Saturday, May 30, 2015
Friday, May 29, 2015
Der Bär - Groteske in einem Aufzug - von Anton Tschechow - THEATER
Anton Pawlowitsch Tschechow 1860- 1904
Anton Pawlowitsch Tschechow war ein russischer Schriftsteller, Novellist und Dramatiker. Er entstammte einer kleinbürgerlichen südrussischen Familie und war Arzt von Beruf, betrieb Medizin jedoch fast ausschließlich ehrenamtlich. Gleichzeitig schrieb und publizierte er zwischen 1880 und 1903 insgesamt über 600 literarische Werke. International ist Tschechow vor allem als Dramatiker durch seine Theaterstücke wie Drei Schwestern, Die Möwe oder Der Kirschgarten bekannt. Mit der für ihn typischen, wertneutralen und zurückhaltenden Art, Aspekte aus dem Leben und der Denkweise der Menschen in der russischen Provinz darzustellen, gilt Tschechow als einer der bedeutendsten Autoren der russischen Literatur.
Der Bär
Groteske in einem Aufzug
Aus dem Russischen übertragen von Luise Flachs-Fokschaneanu
PERSONEN
Helene Iwánowna Pópow, eine junge Witwe, Gutsbesitzerin.
Grigórji Stepánowitsch Smírnow, Gutsbesitzer.
Luká, Diener bei Frau Popow.
Ein Gärtner. Ein Kutscher. Mehrere Arbeiter.
Ort der Handlung: Das Gut der Frau Popow.
Zeit: Die Gegenwart.
Die Bühne stellt ein elegant eingerichtetes Empfangszimmer dar.
Rechts und links vom Schauspieler.
Frau Popow wird vom Dichter als eine junge Witwe mit Grübchen
in den Wangen bezeichnet; Smirnow als ein Mann in den mittleren
Jahren.
Vorkommende Namen: Nikolai Michailowitsch, Riblów, Kortschágin,
Wlássow, Welikán, Tamára, Pelagéja, Simión, Grúsdew, Iroschéwitsch,
Kúrzin, Masútow, Dáscha.
Erster Auftritt.
FRAU POPOW. LUKA.
FRAU POPOW (in tiefer Trauer, sitzt auf dem Sofa rechts, blickt
unverwandt eine Photographie an).
LUKA. Es ist nicht recht, gnädige Frau… Sie richten
sich zugrunde. Die Magd und die Köchin sind Beeren suchen
gegangen, alles, was atmet, freut sich des Daseins, selbst die
Katze versteht sich auf ihr Vergnügen – schleicht im Hof
umher und fängt Vögel; bloß Sie hocken den ganzen Tag
im Zimmer, gerade wie in einem Kloster und haben so gar
keine Freude… Ja, wahrhaftig, wenn man genau nachrechnet,
haben Sie ein Jahr lang das Haus nicht verlassen.
FRAU POPOW Und ich werde es auch niemals verlassen…
Wozu? Mein Leben ist abgeschlossen… Er liegt im Grabe,
ich habe mich zwischen diesen vier Mauern begraben… Wir
sind beide gestorben.
LUKA. Da hat man es! Es ist nicht zum Anhören, wirklich
wahr! Nikolai Michailowitsch ist gestorben, so war es
Gottes Wille, Gott geb' ihm die ewige Ruh'… Sie haben
sich gegrämt, nun ist's genug, es ist Zeit, aufzuhören. Man
kann nicht ewig weinen und Trauerkleider tragen. Auch mir
ist vor Jahren meine Alte gestorben… Ich habe mich gegrämt,
einen Monat lang habe ich geweint, und dann war's
genug. Kann man denn ewig Klagelieder singen? Das war
ja die Alte auch nicht wert. (Er seufzt.) Sie haben alle Nachbarn
vergessen… Sie fahren nicht aus und wollen auch
niemand empfangen. Wir leben, verzeihen Sie, wie die
Spinnen, das liebe Tageslicht sehen wir nicht. Die Livree
ist von den Mäusen zerfressen… Und wenn es noch keine
guten Menschen gäbe, aber der ganze Umkreis ist voll von
Herrschaften… In Riblow steht das Regiment, Offiziere –
einfach Konfekt, man kann sich nicht satt sehen! Und im
Lager ist an jedem Freitag Ball, und jeden Tag spielt die
Militärmusik… Ach, meine liebe, gnädige Frau! So jung
und so schön wie Sie sind, Milch und Blut, wenn Sie doch
nur Ihrem Vergnügen leben wollten … die Schönheit ist
nicht für immer gegeben! Wenn so zehn Jährchen vorbei
sind, dann werden Sie gern paradieren wollen, um die Herren
Offiziere daran zu bekommen, aber da wird es zu spät sein.
FRAU POPOW (entschieden). Ich bitte dich, mir nie mehr davon
zu sprechen. Du weißt, daß mein Leben seit dem Tode
Nikolai Michailowitschs für mich jeden Wert verloren hat…
Du glaubst, ich lebe, aber es scheint dir bloß… Ich habe
am Grabe gelobt, diese Trauerkleider nicht abzulegen und
fern von der Welt zu leben… Hörst du? Möge seine abgeschiedene
Seele sehen, wie ich ihn liebe… Ja, ich weiß,
es ist für dich kein Geheimnis – er war oft ungerecht gegen
mich, grausam und … er war mir nicht treu, aber ich werde
treu sein bis zum Grabe und ihm beweisen, wie ich zu lieben
vermag… Dort im Jenseits wird er mich ebenso finden,
wie ich bis zu seinem Tode gewesen…
LUKA. Wozu diese Worte … wenn Sie doch lieber im
Garten spazieren gingen oder befehlen wollten, Tobby oder
den Welikan vorzuspannen, um die Nachbarn wieder einmal
zu besuchen.
FRAU POPOW (weint). Ach!
LUKA. Gnädige Frau! Meine liebe gnädige Frau! Was
ist's? Um Christi willen!…
FRAU POPOW. Er hat Tobby so sehr geliebt! Er ließ ihn
immer anspannen, wenn er zu Kortschagins und Wlassows
fuhr. Wie herrlich er kutschierte! Wie hübsch er aussah,
wenn er aus allen Kräften die Zügel an sich zog! Erinnerst
du dich? Tobby, Tobby! Laß ihm heute ein Achtel
Hafer mehr geben!
LUKA. Zu Befehl.
(Ein heftiges Klingeln.)
FRAU POPOW (zuckt zusammen). Was ist das? Sage, daß ich
niemand empfange!
LUKA. Zu Befehl! (Er geht durch die Mitte ab.)
Zweiter Auftritt.
FRAU POPOW ALLEIN
FRAU POPOW (die Photographie anblickend). Du wirst sehen,
Nikol, wie ich zu lieben und zu verzeihen vermag… Meine
Liebe wird mit mir zugleich erlöschen … wenn mein armes
Herz zu schlagen aufhören wird. (Sie lächelt unter Tränen.) Und
du schämst dich nicht? Ich bin ein braves, treues Weib, ich
habe mich eingekerkert und werde dir treu bleiben bis zum
Grabe, und du … und du … schämst dich nicht, mein
liebes Ungeheuer! Hast mich betrogen, hast mir Szenen gemacht,
hast mich lange Wochen allein gelassen…
LUKA (tritt in großer Aufregung ein).
Dritter Auftritt.
FRAU POPOW. LUKA.
LUKA. Gnädige Frau, es fragt jemand nach Ihnen, will
Sie sehen…
FRAU POPOW. Du hast doch gesagt, daß ich seit dem Tode
meines Mannes niemand empfange?
LUKA. Das habe ich gesagt, aber er will nichts davon
hören, er sagt, es sei eine sehr dringende Angelegenheit.
FRAU POPOW. Ich em–pfan–ge nicht!
LUKA. Das habe ich ihm ja gesagt, er ist ein Wilder,
er schimpfte und drang einfach ins Zimmer ein … er steht
schon im Speisezimmer…
FRAU POPOW (erregt). Gut, laß ihn herein. Welche Zudringlichkeit!
LUKA (durch die Mitte ab).
FRAU POPOW. Wie lästig die Menschen sind! Was wollen
sie von mir? Warum stören sie meine Ruhe? (Sie seufzt.)
Ja, es ist ganz klar, ich werde wirklich ins Kloster gehen
müssen… (Nachdenklich.) Ja, ins Kloster…
Smirnow (tritt ein, gefolgt von Luka).
Vierter Auftritt.
FRAU POPOW. LUKA. SMIRNOW
SMIRNOW (zu Luka). Dummkopf, plapperst zu viel…
Esel!… (Frau Popow erblickend, mit Würde.) Meine Gnädige,
ich habe die Ehre, mich vorzustellen: Artillerieleutnant außer
Dienst, Grundbesitzer, Grigorji Stepanowitsch Smirnow!
Bin gezwungen, Sie in einer höchst wichtigen Angelegenheit
zu belästigen…
FRAU POPOW (ohne ihm die Hand zu reichen). Was wünschen Sie?
SMIRNOW. Ihr seliger Gatte, mit dem ich die Ehre hatte,
bekannt zu sein, blieb mir zwei Wechsel im Betrage von
zwölfhundert Rubel schuldig. Da ich morgen in der Agrarbank
Zinsen zu erlegen habe, möchte ich Sie ersuchen, meine
Gnädige, mir das Geld noch heute zu bezahlen…
FRAU POPOW. Zwölfhundert … und wofür ist mein Mann
Ihnen das schuldig geblieben?
SMIRNOW. Er hat Hafer von mir gekauft.
FRAU POPOW (seufzend zu Luka). Luka, vergiß also nicht zu
sagen, daß man Tobby ein Achtel Hafer mehr geben soll.
LUKA (geht ab).
FRAU POPOW (zu Smirnow). Wenn Nikolai Michailowitsch
Ihnen das schuldig geblieben, so werde ich selbstverständlich
bezahlen, aber bitte, entschuldigen Sie, ich habe heute das
Geld nicht zur Verfügung. Übermorgen kehrt mein Verwalter
aus der Stadt zurück, und ich werde ihn beauftragen,
Ihnen zu zahlen, was Ihnen gebührt, aber bis dahin kann
ich Ihren Wunsch nicht erfüllen… Überdies sind es gerade
heute sieben Monate, daß mein Mann gestorben ist, und ich
bin nicht in der Stimmung, mich mit Geldangelegenheiten
zu beschäftigen.
SMIRNOW. Und ich befinde mich in einer Stimmung, daß
ich, wenn ich morgen die Zinsen nicht einzahle, mit den
Füßen nach oben durch den Schornstein werde fliegen müssen.
Man wird mein Gut sequestrieren!
FRAU POPOW. Übermorgen erhalten Sie das Geld.
SMIRNOW. Ich brauche das Geld nicht übermorgen, sondern
heute.
FRAU POPOW. Verzeihen Sie, heute kann ich Ihnen nicht
zahlen.
SMIRNOW. Und ich kann bis übermorgen nicht warten.
FRAU POPOW. Was soll ich aber tun, wenn ich es nicht
sofort habe!
SMIRNOW. Sie können also nicht zahlen?
FRAU POPOW. Ich kann nicht…
SMIRNOW. Hm… Ist das Ihr letztes Wort?
FRAU POPOW. Ja, das letzte.
SMIRNOW. Das letzte? Endgültig?
FRAU POPOW. Endgültig.
SMIRNOW. Danke gehorsamst. Wir wollen uns das merken.
(Er zuckt die Schultern.) Und da verlangt man noch, daß
ich kaltblütig sei! Der Akzisebeamte begegnete mir soeben
auf dem Wege und fragte: »Warum ärgern Sie sich immer,
Grigorji Stepanowitsch?« Ja, erbarmen Sie sich, wie soll
ich mich denn nicht ärgern? Ich brauche Geld, das Messer
steht mir an der Kehle… Gestern früh fuhr ich schon beim
ersten Morgengrauen vom Hause fort und war bei allen
meinen Schuldnern. Wenn auch nur einer von ihnen seine
Schuld bezahlt hätte! Abgeschunden habe ich mich, wie ein
Hund, habe, der Teufel weiß wo, in einer jüdischen Schenke
übernachtet, neben einem Schnapsfaß… Endlich komme ich
hierher, siebzig Werst vom Hause, und hoffe, Geld zu bekommen,
und da regaliert man mich mit »Stimmung!« Wie
soll ich mich da nicht ärgern?
FRAU POPOW. Ich glaube, Ihnen deutlich gesagt zu haben:
der Verwalter wird aus der Stadt zurückkehren, dann erhalten
Sie das Geld.
SMIRNOW. Ich bin nicht zum Verwalter, sondern zu Ihnen
gekommen! Was Teufel, verzeihen Sie den Ausdruck, kümmert
mich Ihr Verwalter!
FRAU POPOW. Entschuldigen Sie, verehrtester Herr, ich bin
weder an Ihre sonderbaren Ausdrücke, noch an einen solchen
Ton gewöhnt. Ich höre Sie nicht weiter an. (Sie geht rasch
nach links ab.)
Fünfter Auftritt.
SMIRNOW ALLEIN
SMIRNOW. Was sagt man dazu? Stimmung! Vor sieben
Monaten ist der Mann gestorben! Aber muß ich die Zinsen
einzahlen oder nicht? Ich frage, muß ich die Zinsen zahlen
oder muß ich nicht? Nun ja, der Mann ist gestorben, Stimmung
und allerlei Faxen … der Verwalter, der Teufel hole
ihn, ist irgend wohin gefahren, nun, befehlen Sie, was soll
ich tun? Soll ich etwa im Luftballon meinen Gläubigern
entfliehen? Oder mit dem Kopf die Mauer einrennen?
Komme ich zu Grusdew, geruht er nicht zu Hause zu sein,
Iroschewitsch hat sich einfach versteckt, mit Kurzin habe ich
mich tödlich gezankt und ich hätte ihn beinahe zum Fenster
hinausgeworfen, Masutow hat die Cholerine und bei der da
– Stimmung! Keine einzige Kanaille will zahlen! Und
das alles nur deshalb, weil ich sie alle zu sehr verwöhnt
habe, weil ich ein Jammermeyer, ein Waschlappen, ein altes
Weib bin! Ich bin zu zartfühlend mit ihnen! Aber wartet
nur! Ihr werdet mich kennen lernen! Ich gestatte keinem,
mit mir seinen Scherz zu treiben, der Teufel noch einmal!
Ich bleibe hier und werde nicht von der Stelle weichen, bis
sie zahlt! Brrr!… Wie bös ich heute bin, wie schrecklich
bös ich bin! Vor Bosheit zittern mir alle Sehnenbänder
und der Atem versagt mir… Pfui, mein Gott! übel, schlecht
wird mir sogar. (Er schreit.) Diener!
Luka (tritt ein).
Sechster Auftritt.
SMIRNOW. LUKA
LUKA. Was steht zu Diensten?
SMIRNOW. Gib mir Kwas oder Wasser!
LUKA (geht ab).
SMIRNOW. Nein, was sagt man dazu! Sie hat es nicht zur
Verfügung! Was ist das für eine Logik! Einem Menschen
steht das Messer an der Kehle, er braucht Geld, er ist auf
dem Sprunge, sich zu erhängen, und sie zahlt nicht, weil sie
nicht in Stimmung ist, sich mit Geldangelegenheiten zu beschäftigen.
Sieh mal! Echte Frauenlogik, Turnürelogik!
Darum habe ich auch nie mit Frauen sprechen wollen, und
tue es auch jetzt nicht gern. Mir fällt es leichter, auf einem
Pulverfaß zu sitzen, als mit einer Frau zu reden. Brrr!…
Eiskalt überläuft es mich, so sehr hat mich diese Turnüre
erbost! Ich brauche nur aus der Ferne so ein poetisches
Geschöpf zu erblicken, so bekomme ich vor Wut Wadenkrämpfe.
Man müßte einfach zu Hilfe! schreien.
Luka (tritt ein).
Siebenter Auftritt.
SMIRNOW. LUKA
LUKA (reicht ihm Wasser). Die gnädige Frau ist krank und
empfängt nicht.
SMIRNOW. Marsch hinaus!
LUKA (geht ab).
SMIRNOW. Krank und empfängt nicht! Ist auch nicht notwendig…
Empfange nicht! Ich bleibe und werde hier
sitzen, bis du das Geld hergibst… Wirst du eine Woche
krank sein, werde ich eine Woche hier sitzen… Wirst du
ein Jahr krank sein, werde ich ein Jahr hier bleiben… Gevatterin,
ich werde schon mein Geld herausbekommen! Mich
rührst du nicht mit den Trauerkleidern, auch nicht mit den
Grübchen in den Wangen… Wir kennen diese Grübchen!
(Er schreit zum Fenster hinaus.) Simion, spann' aus! Wir
fahren nicht so bald fort! Ich bleibe hier. Sag' dort im
Stall, man soll den Pferden Hafer geben! Viehkerl, das
linke Pferd hat sich schon wieder in die Zügel verwickelt.
(Spottet ihm nach.) Tut nichts… Ich werde dir schon zeigen,
tut nichts… (Geht vom Fenster weg.) Es ist sehr schlimm …
unerträgliche Hitze, keiner zahlt, diese Nacht habe ich schlecht
geschlafen und hier die Trauerschleppe mit Stimmung…
Der Kopf schmerzt … soll ich vielleicht einen Schnaps trinken?
Schließlich … trinken wir einen… (Schreit.) Diener!
LUKA (tritt ein). Was wünschen Sie?
SMIRNOW. Ein Gläschen Schnaps!
LUKA (geht ab).
SMIRNOW (setzt sich und betrachtet seine Kleidung). Uf! Eine nette
Figur! Das läßt sich nicht leugnen! Bestaubt, schmutzige
Stiefel, ungewaschen, ungekämmt, Stroh auf der Weste; die
Gnädige hat mich einfach für einen Räuber gehalten. (Er
gähnt.) Es war etwas unhöflich, in solchem Aufzug in einem
Empfangszimmer zu erscheinen, nun ja, tut nichts… Ich
bin hier nicht Gast, sondern Gläubiger, und für Gläubiger
ist das Kostüm nicht vorgeschrieben.
LUKA (kommt mit dem Schnaps). Sie erlauben sich viel, mein
Herr…
SMIRNOW (zornig). Was?
LUKA. Ich… Ich habe nichts… Ich habe eigentlich…
SMIRNOW. Zu wem sprichst du?! Halt den Mund!
LUKA (beiseite). So eine Bescherung! Dieses Ungetüm hat
sich uns auf den Hals gesetzt. (Er geht ab.)
SMIRNOW. Ach Gott, wie bös ich bin! So bös, daß ich,
scheint mir, die ganze Welt zu Staub zermalmen möchte…
Sogar übel wird mir… (Er ruft.) Diener!
Achter Auftritt.
FRAU POPOW. SMIRNOW
FRAU POPOW (kommt mit gesenkten Augen). Geehrter Herr, ich
habe mich in meiner Einsamkeit völlig der Menschenstimmen
entwöhnt und kann Geschrei nicht ertragen. Ich bitte Sie
dringend, stören Sie meine Ruhe nicht!
SMIRNOW. Zahlen Sie mir mein Geld und ich reise ab.
FRAU POPOW. Ich sagte Ihnen bereits in Ihrer Muttersprache:
ich habe das Geld jetzt nicht zur Verfügung, warten
Sie bis übermorgen.
SMIRNOW. Auch ich hatte die Ehre, Ihnen in Ihrer Muttersprache
mitzuteilen, daß ich das Geld nicht übermorgen, sondern
heute brauche. Wenn Sie mir heute nicht zahlen, muß
ich mich morgen aufhängen…
FRAU POPOW. Was soll ich aber tun, wenn ich das Geld
nicht habe? Wie sonderbar!
SMIRNOW. Sie zahlen also nicht sofort? Nicht?
FRAU POPOW. Ich kann nicht…
SMIRNOW. Dann bleibe ich hier und werde so lange sitzen,
bis ich das Geld bekomme. (Er setzt sich.) Sie werden übermorgen
zahlen? Ausgezeichnet! So bleibe ich bis übermorgen.
(Springt auf.) Ich frage Sie, muß ich morgen die
Zinsen zahlen oder nicht?… Oder glauben Sie, ich scherze?
FRAU POPOW. Geehrter Herr, ich bitte Sie, nicht zu schreien!
Hier ist kein Stall!
SMIRNOW. Ich frage Sie nicht nach dem Stall, sondern
danach, ob ich morgen die Zinsen erlegen muß oder nicht?
FRAU POPOW. Sie wissen nicht, wie man sich einer Dame
gegenüber beträgt.
SMIRNOW. O doch, ich weiß, mich mit Damen zu benehmen.
FRAU POPOW. Nein, Sie wissen es nicht. Sie sind ein
ungezogener, grober Mensch. Anständige Leute sprechen nicht
so mit Damen!
SMIRNOW. Ach, wie merkwürdig! Wie befehlen Sie denn
mit Ihnen zu sprechen? Etwa französisch? (Boshaft lispelnd.)
Madame, je vous prie … wie glücklich bin ich, daß Sie
mir das Geld nicht bezahlen… Pardon, daß ich Sie gestört
habe! Welch herrliches Wetter wir heute haben! Und
wie gut Ihnen diese Trauerkleider stehen! (Er macht Kratzfüße.)
FRAU POPOW. Gar nicht witzig, aber grob!
SMIRNOW (nachahmend). Nicht witzig, aber grob! Ich weiß
mich nicht in Damengesellschaft zu betragen! Meine Gnädigste,
ich habe in meinem Leben viel mehr Frauen gesehen
als Sie Sperlinge! Dreimal habe ich mich der Frauen
wegen duelliert, zwölf Frauen habe ich sitzen lassen, neun
haben mich sitzen lassen! Jawohl! Es gab eine Zeit, wo
ich den Narren spielte, Honigworte lispelte, Kratzfüße, Komplimente
machte… Ich liebte, litt, seufzte den Mond an,
zerfloß in Liebesqualen. Ich liebte leidenschaftlich, ich liebte
bis zur Raserei, in allen Tonarten, ich schnatterte wie eine
Elster über die Emanzipation, vergeudete infolge dieser zarten
Gefühle das halbe Vermögen, aber jetzt, hol' mich der
Teufel, ist es genug! Gehorsamster Diener, jetzt lasse ich
mich nicht mehr von Euch an der Nase herumführen. Genug!
»Schwarze Augen, leidenschaftliche Augen, Korallenlippen,
Grübchen in den Wangen, Mondenschein, Flüstern, leises,
schüchternes Atmen« – für das alles, meine Gnädige, gebe
ich heute auch nicht einen Kupfergroschen! Ich spreche nicht
von den Anwesenden, aber alle Frauen, von der kleinsten bis
zur größten, sind aufgeblasen, heuchlerisch, klatschsüchtig, gehässig,
verlogen vom Wirbel bis zur Zehe; eitel, kleinlich,
grausam, von einer empörenden Logik und was das (er schlägt
sich auf die Stirn) betrifft, so, verzeihen Sie mir die Aufrichtigkeit,
kann ein Sperling einem x-beliebigen Philosophen im
Unterrock zehn vorgeben! Sieht man ein solch poetisches
Geschöpf vor sich, so glaubt man, ein ätherisches, göttliches
Wesen zu erblicken, so wunderschön, ein Hauch und man zerfließt
in tausend Entzückungen und Wonnen – sieht man
aber in die Seele – so ist es ein gewöhnliches Krokodil!
(Er greift eine Stuhllehne, der Stuhl kracht und bricht entzwei.) Das
Empörendste ist aber, daß dieses Krokodil sich einbildet, es
sei ein Chef-d'œuvre, die zarten Gefühle seien sein alleiniges
Monopol. Der Teufel hol's, hängen Sie mich da an diesem
Nagel mit den Füßen nach oben auf, wenn die Frau
außer ihrem Seidenpinsch jemand lieben kann. Wenn sie
liebt, versteht sie bloß, zu jammern oder Tränen zu vergießen.
Wo der Mann leidet und Opfer bringt, dort äußert
sich ihre ganze Liebe darin, daß sie mit der Schleppe hin
und her dreht und den Mann an der Nase herumführen
will. Sie haben das Unglück, eine Frau zu sein, Sie werden
daher die Frauennatur kennen, sagen Sie mir auf Ehr'
und Gewissen: haben Sie in Ihrem Leben schon eine Frau
gesehen, die aufrichtig, treu und beständig gewesen wäre?
Sie haben sie nicht gesehen! Treu und beständig sind einzig
und allein die Alten und die Mißgestalteten. Sie werden
eher einer gehörnten Katze oder einer weißen Waldschnepfe
begegnen als einer treuen Frau!
FRAU POPOW. Aber erlauben Sie mir, wer ist denn nach
Ihrer Meinung treu und beständig in der Liebe? Etwa
der Mann?
SMIRNOW. Jawohl! Der Mann!
FRAU POPOW. Der Mann! (Sie lacht ironisch.) Der Mann
ist treu und beständig in der Liebe! Das ist aber etwas
ganz Neues. (Bitter.) Mit welchem Recht behaupten Sie das?
Die Männer und treu, beständig! Wenn wir schon soweit
gekommen sind, so werde ich Ihnen sagen, daß von allen
Männern, die ich gekannt und kenne, der beste mein seliger
Mann war… Ich liebte ihn leidenschaftlich, mit allen meinen
Gefühlen, wie nur eine junge, denkende Frau lieben
kann; ich gab ihm meine Jugend hin, mein Glück, das Leben,
mein Vermögen, ich betete ihn an, wie eine Heidin und …
und was geschah? Dieser beste der Männer betrog mich auf
Schritt und Tritt in der gewissenlosesten Art. Nach seinem
Tode fand ich im Schreibtisch eine volle Lade mit Liebesbriefen
und bei Lebzeiten – mir ist es furchtbar, daran zurückzudenken –
ließ er mich wochenlang allein, machte er
in meiner Gegenwart anderen Frauen den Hof, hinterging
er mich, verschwendete mein Geld und spottete über meine
Gefühle… Und trotz alledem liebte ich ihn und war ihm
treu… Ja noch mehr, er ist gestorben und ich bin ihm
noch immer treu. Ich habe mich für ewig zwischen den vier
Mauern begraben und bis zum Tode lege ich diese Trauerkleider
nicht ab…
SMIRNOW (lacht verächtlich). Trauerkleider!… Ich begreife
nicht, für wen Sie mich halten. Als ob ich nicht wüßte,
wozu Sie diesen schwarzen Domino tragen und warum Sie
sich in den vier Wänden begraben haben. Ob ich das weiß!
Das ist so geheimnisvoll, poetisch! Irgend ein Junker wird
an dem Herrenhaus vorbeifahren, oder ein geckenhafter Poet
zu den Fenstern hinaufblicken und sich denken: »Hier lebt
die geheimnisvolle Tamara, die aus Liebe zu ihrem Gatten
sich zwischen den vier Mauern begraben hat.« Wir kennen
diese Kunststücke.
FRAU POPOW (aufspringend). Was? Wie unterstehen Sie
sich, mir das alles zu sagen?
SMIRNOW. Sie haben sich lebendig begraben, Sie haben
aber dabei nicht vergessen, Ihr Gesicht zu pudern!
FRAU POPOW. Wie wagen Sie es nur, mit mir so zu
sprechen?
SMIRNOW. Schreien Sie nicht, ich bitte Sie, ich bin nicht
Ihr Verwalter! Gestatten Sie mir die Dinge beim rechten
Namen zu nennen. Ich bin keine Frau und bin gewohnt,
meine Meinung offen zu äußern! Bitte also, nicht zu
schreien!
FRAU POPOW. Nicht ich schreie, sondern Sie schreien. Lassen
Sie mich in Ruh', ich bitte!
SMIRNOW. Zahlen Sie mir das Geld und ich reise ab.
FRAU POPOW. Ich werde Ihnen das Geld nicht geben.
SMIRNOW. Nicht? Sie geben es also nicht?
FRAU POPOW. Ihnen zum Trotz werden Sie keinen Kopeken
bekommen! Sie sollen mich in Ruhe lassen!
SMIRNOW. Ich habe nicht das Vergnügen, Ihr Gemahl
oder Ihr Bräutigam zu sein, und bitte Sie daher, keine
Szenen! (Er setzt sich.) Ich vertrage das nicht.
FRAU POPOW (schwer atmend vor Zorn). Sie setzen sich?
SMIRNOW. Ich sitze bereits.
FRAU POPOW. Ich bitte, gehen Sie!
SMIRNOW. Geben Sie das Geld! (Beiseite.) Ach, wie böse
ich bin, wie böse!
FRAU POPOW. Ich wünsche nicht, mit unverschämten Menschen
zu sprechen. Hinaus! (Pause.) Sie gehen nicht? Nein?
SMIRNOW. Nein.
FRAU POPOW. Nein?
SMIRNOW. Nein.
FRAU POPOW. Gut… (Sie klingelt.)
Neunter Auftritt.
Die Vorigen. LUKA
FRAUV POPOW. Luka, führe diesen Herrn hinaus!
LUKA (geht auf Smirnow zu). Mein Herr, gehen Sie doch,
wenn man Ihnen befiehlt. Was wollen Sie hier…
SMIRNOW (aufspringend). Halt das Maul! Mit wem sprichst
du? Ich zermalme dich zu Brei!
LUKA (faßt sich nach dem Herz). Gerechter Gott! (Er fällt in
einen Stuhl.) Ach, mir ist schlecht, ich habe keinen Atem!
FRAU POPOW. Wo ist Dascha? (Ruft.) Dascha! Pelageja!
Dascha! (Sie klingelt.)
LUKA. Ach, alle sind Beeren suchen gegangen… Keiner
ist zu Hause! Mir ist schlecht! Wasser!
FRAU POPOW (zu Smirnow). Scheren Sie sich! Fort!
SMIRNOW. Wollen Sie nicht etwas höflicher sein?
FRAU POPOW (die Fäuste ballend und mit den Füßen stampfend).
Sie sind ein Grobian! Ein grober Bär! Ein Ungeheuer!
SMIRNOW. Was, wa–as haben Sie gesagt?
FRAU POPOW. Ich habe gesagt, daß Sie ein Bär, ein Ungeheuer
sind!
SMIRNOW (nähert sich ihr mit raschen Schritten). Aber erlauben
Sie mir, welches Recht haben Sie, mich zu beleidigen?
FRAU POPOW. Ja, ich beleidige Sie. Was ist denn dabei?
Sie glauben, daß ich mich vor Ihnen fürchte?
SMIRNOW. Und Sie glauben wohl, als poetisches Geschöpf
haben Sie ein Recht, ungestraft zu beleidigen? Ich fordere
Sie!… Da haben Sie es…
LUKA. Barmherziger Gott! Wasser!
SMIRNOW. Es wird duelliert!
FRAU POPOW. Glauben Sie, weil Sie kräftige Fäuste und
einen Stiernacken haben, daß ich Sie fürchte? Sie Grobian!
SMIRNOW. In die Schranken! Ich erlaube keinem, mich zu
beleidigen, und schere mich nicht drum, daß Sie eine Dame,
ein zartes Geschöpf sind!
FRAU POPOW (bemüht sich, ihn zu überschreien). Bär! Bär! Bär!
SMIRNOW. Es ist endlich Zeit, mit dem alten Vorurteil
aufzuräumen, daß nur der Mann verpflichtet sei, für eine
Beleidigung Genugtuung zu geben. Wenn Gleichberechtigung,
so Gleichberechtigung in allem, zum Teufel noch einmal!
In die Schranken.
FRAU POPOW. Sie wollen sich also duellieren? Bitte!
SMIRNOW. Sofort!
FRAU POPOW. Sofort! Mein Mann hatte Pistolen… Ich
bringe sie sogleich. (Sie geht eilig ab und wendet sich um.) O,
mit welchem Vergnügen werde ich Ihnen die Kugel in die
unverschämte Stirn jagen! Der Teufel hole Sie! (Geht ab.)
SMIRNOW. Wie ein Hühnchen schieße ich sie nieder! Ich
bin kein grüner Junge, kein sentimentaler, junger Hund!
Für mich gibt es keine zarten Geschöpfe!
LUKA. Väterchen, (er fällt auf die Knie) erbarme dich meiner,
eines alten Mannes, erweise mir die Gnade und geh' fort
von hier! Du hast mich zu Tode erschreckt und jetzt willst
du dich noch duellieren!
SMIRNOW (hört ihn nicht). Duellieren … darin liegt die
Gleichberechtigung, die Emanzipation! Dabei sind beide Geschlechter
gleich. Aus Prinzip schieße ich sie nieder. Aber
was sagt man zu solch einem Weib (nachahmend) »der Teufel
hole Sie! Ich werde die Kugel in Ihre unverschämte Stirn
jagen!« Was sagt man dazu? Hat sich ereifert, die Augen
blitzten … sie hat die Forderung angenommen. Bei meiner
Ehre, zum erstenmal in meinem Leben sehe ich eine solche
Frau!
LUKA. Väterchen, geh' fort! Geh' fort von hier!
SMIRNOW. Das ist eine Frau! Das begreife ich. Ein
echtes Weib! Kein weicher Teig, nicht zerflossen, sondern
Feuer, Schießpulver, eine Rakete! Es wäre schade, eine solche
niederzuschießen!
LUKA (weint). Väterchen, geh' fort!
SMIRNOW. Sie gefällt mir entschieden! Entschieden! Trotz
der Grübchen in den Wangen gefällt sie mir. Ich bin sogar
bereit, ihr die Schuld nachzusehen … und der Zorn ist
mir vergangen … eine merkwürdige Frau!
Zehnter Auftritt.
Die Vorigen. FRAU POPOW.
FRAU POPOW. Da sind die Pistolen … aber ehe wir uns
duellieren, zeigen Sie mir, bitte, wie man schießen muß…
Ich habe noch nie im Leben eine Pistole in der Hand gehalten.
LUKA. Gott sei uns gnädig und erbarme dich unser! Ich
gehe und hole den Gärtner und den Kutscher… Woher ist
nur dieses Unheil über uns gekommen? (Er geht ab.)
SMIRNOW (betrachtet die Pistolen). Sehen Sie, es gibt verschiedene
Sorten von Pistolen… Es gibt speziell Duellpistolen
von Mortimer, mit Kapseln. Aber das sind Revolver
System Smith und Wesson, mit einem Extraktor … herrliche
Pistolen. So ein Paar kostet mindestens neunzig Rubel…
So muß man den Revolver halten… (Beiseite.) Diese
Augen, diese Augen! Ein feuriges Weib!
FRAU POPOW. So?
SMIRNOW. Ja, so … dann ziehen Sie den Hahn auf …
da… So legen Sie an… Den Kopf ein wenig zurück…
Strecken Sie gefälligst den Arm fest aus! So … dann
drücken Sie mit diesem Finger auf das Ding da, und das
ist alles. Die Hauptregel ist aber: nicht aufgeregt sein, sich
nicht beeilen beim Zielen und darauf achten, daß die Hand
nicht zittere.
FRAU POPOW. Gut. Im Zimmer ist es unbequem zu
schießen, gehen wir in den Garten.
SMIRNOW. Gehen wir. Ich mache Sie jedoch darauf aufmerksam,
daß ich in die Luft schießen werde.
FRAU POPOW. Das fehlte noch. Warum?
SMIRNOW . Weil … weil … das ist meine Sache, warum!
FRAU POPOW. Sie haben Angst bekommen! Ja? A–a–h?
Nein, mein Herr, nur keine Ausflüchte! Bitte, folgen Sie
mir! Ich werde mich nicht eher beruhigen, bis ich Ihre
Stirn durchbohrt haben werde, diese Stirn, die ich so sehr
hasse. Sie haben Angst bekommen?
SMIRNOW. Ja, ich habe Angst bekommen.
FRAU POPOW. Sie lügen. Warum wollen Sie sich nicht
schlagen?
SMIRNOW. Weil … weil … weil Sie mir gefallen.
FRAU POPOW (mit bösem Lachen). Ich gefalle ihm! Er wagt
es zu sagen, daß ich ihm gefalle! (Sie zeigt nach der Tür.)
Gehen Sie!
SMIRNOW (legt schweigend den Revolver auf den Tisch, nimmt den
Hut und geht; an der Tür bleibt er stehen; eine Weile sehen sie sich
schweigend an, dann nähert er sich unschlüssig). Hören Sie … sind
Sie noch böse?… Ich war auch teufelswütend, aber verstehen
Sie mich nur recht … wie soll ich mich nur ausdrücken?…
Die Sache ist nämlich die … daß solche Geschichten
eigentlich… (Er schreit.) Nun ja, ist es denn meine
Schuld, daß Sie mir gefallen? (Ergreift die Stuhllehne, der
Stuhl kracht und bricht entzwei.) Der Teufel weiß, was für gebrechliche
Möbel Sie haben! Sie gefallen mir! Verstehen
Sie? Ich… Ich bin fast verliebt!
FRAU POPOW. Fort von mir, ich hasse Sie!
SMIRNOW. Gott! Welch ein Weib! Ich habe nie im Leben
so etwas Ähnliches gesehen! Ich bin verloren, ruiniert!
Ich bin in die Mausefalle geraten, wie eine Maus!
FRAU POPOW. Gehen Sie, oder ich schieße!
SMIRNOW. Schießen Sie! Sie können nicht begreifen,
welches Glück es ist, unter den Blicken dieser herrlichen
Augen zu sterben, zu sterben durch den Revolver, den dieses
kleine Sammethändchen hält… Ich bin verrückt geworden!
Bedenken Sie und entscheiden Sie sofort, denn wenn ich
jetzt von Ihnen gehe, sehen wir uns nie wieder. Entscheiden
Sie, sprechen Sie… Ich bin von Adel, ein anständiger
Mensch, habe Zehntausend jährlich Einkommen… Treffe
mit dem Gewehr eine Münze, die in die Luft geworfen
wird… Ich besitze herrliche Pferde. Wollen Sie meine
Frau werden?
FRAU POPOW (empört, schwingt den Revolver). Schießen! In
die Schranken.
SMIRNOW. Ich bin um den Verstand gekommen… Ich
begreife nichts. Diener! Wasser!,
FRAU POPOW (schreit). In die Schranken!
SMIRNOW. Ich habe meinen Verstand verloren … ich
habe mich verliebt, wie ein grüner Junge, wie ein Narr
verliebt! (Er ergreift ihre Hand, sie schreit vor Schmerz auf.) Ich
liebe Sie! (Er kniet nieder.) Ich liebe Sie, wie ich noch nie
geliebt habe! Zwölf Frauen habe ich sitzen lassen, neun sind
mir untreu geworden, aber keine einzige von ihnen habe ich
so geliebt wie ich Sie liebe. Ich bin besiegt, verloren, ich
liege auf den Knieen wie ein Narr und biete Ihnen die
Hand an… Schmach und Schande! Fünf Jahre lang
habe ich mich nicht verliebt, ich habe es mir gelobt und nun
bin ich mit einem Mal hineingeraten, wie die Deichsel in
einen fremden Kutschkasten! Ich biete Ihnen die Hand an,
Ja oder nein? Wollen Sie nicht? Dann nicht. (Er steht
auf und geht schnell zur Tür.)
FRAU POPOW. Warten Sie…
SMIRNOW (bleibt stehen). Nun?
FRAU POPOW. Nichts… Sie können gehen! Übrigens,
warten Sie! Nein, gehen Sie, gehen Sie! Ich hasse Sie!
Oder nein! Gehen Sie nicht fort! Ach, wenn Sie wüßten,
wie böse ich bin, wie böse! (Sie wirft den Revolver auf den Stuhl.)
Die Finger sind mir angeschwollen von diesem Ekel… (Sie
zerreißt vor Zorn ihr Taschentuch.) Was stehen Sie noch da?
Packen Sie sich!
SMIRNOW. Leben Sie wohl!
FRAU POPOW. Ja, ja, gehen Sie nur! (Schreit.) Wohin
gehen Sie denn? Warten Sie… Übrigens gehen Sie…
Ach, wie böse ich bin! Kommen Sie nicht zu nahe, kommen
Sie nicht zu nahe, kommen Sie mir nicht näher!
SMIRNOW (nähert sich ihr). Wie ich mich über mich selbst
ärgere! Wie ein Gymnasiast habe ich mich verliebt, auf den
Knieen habe ich gelegen … mich überläuft es eiskalt…
(Streng.) Ich liebe Sie! Das hat mir gefehlt, ich habe es
notwendig gehabt, mich zu verlieben! Morgen muß ich
Zinsen zahlen, die Heuernte hat begonnen und da erscheinen
Sie. (Er faßt sie um die Taille.) Ich werde es mir nie verzeihen!
FRAU POPOW. Weg! Die Hände weg! Ich hasse… Sie!…
In die Schranken! (Langer Kuß.)
Elfter Auftritt.
Die Vorigen. LUKA. Gärtner. Kutscher. Arbeiter.
LUKA (mit einer Axt).
Gärtner (mit einem Rechen).
KUTSCHER (mit einer Heugabel).
Arbeiter (mit Stangen).
LUKA (erblickt das sich küssende Paar). Gerechter Gott! (Pause.)
FRAU POPOW (die Augen senkend). Luka, sag' im Stall, daß
Tobby heute gar keinen Hafer bekommen soll.
Thursday, May 28, 2015
FOLGERICHTIGKEIT - von Irina Rauthmann
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GEFESSELT - von Ludwig Eichrodt
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SUMMA SUMMARUM - von Wilhelm Busch (1832 - 1908)
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Tuesday, May 26, 2015
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