Thursday, July 9, 2015

Edgar Allan Poe - GEDICHTE (darunter "Der Rabe”)



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Edgar Allan  Poe  - 1809  –  1849



Paul Gustave Dore Raven4.jpg

bild / Paul Gustave Dore - Der Rabe

DER  RABE

Einst, um eine Mittnacht graulich, da ich
trübe sann und traulich
müde über manchem alten Folio lang ver-
gess'ner Lehr' -
da der Schlaf schon kam gekrochen, scholl
auf einmal leis ein Pochen,
gleichwie wenn ein Fingerknochen poch-
te, von der Türe her.
"'s ist Besuch wohl", murrt' ich, "was da
pocht so knöchern zu mir her -
das allein - nichts weiter mehr."


Ah, ich kann's genau bestimmen: im De-
zember war's, dem grimmen,
und der Kohlen matt Verglimmen schuf
ein Geisterlicht so leer.
Brünstig wünscht' ich mir den Morgen;
- hatt' umsonst versucht zu borgen
von den Büchern Trost dem Sorgen, ob
Lenor' wohl selig wär' -
ob Lenor', die ich verloren, bei den Engeln
selig wär' -
bei den Engeln - hier nicht mehr.


Und das seidig triste Drängen in den pur-
purnen Behängen
füllt', durchwühlt' mich mit Beengen, wie
ich's nie gefühlt vorher;
also daß ich den wie tollen Herzensschlag
mußt' wiederholen:
"'s ist Besuch nur, der ohn' Grollen mahnt,
daß Einlaß er begehr' -
nur ein später Gast, der friedlich mahnt,
daß Einlaß er begehr'; -
ja, nur das - nichts weiter mehr."


Augenblicklich schwand mein Bangen,
und so sprach ich unbefangen:
"Gleich, mein Herr - gleich, meine Dame-
um Vergebung bitt' ich sehr;
just ein Nickerchen ich machte, und Ihr
Klopfen klang so sachte,
daß ich kaum davon erwachte, sachte von
der Türe her -
doch nun tretet ein!" - und damit riß weit
auf die Tür ich - leer!
Dunkel dort - nichts weiter mehr.


Tief ins Dunkel späht' ich lange, zwei-
felnd, wieder seltsam bange,
Träume träumend, wie kein sterblich Hirn
sie träumte je vorher;
doch die Stille gab kein Zeichen; nur ein
Wort ließ hin sie streichen
durch die Nacht, das mich erbleichen ließ:
das Wort "Lenor'?" so schwer -
selber sprach ich's, und ein Echo mur-
melte's zurück so schwer:
nur "Lenor'!" - nichts weiter mehr.


Da ich nun zurück mich wandte und mein
Herz wie Feuer brannte,
hört' ich abermals ein Pochen, etwas lau-
ter denn vorher.
"Ah, gewiß", so sprach ich bitter, "liegt's an
meinem Fenstergitter;
Schaden tat ihm das Gewitter jüngst - ja,
so ich's mir erklär', -
schweig denn still, mein Herze, laß mich
nachsehn, daß ich's mir erklär!: -
's ist der Wind - nichts weiter mehr!"


Auf warf ich das Fenstergatter, als herein
mit viel Geflatter
schritt ein stattlich stolzer Rabe wie aus
Sagenzeiten her;
Grüßen lag ihm nicht im Sinne; keinen
Blick lang hielt er inne;
mit hochherrschaftlicher Miene flog em-
por zur Türe er -
setzt' sich auf die Pallas-Büste überm Tür-
gesims dort - er
flog und saß - nichts weiter mehr.


Doch dies ebenholzne Wesen ließ mein
Bangen rasch genesen,
ließ mich lächelnd ob der Miene, die es
macht' so ernst und hehr;
"Ward dir auch kein Kamm zur Gabe",
sprach ich, "so doch stolz Gehabe,
grauslich grimmer alter Rabe, Wanderer
aus nächtger Sphär' -
sag, welch hohen Namen gab man dir in
Plutos nächtger Sphär'?"
Sprach der Rabe, "Nimmermehr."


Staunend hört' dies rauhe Klingen ich dem
Schnabel sich entringen,
ob die Antwort schon nicht eben sinnvoll
und bedeutungsschwer;
denn wir dürfen wohl gestehen, daß es kei-
nem noch geschehen,
solch ein Tier bei sich zu sehen, das vom
Türgesimse her -
das von einer Marmor-Büste überm Tür-
gesimse her
sprach, es heiße "Nimmermehr."


Doch der droben einsam ragte und dies
eine Wort nur sagte,
gleich als schütte seine Seele aus in diesem
Worte er,
keine Silbe sonst entriß sich seinem düst-
ren Innern, bis ich
seufzte: "Mancher Freund verließ mich
früher schon ohn' Wiederkehr -
morgen wird er mich verlassen, wie mein
Glück - ohn' Wiederkehr."
Doch da sprach er, "Nimmermehr!"


Einen Augenblick erblassend ob der Ant-
wort, die so passend,
sagt' ich, "Fraglos ist dies alles, was das
Tier gelernt bisher:
's war bei einem Herrn in Pflege, den so tief
des Schicksals Schläge
trafen, daß all seine Wege schloß dies eine
Wort so schwer -
daß all seiner Hoffnung Lieder als Refrain
beschloß so schwer
dies "Nimmer - nimmermehr."


Doch was Trübes ich auch dachte, dieses
Tier mich lächeln machte,
immer noch, und also rollt' ich stracks mir
einen Sessel her
und ließ die Gedanken fliehen, reihte wil-
de Theorien,
Phantasie an Phantasien: wie's wohl zu
verstehen wär' -
wie dies grimme, ominöse Wesen zu ver-
stehen wär',
wenn es krächzte "Nimmermehr."


Dieses zu erraten, saß ich wortlos vor dem
Tier, doch fraß sich
mir sein Blick ins tiefste Innre nun, als ob
er Feuer wär';
brütend über Ungewissem legt' ich, hin
und her gerissen,
meinen Kopf aufs samtne Kissen, das ihr
Haupt einst drückte hehr -
auf das violette Kissen, das ihr Haupt einst
drückte hehr,
doch nun, ach! drückt nimmermehr!


Da auf einmal füllten Düfte, dünkt' mich,
weihrauchgleich die Lüfte,
und seraphner Schritte Klingen drang
vom Estrich zu mir her.
"Ärmster", rief ich, "sieh, Gott sendet seine
Engel dir und spendet
Nepenthes, worinnen endet nun Lenor's
Gedächtnis schwer; -
trink das freundliche Vergessen, das bald
tilgt, was in dir schwer!"
Sprach der Rabe, "Nimmermehr."


"Ah, du prophezeist ohn' Zweifel, Höllen-
brut! Ob Tier, ob Teufel -
ob dich der Versucher sandte, ob ein Sturm
dich ließ hierher,
trostlos, doch ganz ohne Bangen, in dies
öde Land gelangen,
in dies Haus, von Graun umfangen, - sag's
mir ehrlich, bitt' ich sehr -
gibt es- gibt's in Gilead Balsam? - sag's mir
- sag mir, bitt' dich sehr!"
Sprach der Rabe, "Nimmermehr."


"Ah! dann nimm den letzten Zweifel,
Höllenbrut - ob Tier, ob Teufel!
Bei dem Himmel, der hoch über uns sich
wölbt - bei Gottes Ehr' -
künd mir: wird es denn geschehen, daß ich
einst in Edens Höhen
darf ein Mädchen wiedersehen, selig in
der Engel Heer -
darf Lenor', die ich verloren, sehen in der
Engel Heer?"
Sprach der Rabe, "Nimmermehr."


"Sei denn dies dein Abschiedszeichen",
schrie ich, "Unhold ohnegleichen!
Hebe dich hinweg und kehre stracks zu-
rück in Plutos Sphär'!
Keiner einz'gen Feder Schwärze bliebe
hier, dem finstern Scherze
Zeugnis! Laß mit meinem Schmerze mich
allein! - hinweg dich scher!
Friß nicht länger mir am Leben! Pack dich!
Fort! Hinweg dich scher!"
Sprach der Rabe, "Nimmermehr."


Und der Rabe rührt' sich nimmer, sitzt
noch immer, sitzt noch immer
auf der bleichen Pallas-Büste überm Tür-
sims wie vorher;
und in seinen Augenhöhlen eines Dämons
Träume schwelen,
und das Licht wirft seinen scheelen Schat-
ten auf den Estrich schwer;
und es hebt sich aus dem Schatten auf dem
Estrich dumpf und schwer
meine Seele - nimmermehr.
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EULALIE

Ich lebte allein
In Kummer und Pein
Und krank an Seele und Leib,
Da ward die liebliche Eulalie

Mein sanftes, lächelndes Weib,
Da ward die blondhaarige Eulalie
Mein junges, erröthendes Weib.

Ha, weniger hell

Ist der silberne Quell

Als die Augen der lieben Dirn’,
Und kein Wölkchen der Höhn
Ist so duftig und schön
Als die Löckchen auf Eulalie’s Stirn’ –
Wär’s beglänzt vom Mond,

Oder wär’ es besonnt –
Als die Löckchen auf Eulalies Stirn.

Nun bin ich befreit
Von allem Leid,
Da sie mein ist mit Seel’ und Leib.

Tagaus, tagein lacht Sonnenschein,
Seit Eulalie mein junges Weib,
Tagaus, tagein lacht Sonnenschein
Auf mein junges, liebliches Weib.

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ULALUME

Die Wolken thürmten sich mächtig,
Die Blätter waren verdorrt,
Sie waren kraus und verdorrt,
Es war Oktober und nächtig

An einem unseligen Ort.
Es war nahe dem bleiernen Wasser,
Das da so verschlafen steht,
Am Hain, wo des Nachts sich ein blasser,
Hohläugiger Schwarm ergeht.

Die Gegend schroff und titanisch,
Durchstreift’ ich mit Psyche allein,
Meiner Seele, Psyche, allein,
Zur Zeit, da mein Herz noch vulkanisch,
Wie die Berge, die rastlos spei’n,

Die Feuerströme ausspei’n,
Wie der Berg am Nordpol, der kreißend
Ein flammendes Meer gebiert,
Das sich gewaltsam und reißend
Hinunterstürzt und verliert,

Hinunterwälzt und verliert.

Unsre Rede war ernst und gemessen,
Die Gedanken welk und verdorrt,
Die Gedanken lahm und verdorrt.
Das Gedächtniß war pflichtvergessen,

Denn es mahnte uns nicht an den Ort,
An die Zeit nicht, und nicht an den Ort.
Wir ahnten nicht Ort und nicht Stunde
Und nicht den Monat im Jahr,
Den unsel’gen Monat im Jahr,

Daß es nahe dem heimlichen Grunde
Und dem bleiernen Wasser war.

Und da nun die Nacht sich neigte

Und der Zeiger der Sternenuhr,
Der himmlischen Sternenuhr

Dem Tag zustrebte, da zeigte
Sich ein nebliger Schein am Azur.
Und diesem weißlichen, zarten
Duftschleier entschwebte zuletzt
Das Diadem von Astarten

Mit Diamanten besetzt.

Und ich sprach: Sie ist wärmer und milder
Als die keusche Schwester Apoll’s,
Die flinke Schwester Apoll’s.
Diana ist feuriger, wilder,

Doch innerlich kühl und stolz.
Sie aber wandelt durch Sphären
Von Seufzern und wirft ihr Licht,
Ihr sanftes, freundliches Licht
Auf die nimmer trocknenden Zähren

Im gramvollen Erdengesicht.
Und kommt durch das Sternbild des Löwen
Und weist uns den Weg zum Glück,
Den Weg durch Lethe zum Glück
Und kommt durch die Höhle des Löwen,

Erwärmt uns mit Ihrem Blick,
Mit ihrem liebenden Blick.

Da sah ich Psyche erschaudern.

Sie sprach: Ich trau’ ihr nicht,
Ich trau’ dieser Blässe nicht.

O komm, o laß’ uns nicht zaudern,
Ich fürchte dies weiße Licht,
Dies weiße, flackernde Licht.
Eine Angst, unbeschreiblich, unsäglich
Durchbebte sie, während sie sprach,

Während so hastig sie sprach,
Sie schluchzte und schleppte kläglich
Ihre Schwingen am Boden nach,
Die Schwingen im Staube nach.

Ich erwiderte: Du siehst Gespenster,


Laß uns tauchen in dieses Meer,
Dies krystallene, leuchtende Meer,
Sein Raum ist ein unbegrenzter,
Sieh nur, hin wogt es und her,
Es zittert und wogt hin und her,

Es strahlt und fluthet im Blauen
Mit wahrhaft sybillischer Pracht,
Glaub’ nur, wir dürfen ihm trauen,
Es leuchtet uns durch die Nacht,
Wir dürfen dem Wegweiser trauen,

Denn er leuchtet zu Gott durch die Nacht.

So suchte ich sie zu beschwicht’gen
Und küßte sie brüderlich warm,
Ich küßte sie zärtlich und warm,
Und ich sah ihre Angst sich verflücht’gen

Und wir eilten voran Arm in Arm.
Durch dunkle Cypressenalleeen
Und athmeten ihren Duft –
Da blieben wir plötzlich stehen
Vor der Thüre zu einer Gruft,

Zu einer mystischen Gruft.
Und ich sprach: Was sagt dieser stumme,
Bedeutsame Mund von Stein?
Da erwiderte sie: Ulalume –
Hier ruht Ulalumens Gebein,

Deiner Ulalume Gebein.

Da ward stumpf mein Herz und ohnmächtig,
Und wie die Blätter verdorrt,
Wie die Blätter welk und verdorrt.
Ja, Oktober war es und nächtig,

Rief ich aus und an diesem Ort,
Ich erkenne deutlich den Ort.
Am Teich erging sich ein blasser,
Hohläugiger, grinsender Schwarm,
Und ich irrte an diesem Wasser

Eine schaurige Bürde im Arm,
Ein kalte Bürde im Arm.

Die Wolken thürmten sich mächtig,

Die Blätter waren verdorrt.
Es war Oktober und nächtig

An einem unseligen Ort.


Deutsch von A. Vivanti

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ANNABEL LEE

Übersetzung Strodtmann

Es sind viele, viele Jahre her,
Dass am Meeresufer allhie
Ein Mädchen lebte – o fragt nicht mehr! –
Mit Namen Annabel Lee.

Und dies Mädchen lebte für mich allein,
Und ich lebt’ alleine für sie.

Ich war ein Kind und sie war ein Kind

Am Meeresufer allhie,
Doch wir liebten uns heißer als Liebe liebt,

Ich und schön Annabel Lee, –
Liebten uns so, dass die Engel im Blau
Bedräueten mich und sie.

Und Dies war der Grund, dass vor langer Zeit

Am Meeresufer allhie

Ein schnaubender Wind aus der Wolke traf
Die liebliche Annabel Lee;
So dass der Engel des Todes kam
Und den Leib der Erde verlieh,
Und sie schloss in ein Grab, so finster und kalt,

Am Meeresufer allhie.

Die Engel, nicht halb so glücklich im Blau,
Beneideten mich und sie –
Ja, Dies war der Grund (wie ein Jeder weiß
Am Meeresufer allhie),

Dass der Wind aus der Wolke zur Nachtzeit brach,
Schnaubend mir raubend schön Annabel Lee.

Doch stark wie unsere Liebe war

Die Liebe viel Älterer nie,
Die Liebe viel Weiserer nie;

Und weder der himmlischen Englein Schar,
Noch der Meergeister Grollen allhie
Kann scheiden in Leiden mein Sein von dem Sein
Der lieblichen Annabel Lee!

Kein Mondstrahl erblinkt, der mir Träume nicht bringt


Von der lieblichen Annabel Lee;
Und kein Stern sich erhebt, drin das Auge nicht schwebt
Der lieblichen Annabel Lee.
So ruh’ ich bei Nacht, von der Reinen umwacht,
Der Einen, der Meinen, die ewig mir lacht,

In dem Grab am Ufer allhie,
Am tönenden Ufer hie.

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DER EROBERER WURM


Im Weltenraum ist Galanacht.
Im Theater sitzt gedrängt
Eine Engelschaar in Festestracht,
Verschleiert, zährendurchtränkt

Und lauscht einem wechselvollen Stück,
Wo Furcht und Hoffen sich drängt,
Dieweil im Orchester Sphärenmusik
Sich langsam hebt und senkt.

Gottähnliche Mimen murmeln leis


Den Text und kommen und gehn
Auf großer, formloser Wesen Geheiß,
Die in den Coulissen stehn,
Mit ernsten Geberden, feierlich stumm
Die Wände schieben und drehn,

Und mit ihren Flügeln in’s Publikum
Unsichtbares Leiden wehn.

Dies Drama, wechselvoll, fieberisch,
Es bleibt der Welt unverkürzt,
Mit einem scheckig bunten Gemisch

Von Tollheit und Sünde gewürzt,
Dahinter sich lauter Elend und Graus
Zum verworrenen Knoten schürzt,
Und ein Phantom sich unter Applaus
In das ewige Dunkel stürzt.


Doch sieh! eine Form aus ekler Brut
Schleicht in den Mimenknäu’l –
Ein kriechendes Unthier, roth wie Blut,
Das sich windet und windet, dieweil
Es nach und nach die Mimen verzehrt

Unter der Opfer Geheul
Und die Engelschaar ein Schauder durchfährt
Ob solch unendlicher Greu’l.

Aus sind die Lichter – ausgeweht –,

Mit der Wucht eines Sturmes fällt

Der Vorhang, ein Leichentuch, sternbesät
Ueber das bretterne Zelt.
Die Engel erheben sich abgespannt
Und erklären der bangen Welt,
Daß die Tragödie „Mensch“ benannt

Und der Eroberer „Wurm“ ihr Held.


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Bild - Delirium  - von Philippe Druillet


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