Saturday, May 28, 2016

DER ROTE KOMET (1909) - von Robert Heymann ( Zweiter Teil )


http://www.rador.ro/wp-content/uploads/2014/10/cometa.jpg



III

Die Sternwarte des Romulus Futurus lag gerade im Tiergarten, etwa dort, wo vor einigen hundert Jahren der „Große Stern“ gewesen. Von hier aus beherrschte die Sternwarte ganz Berlin. Die neue Stadt war nämlich in einem großen Halbkreis gebaut worden und gruppierte sich, etwa von der ehemaligen Jungfernheide angefangen, in einem Bogen, der allerdings viele, viele Stunden weit über den Gesundbrunnen, die Schönhauser Allee, Neu-Weißensee, Rummelsburg, Stralau, Rixdorf, Schöneberg und Wilmersdorf hinausreichte, um den Tiergarten.

Von seiner Sternwarte aus konnte also Romulus Futurus ganz Berlin, übersehen und beobachten. Ja, er konnte noch mehr ! Er erinnerte sich, daß Ralph Jonathan Wieland in der ehemaligen Königgrätzerstraße Wohnung genommen hatte. Diese war die erste Straße, die, von der Sternwarte an gerechnet, jenseits des Tiergartens überhaupt bewohnt werden durfte. Dort standen denn auch die Paläste der reichsten Millionäre von Berlin, darunter das Riesenhaus Ralph Jonathan Wielands.

Schon oft hatte Romulus Futurus nach jener Richtung geblickt und mit dem Glase den Nabob beobachten können.

„Ich habe keine Zeit zu verlieren !“ murmelte er.

Ohne sich um Frau Fabia zu bekümmern, die ihn mit vorgestrecktem Hals beobachtete und plötzlich von dunklem, unbewußtem Grauen ergriffen, aus der Sternwarte floh, setzte Romulus Futurus den Riesenscheinwerfer in Tätigkeit. Er schraubte die Linse so zu, daß der Lichtschein keinen größeren Umfang hatte als höchstens 1 Meter. Diesen schmalen, spitzen Lichtstrahl ließ er geradeaus nach dem Schlafzimmer des Ralph Jonathan Wieland gleiten.

Er selbst bewaffnete seine Augen mit einem scharfen Vergrößerungsglas. Es hatte die Form einer Automobilbrille. Die kleinen Gläser saßen auf hohen, runden, schwarzen Einfassungen, die wieder hohl auf den Augen lagen. So stellte er sich an das Fenster und beobachtete. In dem Bruchteil einer Minute, bevor Ralph Jonathan Wieland auf die Störung durch den weißen Strahl aufmerksam gemacht wurde, sah Romulus Futurus durch das geöffnete Fenster, daß der Krösus eben damit beschäftigt war, eine kleine schwarze Kugel mit Acetylen zu füllen. Er begriff sofort den schändlichen Mordplan dieses von Leidenschaften ganz und gar irre geführten Millionärs.

Acetylen war nämlich das neueste, furchtbarste Sprengmittel, das man im dritten Jahrtausend kannte und Acetylengranaten waren bereits bei allen schweren Geschützen eingeführt. Diese Geschosse bestanden aus Holzbüchsen mit Eisenkern, die mit Calcium Carbid gefüllt waren. Unter dem Calcium Carbid lag eine Schicht Phosphatkalium, die, sobald Wasser eindrang, Phosphorwasserstoff bildete, während das Calcium Carbid das Acetylen entwickelte. Sowie der Phosphorwasserstoff mit Luft in Berührung kam, entzündete er sich von selbst und setzte das Acetylen in Brand, das eine furchtbare Flamme entwickelte, daß die größten Wassermassen nicht hinreichen konnten, sie zu löschen.

Ohne Zweifel wollte Ralph Jonathan Wieland das Haus Croftons auf diese Weise in Brand setzen und in die Luft sprengen. Ein teuflischer Plan, den Romulus Futurus in jener Nacht zunichte machte.

Der Millionär drehte sich plötzlich um, erschreckt und verblüfft durch die schmale Lichtflut, die in sein Zimmer drang. Als er mit den Augen ihrer Richtung folgte, da begriff er, daß sie von der Sternwarte ausging.

„Romulus Futurus !“ flüsterte er in höchster Angst und versuchte, die Acetylenbombe zu verstecken und das Zimmer zu verlassen.

Aber er konnte nicht. Grenzenloses Grauen packte ihn.

Ralph Jonathan Wieland sah diese Lichtflut wie ein weißes Band, das kerzengerade von dem Leuchtturm zu ihm herüber glitt. Die Spitze des Scheines bohrte sich in seine Brust und verursachte ihm einen wahnsinnigen Schmerz.

Gerade über dem weißen Band aber, das die rot durchleuchtete Nacht wie ein Dolch durchdrang, lagen die Augen des Erfinders, von schwarzen Rändern umgeben, spitz, drohend, mit einem furchtbaren Glanz ausgestattet. Sie machten den Eindruck von zwei quallenartigen, schlüpfrigen Sternen, die über der milchigen Flüssigkeit schimmerten.

Jonathan Wieland schüttelte sich vor Grauen. Er machte die verzweifeltsten Anstrengungen, sich von diesem furchtbaren Anblick loszureißen. Aber er war nicht imstande, auch nur die geringste Bewegung zu machen.

Inzwischen beobachtete ihn Romulus Futurus mit einem teuflischen Lächeln. Er nahm seine ganze Willenskraft zusammen, legte sie in seine Augen und fesselte Jonathan Wieland in seinen Bann.

Dieser stand in der Mitte seines Zimmers, die furchtbare Bombe in Händen, die durch die geringste ungeschickte Bewegung allein schon zur Entzündung gebracht werden konnte, grün vor Entsetzen, während der schmale Lichtstreifen sich immer tiefer in seinen Körper bohrte und die Schmerzen immer gewaltiger wurden.

Und Romulus Futurus sagte in seiner Sternwarte laut, während er den Kopf zwischen die Schultern steckte und die furchtbaren Augen immer noch unbeweglich über der Lichtflut glitzern ließ:

„Ich will, daß du die Acetylen-Bombe zu Boden fallen lassest!“

Nicht sofort wirkte der auf diese Weise übertragene Wille. Obgleich Jonathan Wieland sich ganz und gar im Banne der Hypnose befand, besaß er doch selbst so viel gesunde Kraft, daß er sich zu wehren vermochte, daß er dem furchtbaren Willen seines entfernten Feindes Wiederstand entgegen setzen konnte.

Der aber ließ nicht nach.

„Ich will, daß du die Acetylen-Bombe zu Boden fallen lassest!“ wiederholte er noch einmal eintönig, biß die Zähne aufeinander und bohrte seine Augen in die des Jonathan Wieland. Jener begann zu zittern, während diese furchtbaren schwarzen Quallen über der Lichtflut, vergrößert durch die Gläser, seine Blicke förmlich in sich einsogen, während diese entsetzlichen, gierigen Spinnenaugen des Romulus Futurus den letzten Willen aus dem Körper Wielands bannten und seine letzten Kräfte fraßen.

Und plötzlich stieß der Millionär einen furchtbaren, gellenden Schrei aus und ließ die Bombe fallen.

Die Folge war schrecklich. Das Haus des Krösus stürzte ein und begrub ihn und seine zahlreiche Dienerschaft unter seinen Trümmern. Eine ungeheure Flammensäule schoß augenblicklich in die Höhe und hätte vielleicht halb Berlin eingeäschert, würde nicht das Tekton, ein unverbrennbarer Baustoff, mit dem fast alle Häuser überzogen waren, selbst diesen furchtbaren Flammen einen energischen Widerstand entgegengesetzt haben.

Es gelang der rasch herbeigeeilten Feuerwehr, nach unendlichen Anstrengungen, den Brand zu löschen und die übrigen Häuser vor der Vernichtung zu bewahren.

Von Ralph Jonathan Wieland wurde nichts, aber auch nichts mehr gefunden. Sein Körper war dermaßen zu Asche verbrannt, daß auch nicht die Knochen eines Gliedes übrig geblieben waren.

Und niemals erfuhr man, auf welche Weise dieses entsetzliche Unglück zustande gekommen war.

Die Aufmerksamkeit der Berliner wurde übrigens rasch wieder durch den roten Kometen abgelenkt. Dieser hatte sich nämlich jetzt der Erde soweit genähert, daß man deutlich seine Form und Gestaltung erkennen konnte.

Die Deutschen aber hatten kaum mehr Zeit, sich mit dem neuen Gestirn zu beschäftigen; denn der Krieg zwischen der deutschen Nation einerseits und den Engländern und Franzosen andererseits stand bevor. Eifrig wurde gerüstet. Und ungeheure Mengen von Munition wurden an den großen Kriegshäfen Wilhelmshafen und Kiel aufgestapelt.

Die Armee trat unter Waffen.

Romulus Futurus nahm an diesen Vorgängen wenig Anteil. Er erkannte sehr richtig, daß die plötzliche Kriegsleidenschaft zwischen den Nationen ebenfalls nichts weiter als eine Folge des roten Lichtes war, das dieser Unglückskomet ausstrahlte. Und doch wollte es Romulus Futurus scheinen, als ob die Schnelligkeit, mit der der Komet sich bisher der Erde genähert hatte, abnahm. So arbeitete der große Astronom in aller Ruhe an seinen Problemen weiter. Er empfand nicht die geringsten Gewissensbisse über sein nächtliches Verbrechen und kam mit Frau Fabia kaum mehr in Berührung. Und doch war es eigentlich nur der rote Komet, der das Schicksal des Romulus Futurus in die seltsamsten Bahnen trieb.

In sein Leben trat nämlich ein neues, merkwürdiges Ereignis. In dem Hause befand sich ein großer Saal, in dem die Bilder seiner Ahnen hingen. Dieser Raum, der mit einer riesigen Bibliothek in Verbindung stand, war der Lieblingsaufenthalt des Astronomen; hier hing auch in der Mitte der Wand in goldenem Rahmen sein Jugendbildnis. Das ihn als dreißigjährigen Mann darstellte, als er Fabia zur Gattin genommen hatte.

Das lag acht Jahre zurück. Oftmals dachte Romulus Futurus, der ein Philosoph war, darüber nach, ob es wohl Liebe gewesen, was ihn damals zu Fabia getrieben; um sich darüber Aufklärung zu verschaffen, kam er auf die phantastische Idee, durch die „Lumen“-Platte sein eigenes Bild aus damaliger Zeit zu photographieren.

Zu diesem Zwecke also stellte er, um ein möglichst genaues Bildnis zu erhalten, den Apparat nachts in dem großen Ahnensaale auf, gerade seinem Bilde gegenüber, und entfernte am nächsten Morgen die Platte, um sie zu entwickeln.

Da wischte er sich mit der Hand über die Augen, fuhr sich von neuem über die Stirn, als wollte er die Gedanken verscheuchen; ja, er nahm einen Spiegel und hielt ihn über die Photographie, um sich zu überzeugen, ob die Augen ihn nicht trogen.

Aber auch der zeigte dasselbe:

Sein Bild. Es sah nicht viel anders aus, wie das Portrait an der Wand; denn Romulus Futurus hatte damals wirklich einen vornehmen Charakter besessen und keine Hintergedanken gehabt. Doch sein Bild interessierte ihn jetzt nicht weiter. Was ihn zu gleicher Zeit erschreckte und in grenzenloses Erstaunen versetzte, war ein ganz anderer Umstand:

Vor dem Bildnis stand nämlich eine Gestalt.

Es wäre schwer gewesen, sie zu beschreiben, überhaupt genauer anzugeben, wer sie war, wie sie aussah, was sie trug.

Es war ein Weib, das stand fest. Vielleicht sah man es nicht. Aber Romulus Futurus fühlte es. Ihre Gestalt kam nicht über eine nebelhafte Unsicherheit hinaus, und es wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, mehr über die Züge dieser Erscheinung zu sagen. Und doch war sie da, hatte unzweifelhaft lange Zeit vor dem Bildnis Romulus Futurus’ gestanden und mit einer gewissen Andacht zu ihm emporgeblickt.

Der Astronom wußte nicht, was er davon denken und halten sollte. Schließlich schrieb er das Ganze seiner überhitzten Phantasie zu, vielleicht auch einem Fehler der Platte selbst, die vorher nicht genügend gegen das Licht geschützt worden war. Um sich Sicherheit zu verschaffen, ließ er es in der zweiten Nacht auf einen neuen Versuch ankommen. Als er aber am Morgen die Platte entwickelte, da zeigte sich das gleiche Phänomen: eine weibliche Gestalt, etwas stärker ausgeprägt, als am Tage vorher, eine Frau von wundervoller Reinheit, mit einem Antlitz von außerordentlicher Schönheit, das Ganze so durchsichtig wie Kristall, unfaßbar, unbeschreiblich.

Romulus Futurus wurde nun von einer quälenden Unruhe erfaßt, die ihn nicht mehr verließ. Da er in seinen Freund John Crofton vollstes Vertrauen setzte, um so mehr, als dieser ihm die Rettung seines Lebens verdankte, so rief er ihn zu sich, bat ihn hinauf in die Sternwarte und zeigte ihm das Bild. Dann weihte er ihn in die Vorgeschichte ein.

John Crofton blickte die Photographie lange an.

„Siehst du dasselbe wie ich ?“ fragte Romulus Futurus.

„Ohne Zweifel, mein Freund ! Ich sehe eine lichte Gestalt vor deinem Bilde !“

„Ist das nicht sonderbar ? Ist das nicht, um verrückt zu werden ? Eine Gestalt, die man mit bloßem Auge nicht erkennen kann ?“

John Crofton lächelte.

„Die Erklärung, meine ich, ist sehr einfach, Romulus. Diese Gestalt ist kein gewöhnliches Lebewesen, das steht fest. Sonst würde es ihr nicht möglich sein, durch verschlossene Türen und Fenster in den Ahnensaal einzudringen. Ebenso sicher ist es aber, daß sie eine besondere Vorliebe für dich besitzt, sonst würde sie nicht die Nächte vor deinem Bilde zubringen.“

Romulus Futurus, durch diese Auskunft, die seine eigenen Empfindungen und Hoffnungen bestätigte, aufs höchste erregt, ging mit großen Schritten in dem Raume auf und nieder.

„Aber, was ist da zu tun ?“ rief er, verzweifelt die Hände ringend.

„Was ist da zu tun, John ? Diese Erscheinung erschreckt mich im höchsten Grade, während sie zugleich in den Tiefen meiner Seele etwas aufwühlt, das mich in die größte Unruhe versetzt. Ich muß dieses Phänomen sehen ! Willst du mir behilflich sein, John, daß ich einen Zeugen habe und meinen eigenen Augen nicht mißtrauen muß ?“

Der Freund nickte.

„Mit Vergnügen, Romulus !“

Die beiden verabredeten also, daß sie in der nächsten Nacht in dem großen Ahnensaale wachen wollten, während Romulus Futurus zu gleicher Zeit wieder seine lichtempfindliche Platte in dem Apparat dem Bilde gegenüber in Bereitschaft setzte.

Sie warteten die ganze Nacht hinter einem schweren Brokatvorhang. Sämtliche Eichentüren waren verschlossen worden. Alle Fenster waren zu; nur das rote Licht des Kometen verbreitete eine traumhafte Helligkeit in dem Saale. Romulus Futurus und sein Freund John Crofton warteten die ganze Nacht bis zum Morgen. Sie sahen nichts, hörten nichts und bemerkten nichts; und Romulus Futurus meinte seufzend:

„Sicherlich haben wir sie durch unsere Gegenwart vertrieben.“ Dann besah er die photographische Platte, während seine Hände in fieberhafter Ungeduld zitterten.

Das Bild zeigte die gleiche Erscheinung wie am vergangenen Tage, nur noch ausgeprägter, so daß man selbst das lange, fließende Haar, das bis auf die Hüften wallte, die feinen Linien des Körpers, der in ein durchsichtiges Gewand gehüllt war, erkennen konnte.

Der Astronom rannte in dem astronomischen Saale auf und nieder.

„Ich muß sie kennen lernen !“ rief er ein über das andere Mal. „Ich muß ! Diese Erscheinung gewinnt, ich gestehe es, von Tag zu Tag einen größeren Einfluß auf mich, und ich möchte beinahe behaupten, ich sei von einer rasenden, leidenschaftlichen, entsetzlichen Liebe zu ihr erfüllt !“

John Crofton, der das heimliche Schaudern, das ihm dieses Phänomen verursachte, hinter Frivolitäten zu verbergen suchte, entgegnete:

„Nun, bei einem Manne, der gegen Fleisch und Blut so unempfindlich ist wie du, ist’s nichts Wundersames, wenn er sich in Geister verliebt !“

Das Wort fesselte Romulus Futurus Aufmerksamkeit.

„Geister . . .“ wiederholte er. „Das ist sicherlich nicht das richtige Wort, John. Es handelt sich um keinen Geist, und ich glaube auch nicht, daß die Seelen Verstorbener sich uns auf diese Weise bemerkbar machen können.“

„Wie willst du es dann erklären?“ entgegnete John Crofton verwundert. „Auf alle Fälle ist das eine Erscheinung, die ohne Materie, das heißt ohne Fleisch und Blut ist, sonst müßten wir sie doch mit unseren Augen erkennen. Nur die fabelhaft empfindliche Platte war imstande, das Unsichtbare sichtbar zu machen.“

Das war eine Erklärung, die Romulus Futurus weder befriedigen noch beruhigen konnte.

„Auf diese Weise kommen wir zu keinem Resultate !“ rief er. „Ich will aber wissen, John, wer sie ist ! Gib mir einen Rat. Du weißt nicht, welches große Opfer ich für dich gebracht, daß ich dir sogar das Leben gerettet habe. Du staunst ? Nun, nimm es an ! Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo ich von dir einen Gegendienst verlange ! Ja, ich bin verliebt ! Das ist nicht das rechte Wort ! Ich habe ein rasendes, wildes Verlangen nach jenem Wesen, das Nacht für Nacht sich vor meinem Bilde zeigt. Ich muß sie besitzen ! Also gib mir ein Mittel ! Ein Mittel, John Crofton !“ Und der sonst so vernünftige, ruhige, kühle und gemessene Mann rannte in der Sternwarte auf und nieder, packte seinen Freund Crofton und schüttelte ihn, als wollte er ihn töten.

„Laß mir einige Augenblicke Zeit !“ murmelte John Crofton und ließ sich in einen Sessel nieder. Ihm war ein elender Gedanke gekommen.

Seitdem Frau Fabia seine Liebeswerbung so schnell abgewiesen, hatte er einen tiefen und unauslöschlichen Haß gegen die schöne Frau mit sich herum getragen. Von Natur aus ein schlechter, verdorbener Charakter, war seine Leidenschaft für das schöne Weib zu teuflischer Bosheit geworden, und Tag und Nacht dachte er darüber nach, wie er ihr Furchtbares antun könnte.

Aber er fürchtete Romulus Futurus zu gleicher Zeit ! Er fürchtete diesen mächtigen, in seinen Leidenschaften unberechenbaren Mann und hatte bislang nicht gewagt, irgend etwas gegen sein Weib zu unternehmen.

Und jetzt gab sich Romulus Futurus in seine Hände ! Jetzt verlangte er ein Mittel von ihm, das ihm kein Mensch verraten konnte! John Crofton vergaß vollständig, daß sowohl er wie Romulus Futurus vor einem phänomenalen Rätsel standen. Er dachte nur mehr an Frau Fabia, an seinen Haß, an die Möglichkeit, sich zu rächen, ohne sich selbst strafbar zu machen. Und er hob das bleiche Gesicht mit den dunkel umränderten Augen zu Romulus Futurus, der ihn erwartungsvoll ansah, und sagte:

„Ich wüßte wohl ein Mittel !“

Der Astronom war Feuer und Flamme.

„So sprich denn ! Sprich ! Mein Gehirn ist zu verwirrt, um selbst einen klaren Gedanken zu fassen. Was ist zu tun ?“

John Crofton ließ sich drängen. Er wiegte den Kopf hin und her und tat, als getraue er sich nicht, zu sprechen. Bis Romulus Futurus ihn beschwor, bis er ihm zusicherte, daß er jede Verantwortung tragen würde.

Dann begann John Crofton:

„So viel steht fest: die Platte, die an und für sich eine wunderbare Erfindung bedeutet, hat dir und der ganzen Menschheit neue Wege gewiesen; ungeheuerliche Entdeckungen werden gemacht werden. Nun, diese Gestalt vor deinem Bilde existiert, das ist sicher. Und ohne Zweifel ist es die Seele, der Geist, das vom Körper losgelöste Wesen eines jungen Weibes, das dich leidenschaftlich liebt. Willst du sie gewinnen und besitzen, so mußt du dieses Wesen in einen neuen Körper bannen. Ob das Experiment gelingen wird, weiß ich nicht. Aber es sollte glücken ! Du verfügst über fabelhafte Kräfte ! Dein Wille ist unermeßlich ! Versuche, sage ich !“

Futurus stand von seinem Sessel auf und rannte hin und her.

„Ja, das ist eine Idee ! Das ist glänzend ! Das ist großartig !“

Plötzlich brach er ab. Er begriff, daß der Vorschlag John Croftons scheinbar unüberwindliche Schwierigkeiten aufwies.

„Aber woher diesen Körper bekommen, John ? Was meine Gewalt über dieses Wesen anbetrifft, verzweifle ich nicht. Es wird mir gelingen, die Unsichtbare zum Gehorsam zu bringen ! Aber in welchen Körper soll ich sie bannen ? Es muß der Leib eines Weibes sein, dessen äußerliche Schönheit mit diesem Wesen harmonieren würde ! Ein Weib, das ich anbeten, vor dem ich mich auf die Knie werfen könnte “

Er brach erschöpft ab. Und John Crofton sagte so ruhig, als handle es sich um, die einfachste Sache der Welt, während in seine Augen ein furchtbarer Schimmer trat:

„Deine Frau !“

Romulus Futurus blieb wie zur Statue erstarrt stehen, seine Augen weiteten sich, seine Lippen bebten.

„Meine Frau . . .“ wiederholte er tonlos.

„Natürlich !“ fuhr John Crofton fort, indem er mit einem eisernen Willen sofort auf das eine Ziel losging, Frau Fabia zu vernichten; denn er glaubte in Wirklichkeit nicht daran, daß Romulus Futurus, den er für einen Narren hielt, in Wahrheit ein so ungeheuerliches Werk vollbringen konnte. „Natürlich deine Frau ! Kein anderer Mensch auf Erden würde sich für dieses Experiment eignen ! Du liebst sie nicht - du hast es mir ja selbst bereits gestanden, hast oftmals mir dein Leid geklagt ! Du fliehst sie und sie grämt sich darüber ! Töte sie und banne dieses Wesen in ihren Leib, so wirst du sie lieben können, wie nie ein Weib von einem Manne geliebt wurde!“

Romulus Futurus sprach lange Zeit kein Wort. Er ging auf und nieder, von Zeit zu Zeit vor dem Freunde stehen bleibend und ihn mit furchtbaren Blicken messend. Es dämmerte noch, und der purpurne Schimmer des Kometen flutete durch die Sternwarte.

„Und warum sollte ich es nicht tun ?“ schrie der Gelehrte plötzlich hinaus, sich selbst die schreckliche Frage beantwortend. „Sage selbst, warum nicht  ? Es ist kein Verbrechen ! Fabia ist unglücklich, sagst du ? Ja, ja, sie ist es ! Ich weiß es, ich habe es unzählige Male gefühlt ! Ich liebe sie nicht ! Aber ich liebe dieses Weib, das ich nicht kenne, das ich nur fühle, bis zum Wahnsinn ! Und ich werde Fabia bis zur Raserei verehren, wenn dieses Wesen in ihrem Leibe wohnt !“

„Also !“ entgegnete John Crofton und warf seine Cigarette weg, während seine Augen vor Mordlust glühten . . .

Romulus Futurus streckte sich in einen Sessel. Er kreuzte die Beine übereinander, vergrub die Hände in die Taschen und zog den Kopf zwischen die Schultern, während ein feiger Zug sein männlich schönes Gesicht entstellte.

„Ich kann es aber nicht tun !“ flüsterte er.

„Was, Romulus ?“

„Ich kann sie nicht töten ! Denn es ist klar, daß ich sie erwürgen muß, wenn ich die wesenlose Gestalt in ihren Körper bannen will !“

„Freilich !“ entgegnete John Crofton brutal. „Du wirst sie töten müssen !“

„Nein, nein !“ wehrte Romulus Futurus ängstlich ab. „Ich kann es nicht ! Ich bringe es nicht über mich ! Aber vielleicht  könntest du “

John Crofton stand auf. Ueber sein Gesicht huschte ein phosphoreszierendes Leuchten. Seine Augen sanken förmlich in die Höhlen zurück, und seine Lippen bebten vor verhaltener Freude.

„Was meinst du, Romulus ?“

Romulus Futurus packte ihn am Arm, zog ihn ganz nahe an sich heran und flüsterte ihm ins Ohr:

„Vielleicht könntest du sie töten !“

John Crofton riß sich los und tat über die Maßen erstaunt.

„Ich, wo denkst du hin ? Ich soll sie töten ? Dein Weib ? Damit du mir im nächsten Augenblick selbst die Pistole auf die Brust setzest und mich tötest ?“

Romulus Futurus wandte jetzt alle seine Ueberredungskunst auf. Er machte John Crofton begreiflich, daß er ihm den größten Dienst seines Lebens erweisen könne. Er bat, flehte, weinte schließlich wie ein Kind. So groß war die eingebildete Macht des unbekannten Wesens über ihn.

Und doch war alles nur die Wirkung des roten Kometen .



Endlich gab John Crofton nach und die beiden Freunde verabredeten, daß sie sich in der kommenden Nacht in der Sternwarte treffen wollten.


IV.

Es war Nacht.

Die roten Strahlen des Kometen wogten hin und her wie hunderttausend elektrische Lichtzungen. Berlin glich einer Märchenstadt. Himmelhoch ragten die riesigen Häuser empor, mitten hinein in das Meer von Purpur, das das Blut aufregte und die Sinne verwirrte.

Die Stadt war ziemlich leer von Menschen. Der Krieg war ausgebrochen, und die Armeen standen im Felde. In der Nähe von Wilhelmshaven tobte die erste Seeschlacht und bei Bitsch waren die deutschen und französischen Heeresmassen gegeneinander geprallt. Immerhin waren in Berlin noch genug Menschen zurückgeblieben, um jene heimliche, hin und her surrende und summende Aufregung zu verursachen, die sich allen Ohren aufdrängte. Es waren junge und ältere Leute, die da und dort auf öffentlichen Plätzen sich sammelten, die flüsterten, sich heimliche Zeichen gaben und wieder verschwanden . . . .

Man munkelte von einer Revolution.

Nie war Romulus Futurus liebenswürdiger gegen seine Gattin gewesen, als am verflossenen Tage. Frau Fabia war glücklich wie nicht mehr seit den ersten Tagen ihrer Ehe.

„Willst du den roten Kometen sehen, Fabia ?“ fragte Romulus Futurus abends gegen elf Uhr. Und Frau Fabia antwortete lächelnd:

„Wenn du ihn mir zeigen willst, mein Freund, so werde ich glücklich sein !“

Und sie folgte ihm hinauf in die Sternwarte. Dort herrschte magisches Licht. Romulus Futurus streckte den Arm aus und wies empor zu dem rotschimmernden Ball, der am kaltgrauen Himmel mit schrecklicher Deutlichkeit stand, so groß, so nahe, so drohend, daß man die Empfindung hatte, als müsse er jeden Augenblick herabstürzen, alles unter sich begrabend.

Frau Fabia schauderte.

„Und doch, heute möchte ich sterben !“ flüsterte sie. „Ich habe das größte Glück meines Lebens genossen, denn ich empfand, daß du mich immer noch liebst!“

Romulus Futurus wandte sich betreten ab, gepeinigt von seinem Gewissen. Da ging die Türe im rückwärtigen Raume auf und eine Gestalt trat ein.

John Crofton hatte nicht den Mut gefunden, Frau Fabia so gegenüberzutreten, wie er war. Er trug eine schwarze Maske vor dem Gesicht und einen purpurroten Mantel über den Schultern. Frau Fabia, deren Sinne wirr waren unter dem direkten Einfluß des roten Lichtes, das sie umgab, schmiegte sich ängstlich an ihren Gatten und flüsterte.

„Sage mir, Romulus, wer ist das ?“

Romulus Futurus löste ihre Arme fast mit Gewalt von seinem Körper und stieß sie dem entgegen, der eingetreten war. Frau Fabia sah die weißen, gepflegten Hände Croftons, der sich bereit machte, auf sie zuzugehen. Und von unbestimmter Furcht ergriffen, flüchtete sie nach dem anderen Ende der Sternwarte und schrie:

„Rette mich, Romulus, ich fürchte mich.“

Der aber brachte noch mehr Zwischenraum zwischen sich und seine Gattin. Er schlich sich zurück bis zu der kleinen Tür, die der Eingetretene offen gelassen hatte, und huschte hinaus, ohne den Mut zu finden, auch nur einen Blick zurückzuwerfen.

John Crofton war allein mit Frau Fabia. Und nun konnte er ein Schauspiel genießen, auf das sich seine entarteten Nerven bis zu dieser Stunde vorbereitet hatten.

Frau Fabia floh vor ihm wie das geängstigte Tier vor dem Jäger. Sie maß ihn mit scheuen, verwirrten Blicken, während er ihr rund um die Sternwarte herum folgte, angesichts des Kometen, angesichts des Himmels, der dieses schändliche Verbrechen nicht hinderte . . . .

Schließlich, als sie kaum mehr die Kraft fand, sich auf ihren zitternden Füßen zu halten, riß John Crofton die Maske vom Gesicht, warf den Mantel ab und rief mit diabolischem Gelächter:

„Erkennst du mich, geliebte Fabia ? Die Stunde der Abrechnung ist gekommen !“

Sie fuhr zurück. Sie klammerte sich an die Wand. Sie schrie mit wahnsinnig klingender Stimme nach Romulus, ihrem geliebten Gatten ! Sie schrie um Hilfe; aber niemand half ihr.

Sie stürzte auf die Knie nieder und flehte diesen Schurken um ihr Leben an, aber er dürstete nach ihrem Blute.

Sie sprang noch einmal auf, floh rund um den Raum, streckte wie hilfesuchend ihre Arme nach dem Gestirne aus - in diesem Augenblick hatte John Crofton sie erreicht und die letzten Worte der Unglücklichen erstarben in der Anrufung des roten Kometen, von dem sie Hilfe, von dem sie Vergeltung forderte.

John Crofton hatte sich auf sie geworfen und seine Finger in ihren Hals gekrallt. Er ließ sie nicht mehr los, bis das letzte Leben aus ihr entflohen war.

Dann wandte er sich, halb von Schauder, halb von Freude überwältigt, ab, taumelte zur Tür und rief nach Romulus Futurus. Der kam. Er warf nur einen entsetzten Blick auf die Leiche. Dann hob er sie mit Hilfe John Croftons auf.

Und die beiden Verbrecher trugen den entseelten Körper nach der Galerie.

Von den Straßen herauf tönte jenes eigentümliche, surrende Geräusch, das das Zusammenströmen großer Volksmassen verkündet. Dann und wann hörte man den verlorenen Ton einer lauten schreienden Stimme. Dazwischen Johlen, Händeklatschen und Pfeifen.

In der Ferne ein Trommelwirbel.

Ganz Berlin befand sich in Aufruhr; aber die beiden Männer, die zwischen sich den entseelten Körper der Frau Fabia trugen, achteten auf nichts. Romulus Futurus befahl seinem Freund, den Leib Fabias gerade unter sein Bild zu legen.

Er hatte sich eine kunstreiche Konstruktion erdacht, um die geheimnisvolle Gestalt in dem Augenblicke sehen zu können, da sie sich auf der „Lumen“-Platte abbildete. Während er nämlich unter seinem Bild einen starken Reflektor anbrachte, wartete er, indes er einerseits zu dem Spiegel, andererseits zu dem photographischen Apparat in einem rechten Winkel stand. Gleichzeitig legte er sich zwei äußerst lichtempfindliche Gläser, die alles in riesiger Vergrößerung spiegelten, über die Augen.

So verharrte er regungslos, während das Toben auf den Straßen allmählich verstummte; denn man hörte weit in der Ferne den Schritt der herannahenden Bataillone.

Während der Gelehrte also halb ängstlich, halb voll wahnwitzigen Hoffens seine Augen fieberhaft auf den Reflektor heftete, der die Gestalt in dem Augenblick spiegeln sollte, da sie auf der lichtempfindlichen Platte erschien - Romulus Futurus konnte also ganz einfach die Platte in dem Spiegel erblicken; denn das Wesen selbst war ja für das Auge nicht sichtbar - während er beide Hände gegen das wildpochende Herz preßte, um es gewaltsam zur Ruhe zu zwingen, hatte sich John Crofton mit einem hämischen Lächeln in einen Sessel geworfen.

„Zu dumm,“ dachte er. „Dieser Narr glaubt, er könne das Unmöglichste vollbringen ! Sind die Menschen nicht wirkliche Hampelmänner, die sich an den Schnüren unseres Willens bewegen und drehen, wie wir es wollen, wenn wir nur erst die Kraft dazu haben ?

Romulus hat mir das Henkergeschäft über sein Weib übertragen; er wird nie das Recht und die Fähigkeit besitzen, mich zu bestrafen.“

Inzwischen aber wurden die Gedanken John Croftons abgelenkt. Er sah in der grellroten Helle, die durch das Fenster drang, wie Romulus Futurus plötzlich in ungeheure Aufregung geriet. Er sah es an dem Spiele der Gesichtsmuskeln. Draußen stand, riesengroß, eine gewaltige Kugel, der Komet.

Romulus Futurus hatte die Gestalt erblickt. In dem Augenblick, da sie unter sein Bild getreten war, hatte die lichtempfindliche Platte sie festgehalten, und diese spiegelte sich nun in dem Reflektor, der das Bild in die Augen des Astronomen zurückwarf.

Futurus richtete sich hoch auf. Ohne ein Wort zu sprechen, zog er seinen ganzen Willen, all seine Energie und innere Macht in seine Augen und blickte das schemenhafte Wesen an.

Da wandte dieses sich um und drehte ihm das durchsichtige Gesicht zu, dieses wunderschöne Antlitz, das er nur fühlte, aber nicht sehen konnte.

Und sagte, während seine Stimme dumpf klang, als käme sie aus weiter Ferne:

„Wer du auch sein mögest, ich befehle dir, mir zu gehorchen!“ Er bemerkte deutlich, daß etwas wie Schrecken die Gestalt erfaßte. Sie sah ihn starr an, offenbar unfähig, den Blick von ihm zu wenden, ohne daß Romulus Futurus eigentlich ihre Augen sehen konnte, und er fuhr fort, triumphierend über den schnellen Sieg, den er errungen hatte.

„Ich befehle dir, in diesem Leib Wohnung zu nehmen!“

Mit diesen Worten deutete Romulus Futurus halb auf den Leichnam seiner Gattin Fabia, halb hob er beschwörend die Hände und beschrieb die magischen Zeichen über der seltsamen Gestalt.

Sie gehorchte nicht sofort. Es war wie ein stummer Widerstand, den sie dem gigantischen Willen des Gelehrten gegenübersetzte. Aber der ließ nicht nach.

In dem Augenblick, da er das schemenhafte Wesen wieder erblickt, war auch seine namenlose Leidenschaft gewachsen, und mit einem Willen, der stärker war als alles Menschliche, wiederholte er noch einmal den Befehl, während die Gestalt, von unwiderstehlicher Macht angezogen, sich immer mehr dem Körper der Frau Fabia näherte. Und schließlich gab sie den Widerstand auf. Aber es war Romulus Futurus, als ob das geisterhafte Wesen eine unendliche Traurigkeit zeigte  im nächsten Augenblick war es zerflossen wie nichts, und der Astronom sah nur mehr einen schwachen Nebel, der in der purpurroten Nacht verschwand.

Gleichzeitig sank er selbst erschöpft, mit hämmernden Pulsen in einen Sessel zurück.

In großen Tropfen stand der Schweiß auf seiner Stirn.

John Crofton aber, der alles gehört, doch nichts gesehen hatte, war halb von seinem Sitze aufgestanden, streckte den Kopf vor und lauschte mit zitterndem Atem.

Plötzlich regte sich Frau Fabias Körper.

John Crofton riß die Augen weit auf. Er wollte, er konnte es nicht glauben! Namenloses Entsetzen erfaßte ihn. Hatte er sie denn nicht mit eigenen Händen erwürgt ? War es möglich, daß noch Leben in ihr war ? Stehen denn die Toten auf, um sich an den Lebenden zu rächen ?

Indem er die Beine an sich zog und sich zitternd in dem Sessel barg, starrte er zu Frau Fabia hinüber.

Sie erhob sich langsam von der Erde, mit jener müden Bewegung, die die zeigen, welche eine lange Reise gemacht haben, glättete das seidene Kleid und sagte, unfähig, im ersten Augenblicke die zwei Männer zu erkennen, die tief im Schatten saßen:

„Wo bin ich ?“

Plötzlich aber schien ihr eine unbestimmte Erinnerung zu kommen, eine Erinnerung, die wenig mit der Wahrheit zu tun hatte und die sich nur dem Augenblicke anpaßte.

„Ganz recht !“ murmelte sie lächelnd, indem sie die schweren, dunklen Haarsträhnen aus der Stirne strich. „Ganz recht ! Ich bin in den Ahnensaal getreten und habe vermutlich dein Bild betrachtet, Romulus; dabei hat mich der Schlaf übermannt. Wie lächerlich das ist !“

Und sie ging auf Romulus Futurus zu, der sie im ersten Augenblick wie etwas Furchtbares anstarrte. Dann aber sprang er auf, eilte ihr entgegen, schloß sie in seine Arme und preßte sie an sich.

„Nicht war, du liebst mich? Du liebst mich rasend, wie immer ? Du wirst nie von mir gehen ? Wir werden ewig in die Sonne unserer Liebe wandeln ?“

Sie schlang die weißen Arme um seinen Hals und flüsterte:

„Habe ich dich nicht immer geliebt ? Wohl ist es mir, als ob wir uns heute zum erstenmal sähen. Aber dein Bild war immer bei mir !“

Romulus Futurus bedeckte dieses Antlitz mit Küssen, das ihm vor kurzem so gleichgültig, beinahe hassenswert erschienen war. Er küßte Frau Fabia so lange, bis er endlich wahrnahm, daß er vergeblich die Züge jenes seltsamen Wesens in dem Antlitz seiner Gattin suchte.

Da erfaßte ihn etwas wie eine lähmende, dunkle Traurigkeit.

John Crofton aber war ruckweise, Schritt für Schritt näher getreten und starrte Frau Fabia an.

An ihrem Halse zeichneten sich drei Finger ab, links ein Daumen, rechts der Zeige- und der Mittelfinger.

Jetzt wandte Frau Fabia den Kopf und erblickte John Crofton . . . Diesem war es, als ob der Blitz ihn treffen müßte. Er riß einen Teppich von der Erde auf und hielt ihn vor das Gesicht, dieses mit dem halbausgestreckten Arme deckend. So stand er da, das personifizierte böse Gewissen, und zitterte.

Frau Fabia sah verwundert diese Bewegung und fragte ihren Gatten:

„Wer ist dieser Mann ?“

Romulus Futurus lächelte düster.

„Das ist mein Freund, John Crofton. Solltest du ihn nicht kennen ?“

„John Crofton ?“ wiederholte sie, während ihr Antlitz einen gequälten Ausdruck annahm. Offenbar suchte sie in der Erinnerung nach dem Namen dieses Mannes, und sicherlich war etwas Schattenartiges da, das sie nicht fassen konnte. Sie schüttelte den Kopf und sagte:

„Ich kenne ihn nicht !“

John Crofton holte tief Atem. Er ließ die Decke sinken und starrte der schönen Frau ins Gesicht. War es möglich, daß sie noch reizender geworden ? Hatten Frau Fabias Augen erst den Glanz matt schimmernder Perlen gehabt, so leuchteten sie jetzt wie Sterne in einem tiefen, unbeschreiblichen Glanze. Auch ihre Bewegungen waren noch mehr dazu angetan, das Verlangen John Croftons zu wecken, der in diesem Augenblick von neuem von jener rasenden, teuflischen Leidenschaft erfaßt wurde, die ihn schließlich zum Mörder hatte werden lassen.

Aber er verbarg seine Empfindungen ängstlich ebenso vor Frau Fabia als vor dem Freunde. Er beugte sich nieder, führte die Hand der schönen Frau galant an seine Lippen und drückte dann schweigend Romulus Futurus die Rechte.

„Es ist geglückt, mein Freund ! Ich gratuliere dir !“

Romulus Futurus hob die beiden Arme wie beschwörend zur Decke empor und flüsterte:

„Ich bin von heute ab der glücklichste aller Menschen, John Crofton ! Hast du nicht bemerkt, daß selbst ihre Stimme sich verändert hat ? Sie spricht ganz anders und ich erkenne in jeder Bewegung, in allem instinktiv jenes Wesen wieder, das ich vor meinem Bilde zum ersten Mal gesehen habe.“

Darüber, wer jenes Wesen sein könnte, dachte weder Romulus noch Crofton nach. Die Wünsche der beiden Männer trafen sich zunächst nur in dem rasenden Verlangen, Frau Fabia zu besitzen. Wie ein Trunkener ging John Crofton nach Hause, auf neue Mittel sinnend, dieses Weib zu gewinnen, das er in der vergangenen Nacht mit eigenen Händen getötet hatte.










No comments:

Post a Comment