Nacht?

Erster Bürger. - Was in der Nacht?

Simon. - Wie weit ist die Nacht?

Erster Bürger. - So weit als zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang.

Simon. - Schuft, wieviel Uhr?

Erster Bürger. - Sieh auf dein Zifferblatt; es ist die Zeit, wo die Perpendikel unter den Bettdecken ausschlagen.

Simon. - Wir müssen hinauf! Fort, Bürger! Wir haften mit unseren Köpfen dafür. Tot oder lebendig! Er hat gewaltige Glieder. Ich werde vorangehn,

Bürger.-  Der Freiheit eine Gasse! - Sorgt für mein Weib! Eine Eichenkrone werd ich ihr hinterlassen.


Erster Bürger. - Eine Eichelkrone? Es sollen ihr ohnehin jeden Tag Eicheln genug in den Schoß fallen.

Simon. - Vorwärts, Bürger, ihr werdet euch um das Vaterland verdient machen!

Zweiter Bürger. - Ich wollte, das Vaterland machte sich um uns verdient; über all den Löchern, die wir in andrer Leute Körper machen, ist noch kein einziges in unsern Hosen zugegangen.

Erster Bürger. - Willst du, daß dir dein Hosenlatz zuginge? Hä, hä, hä!

Die andern. - Hä, hä, hä!

Simon. - Fort, fort! (Sie dringen in Dantons Haus.)
SIEBENTE SZENE

Der Nationalkonvent

Eine Gruppe von Deputierten.

Legendre. - Soll denn das Schlachten der Deputierten nicht aufhören? - Wer ist noch sicher, wenn Danton fällt?

Ein Deputierter.- Was tun?

Ein anderer.-  Er muß vor den Schranken des Konvents gehört werden. - Der Erfolg dieses Mittels ist sicher; was sollten sie seiner Stimme entgegensetzen?

Ein anderer. - Unmöglich, ein Dekret verhindert uns.

Legendre. -  Es muß zurückgenommen oder eine Ausnahme gestattet werden. - Ich werde den Antrag machen; ich rechne auf eure Unterstützung.

Der Präsident. - Die Sitzung ist eröffnet.

Legendre (besteigt die Tribüne).-  Vier Mitglieder des Nationalkonvents sind verflossene Nacht verhaftet worden. Ich weiß, daß Danton einer von ihnen ist, die Namen der übrigen kenne ich nicht. Mögen sie übrigens sein, wer sie wollen, so verlange ich, daß sie vor den Schranken gehört werden. Bürger, ich erkläre es: ich halte Danton für ebenso rein wie mich selbst, und ich glaube nicht, daß mir irgendein Vorwurf gemacht werden kann. Ich will kein Mitglied des Wohlfahrts- oder des Sicherheitsausschusses angreifen, aber gegründete Ursachen lassen mich fürchten, Privathaß und Privatleidenschaft möchten der Freiheit Männer entreißen, die ihr die größten Dienste erwiesen haben. Der Mann, welcher im Jahre 1792 Frankreich durch seine Energie rettete, verdient gehört zu werden; er muß sich erklären dürfen, wenn man ihn des Hochverrats anklagt. (Heftige Bewegung.)

Einige Stimmen. - Wir unterstützen Legendres Vorschlag.

Ein Deputierter.-  Wir sind hier im Namen des Volkes; man kann uns ohne den Willen unserer Wähler nicht von unseren Plätzen reißen.

Ein anderer. - Eure Worte riechen nach Leichen; ihr habt sie den Girondisten aus dem Munde genommen. Wollt ihr Privilegien? Das Beil des Gesetzes schwebt über allen Häuptern.

Ein anderer. - Wir können unsern Ausschüssen nicht erlauben, die Gesetzgeber aus dem Asyl des Gesetzes auf die Guillotine zu schicken.

Ein anderer. - Das Verbrechen hat kein Asyl, nur gekrönte Verbrecher finden eins auf dem Thron.

Ein anderer. - Nur Spitzbuben appellieren an das Asylrecht.

Ein anderer. - Nur Mörder erkennen es nicht an.

Robespierre. - Die seit langer Zeit in dieser Versammlung unbekannte Verwirrung beweist, daß es sich um große Dinge handelt. Heute entscheidet sich's, ob einige Männer den Sieg über das Vaterland davontragen werden.  Wie könnt ihr eure Grundsätze weit genug verleugnen, um heute einigen Individuen das zu bewilligen, was ihr gestern Chabot, Delaunai und Fahre verweigert habt? Was soll dieser Unterschied zugunsten einiger Männer? Was kümmern mich die Lobsprüche, die man sich selbst und seinen Freunden spendet? Nur zu viele Erfahrungen haben uns gezeigt, was davon zu halten sei. Wir fragen nicht, ob ein Mann diese oder jene patriotische Handlung vollbracht habe; wir fragen nach seiner ganzen politischen Laufbahn. - Legendre scheint die Namen der Verhafteten nicht zu wissen; der ganze Konvent kennt sie. Sein Freund Lacroix ist darunter. Warum scheint Legendre das nicht zu wissen? Weil er wohl weiß, daß nur die Schamlosigkeit Lacroix verteidigen kann. Er nannte nur Danton, weil er glaubt, an diesen Namen knüpfe sich ein Privilegium. Nein, wir wollen keine Privilegien, wir wollen keine Götzen! (Beifall.) Was hat Danton vor Lafayette, vor Dumouriez, vor Brissot, Fabre, Chabot, Hébert voraus? Was sagt man von diesen, was man nicht auch von ihm sagen könnte? Habt ihr sie gleichwohl geschont? Wodurch verdient er einen Vorzug vor seinen Mitbürgern? Etwa, weil einige betrogene Individuen und andere, die sich nicht betrügen ließen, sich um ihn reihten, um in seinem Gefolge dem Glück und der Macht in die Arme zu laufen? - Je mehr er die Patrioten betrogen hat, welche Vertrauen in ihn setzten, desto nachdrücklicher muß er die Strenge der Freiheitsfreunde empfinden. Man will euch Furcht einflößen vor dem Mißbrauche einer Gewalt, die ihr selbst ausgeübt habt. Man schreit über den Despotismus der Ausschüsse, als ob das Vertrauen, welches das Volk euch geschenkt und das ihr diesen Ausschüssen übertragen habt, nicht eine sichre Garantie ihres Patriotismus wäre. Man stellt sich, als zittre man. Aber ich sage euch, wer in diesem Augenblicke zittert, ist schuldig; denn nie zittert die Unschuld vor der öffentlichen Wachsamkeit. (Allgemeiner Beifall.) Man hat auch mich schrecken wollen; man gab mir zu verstehen, daß die Gefahr, indem sie sich Danton nähere, auch bis zu mir dringen könne. Man schrieb mir, Dantons Freunde hielten mich umlagert, in der Meinung, die Erinnerung an eine alte Verbindung, der blinde Glauben an erheuchelte Tugenden könnten mich bestimmen, meinen Eifer und meine Leidenschaft für die Freiheit zu mäßigen. - So erkläre ich denn: nichts soll mich aufhalten, und sollte auch Dantons Gefahr die meinige werden. Wir alle haben etwas Mut und etwas Seelengröße nötig. Nur Verbrecher und gemeine Seelen fürchten, ihresgleichen an ihrer Seite fallen zu sehen, weil sie, wenn keine Schar von Mitschuldigen sie mehr versteckt, sich dem Licht der Wahrheit ausgesetzt sehen. Aber wenn es dergleichen Seelen in dieser Versammlung gibt, so gibt es in ihr auch heroische. Die Zahl der Schurken ist nicht groß; wir haben nur wenige Köpfe zu treffen, und das Vaterland ist gerettet. (Beifall.) Ich verlange, daß Legendres Vorschlag zurückgewiesen werde.

(Die Deputierten erheben sich sämtlich zum Zeichen allgemeiner Beistimmung.)

St. Just. - Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben, die das Wort »Blut« nicht wohl vertragen können. Einige allgemeine Betrachtungen mögen sie überzeugen, daß wir nicht grausamer sind als die Natur und als die Zeit. Die Natur folgt ruhig und unwiderstehlich ihren Gesetzen; der Mensch wird vernichtet, wo er mit ihnen in Konflikt kommt. Eine Änderung in den Bestandteilen der Luft, ein Auflodern des tellurischen Feuers, ein Schwanken in dem Gleichgewicht einer Wassermasse und eine Seuche, ein vulkanischer Ausbruch, eine Überschwemmung begraben Tausende. Was ist das Resultat? Eine unbedeutende, im großen Ganzen kaum bemerkbare Veränderung der physischen Natur, die fast spurlos vorübergegangen sein würde, wenn nicht Leichen auf ihrem Wege lägen. Ich frage nun: soll die geistige Natur in ihren Revolutionen mehr Rücksicht nehmen als die physische? Soll eine Idee nicht ebensogut wie ein Gesetz der Physik vernichten dürfen, was sich ihr widersetzt? Soll überhaupt ein Ereignis, was die ganze Gestaltung der moralischen Natur, das heißt der Menschheit, umändert, nicht durch Blut gehen dürfen? Der Weltgeist bedient sich in der geistigen Sphäre unserer Arme ebenso, wie er in der physischen Vulkane und Wasserfluten gebraucht. Was liegt daran, ob sie an einer Seuche oder an der Revolution sterben? Die Schritte der Menschheit sind langsam, man kann sie nur nach Jahrhunderten zählen; hinter jedem erheben sich die Gräber von Generationen. Das Gelangen zu den einfachsten Erfindungen und Grundsätzen hat Millionen das Leben gekostet, die auf dem Wege starben. Ist es denn nicht einfach, daß zu einer Zeit, wo der Gang der Geschichte rascher ist, auch mehr Menschen außer Atem kommen? Wir schließen schnell und einfach: Da alle unter gleichen Verhältnissen geschaffen werden, so sind alle gleich, die Unterschiede abgerechnet, welche die Natur selbst gemacht hat; es darf daher jeder Vorzüge und darf daher keiner Vorrechte haben, weder ein einzelner noch eine geringere oder größere Klasse von Individuen. - Jedes Glied dieses in der Wirklichkeit angewandten Satzes hat seine Menschen getötet. Der 14. Juli, der 10. August, der 31. Mai sind seine Interpunktionszeichen. Er hatte vier Jahre Zeit nötig, um in der Körperwelt durchgeführt zu werden, und unter gewöhnlichen Umständen hätte er ein Jahrhundert dazu gebraucht und wäre mit Generationen interpunktiert worden. Ist es da so zu verwundern, daß der Strom der Revolution bei jedem Absatz, bei jeder neuen Krümmung seine Leichen ausstößt? Wir werden unserm Satze noch einige Schlüsse hinzuzufügen haben; sollen einige hundert Leichen uns verhindern, sie zu machen? - Moses führte sein Volk durch das Rote Meer und in die Wüste, bis die alte verdorbne Generation sich aufgerieben hatte, eh' er den neuen Staat gründete. Gesetzgeber! Wir haben weder das Rote Meer noch die Wüste, aber wir haben den Krieg und die Guillotine. Die Revolution ist wie die Töchter des Pelias: sie zerstückt die Menschheit, um sie zu verjüngen. Die Menschheit wird aus dem Blutkessel wie die Erde aus den Wellen der Sündflut mit urkräftigen Gliedern sich erheben, als wäre sie zum ersten Male geschaffen. (Langer, anhaltender Beifall. Einige Mitglieder erheben sich im Enthusiasmus.) Alle geheimen Feinde der Tyrannei, welche in Europa und auf dem ganzen Erdkreise den Dolch des Brutus unter ihren Gewändern tragen, fordern wir auf, diesen erhabnen Augenblick mit uns zu teilen. (Die Zuhörer und die Deputierten stimmen die Marseillaise an.)
DRITTER  AKT

ERSTE SZENE

Das Luxembourg. Ein Saal mit Gefangnen

Chaumette, Payne, Mercier, Hérault-Séchelles und andre Gefangne.

Chaumette (zupft Payne am Ärmel). - Hören Sie, Payne, es könnte doch so sein, vorhin überkam es mich so; ich habe heute Kopfweh, helfen Sie mir ein wenig mit Ihren Schlüssen, es ist mir ganz unheimlich zumut.

Payne.-  So komm, Philosoph Anaxagoras, ich will dich katechisieren. - Es gibt keinen Gott, denn: Entweder hat Gott die Welt geschaffen oder nicht. Hat er sie nicht geschaffen, so hat die Welt ihren Grund in sich, und es gibt keinen Gott, da Gott nur dadurch Gott wird, daß er den Grund alles Seins enthält. Nun kann aber Gott die Welt nicht geschaffen haben; denn entweder ist die Schöpfung ewig wie Gott, oder sie hat einen Anfang. Ist letzteres der Fall, so muß Gott sie zu einem bestimmten Zeitpunkt geschaffen haben, Gott muß also, nachdem er eine Ewigkeit geruht, einmal tätig geworden sein, muß also einmal eine Veränderung in sich erlitten haben, die den Begriff Zeit auf ihn anwenden läßt, was beides gegen das Wesen Gottes streitet. Gott kann also die Welt nicht geschaffen haben. Da wir nun aber sehr deutlich wissen, daß die Welt oder daß unser Ich wenigstens vorhanden ist und daß sie dem Vorhergehenden nach also auch ihren Grund in sich oder in etwas haben muß, das nicht Gott ist, so kann es keinen Gott geben. Quod erat demonstrandum.

Chaumette. - Ei wahrhaftig, das gibt mir wieder Licht; ich danke, danke!

Mercier. - Halten Sie, Payne! Wenn aber die Schöpfung ewig ist?

Payne.-  Dann ist sie schon keine Schöpfung mehr, dann ist sie eins mit Gott oder ein Attribut desselben, wie Spinoza sagt; dann ist Gott in allem, in Ihnen, Wertester, im Philosoph Anaxagoras und in mir. Das wäre so übel nicht, aber Sie müssen mir zugestehen, daß es gerade nicht viel um die himmlische Majestät ist, wenn der liebe Herrgott in jedem von uns Zahnweh kriegen, den Tripper haben, lebendig begraben werden oder wenigstens die sehr unangenehmen Vorstellungen davon haben kann.

Mercier. - Aber eine Ursache muß doch da sein.

Payne. - Wer leugnet dies? Aber wer sagt Ihnen denn, daß diese Ursache das sei, was wir uns als Gott, d. h. als das Vollkommne denken? Halten Sie die Welt für vollkommen?

Mercier. - Nein.

Payne. - Wie wollen Sie denn aus einer unvollkommnen Wirkung auf eine vollkommne Ursache schließen? - Voltaire wagte es ebensowenig mit Gott als mit den Königen zu verderben, deswegen tat er es. Wer einmal nichts hat als Verstand und ihn nicht einmal konsequent zu gebrauchen weiß oder wagt, ist ein Stümper.

Mercier. - Ich frage dagegen: kann eine vollkommne Ursache eine vollkommne Wirkung haben, d. h. kann etwas Vollkommnes was Vollkommnes schaffen? Ist das nicht unmöglich, weil das Geschaffne doch nie seinen Grund in sich haben kann, was doch, wie Sie sagten, zur Vollkommenheit gehört?

Chaumette. - Schweigen Sie! Schweigen Sie!

Payne. - Beruhige dich, Philosoph! - Sie haben recht; aber muß denn Gott einmal schaffen, kann er nur was Unvollkommnes schaffen, so läßt er es gescheuter ganz bleiben. Ist's nicht sehr menschlich, uns Gott nur als schaffend denken zu können? Weil wir uns immer regen und schütteln müssen, um uns nur immer sagen zu können: wir sind! müssen wir Gott auch dies elende Bedürfnis andichten? - Müssen wir, wenn sich unser Geist in das Wesen einer harmonisch in sich ruhenden, ewigen Seligkeit versenkt, gleich annehmen, sie müsse die Finger ausstrecken und über Tisch Brotmännchen kneten? aus überschwenglichem Liebesbedürfnis, wie wir uns ganz geheimnisvoll in die Ohren sagen. Müssen wir das alles, bloß um uns zu Göttersöhnen zu machen? Ich nehme mit einem geringern Vater vorlieb; wenigstens werd ich ihm nicht nachsagen können, daß er mich unter seinem Stande in Schweineställen oder auf den Galeeren habe erziehen lassen.
Schafft das Unvollkommne weg, dann allein könnt ihr Gott demonstrieren; Spinoza hat es versucht. Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz; nur der Verstand kann Gott beweisen, das Gefühl empört sich dagegen. Merke dir es, Anaxagoras: warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riß in der Schöpfung von oben bis unten.

Mercier. - Und die Moral?

Payne. - Erst beweist ihr Gott aus der Moral und dann die Moral aus Gott! - Was wollt ihr denn mit eurer Moral? Ich weiß nicht, ob es an und für sich was Böses oder was Gutes gibt, und habe deswegen doch nicht nötig, meine Handlungsweise zu ändern. Ich handle meiner Natur gemäß; was ihr angemessen, ist für mich gut und ich tue es, und was ihr zuwider, ist für mich bös und ich tue es nicht und verteidige mich dagegen, wenn es mir in den Weg kommt. Sie können, wie man so sagt, tugendhaft bleiben und sich gegen das sogenannte Laster wehren, ohne deswegen ihre Gegner verachten zu müssen, was ein gar trauriges Gefühl ist.

Chaumette. - Wahr, sehr wahr!

Hérault.-  O Philosoph Anaxagoras, man könnte aber auch sagen: damit Gott alles sei, müsse er auch sein eignes Gegenteil sein, d. h. vollkommen und unvollkommen, bös und gut, selig und leidend; das Resultat freilich würde gleich Null sein, es würde sich gegenseitig heben, wir kämen zum Nichts. - Freue dich, du kömmst glücklich durch: du kannst ganz ruhig in Madame Momoro das Meisterstück der Natur anbeten, wenigstens hat sie dir die Rosenkränze dazu in den Leisten gelassen.

Chaumette. - Ich danke Ihnen verbindlichste meine Herren! (Ab.)

Payne. - Er traut noch nicht, er wird sich zu guter Letzt noch die Ölung geben, die Füße nach Mekka zu legen und sich beschneiden lassen, um ja keinen Weg zu verfehlen.

(Danton, Lacroix, Camille, Philippeau werden hereingeführt.)

Hérault.-  (läuft auf Danton zu und umarmt ihn). Guten Morgen! Gute Nacht sollte ich sagen. Ich kann nicht fragen, wie hast du geschlafen -: wie wirst du schlafen?

Danton. - Nun gut, man muß lachend zu Bett gehn.

Mercier (zu Payne). -  Diese Dogge mit Taubenflügeln! Er ist der böse Genius der Revolution; er wagte sich an seine Mutter, aber sie war stärker als er.

Payne. - Sein Leben und sein Tod sind ein gleich großes Unglück.

Lacroix (zu Danton). - Ich dachte nicht, daß sie so schnell kommen würden.

Danton. - Ich wußt' es, man hatte mich gewarnt.

Lacroix. - Und du hast nichts gesagt?

Danton. - Zu was? Ein Schlagfluß ist der beste Tod; wolltest du zuvor krank sein? Und - ich dachte nicht, daß sie es wagen würden. (Zu Hérault:) Es ist besser, sich in die Erde legen als sich Leichdörner auf ihr laufen; ich habe sie lieber zum Kissen als zum Schemel.

Hérault. - Wir werden wenigstens nicht mit Schwielen an den Fingern der hübschen Dame Verwesung die Wangen streicheln.

Camille (zu Danton). - Gib dir nur keine Mühe! du magst die Zunge noch so weit zum Hals heraushängen, du kannst dir damit doch nicht den Todesschweiß von der Stirne lecken. - O Lucile! Das ist ein großer Jammer!

(Die Gefangnen drängen sich um die neu Angekommnen.)

Danton (zu Payne).-  Was Sie für das Wohl Ihres Landes getan, habe ich für das meinige versucht. Ich war weniger glücklich, man schickt mich aufs Schafott; meinetwegen, ich werde nicht stolpern.

Mercier (zu Danton). - Das Blut der Zweiundzwanzig ersäuft dich.

Ein Gefangener (zu Hérault). - Die Macht des Volkes und die Macht der Vernunft sind eins.

Ein andrer (zu Camille). - Nun, Generalprokurator der Laterne, deine Verbesserung der Straßenbeleuchtung hat in Frankreich nicht heller gemacht.

Ein andrer. - Laßt ihn! Das sind die Lippen, welche das Wort »Erbarmen« gesprochen.

(Er umarmt Camille, mehrere Gefangne folgen seinem Beispiel.)

Philippeau. - Wir sind Priester, die mit Sterbenden gebetet haben; wir sind angesteckt worden und sterben an der nämlichen Seuche.

Einige Stimmen. - Der Streich, der euch trifft, tötet uns alle.


Camille. - Meine Herren, ich beklage sehr, daß unsere Anstrengungen so fruchtlos waren; ich gehe aufs Schafott, weil mir die Augen über das Los einiger Unglücklichen naß geworden.
ZWEITE SZENE

Ein Zimmer

Fouquier-Tinville. Herman.

Fouquier. - Alles bereit?

Herman. - Es wird schwer halten; wäre Danton nicht darunter, so ginge es leicht.

Fouquier. - Er muß vortanzen.

Herman. - Er wird die Geschwornen erschrecken, er ist die Vogelscheuche der Revolution.

Fouquier. - Die Geschwornen müssen wollen.

Herman. - Ein Mittel wüßt' ich, aber es wird die gesetzliche Form verletzen.

Fouquier. - Nur zu!

Herman. - Wir losen nicht, sondern suchen die Handfesten aus.

Fouquier. - Das muß gehen.  Das wird ein gutes Heckefeuer geben. Es sind ihrer neunzehn. Sie sind geschickt zusammengewörfelt. Die vier Fälscher, dann einige Bankiers und Fremde. Es ist ein pikantes Gericht. Das Volk braucht dergleichen. - Also zuverlässige Leute! Wer zum Beispiel?

Herman. - Leroi. Er ist taub und hört daher nichts von all dem, was die Angeklagten vorbringen. Danton mag sich den Hals bei ihm rauh schreien.

Fouquier. - Sehr gut; weiter!

Herman. -  Vilatte und Lumière. Der eine sitzt immer in der Trinkstube, und der andere schläft immer; beide öffnen den Mund nur, um das Wort »Schuldig« zu sagen. - Girard hat den Grundsatz, es dürfe keiner entwischen, der einmal vor das Tribunal gestellt sei. Renaudin…

Fouquier. - Auch der? Er half einmal einigen Pfaffen durch.

Herman. - Sei ruhig! Vor einigen Tagen kommt er zu mir und verlangt, man solle allen Verurteilten vor der Hinrichtung zur Ader lassen, um sie ein wenig matt zu machen; ihre meist trotzige Haltung ärgere ihn.

Fouquier. - Ach, sehr gut. Also ich verlasse mich!

Herman. - Laß mich nur machen!
DRITTE SZENE

Die Conciergerie. Ein Korridor

Lacroix, Danton, Mercier und andre Gefangne auf und ab gehend.

Lacroix (zu einem Gefangnen). - Wie, so viel Unglückliche, und in einem so elenden Zustande?

Der Gefangne. - Haben Ihnen die Guillotinenkarren nie gesagt, daß Paris eine Schlachtbank sei?

Mercier. - Nicht wahr, Lacroix, die Gleichheit schwingt ihre Sichel über allen Häuptern, die Lava der Revolution fließt, die Guillotine republikanisiert! Da klatschen die Galerien, und die Römer reiben sich die Hände; aber sie hören nicht, daß jedes dieser Worte das Röcheln eines Opfers ist. Geht einmal euren Phrasen nach bis zu dem Punkt, wo sie verkörpert werden. - Blickt um euch, das alles habt ihr gesprochen; es ist eine mimische Übersetzung eurer Worte. Diese Elenden, ihre Henker und die Guillotine sind eure lebendig gewordnen Reden. Ihr bautet eure Systeme, wie Bajazet seine Pyramiden, aus Menschenköpfen.

Danton. - Du hast recht : man arbeitet heutzutag alles in Menschenfleisch. Das ist der Fluch unserer Zeit. Mein Leib wird jetzt auch verbraucht. Es ist grade ein Jahr, daß ich das Revolutionstribunal schuf. Ich bitte Gott und Menschen dafür um Verzeihung; ich wollte neuen Septembermorden zuvorkommen, ich hoffte die Unschuldigen zu retten, aber dies langsame Morden mit seinen Formalitäten ist gräßlicher und ebenso unvermeidlich. Meine Herren, ich hoffte, Sie alle diesen Ort verlassen zu machen.

Mercier. - Oh, herausgehen werden wir.

Danton. - Ich bin jetzt bei Ihnen; der Himmel weiß, wie das enden soll.
VIERTE SZENE

Das Revolutionstribunal

Herman (zu Danton). - Ihr Name, Bürger.

Danton. - Die Revolution nennt meinen Namen. Meine Wohnung ist bald im Nichts und mein Name im Pantheon der Geschichte.

Herman. - Danton, der Konvent beschuldigt Sie, mit Mirabeau, mit Dumouriez, mit Orléans, mit den Girondisten, den Fremden und der Faktion Ludwigs des XVII. konspiriert zu haben.

Danton. - Meine Stimme, die ich so oft für die Sache des Volkes ertönen ließ, wird ohne Mühe die Verleumdung zurückweisen. Die Elenden, welche mich anklagen, mögen hier erscheinen, und ich werde sie mit Schande bedecken. Die Ausschüsse mögen sich hierher begeben, ich werde nur vor ihnen antworten. Ich habe sie als Kläger und als Zeugen nötig. Sie mögen sich zeigen. Übrigens, was liegt mir an euch und eurem Urteil? Ich hab es euch schon gesagt: das Nichts wird bald mein Asyl sein; - das Leben ist mir zur Last, man mag mir es entreißen, ich sehne mich danach, es abzuschütteln.

Herman. - Danton, die Kühnheit ist dem Verbrecher, die Ruhe der Unschuld eigen.

Danton. - Privatkühnheit ist ohne Zweifel zu tadeln, aber jene Nationalkühnheit, die ich so oft gezeigt, mit welcher ich so oft für die Freiheit gekämpft habe, ist die verdienstvollste aller Tugenden. - Sie ist meine Kühnheit, sie ist es, der ich mich hier zum Besten der Republik gegen meine erbärmlichen Ankläger bediene. Kann ich mich fassen, wenn ich mich auf eine so niedrige Weise verleumdet sehe? - Von einem Revolutionär wie ich darf man keine kalte Verteidigung erwarten. Männer meines Schlages sind in Revolutionen unschätzbar, auf ihrer Stirne schwebt das Genie der Freiheit. (Zeichen von Beifall unter den Zuhörern.)
Mich klagt man an, mit Mirabeau, mit Dumouriez, mit Orléans konspiriert, zu den Füßen elender Despoten gekrochen zu haben; mich fordert man auf, vor der unentrinnbaren, unbeugsamen Gerechtigkeit zu antworten. - Du elender St. Just wirst der Nachwelt für diese Lästerung verantwortlich sein!

Herman. - Ich fordere Sie auf, mit Ruhe zu antworten; gedenken Sie Marats, er trat mit Ehrfurcht vor seine Richter.

Danton. - Sie haben die Hände an mein ganzes Leben gelegt, so mag es sich denn aufrichten und ihnen entgegentreten; unter dem Gewichte jeder meiner Handlungen werde ich sie begraben. - Ich bin nicht stolz darauf. Das Schicksal führt uns den Arm, aber nur gewaltige Naturen sind seine Organe.
Ich habe auf dem Marsfelde dem Königtume den Krieg erklärt, ich habe es am 10. August geschlagen, ich habe es am 21. Januar getötet und den Königen einen Königskopf als Fehdehandschuh hingeworfen. (Wiederholte Zeichen von Beifall. - Er nimmt die Anklageakte.) Wenn ich einen Blick auf diese Schandschrift werfe, fühle ich mein ganzes Wesen beben. Wer sind denn die, welche Danton nötigen mußten, sich an jenem denkwürdigen Tage (dem 10. August) zu zeigen? Wer sind denn die privilegierten Wesen, von denen er seine Energie borgte? - Meine Ankläger mögen erscheinen! Ich bin ganz bei Sinnen, wenn ich es verlange. Ich werde die platten Schurken entlarven und sie in das Nichts zurückschleudern, aus dem sie nie hätten hervorkriechen sollen.

Herman (schellt). - Hören Sie die Klingel nicht?

Danton. - Die Stimme eines Menschen, welcher seine Ehre und sein Leben verteidigt, muß deine Schelle überschreien. Ich habe im September die junge Brut der Revolution mit den zerstückten Leibern der Aristokraten geätzt. Meine Stimme hat aus dem Golde der Aristokraten und Reichen dem Volke Waffen geschmiedet. Meine Stimme war der Orkan, welcher die Satelliten des Despotismus unter
Wogen von Bajonetten begrub. (Lauter Beifall.)

Herman.-  Danton, Ihre Stimme ist erschöpft, Sie sind zu heftig bewegt. Sie werden das nächste Mal Ihre Verteidigung beschließen, Sie haben Ruhe nötig. - Die Sitzung ist aufgehoben.

Danton. Jetzt kennt Ihr Danton - noch wenige Stunden, und er wird in den Armen des Ruhmes entschlummern.
FÜNFTE SZENE

Das Luxembourg. Ein Kerker
Dillon. Laflotte. Ein Gefangenwärter.

Dillon. - Kerl, leuchte mir mit deiner Nase nicht so ins Gesicht. Hä, hä, hä!

Laflotte.- Halte den Mund zu, deine Mondsichel hat einen Hof. Hä, hä, hä!

Wärter. - Hä, hä, hä! Glaubt Ihr, Herr, daß Ihr bei ihrem Schein lesen könntet?
(Zeigt auf einen Zettel, den er in der Hand hält.)

Dillon. - Gib her!

Wärter. - Herr, meine Mondsichel hat Ebbe bei mir gemacht.

Laflotte. - Deine Hosen sehen aus, als ob Flut wäre.

Wärter. - Nein, sie zieht Wasser. (Zu Dillon:) Sie hat sich vor Eurer Sonne verkrochen, Herr; Ihr müßt mir was geben, das sie wieder feurig macht, wenn Ihr dabei lesen wollt.

Dillon.-  Da, Kerl! Pack dich! (Er gibt ihm Geld. Wärter ab. - Dillon liest:) Danton hat das Tribunal erschreckt, die Geschwornen schwankten, die Zuhörer murrten. Der Zudrang war außerordentlich. Das Volk drängte sich um den Justizpalast und stand bis zu den Brücken. Eine Handvoll Geld, ein Arm endlich - hin! hin! (Er geht auf und ab und schenkt sich von Zeit zu Zeit aus einer Flasche ein.) Hätt' ich nur den Fuß auf der Gasse! Ich werde mich nicht so schlachten lassen. Ja, nur den Fuß auf der Gasse!

Laflotte. - Und auf dem Karren, das ist eins.

Dillon.-  Meinst du? Da lägen noch ein paar Schritte dazwischen, lange genug, um sie mit den Leichen der Dezemvirn zu messen. - Es ist endlich Zeit, daß die rechtschaffnen Leute das Haupt erheben.

Laflotte (für sich). - Desto besser, um so leichter ist es zu treffen. Nur zu, Alter; noch einige Gläser, und ich werde flott.

Dillon. - Die Schurken, die Narren, sie werden sich zuletzt noch selbst guillotinieren. (Er läuft auf und ab.)

Laflotte (beiseite). - Man könnte das Leben ordentlich wieder liebhaben, wie sein Kind, wenn man sich's selbst gegeben. Das kommt gerade nicht oft vor, daß man so mit dem Zufall Blutschande treiben und sein eigner Vater werden kann. Vater und Kind zugleich. Ein behaglicher Ödipus!

Dillon.-  Man füttert das Volk nicht mit Leichen; Dantons und Camilles Weiber mögen Assignaten unter das Volk werfen, das ist besser als Köpfe.

Laflotte (beiseite).-  Ich würde mir hintennach die Augen nicht ausreißen; ich könnte sie nötig haben, um den guten General zu beweinen.

Dillon. - Die Hand an Danton! Wer ist noch sicher? Die Furcht wird sie vereinigen.

Laflotte (beiseite). - Er ist doch verloren. Was ist's denn, wenn ich auf eine Leiche trete, um aus dem Grab zu klettern?

Dillon. - Nur den Fuß auf der Gasse! Ich werde Leute genug finden, alte Soldaten, Girondisten, Exadlige; wir erbrechen die Gefängnisse, wir müssen uns mit den Gefangnen verständigen.

Laflotte (beiseite).-  Nun freilich, es riecht ein wenig nach Schufterei. Was tut's? Ich hätte Lust, auch das zu versuchen; ich war bisher zu einseitig. Man bekommt Gewissensbisse, das ist doch eine Abwechslung; es ist nicht so unangenehm, seinen eignen Gestank zu riechen. - Die Aussicht auf die Guillotine ist mir langweilig geworden; so lang auf die Sache zu warten! Ich habe sie im Geist schon zwanzigmal durchprobiert. Es ist auch gar nichts Pikantes mehr dran; es ist ganz gemein geworden.

Dillon. - Man muß Dantons Frau ein Billett zukommen lassen.

Laflotte (beiseite).-  Und dann - ich fürchte den Tod nicht, aber den Schmerz. Es könnte wehe tun, wer steht mir dafür? Man sagt zwar, es sei nur ein Augenblick; aber der Schmerz hat ein feineres Zeitmaß, er zerlegt eine Tertie. Nein! Der Schmerz ist die einzige Sünde, und das Leiden ist das einzige Laster; ich werde tugendhaft bleiben.

Dillon.-  Höre, Laflotte, wo ist der Kerl hingekommen? Ich habe Geld, das muß gehen. Wir müssen das Eisen schmieden; mein Plan ist fertig.

Laflotte. - Gleich, gleich! Ich kenne den Schließer, ich werde mit ihm sprechen. Du kannst auf mich zählen, General, wir werden aus dem Loch kommen - (für sich im Hinausgehn:) um in ein anderes zu gehen: ich in das weiteste, die Welt, er in das engste, das Grab.
SECHSTE SZENE

Der Wohlfahrtsausschuß

St. Just. Barère. Collot d'Herbois. Billaud-Varennes.

Barère. - Was schreibt Fouquier?

St. Just. - Das zweite Verhör ist vorbei. Die Gefangnen verlangen das Erscheinen mehrerer Mitglieder des Konvents und des Wohlfahrtsausschusses; sie appellierten an das Volk, wegen Verweigerung der Zeugen. Die Bewegung der Gemüter soll unbeschreiblich sein. - Danton parodierte den Jupiter und schüttelte die Locken.

Collot. - Um so leichter wird ihn Samson daran packen.

Barère.-  Wir dürfen uns nicht zeigen, die Fischweiber und die Lumpensammler könnten uns weniger imposant finden.

Billaud. - Das Volk hat einen Instinkt, sich treten zu lassen, und wäre es nur mit Blicken; dergleichen insolente Physiognomien gefallen ihm. Solche Stirnen sind ärger als ein adliges Wappen, der feine Aristokratismus der Menschenverachtung sitzt auf ihnen. Es sollte sie jeder einschlagen helfen, den es verdrießt, einen Blick von oben herunter zu erhalten.

Barère.-  Er ist wie der hörnerne Siegfried, das Blut der Septembrisierten hat ihn unverwundbar gemacht. Was sagt Robespierre?

St. Just.- Er tut, als ob er etwas zu sagen hätte. Die Geschwornen müssen sich für hinlänglich unterrichtet erklären und die Debatten schließen.

Barère. - Unmöglich, das geht nicht.

St. Just.-  Sie müssen weg, um jeden Preis, und sollten wir sie mit den eignen Händen erwürgen. Wagt! Danton soll uns das Wort nicht umsonst gelehrt haben. Die Revolution wird über ihre Leichen nicht stolpern; aber bleibt Danton am Leben, so wird er sie am Gewand fassen, und er hat etwas in seiner Gestalt, als ob er die Freiheit notzüchtigen könnte. (St. Just wird hinausgerufen.)

(Ein Schließer tritt ein.)

Schließer. - In St. Pelagie liegen Gefangne am Sterben, sie verlangen einen Arzt.

Billaud. - Das ist unnötig, so viel Mühe weniger für den Scharfrichter.

Schließer. - Es sind schwangere Weiber dabei.

Billaud. - Desto besser, da brauchen ihre Kinder keinen Sarg.

Barère. - Die Schwindsucht eines Aristokraten spart dem Revolutionstribunal eine Sitzung. Jede Arznei wäre contrerevolutionär.

Collot (nimmt ein Papier). - Eine Bittschrift, ein Weibername!

Barère. - Wohl eine von denen, die gezwungen sein möchten, zwischen einem Guillotinenbrett und dem Bett eines Jakobiners zu wählen. Die wie Lukretia nach dem Verlust ihrer Ehre sterben, aber etwas später als die Römerin: im Kindbett oder am Krebs oder aus Altersschwäche. - Es mag nicht so unangenehm sein, einen Tarquinius aus der Tugendrepublik einer Jungfrau zu treiben.

Collot.- Sie ist zu alt. Madame verlangt den Tod, sie weiß sich auszudrücken: das Gefängnis liege auf ihr wie ein Sargdeckel; sie sitzt erst seit vier Wochen. Die Antwort ist leicht. (Er schreibt und liest:) »Bürgerin, es ist noch nicht lange genug, daß du den Tod wünschest.« (Schließer ab.)

Barère. - Gut gesagt! Aber, Collot, es ist nicht gut, daß die Guillotine zu lachen anfängt; die Leute haben sonst keine Furcht mehr davor; man muß sich nicht so familiär machen.

(St. Just kommt zurück.)

St. Just. - Eben erhalte ich eine Denunziation. Man konspiriert in den Gefängnissen; ein junger Mensch namens Laflotte hat alles entdeckt. Er saß mit Dillon im nämlichen Zimmer, Dillon hat getrunken und geplaudert.

Barère. Er schneidet sich mit seiner Bouteille den Hals ab; das ist schon mehr vorgekommen.

St. Just. Dantons und Camilles Weiber sollen Geld unter das Volk werfen, Dillon soll ausbrechen, man will die Gefangnen befreien, der Konvent soll gesprengt werden.

Barère. - Das sind Märchen.

St. Just. - Wir werden sie aber mit dem Märchen in Schlaf erzählen. Die Anzeige habe ich in Händen; dazu die Keckheit der Angeklagten, das Murren des Volks, die Bestürzung der Geschwornen - ich werde einen Bericht machen.

Barère. - Ja, geh, St. Just, und spinne deine Perioden, worin jedes Komma ein Säbelhieb und jeder Punkt ein abgeschlagner Kopf ist!

St. Just. - Der Konvent muß dekretieren, das Tribunal solle ohne Unterbrechung den Prozeß fortführen und dürfe jeden Angeklagten, welcher die dem Gerichte schuldige Achtung verletzte oder störende Auftritte
veranlaßte, von den Debatten ausschließen.

Barère.-  Du hast einen revolutionären Instinkt; das lautet ganz gemäßigt und wird doch seine Wirkung tun. Sie können nicht schweigen, Danton muß schreien.

St. Just. - Ich zähle auf eure Unterstützung. Es gibt Leute im Konvent, die ebenso krank sind wie Danton und welche die nämliche Kur fürchten. Sie haben wieder Mut bekommen, sie werden über Verletzung der Formen schreien…

Barère(ihn unterbrechend) - Ich werde ihnen sagen: Zu Rom wurde der Konsul, welcher die Verschwörung des Katilina entdeckte und die Verbrecher auf der Stelle mit dem Tod bestrafte, der verletzten Förmlichkeit angeklagt. Wer waren seine Ankläger?

Collot (mit Pathos).- Geh, St. Just! Die Lava der Revolution fließt. Die Freiheit wird die Schwächlinge, welche ihren mächtigen Schoß befruchten wollten, in ihren Umarmungen ersticken; die Majestät des Volks wird ihnen wie Jupiter der Semele unter Donner und Blitz erscheinen und sie in Asche verwandeln. Geh, St. Just, wir werden dir helfen, den Donnerkeil auf die Häupter der Feiglinge zu schleudern! (St. Just ab.)

Barère. - Hast du das Wort Kur gehört? Sie werden noch aus der Guillotine ein Spezifikum gegen die Lustseuche machen. Sie kämpfen nicht mit den Moderierten, sie kämpfen mit dem Laster.

Billaud. - Bis jetzt geht unser Weg zusammen.

Barère.-  Robespierre will aus der Revolution einen Hörsaal für Moral machen und die Guillotine als Katheder gebrauchen.

Billaud. - Oder als Betschemel.
Collot. - Auf dem er aber alsdann nicht stehen, sondern liegen soll.

Barère. - Das wird leicht gehen. Die Welt müßte auf dem Kopf stehen, wenn die sogenannten Spitzbuben von den sogenannten rechtlichen Leuten gehängt werden sollten.

Collot(zu Barère). - Wann kommst du wieder nach Clichy?

Barère - Wenn der Arzt nicht mehr zu mir kommt.

Collot.- Nicht wahr, über dem Ort steht ein Haarstern, unter dessen versengenden Strahlen dein Rückenmark ganz ausgedörrt wird?

Billaud.-  Nächstens werden die niedlichen Finger der reizenden Demaly es ihm aus dem Futterale ziehen und es als Zöpfchen über den Rücken hinunterhängen machen.

Barère (zuckt die Achseln). - Pst! davon darf der Tugendhafte nichts wissen.

Billaud. - Er ist ein impotenter Masoret. (Billaud und Collot ab.)

Barère (allein). Die Ungeheuer! - »Es ist noch nicht lange genug, daß du den Tod wünschest!« Diese Worte hätten die Zunge müssen verdorren machen, die sie gesprochen. Und ich? - Als die Septembriseurs in die Gefängnisse drangen, faßt ein Gefangner sein Messer, er drängt sich unter die Mörder, er stößt es in die Brust eines Priesters, er ist gerettet! Wer kann was dawider haben? Ob ich mich nun unter die Mörder dränge oder mich in den Wohlfahrtsausschuß setze, ob ich ein Guillotinen- oder ein Taschenmesser nehme? Es ist der nämliche Fall, nur mit etwas verwickelteren Umständen; die Grundverhältnisse sind sich gleich. - Und durft' er einen morden: durft' er auch zwei, auch drei, auch noch mehr? wo hört das auf? Da kommen die Gerstenkörner! Machen zwei einen Haufen, drei, vier, wieviel dann? Komm, mein Gewissen, komm, mein Hühnchen, komm, bi, bi, bi, da ist Futter! Doch - war ich auch Gefangner? Verdächtig war ich, das läuft auf eins hinaus; der Tod war mir gewiß. (Ab.)



SIEBENTE SZENE

Die Conciergerie
Lacroix. Danton. Philippeau. Camille.


Lacroix.-  Du hast gut geschrien, Danton; hättest du dich etwas früher so um dein Leben gequält, es wäre jetzt anders. Nicht wahr, wenn der Tod einem so unverschämt nahe kommt und so aus dem Hals stinkt und immer zudringlicher wird?

Camille. - Wenn er einen noch notzüchtigte und seinen Raub unter Ringen und Kampf aus den heißen Gliedern riß! Aber so in allen Formalitäten wie bei der Hochzeit mit einem alten Weibe, wie die Pakten aufgesetzt, wie die Zeugen gerufen, wie das Amen gesagt und wie dann die Bettdecke gehoben wird und es langsam hereinkriecht mit seinen kalten Gliedern!

Danton. - Wär' es ein Kampf, daß die Arme und Zähne einander packten! Aber es ist mir, als wäre ich in ein Mühlwerk gefallen, und die Glieder würden mir langsam systematisch von der kalten physischen Gewalt abgedreht. So mechanisch getötet zu werden!

Camille. - Und dann daliegen allein, kalt, steif in dem feuchten Dunst der Fäulnis - vielleicht, daß einem der Tod das Leben langsam aus den Fibern martert - mit Bewußtsein vielleicht sich wegzufaulen!

Philippeau. - Seid ruhig, meine Freunde! Wir sind wie die Herbstzeitlose, welche erst nach dem Winter Samen trägt. Von Blumen, die versetzt werden, unterscheiden wir uns nur dadurch, daß wir über dem Versuch ein wenig stinken. Ist das so arg?

Danton.-  Eine erbauliche Aussicht! Von einem Misthaufen auf den andern! Nicht wahr, die göttliche Klassentheorie? Von Prima nach Sekunda, von Sekunda nach Tertia und so weiter? Ich habe die Schulbänke satt, ich habe mir Gesäßschwielen wie ein Affe darauf gesessen.

Philippeau. - Was willst du denn?

Danton. - Ruhe.
Philippeau. - Die ist in Gott.

Danton. - Im Nichts. Versenke dich in was Ruhigers als das Nichts, und wenn die höchste Ruhe Gott ist, ist nicht das Nichts Gott? Aber ich bin ein Atheist. Der verfluchte Satz: Etwas kann nicht zu nichts werden! Und ich bin etwas, das ist der Jammer! - Die Schöpfung hat sich so breit gemacht, da ist nichts leer, alles voll Gewimmels. Das Nichts hat sich ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen, die Welt ist das Grab, worin es fault. - Das lautet verrückt, es ist aber doch was Wahres daran.

Camille. - Die Welt ist der Ewige Jude, das Nichts ist der Tod, aber er ist unmöglich. Oh, nicht sterben können, nicht sterben können! wie es im Lied heißt.

Danton. - Wir sind alle lebendig begraben und wie Könige in drei- oder vierfachen Särgen beigesetzt, unter dem Himmel, in unsern Häusern, in unsern Röcken und Hemden. - Wir kratzen fünfzig Jahre lang am Sargdeckel. Ja, wer an Vernichtung glauben könnte! dem wäre geholfen. - Da ist keine Hoffnung im Tod; er ist nur eine einfachere, das Leben eine verwickeltere, organisiertere Fäulnis, das ist der ganze Unterschied! - Aber ich bin gerad einmal an diese Art des Faulens gewöhnt; der Teufel weiß, wie ich mit einer andern zurechtkomme. O Julie! Wenn ich allein ginge! Wenn sie mich einsam ließe! - Und wenn ich ganz zerfiele, mich ganz auflöste: ich wäre eine Handvoll gemarterten Staubes, jedes meiner Atome könnte nur Ruhe finden bei ihr. - Ich kann nicht sterben, nein, ich kann nicht sterben. Wir sind noch nicht geschlagen. Wir müssen schreien; sie müssen mir jeden Lebenstropfen aus den Gliedern reißen.

Lacroix. - Wir müssen auf unsrer Forderung bestehen; unsre Ankläger und die Ausschüsse müssen vor dem Tribunal erscheinen.
ACHTE SZENE

Ein Zimmer
Fouquier. Amar. Vouland.

Fouquier. - Ich weiß nicht mehr, was ich antworten soll; sie fordern eine Kommission.

Amar. - Wir haben die Schurken: da hast du, was du verlangst. (Er überreicht Fouquier ein Papier.)

Vouland. - Das wird sie zufriedenstellen.

Fouquier. - Wahrhaftig, das hatten wir nötig.

Amar. - Nun mache, daß wir und sie die Sache vom Hals bekommen.
NEUNTE SZENE

Das Revolutionstribunal

Danton. - Die Republik ist in Gefahr, und er hat keine Instruktion! Wir appellieren an das Volk; meine Stimme ist noch stark genug, um den Dezemvirn die Leichenrede zu halten. - Ich wiederhole es, wir verlangen eine Kommission; wir haben wichtige Entdeckungen zu machen. Ich werde mich in die Zitadelle der Vernunft zurückziehen, ich werde mit der Kanone der Wahrheit hervorbrechen und meine Feinde zermalmen. (Zeichen des Beifalls.)

(Fouquier, Amar und Vouland treten ein.)

Fouquier. - Ruhe im Namen der Republik, Achtung dem Gesetz! Der Konvent beschließt: In Betracht, daß in den Gefängnissen sich Spuren von Meutereien zeigen, in Betracht, daß Dantons und Camilles Weiber Geld unter das Volk werfen und daß der General Dillon ausbrechen und sich an die Spitze der Empörer stellen soll, um die Angeklagten zu befreien, in Betracht endlich, daß diese selbst unruhige Auftritte herbeizuführen sich bemüht und das Tribunal zu beleidigen versucht haben, wird das Tribunal ermächtigt, die Untersuchung ohne Unterbrechung fortzusetzen und jeden Angeklagten, der die dem Gesetze schuldige Ehrfurcht außer Augen setzen sollte, von den Debatten auszuschließen.

Danton. - Ich frage die Anwesenden, ob wir dem Tribunal, dem Volke oder dem Nationalkonvent Hohn gesprochen haben?

Viele Stimmen. - Nein! Nein!

Camille. - Die Elenden, sie wollen meine Lucile morden!

Danton.-  Eines Tages wird man die Wahrheit erkennen. Ich sehe großes Unglück über Frankreich hereinbrechen. Das ist die Diktatur; sie hat ihren Schleier zerrissen, sie trägt die Stirne hoch, sie schreitet über unsere Leichen. (Auf Amar und Vouland deutend:) Seht da die feigen Mörder, seht da die Raben des Wohlfahrtsausschusses! Ich klage Robespierre, St. Just und ihre Henker des Hochverrats an.  Sie wollen die Republik im Blut ersticken. Die Gleise der Guillotinenkarren sind die Heerstraßen, auf welchen die Fremden in das Herz des Vaterlandes dringen sollen. Wie lange sollen die Fußstapfen der Freiheit Gräber sein? - Ihr wollt Brot, und sie werfen euch Köpfe hin! Ihr durstet, und sie machen euch das Blut von den Stufen der Guillotine lecken! (Heftige Bewegung unter den Zuhörern, Geschrei des Beifalls.)

Viele Stimmen. - Es lebe Danton, nieder mit den Dezemvirn! (Die Gefangnen werden mit Gewalt hinausgeführt.)
ZEHNTE SZENE

Platz vor dem Justizpalast
Ein Volkshaufe.

Einige Stimmen. - Nieder mit den Dezemvirn! Es lebe Danton!

Erster Bürger. - Ja, das ist wahr, Köpfe statt Brot, Blut statt Wein!

Einige Weiber. - Die Guillotine ist eine schlechte Mühle und Samson ein schlechter Bäckerknecht; wir wollen Brot, Brot!

Zweiter Bürger. - Euer Brot, das hat Danton gefressen. Sein Kopf wird euch allen wieder Brot geben, er hatte recht.

Erster Bürger. - Danton war unter uns am 10. August, Danton war unter uns im September. Wo waren die Leute, welche ihn angeklagt haben?

Zweiter Bürger. - Und Lafayette war mit euch in Versailles und war doch ein Verräter.

Erster Bürger. - Wer sagt, daß Danton ein Verräter sei?

Zweiter Bürger. - Robespierre.

Erster Bürger. - Und Robespierre ist ein Verräter!

Zweiter Bürger. - Wer sagt das?

Erster Bürger. - Danton.

Zweiter Bürger. - Danton hat schöne Kleider, Danton hat ein schönes Haus, Danton hat eine schöne Frau, er badet sich in Burgunder, ißt das Wildbret von silbernen Tellern und schläft bei euren Weibern und Töchtern, wenn er betrunken ist. - Danton war arm wie ihr. Woher hat er das alles? Das Veto hat es ihm gekauft, damit er ihm die Krone rette. Der Herzog von Orléans hat es ihm geschenkt, damit er ihm die Krone stehle. Der Fremde hat es ihm gegeben, damit er euch alle verrate. - Was hat Robespierre? Der tugendhafte Robespierre! Ihr kennt ihn alle. Alle. Es lebe Robespierre! Nieder mit Danton! Nieder mit dem Verräter!
VIERTER AKT

ERSTE SZENE

Ein Zimmer
Julie. Ein Knabe.

Julie. - Es ist aus. Sie zitterten vor ihm. Sie töten ihn aus Furcht. Geh! ich habe ihn zum letzten Mal gesehen; sag ihm, ich könne ihn nicht so sehen. (Sie gibt ihm eine Locke.) Da, bring ihm das und sag ihm, er würde nicht allein gehn - er versteht mich schon. Und dann schnell zurück, ich will seine Blicke aus deinen Augen lesen.
ZWEITE SZENE

Eine Straße
Dumas. Ein Bürger.

Bürger. - Wie kann man nach einem solchen Verhör soviel Unschuldige zum Tod verurteilen?

Dumas. - Das ist in der Tat außerordentlich; aber die Revolutionsmänner haben einen Sinn, der andern Menschen fehlt, und dieser Sinn trügt sie nie.

Bürger. - Das ist der Sinn des Tigers. - Du hast ein Weib.

Dumas. - Ich werde bald eins gehabt haben.

Bürger. - So ist es denn wahr?

Dumas. -Das Revolutionstribunal wird unsere Ehescheidung aussprechen; die Guillotine wird uns von Tisch und Bett trennen.

Bürger. - Du bist ein Ungeheuer!

Dumas. - Schwachkopf! Du bewunderst Brutus?

Bürger. - Von ganzer Seele.

Dumas. - Muß man denn gerade römischer Konsul sein und sein Haupt mit der Toga verhüllen können, um sein Liebstes dem Vaterlande zu opfern? Ich werde mir die Augen mit dem Ärmel meines roten Fracks abwischen; das ist der ganze Unterschied.

Bürger. - Das ist entsetzlich!

Dumas. - Geh, du begreifst mich nicht! (Sie gehen ab.)
DRITTE SZENE

Die Conciergerie
Lacroix, Hérault auf einem Bett, Danton, Camille auf einem andern.

Lacroix. - Die Haare wachsen einem so und die Nägel, man muß sich wirklich schämen.

Hérault.-  Nehmen Sie sich ein wenig in acht, Sie niesen mir das ganze Gesicht voll Sand!

Lacroix. - Und treten Sie mir nicht so auf die Füße, Bester, ich habe Hühneraugen!

Hérault. - Sie leiden noch an Ungeziefer.

Lacroix. - Ach, wenn ich nur einmal die Würmer ganz los wäre!

Hérault. Nun, schlafen Sie wohl! wir müssen sehen, wie wir miteinander zurechtkommen, wir haben wenig Raum. - Kratzen Sie mich nicht mit Ihren Nägeln im Schlaf! - So! Zerren Sie nicht so am Leichtuch, es ist kalt da unten!

Danton. - Ja, Camille, morgen sind wir durchgelaufne Schuhe, die man der Bettlerin Erde in den Schoß wirft.

Camille.-  Das Rindsleder, woraus nach Platon die Engel sich Pantoffeln geschnitten und damit auf der Erde herumtappen. Es geht aber auch danach.  Meine Lucile!

Danton. - Sei ruhig, mein Junge!

Camille. - Kann ich's? Glaubst du, Danton? Kann ich's? Sie können die Hände nicht an sie legen! Das Licht der Schönheit, das von ihrem süßen Leib sich ausgießt, ist unlöschbar. Sieh, die Erde würde nicht wagen, sie zu verschütten; sie würde sich um sie wölben, der Grabdunst würde wie Tau an ihren Wimpern funkeln, Kristalle würden wie Blumen um ihre Glieder sprießen und helle Quellen in Schlaf sie murmeln.

Danton. - Schlafe, mein Junge, schlafe!

Camille.-  Höre, Danton, unter uns gesagt, es ist so elend, sterben müssen. Es hilft auch zu nichts. Ich will dem Leben noch die letzten Blicke aus seinen hübschen Augen stehlen, ich will die Augen offen haben.

Danton.-  Du wirst sie ohnehin offen behalten, Samson drückt einem die Augen nicht zu. Der Schlaf ist barmherziger. Schlafe, mein Junge, schlafe!

Camille. - Lucile, deine Küsse phantasieren auf meinen Lippen; jeder Kuß wird ein Traum, meine Augen sinken und schließen ihn fest ein.

Danton. - Will denn die Uhr nicht ruhen? Mit jedem Picken schiebt sie die Wände enger um mich, bis sie so eng sind wie ein Sarg. - Ich las einmal als Kind so 'ne Geschichte, die Haare standen mir zu Berg. Ja, als Kind! Das war der Mühe wert, mich so groß zu füttern und mich warm zu halten. Bloß Arbeit für den Totengräber!
Es ist mir, als röch' ich schon. Mein lieber Leib, ich will mir die Nase zuhalten und mir einbilden, du seist ein Frauenzimmer, was vom Tanzen schwitzt und stinkt, und dir Artigkeiten sagen. Wir haben uns sonst schon mehr miteinander die Zeit vertrieben. Morgen bist du eine zerbrochene Fiedel; die Melodie darauf ist ausgespielt. Morgen bist du eine leere Bouteille; der Wein ist ausgetrunken, aber ich habe keinen Rausch davon und gehe nüchtern zu Bett - das sind glückliche Leute, die sich noch besaufen können. Morgen bist du eine durchgerutschte Hose; du wirst in die Garderobe geworfen, und die Motten werden dich fressen, du magst stinken, wie du willst. Ach, das hilft nichts! Jawohl, es ist so elend, sterben müssen. Der Tod äfft die Geburt; beim Sterben sind wir so hilflos und nackt wie neugeborne Kinder. Freilich, wir bekommen das Leichentuch zur Windel. Was wird es helfen? Wir können im Grab so gut wimmern wie in der
Wiege. Camille! Er schläft; (indem er sich über ihn bückt:) ein Traum spielt zwischen seinen Wimpern. Ich will den goldnen Tau des Schlafes ihm nicht von den Augen streifen (Er erhebt sich und tritt ans Fenster.) Ich werde nicht allein gehn: ich danke dir, Julie! doch hätte ich anders sterben mögen, so ganz mühelos, so wie ein Stern fällt, wie ein Ton sich selbst aushaucht, sich mit den eignen Lippen rotküßt, wie ein Lichtstrahl in klaren Fluten sich begräbt. - Wie schimmernde Tränen sind die Sterne durch die Nacht gesprengt; es muß ein großer Jammer in dem Aug' sein, von dem sie abträufelten.


Camille. - Oh! (Er hat sich aufgerichtet und tastet nach der Decke.)

Danton. - Was hast du, Camille?

Camille. - Oh, oh!

Danton (schüttelt ihn). - Willst du die Decke herunterkratzen?

Camille. - Ach du, du - o halt mich! sprich, du!

Danton. - Du bebst an allen Gliedern, der Schweiß steht dir auf der Stirne.

Camille. - Das bist du, das ich - so! Das ist meine Hand! Ja! jetzt besinn ich mich. O Danton, das war entsetzlich!

Danton. -  Was denn?

Camille. - Ich lag so zwischen Traum und Wachen. Da schwand die Decke, und der Mond sank herein, ganz nahe, ganz dicht, mein Arm erfaßt' ihn. Die Himmelsdecke mit ihren Lichtern hatte sich gesenkt, ich stieß daran, ich betastete die Sterne, ich taumelte wie ein Ertrinkender unter der Eisdecke. Das war entsetzlich, Danton!

Danton. - Die Lampe wirft einen runden Schein an die Decke, das sahst du.

Camille. - Meinetwegen, es braucht grade nicht viel, um einem das bißchen Verstand verlieren zu machen. Der Wahnsinn faßte mich bei den Haaren. (Er erhebt sich.) Ich mag nicht mehr schlafen, ich mag nicht verrückt
werden. (Er greift nach einem Buch.)

Danton. - Was nimmst du?

Camille. - Die Nachtgedanken.

Danton. - Willst du zum voraus sterben? Ich nehme die Pucelle. Ich will mich aus dem Leben nicht wie aus dem Betstuhl, sondern wie aus dem Bett einer Barmherzigen Schwester wegschleichen. Es ist eine Hure; es treibt mit der ganzen Welt Unzucht.
VIERTE SZENE

Platz vor der Conciergerie
Ein Schließer. Zwei Fuhrleute mit Karren. Weiber.

Schließer. - Wer hat euch herfahren geheißen?

Erster Fuhrmann. - Ich heiße nicht Herfahren, das ist ein kurioser Namen.

Schließer. - Dummkopf, wer hat dir die Bestallung dazu gegeben?

Erster Fuhrmann. - Ich habe keine Stallung dazu kriegt, nichts als zehn Sous für den Kopf.

Zweiter Fuhrmann. - Der Schuft will mich ums Brot bringen.

Erster Fuhrmann. - Was nennst du dein Brot? (Auf die Fenster der Gefangnen deutend:) Das ist Wurmfraß.

Zweiter Fuhrmann. - Meine Kinder sind auch Würmer, und die wollen auch ihr Teil davon. Oh, es geht schlecht mit unsrem Metier, und doch sind wir die besten Fuhrleute.

Erster Fuhrmann. - Wie das?

Zweiter Fuhrmann. - Wer ist der beste Fuhrmann?

Erster Fuhrmann. - Der am weitesten und am schnellsten fährt.

Zweiter Fuhrmann. - Nun, Esel, wer fährt weiter, als der aus der Welt fährt, und wer fährt schneller, als der 's in einer Viertelstunde tut? Genau gemessen ist's eine Viertelstunde von da bis zum Revolutionsplatz.

Schließer. - Rasch, ihr Schlingel! Näher ans Tor; Platz da, ihr Mädel!

Erster Fuhrmann. - Halt't Euren Platz vor! Um ein Mädel fährt man nit herum, immer in die Mitt' 'nein.

Zweiter Fuhrmann. - Ja, das glaub ich: du kannst mit Karren und Gäulen hinein, du findst gute Gleise; aber du mußt Quarantäne halten, wenn du herauskommst.

(Sie fahren vor.)

Zweiter Fuhrmann. (zu den Weibern). - Was gafft ihr?

Ein Weib. - Wir warten auf alte Kunden.

Zweiter Fuhrmann. - Meint ihr, mein Karren wär' ein Bordell? Er ist ein anständiger Karren, er hat den König und alle vornehmen Herren aus Paris zur Tafel gefahren.

Lucile - (tritt auf. Sie setzt sich auf einen Stein unter die Fenster der Gefangnen). Camille, Camille! (Camille erscheint am Fenster.) Höre, Camille, du machst mich lachen mit dem langen Steinrock und der eisernen Maske vor dem Gesicht; kannst du dich nicht bücken? Wo sind deine Arme? - Ich will dich locken, lieber  Vogel. (Singt:)
        Es stehn zwei Sternlein an dem Himmel,
        Scheinen heller als der Mond,
        Der ein' scheint vor Feinsliebchens Fenster,
        Der andre vor die Kammertür.
Komm, komm, mein Freund! Leise die Truppe herauf, sie schlafen alle. Der Mond hilft mir schon lange warten. Aber du kannst ja nicht zum Tor herein, das ist eine unleidliche Tracht. Das ist zu arg für den Spaß, mach ein Ende! Du rührst dich auch gar nicht, warum sprichst du nicht? Du machst mir Angst. Höre! die Leute sagen, du müßtest sterben, und machen dazu so ernsthafte Gesichter. Sterben! ich muß lachen über die Gesichter. Sterben! Was ist das für ein Wort? Sag mir's, Camille. Sterben! Ich will nachdenken. Da, da ist's. Ich will ihm nachlaufen; komm, süßer Freund, hilf mir fangen, komm! komm! (Sie läuft weg.)

Camille (ruft). - Lucile! Lucile!



FÜNFTE SZENE

Die Conciergerie
Danton an einem Fenster, was ins nächste Zimmer geht. Camille.
Philippeau. Lacroix. Hérault.


Danton. - Du bist jetzt ruhig, Fabre.

Eine Stimme (von innen). - Am Sterben.

Danton. - Weißt du auch, was wir jetzt machen werden?

Die Stimme. - Nun?

Danton. - Was du dein ganzes Leben hindurch gemacht hast - des vers.

Camille (für sich). - Der Wahnsinn saß hinter ihren Augen. Es sind schon mehr Leute wahnsinnig geworden, das ist der Lauf der Welt. Was können wir dazu? Wir waschen unsere Hände -. Es ist auch besser so.

Danton.- Ich lasse alles in einer schrecklichen Verwirrung. Keiner versteht das Regieren. Es könnte vielleicht noch gehn, wenn ich Robespierre meine Huren und Couthon meine Waden hinterließe.

Lacroix. - Wir hätten die Freiheit zur Hure gemacht!

Danton. - Was wäre es auch! Die Freiheit und eine Hure sind die kosmopolitischsten Dinge unter der Sonne. Sie wird sich jetzt anständig im Ehebett des Advokaten von Arras prostituieren. Aber ich denke, sie wird die Klytämnestra gegen ihn spielen; ich lasse ihm keine sechs Monate Frist, ich ziehe ihn mit mir.

Camille (für sich). - Der Himmel verhelf ihr zu einer behaglichen fixen Idee. Die allgemeinen fixen Ideen, welche man die gesunde Vernunft tauft, sind unerträglich langweilig. Der glücklichste Mensch war der, welcher sich einbilden konnte, daß er Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist sei.

Lacroix. - Die Esel werden schreien »Es lebe die Republik«, wenn wir vorbeigehen.

Danton. - Was liegt daran? Die Sündflut der Revolution mag unsere Leichen absetzen, wo sie will; mit unsern fossilen Knochen wird man noch immer allen Königen die Schädel einschlagen können.

Hérault. - Ja, wenn sich gerade ein Simson für unsere Kinnbacken findet.

Danton. - Sie sind Kainsbrüder.

Lacroix. - Nichts beweist mehr, daß Robespierre ein Nero ist, als der Umstand, daß er gegen Camille nie freundlicher war als zwei Tage vor dessen Verhaftung. Ist es nicht so, Camille?

Camille. - Meinetwegen, was geht das mich an? - (Für sich:) Was sie an dem Wahnsinn ein reizendes Kind geboren hat! Warum muß ich jetzt fort? Wir hätten zusammen mit ihm gelacht, es gewiegt und geküßt.

Danton. - Wenn einmal die Geschichte ihre Grüfte öffnet, kann der Despotismus noch immer an dem Duft unsrer Leichen ersticken.

Hérault. - Wir stanken bei Lebzeiten schon hinlänglich. - Das sind Phrasen für die Nachwelt, nicht wahr, Danton; uns gehn sie eigentlich nichts an.

Camille.-  Er zieht ein Gesicht, als solle es versteinern und von der Nachwelt als Antike ausgegraben werden. Das verlohnt sich auch der Mühe, Mäulchen zu machen und Rot aufzulegen und mit einem guten Akzent zu sprechen; wir sollten einmal die Masken abnehmen, wir sähen dann, wie in einem Zimmer mit Spiegeln, überall nur den einen uralten, zahnlosen, unverwüstlichen Schafskopf, nichts mehr, nichts weniger. Die Unterschiede sind so groß nicht, wir alle sind Schurken und Engel, Dummköpfe und Genies, und zwar das alles in einem: die vier Dinge finden Platz genug in dem nämlichen Körper, sie sind nicht so breit, als man sich einbildet. Schlafen, Verdauen, Kinder machen - das treiben alle; die übrigen Dinge sind nur Variationen aus verschiedenen Tonarten über das nämliche Thema. Da braucht man sich auf die Zehen zu stellen und Gesichter zu schneiden, da braucht man sich voreinander zu genieren! Wir haben uns alle am nämlichen Tische krank gegessen und haben Leibgrimmen; was haltet ihr euch die Servietten vor das Gesicht? Schreit nur und greint, wie es euch ankommt! Schneidet nur keine so tugendhafte und so witzige und so heroische und so geniale Grimassen, wir kennen uns ja einander, spart euch die Mühe!

Hérault. - Ja, Camille, wir wollen uns beieinandersetzen und schreien; nichts dummer, als die Lippen
zusammenzupressen, wenn einem was weh tut.  Griechen und Götter schrien, Römer und Stoiker machten die heroische Fratze.

Danton. - Die einen waren so gut Epikureer wie die andern. Sie machten sich ein ganz behagliches Selbstgefühl zurecht. Es ist nicht so übel, seine Toga zu drapieren und sich umzusehen, ob man einen langen Schatten wirft. Was sollen wir uns zerren? Ob wir uns nun Lorbeerblätter, Rosenkränze oder Weinlaub vor die Scham binden oder das häßliche Ding offen tragen und es uns von den Hunden lecken lassen?

Philippeau.- Meine Freunde, man braucht gerade nicht hoch über der Erde zu stehen, um von all dem wirren Schwanken und Flimmern nichts mehr zu sehen und die Augen von einigen großen, göttlichen Linien erfüllt zu haben. Es gibt ein Ohr, für welches das Ineinanderschreien und der Zeter, die uns betäuben, ein Strom von Harmonien sind.

Danton. - Aber wir sind die armen Musikanten und unsere Körper die Instrumente. Sind denn die häßlichen Töne, welche auf ihnen herausgepfuscht werden, nur da, um höher und höher dringend und endlich leise verhallend wie ein wollüstiger Hauch in himmlischen Ohren zu sterben?

Hérault.-  Sind wir wie Ferkel, die man für fürstliche Tafeln mit Ruten totpeitscht, damit ihr Fleisch schmackhafter werde?

Danton. - Sind wir Kinder, die in den glühenden Molochsarmen dieser Welt gebraten und mit Lichtstrahlen gekitzelt werden, damit die Götter sich über ihr Lachen freuen?

Camille.-  Ist denn der Äther mit seinen Goldaugen eine Schüssel mit Goldkarpfen, die am Tisch der seligen Götter steht, und die seligen Götter lachen ewig, und die Fische sterben ewig, und die Götter erfreuen sich ewig am Farbenspiel des Todeskampfes?

Danton. - Die Welt ist das Chaos. Das Nichts ist der zu gebärende Weltgott.

(Der Schließer tritt ein.)

Schließer. - Meine Herren, Sie können abfahren, die Wagen halten vor der Tür.

Philippeau.-  Gute Nacht, meine Freunde! Legen wir ruhig die große Decke über uns, worunter alle Herzen ausschlagen und alle Augen zufallen. (Sie umarmen einander.)

Hérault. (nimmt Camilles Arm). Freue dich, Camille, wir bekommen eine schöne Nacht. Die Wolken hängen am stillen Abendhimmel wie ein ausglühender Olymp mit verbleichenden, versinkenden Göttergestalten. (Sie gehen ab.)
SECHSTE SZENE

Ein Zimmer

Julie. - Das Volk lief in den Gassen, jetzt ist alles still. Keinen Augenblick möchte ich ihn warten lassen. (Sie zieht eine Phiole hervor.) Komm, liebster Priester, dessen Amen uns zu Bette gehn macht. (Sie tritt ans Fenster.) Es ist so hübsch, Abschied zu nehmen; ich habe die Türe nur noch hinter mir zuzuziehen. (Sie trinkt.) Man möchte immer so stehn. - Die Sonne ist hinunter; der Erde Züge waren so scharf in ihrem Licht, doch jetzt ist ihr Gesicht so still und ernst wie einer Sterbenden. - Wie schön das Abendlicht ihr um Stirn und Wangen spielt. - Stets bleicher und bleicher wird sie, wie eine Leiche treibt sie abwärts in der Flut des Äthers. Will denn kein Arm sie bei den goldnen Locken fassen und aus dem Strom sie ziehen und sie begraben?
Ich gehe leise. Ich küsse sie nicht, daß kein Hauch, kein Seufzer sie aus dem Schlummer wecke. - Schlafe, schlafe! (Sie stirbt.)
SIEBENTE SZENE

Der Revolutionsplatz

Die Wagen kommen angefahren und halten vor der Guillotine. Männer und Weiber singen und tanzen die Carmagnole. Die Gefangenen stimmen die Marseillaise an.

Ein Weib (mit Kindern).- Platz! Platz! Die Kinder schreien, sie haben Hunger. Ich muß sie zusehen machen, daß sie still sind. Platz!

Ein Weib. - He, Danton, du kannst jetzt mit den Würmern Unzucht treiben.

Eine andere. - Hérault, aus deinen hübschen Haaren laß ich mir eine Perücke machen.

Hérault. - Ich habe nicht Waldung genug für einen so abgeholzten Venusberg.

Camille. - Verfluchte Hexen! Ihr werdet noch schreien: »Ihr Berge, fallet auf uns!«

Ein Weib. - Der Berg ist auf euch, oder ihr seid ihn vielmehr hinuntergefallen.

Danton (zu Camille). - Ruhig, mein Junge! Du hast dich heiser geschrien.

Camille (gibt dem Fuhrmann Geld). - Da, alter Charon, dein Karren ist ein guter Präsentierteller! - Meine
Herren, ich will mich zuerst servieren. Das ist ein klassisches Gastmahl; wir liegen auf unsern Plätzen und verschütten etwas Blut als Libation. Adieu, Danton! (Er besteigt das Blutgerüst, die Gefangnen
folgen ihm, einer nach dem andern. Danton steigt zuletzt hinauf.)

Lacroix (zu dem Volk).-  Ihr tötet uns an dem Tage, wo ihr den Verstand verloren habt; ihr werdet sie an dem töten, wo ihr ihn wiederbekommt.

Einige Stimmen. - Das war schon einmal da; wie langweilig!

Lacroix. - Die Tyrannen werden über unsern Gräbern den Hals brechen.

Hérault (zu Danton). - Er hält seine Leiche für ein Mistbeet der Freiheit.

Philippeau (auf dem Schafott).- Ich vergebe euch; ich wünsche, eure Todesstunde sei nicht bittrer als die meinige.

Hérault.-  Dacht' ich's doch! er muß sich noch einmal in den Busen greifen und den Leuten da unten zeigen, daß er reine Wäsche hat.

Fabre. - Lebe wohl, Danton! Ich sterbe doppelt.

Danton. - Adieu, mein Freund! Die Guillotine ist der beste Arzt.

Hérault (will Danton umarmen). - Ach, Danton, ich bringe nicht einmal einen Spaß mehr heraus. Da ist's
Zeit. (Ein Henker stößt ihn zurück.)

Danton (zum Henker). - Willst du grausamer sein als der Tod? Kannst du verhindern, daß unsere
Köpfe sich auf dem Boden des Korbes küssen?

ACHTE SZENE

Eine Straße

Lucile. -  Es ist doch was wie Ernst darin. Ich will einmal nachdenken. Ich fange an, so was zu begreifen.
Sterben - Sterben -! - Es darf ja alles leben, alles, die kleine Mücke da, der Vogel. Warum denn er nicht? Der Strom des Lebens müßte stocken, wenn nur der eine Tropfen verschüttet würde. Die Erde müßte eine Wunde bekommen von dem Streich. Es regt sich alles, die Uhren gehen, die Glocken schlagen, die Leute laufen, das Wasser rinnt, und so alles weiter bis da, dahin - nein, es darf nicht geschehen, nein, ich will mich auf den Boden setzen und schreien, daß erschrocken alles stehn bleibt, alles stockt, sich nichts mehr regt. (Sie setzt sich nieder, verhüllt sich die Augen und stößt einen Schrei aus. Nach einer Pause erhebt sie sich:) Das hilft nichts, da ist noch alles wie sonst; die Häuser, die Gasse, der Wind geht, die Wolken ziehen. - Wir müssen's wohl leiden.

(Einige Weiber kommen die Gasse herunter.)

Erstes Weib. - Ein hübscher Mann, der Hérault!

Zweites Weib.-  Wie er beim Konstitutionsfest so am Triumphbogen stand, da dacht' ich so, der muß sich gut auf der Guillotine ausnehmen, dacht' ich. Das war so 'ne Ahnung.

Drittes Weib.-  Ja, man muß die Leute in allen Verhältnissen sehen; es ist recht gut, daß das Sterben so öffentlich wird. (Sie geben vorbei.)

Lucile. - Mein Camille! Wo soll ich dich jetzt suchen?
NEUNTE SZENE

Der Revolutionsplatz

Zwei Henker, an der Guillotine beschäftigt.

Erster Henker (steht auf der Guillotine und singt).
        Und wann ich hame geh,
        Scheint der Mond so scheh…

Zweiter Henker. - He, holla! Bist bald fertig?

Erster Henker. - Gleich, gleich! (Singt:)
        Scheint in meines Ellervaters Fenster -
        Kerl, wo bleibst so lang bei de Menscher?
So! Die Jacke her! (Sie gehn singend ab:)
        Und wann ich hame geh,
        Scheint der Mond so scheh…

Lucile (tritt auf und setzt sich auf die Stufen der Guillotine). - Ich setze mich auf deinen Schoß, du stiller Todesengel. (Sie singt:)
        Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,
        Hat Gewalt vom höchsten Gott.
Du liebe Wiege, die du meinen Camille in Schlaf gelullt, ihn unter deinen Rosen erstickt hast. Du Totenglocke, die du ihn mit deiner süßen Zunge zu Grabe sangst. (Sie singt:)
        Viel Hunderttausend ungezählt,
        Was nur unter die Sichel fällt.

(Eine Patrouille tritt auf.)

Ein Bürger. - He, wer da?

Lucile (sinnend und wie einen Entschluß fassend, plötzlich). - Es lebe der König!

Bürger.-  Im Namen der Republik! (Sie wird von der Wache umringt und weggeführt.)