Charles-Pierre Baudelaire 1821 - 1867
Charles-Pierre Baudelaire war ein französischer Schriftsteller. Er gilt heute als einer der bedeutendsten französischen Lyriker und als wichtiger Wegbereiter der literarischen Moderne in Europa.
LES FLEURS DU MAL
1857, mit 36, veröffentlichte Baudelaire das Werk, mit dem er in die Literaturgeschichte eingehen sollte: Les Fleurs du Mal (Die Blumen des Bösen), eine Sammlung von 100 Gedichten, die ab ca. 1840 entstanden und teilweise schon einzeln gedruckt erschienen waren, aber jetzt, nach Themen geordnet, ein quasi komponiertes Ganzes zu bilden versuchten. Die Grundstimmung dieser formal und sprachlich äußerst ausgefeilten, meist eher kurzen Gedichte ist (wie auch oft bei den Romantikern) Desillusion, Pessimismus, Melancholie; die evozierte Realität erscheint dagegen (anders als bei den Romantikern) als überwiegend hässlich und morbide, der Mensch als hin- und hergerissen zwischen den Mächten des Hellen und Guten („l’idéal“) und denen des Dunklen und Bösen, ja Satans („le spleen“). Eine der bedeutendsten Neuerungen Baudelaires in den Fleurs ist die, wenn auch sparsame, Integration der Welt der Großstadt in die Lyrik – einer als insgesamt eher abstoßend und düster vorgestellten Welt, was allerdings durchaus der Realität im übervölkerten, explosionsartig wachsenden und schmutzigen Paris der Zeit entsprach.
Obwohl einige klarsichtige Kollegen erkannten, dass die besten Gedichte des Bandes zu den bleibenden Leistungen der französischen Lyrik zählen würden, war der Erfolg zunächst gering. Sechs von einem Pariser Starkritiker als obszön oder blasphemisch denunzierte Gedichte trugen dem Autor und seinem Verleger Auguste Poulet-Malassis im Juli 1857 sogar einen Strafprozess ein wegen „Beleidigung der öffentlichen Moral“. Am 20. August 1857 wurde Baudelaire deswegen verurteilt. Die sechs „wegen obszöner und unmoralischer Passagen“ beanstandeten Gedichte[1] wurden deshalb fortgelassen, als 1861 eine um 35 neue Gedichte vermehrte zweite Auflage der Fleurs erschien. Die dritte, nochmals erweiterte Auflage, die 1868 postum herauskam, enthielt sie jedoch wieder.
Die Welt der Stadt ist häufig auch das Thema der lyrischen Prosatexte, die Baudelaire ab 1855 verfasste. Nachdem sie zu seinen Lebzeiten nur verstreut gedruckt worden waren, kreierten sie, als sie 1869 postum gesammelt als Le Spleen de Paris erschienen, eine neue literarische Gattung, das poème en prose.
Für die direkten Zeitgenossen, das heißt, für die nicht allzu vielen Leser, die seinen Namen kannten, war Baudelaire vor allem ein kompetenter Verfasser von Berichten über Kunstausstellungen, ein guter Literaturkritiker, ein fleißiger Übersetzer Poes sowie ein Wagner-Enthusiast und -Promotor. Doch schon der nachfolgenden Lyriker-Generation, den Symbolisten (z. B. Verlaine, Mallarmé oder Rimbaud), galt er als epochemachendes Vorbild. Diese Anerkennung hat Baudelaire selbst nicht mehr erlebt.
Seit längerem ist Baudelaire in Anthologien und Schullesebüchern der am besten vertretene französische Lyriker. Auch in andere Länder wirkte seine Dichtung hinüber. In Deutschland beeinflusste sie unter anderem Stefan George, von dem die erste deutsche Übertragung der Fleurs du Mal stammt.
Quelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Baudelaire
DIE BLUMEN DES BOSEN
DER ALBATROS
Oft kommt es dass das schiffsvolk zum vergnügen
Die albatros · die grossen vögel · fängt
Die sorglos folgen wenn auf seinen zügen
Das schiff sich durch die schlimmen klippen zwängt.
Als sie · die herrn im azur · ungeschickt
Die grossen weissen flügel traurig hängen
Und an der seite schleifen wie geknickt.
Er sonst so flink ist nun der matte steife.
Der lüfte könig duldet spott und schmach:
Der eine neckt ihn mit der tabakspfeife ·Ein andrer ahmt den flug des armen nach.
Der dichter ist wie jener fürst der wolke ·
Er haust im sturm · er lacht dem bogenstrang.
Doch hindern drunten zwischen frechem volke
Die riesenhaften flügel ihn am gang.
HERBST-SONETT
Dein auge klar kristallen birgt die frage:
Weshalb · seltsamer freund · bin ich dir lieb?
Sei schön und schweig! in meinem gram ertrage
Ich nur des tieres unumhüllten trieb.
Vom höllischen geheimnis nichts das blieb ·
Von unheilsworten die die flamme schrieb:
Gift ist mir leidenschaft und geist mir plage.
Liebe mich sanft! aus dunklem heiligtume
Spannt Amor listig des verderbens stahl ·
Ich kenne seiner marterkammern qual:
Schreck wahn und schmach ... o bleiche wiesenblume!
Bist du wie ich nicht auch ein herbstes-strahl ·
O meine weisse meine kalte Blume?
MORGENDÄMMERUNG
Die frühwache tönt in den höfen der kasernen ·
Die morgenwinde blasen auf die laternen.
Das ist die zeit wo gefährliche träume wehn ·
Die braunen jünglinge auf ihren kissen sich drehn.
Die lampe macht in den tag einen roten flecken:
So bleibt ein blutiges auge zitternd stecken.
Die seele unter des störrischen körpers gewicht
Die nämlichen kämpfe des tags und der lampe ficht.
Wie in einem antlitz voll thränen die leise verwischen ·
In lüften entschwebender dinge schauer sich mischen.
Der mann hat am schreiben · die frau hat am lieben genug.
Schon sieht man auf einzelnen häusern des rauches flug.
Die freudenmädchen mit aschfahlen augendecken
Und offenem mund im stumpfen schlafe sich strecken ·
Die bettlerin abgemagert · mit starrendem blut ·
Bläst sich auf die finger und bläst in die glimmende glut.
Es ist die stunde wo unter frost und entbehren
Die schmerzen der wöchnerinnen sich vermehren.
Wie seufzer gedämpft von erbrochenen blutes schaum
Durchdringen die hahnenrufe den qualmigen raum.
Ein meer von nebeln badet mauern und dächer ·
Die sterbenden in den winkeln der krankengemächer
Stossen beschwerlich die lezten schluchzer heraus –
Die sünder von ihrer arbeit matt gehen nach haus.
Kommt frierend langsam daher am Seine-strande
Und das düstre Paris das den schlaf aus den augen sich streift ·
Ein rüstiger alter mann · nach dem werkzeuge greift.
KLAGEN EINES IKARUS
Die dirnen mit ihren buben
Sind aufgelegt glücklich und satt ..
Und ich – meine arme sind matt
Die sie in wolken sich gruben.
Die glänzend am himmelsgrund stehn
Lassen die augen nur ferne
Sonnen-erinnrungen sehn.
Ich wollte des ungeheuern
Mitte finden und schluss ·
Ich fühle wie unter feuern
Mein flügel zerfallen muss.
Und den liebe zum Schönen verbrennt –
Es wird nicht einmal ihm die ehre
Dass die ihn begrabende leere
Mit seinem namen man nennt.
BERTHAS AUGEN
Verachten dürft ihr der herrlichsten augen gefunkel ·
Schöne kindesaugen darinnen wacht
Ein etwas unsäglich gut und sanft wie die nacht ·
Ihr augen · giesst über mich euer reizendes dunkel!
Ihr ähnelt sehr den palästen in zaubrischer schlucht
Wo ich hinter tief-schlafender schatten wucht
Leis schimmernde niemand bekannte juwelen entdecke.
Mein kind hat augen düster und weit-umfangend
Wie du unendliche nacht und wie du auch erhellt.
Ihr glanz sind die liebes- und glaubensgedanken gesellt
Die in der tiefe sprühen keusch oder verlangend.
EINER MADONNE
(GELÖBNIS-TAFEL IN SPANISCHEM GESCHMACK)
Madonna · meine gebieterin · dir will ich bauen
Verborgenen altar aus meiner nöten tiefe
Und in meines herzens finsterstem winkel graben
Weit von der weltlichen lust und dem spöttischen blick
Wo du dich · verwundertes standbild · erheben sollst.
Aus meiner geglätteten verse reinem metall
Verständnisvoll übersät mit kristallenen reimen
Will ich für dein haupt eine mächtige krone bereiten.
Will ich einen mantel dir schneiden barbarischer art
Schwer und starr und ausgefüttert mit argwohn
Und der wie ein schützendes zelt deine reize umschliesst
Mit perlen nicht sondern mit all meinen thränen bestickt.
Und wogt · mein verlangen das steigt und sich senkt ·
Auf höhen sich schaukelt und in den thälern sich ausruht ·
Mit küssen den weissen und rosigen leib dir umhüllt.
Mit meiner verehrung bereit ich dir schöne schuhe
Die ihn umschliessend in einer weichen umschlingung
Wie eine getreue form dem eindruck sich schmiegen.
Wenn ich es nicht trotz meiner emsigen künste vermag
Als schemel dir einen silbernen mond zu schneiden
(Dies ungeheuer mit hass und geifer geschwollen)
Dir unter die füsse damit du es trittst und verhöhnst ·
O siegreiche königin und an erlösungen grosse!
Dann siehst du meine gedanken · geordnet wie kerzen
Mit widerscheinen die blaue decke bestirnend
Und immerfort dich mit feurigen augen betrachtend ·
Und weil dich alles in mir bewundert und liebt
Wird alles zu benzoë weihrauch oliban mirre
Erhebt sich in dämpfen zu dir mein stürmischer geist.
Zum schluss · um ganz dich zu einer maria zu machen
Und um mit der liebe die grausamkeit zu vermischen –
O schwarze lust! aus den sieben entsetzlichsten sünden
Wolgeschliffene · und wie ein gefühlloser gaukler
Erwähl ich mir deiner liebe Tiefstes als scheibe:
Ich pflanze sie alle in dein zuckendes herz
In dein schluchzendes herz in dein rieselndes herz.
DIE SCHÖNHEIT
Ihr menschen · ich bin schön · ein traum von stein!
Mein busen der zu blutigen küssen treibt:
Dem dichter flösst er eine liebe ein
Die stumm ist wie der stoff und ewig bleibt.
Ich bin die sfinx die keiner noch erfasst ·
Die herz von schnee und schwanenkleid vereint ·
Die jedes rücken an den linien hasst –
Ich habe nie gelacht und nie geweint.
Die dichter all vor meinem grossen wesen
– An stolzen bauten scheint es abgelesen –
Zerquälen ständig sich in strengen schulen.
Für sie besitz ich · die gefügen buhlen ·
Wo alles schöner spiegelt · eine quelle:
Mein aug · mein weites aug von ewiger helle.
Kommt die nacht die düster dumpfe:
Guter christ und treuer wart
Hinter altem mauerstumpfe
Deines leibes ruhm verscharrt.
Dorten macht · wenn keusche sterne
Augen schlossen schlafbezwungen ·
Spinne ihre netze gerne
Ringelnatter ihre jungen.
Und das ganze jahr in chören
Die verfehmten glieder hören
Jämmerliches wolfsgeheul
Hungertolle spukgestalten
Spässe schlüpferiger alten
Und der bösewichter greul
Übersetzer: Stefan George
Mein busen der zu blutigen küssen treibt:
Dem dichter flösst er eine liebe ein
Die stumm ist wie der stoff und ewig bleibt.
Die herz von schnee und schwanenkleid vereint ·
Die jedes rücken an den linien hasst –
Ich habe nie gelacht und nie geweint.
Die dichter all vor meinem grossen wesen
– An stolzen bauten scheint es abgelesen –
Zerquälen ständig sich in strengen schulen.
Für sie besitz ich · die gefügen buhlen ·
Wo alles schöner spiegelt · eine quelle:
Mein aug · mein weites aug von ewiger helle.
BEGRÄBNIS
Kommt die nacht die düster dumpfe:
Guter christ und treuer wart
Hinter altem mauerstumpfe
Deines leibes ruhm verscharrt.
Augen schlossen schlafbezwungen ·
Spinne ihre netze gerne
Ringelnatter ihre jungen.
Und das ganze jahr in chören
Die verfehmten glieder hören
Jämmerliches wolfsgeheul
Hungertolle spukgestalten
Spässe schlüpferiger alten
Und der bösewichter greul
Übersetzer: Stefan George
Die Seele des blauen Mohn - bild von arduinna
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