Saturday, May 20, 2017

Drei-Minuten-Roman - von Heinrich Mann (aus novellen Flöten und Dolche. 1905 )



Als ich einundzwanzig war, ließ ich mir mein Erbteil auszahlen, ging damit nach Paris und brachte es ohne besondere Mühe in ganz kurzer Zeit an die Frau. Mein leitender Gedanke bei dieser Handlungsweise war: ich wollte das Leben aus der Perspektive eines eigenen Wagens, einer Opernloge, eines ungeheuer teuren Bettes gesehen haben. Hiervon versprach ich mir literarische Vorteile. Bald stellte sich aber ein Irrtum heraus. Es nutzte mir nämlich nichts, daß ich alles besaß: ich fuhr fort, es mir zu wünschen. Ich führte das sinnenstarke Dasein wie in einem Traum, worin man weiß, man träume, und nach Wirklichkeit schmachtet. Ich schritt an der Seite einer chiken, ringsum begehrten, mir gnädigen Dame nur wie neben den zerfließenden Schleiern meiner Sehnsucht . . .

Wenige Tausende lagen noch in meiner Brieftasche, da öffnete ich sie unvorsichtigerweise eines Nachts auf einem öffentlichen Ball unter den Augen eines jungen Mädchens. Sie lud mich ein und ich folgte ihr weitab in ein kelleriges Haus mit schlüpfrigen Treppen und mit Wänden, von denen es troff. Ich hatte soeben meinen Rock über einen Stuhl gehängt, da klappte der Bettvorleger, auf dem ich stand, mitsamt einem Stück Diele nach unten, und ich rutschte in einen Schacht hinein. Er war ziemlich weit. Ein Vorsprung ermöglichte es mir, drei oder vier Fuß unterhalb des soeben verlassenen Zimmers einen Aufenthalt zu nehmen und der Freude einer weiblichen und einer männlichen Stimme über meine Hinterlassenschaft beizuwohnen . . . Auch das war eine Perspektive. Es war nicht jene oberweltliche, der zuliebe ich nach Paris gekommen war. Es war eine aus traumfremder, aus traumschlimmer Tiefe. Aber ihr eignete etwas Stillendes.

Damals blieb mir kaum noch Drang, wieder ans Licht zu steigen. Übrigens ging die Klappe in die Höhe. Ich schloß die Augen und ließ mich weiter hinuntergleiten. Wider Erwarten brach ich nicht den Hals, sondern entkam durch einen Kanal. Entkam bis nach Florenz — wo ich mir wünschte, den gepuderten Pierrot zu lieben, der in einer Pantomime des Teatro Pagliano jeden Abend vor einem Haubenstock in die Knie sank, weil er zu schüchtern war, es vor seiner Angebeteten zu tun; der sie bekam, betrog, arm machte; der spielte, stahl, und dem seine kindlich hingetändelten Verbrechen immer schmelzendere Kreise um seine unschuldigen Sünderaugen zogen. Zuletzt starb er, am Schluß eines etwas frostigen Apriltages, in all seiner rosigen Verderbtheit, zu den leichten Tränen einer schlanken, biegsamen Musik . . . Ich wünschte mir, ihn zu lieben. Nur war er, wenn er die Bühne verließ, eine bedeutende Courtisane und kostete allein den Conte Soundso im Monat tausend Lire, was in Florenz sehr, sehr viel Geld ist. Ich ging also zu ihrem Coiffeur und gab ihm meinen letzten Kassenschein dafür, daß er mich anlernte und mit Schminken und Puder zu ihr in die Garderobe schickte. Meine Dienste befriedigten sie nicht immer; und die erste Berührung ihrer schönen, vollen und spitzen Hand erfuhr ich in meinem Gesicht. Eines Abends, als ich ihr eine neue Perrücke aufprobieren sollte, wagte ich mich mit allem heraus und ward von ihr entlassen. Ich wünschte mir weiter, sie zu lieben . . .

Unsere Beziehungen entwickelten sich jäh. Der Conte Soundso, von dem sie tausend Lire bekam, zog sich plötzlich und unter Protest von ihr zurück. Er hatte bereits den größten Teil seiner Familie unglücklich gemacht: durch ihre Schuld, wie er vorgab. Auch andere erklärten sich für geschädigt in ihrem Besten, dank ihr. Nun ward sie selbst von allen entlassen, wie sie mich entlassen hatte; auch von ihrem Direktor. Bald mußte sie, gepfändet, dem Hospital entlaufen, verachtet und umhergejagt, sich begnügen mit dem, was auf der Straße zu finden ist. Und so oft sich noch einer von diesen durch sie ins Verderben ziehen ließ, erlitt sie selbst dabei die unsinnigsten Schmerzen . . . Dies war der Zeitpunkt, wo sie mir erlaubte, ihr ein Lager aufzuschlagen in meiner Dachkammer am Ende der engen und volkreichen Via dell’ Agnolo. Da lag sie nun in den Mondnächten, den Kopf an der dunkeln Wand, nur die Hände immer unterwegs zu geisterhaft grellen Schlichen und Windungen, wie kranke, launische Blumen, die nach Insekten schnappen. Ich saß am Tisch bei einer Talgkerze und schrieb. Es war eine hallende, glitzernde, stahlblaue Stille in der Weite; und der junge Pierrot war mondgepudert und sterbensmüd aus seinen Sündenfahrten hergetaumelt, grad’ in mein Zimmer. Wie ich mir wünschte, ihn zu lieben! . . . Sie schlug den Blick auf, schmelzend von sanftem Erstaunen über das Schicksal. Sie ließ sich widerwillig pflegen von mir, suchte dabei immer mit den Augen in mir. Sie verachtete mich, weil ich noch bei ihr aushielt. Sie begehrte mich, weil sie mich nicht begriff. Sie hatte manchmal Grauen, manchmal stürmisches Verlangen, manchmal Haß. Sie quälte mich, ganz glücklich, noch ein wenig böse sein zu dürfen, noch einen Schatten von Rache zu haben für das, was mit ihr geschah. Dann weinte sie an meiner Schulter. Und wieder suchten ihre Augen in mir: warum ich sie noch liebe. Eine Antwort bekam sie nicht. Hatte ich sie doch niemals geliebt; ich wünschte es mir nur . . .

In einer dieser Nächte starb sie. Ich stieg darauf zur Straße hinab; und die leere Via dell’ Agnolo entlang und die kleinen rinnsteinartigen Nebengassen entlang weinte ich in der Finsternis Tränen, auf die ich namenlos stolz war, und deren Versiegen ich nicht erleben wollte . . . Sie dauerten nicht viel weniger als eine Stunde: die Stunde, die in meiner Erinnerung das beste, wahrste, schönste Stück meines Lebens umfaßt . . . Aber ich ward schon matt; — und inmitten der Scham und des Zornes über mein Versagen fand ich ganz bequem dazu Muße, um mein Leben zu bangen, weil vor meinem Hause zwei verdächtige Gesellen standen. Ich ging auf sie los, aus Furcht davor, ihnen den Rücken zuzukehren. Der eine hatte eine zerquetschte Nase, Kalmückenaugen, einen viereckigen Oberkörper, kurze, krumme Beine. Der andere, in einem dünnen Jäckchen und mit etwas Schwarzem um den Hals, war schlank, dunkel, außerordentlich schön. Er setzte sich in Bewegung, kam mit der Hand in der inneren Brusttasche und den andern neben sich, mir entgegen. Er hatte den Gang der Toten! . . . Ich tat gebannt und doch mit fliegenden Sinnen noch zwei Schritte. Aus seinem blassen, dicklippigen Gesicht — ihrem Gesicht — sah ich schon die Wimpern schwarz herausstechen. Das Heft des Messers erschien in seiner Faust am Rande des Jäckchens. Mein Tod stand beschlossen auf seinem Gesicht. Auf dem der Toten. Sie hatten nur eines, denn er war ihr Bruder. Er war mit einem Kumpanen in die Stadt gekommen, um sie von mir zu befreien; weil er der Meinung war, daß sie im Getändel mit mir ihr Geschäft versäume und darum den Eltern und ihm kein Geld mehr schicke.

Auf einmal — fast berührte ich mich schon mit ihrem Bruder — wichen die zwei mir im Bogen aus, gaben den Weg frei, verleugneten mich und verschwanden. Ich konnte, halb ohnmächtig, nicht mehr beurteilen, was vorging. Dann erst hörte ich den Trab eines Dritten, der aus dem Dunkel hervor, dazwischengetreten war. Es war ein schmächtiger Mensch mit einem Röckchen über dem Arm, und hatte es sehr eilig, weiterzukommen. Aus Dankbarkeit, aus Kopflosigkeit, aus Gemeinschaftsgefühl machte ich zwei lange Sätze hinter ihm her. Er rückte geängstet die linke Schulter, fing an zu laufen. Er lief davon vor mir; er hielt mich für etwas anderes als ich war. Auch ihr Bruder hatte mich verwechselt. Und ich habe das Gefühl, als sei der Verkehr von Menschen immer so ein ratloses und grausames Durcheinander von Irrtümern, wie diese nächtliche Szene an der Ecke der Via dell’ Agnolo . . .

In Mailand, meiner Heimatstadt, ließ ich mir etwas Geld geben für das, was ich geschrieben hatte in den fragwürdigen Nächten gegenüber einer Kranken, die ich nicht liebte. Eine hochstehende, begabte Dame warf sich aus diesem Anlaß auf mich. Sie sagte, sie suche, seit sie lebe; ihre Existenz sei tragisch; und den, der dies geschrieben habe, müsse sie lieben. Ich fand im stillen, das gehe nicht mich an, und war höflich. Ich schulde ihr Dank, behauptete sie; denn niemand auf der Welt werde mich je verstehen wie sie. Das gab ich nicht zu, sträubte mich und erkannte meine Schuld nicht an. Ihre Existenz sei tragisch, wiederholte sie, und ein Sturz vom Felsen von Leukos werde sie enden. Ich war entrüstet, geschmeichelt und befremdet. Wie kam ich zu solchen Dingen? Ich wollte nichts von ihnen wissen. Niemandem erteilte ich das Recht, meine Einsamkeit zu brechen. Die chiken, ringsum begehrten, mir gnädigen Damen meiner Jugend waren nur mit zerfließenden Schleiern an mir hingestreift. Pierrot war mondgepudert gestorben, wie ein Reflex. Und ein Körper wollte nun hinein zu mir? Wollte mich heilen? Mir Wirklichkeit verleihen? Mir mein Leiden fortlieben? Aber alles Interesse an mir selbst hing ab für mich von diesem Leiden! Jedes kranke Gesicht ist vornehmer als jedes gesunde. Ich war nicht geneigt, zu sinken. Ich versuchte ihr nahe zu bringen, daß sie sich widerspreche, wenn sie mich für meine Bücher lieben wolle: denn dies hebe meine Bücher auf. Es kam ihr nicht nahe; sie wollte ja glücklich sein, also glücklich machen. Was waren ihr Bücher. Ich fand sie schließlich nur noch dumm und mißhandelte sie dafür, entschlossen, aber mit dem Vorbehalt, mich dieses Stückes Seele zu schämen, wenn einst Zeit dazu wäre, und Kunst zu machen aus der Scham . . .

Als ihre Krisis überstanden war und sie anfing, sich loszulösen, holte ich sie zurück und nötigte sie, meine Freundin zu sein. Es befriedigte mich, sie als einen Beweis meiner ungebrochenen Einsamkeit vor Augen zu haben . . .

Diese Einsamkeit gleicht einer jähen Windstille vor der Ausfahrt. Eben klettern noch eine Menge Matrosen rastlos umher an Masten und Schiffswänden, heben Anker, binden Segel los, spannen sie aus. Im nächsten Augenblick fallen die Segel schlaff zusammen, das Schiff rührt sich nicht, die Leute rutschen herab, stehen und sehen sich an . . . Auf diesen Seiten haben sich wohl ungewöhnliche Sachen ereignet? Meine Lebensstimmung aber ist kahl, als sei nie etwas eingetroffen. Sind hier etwa die Mitglieder eines hervorragenden Variétés, dem Publikum zu heftigerer Unterhaltung, sämtlich wahnsinnig geworden? Ich meinesteils sitze, scheint mir, die ganze Zeit vor einem Grau-in-Grau-Stück, wo lebenslänglich auf langweilige Art gestorben wird. Was ist Wirklichkeit.

Wirklich waren vielleicht die Tränen, die ich einst die leere Via dell’ Agnolo entlang und die kleinen rinnsteinartigen Nebengassen entlang geweint habe, in einer Nacht, fast eine Stunde. Die Stunde war wirklich. Von einem Leben fast eine Stunde. Oder wenigstens die erste halbe Stunde war wirklich. Vielleicht . . . Aber es ist nicht ganz sicher.


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   Heinrich Mann (1871 - 1950)

Thursday, May 4, 2017

LIEBE von Ada Christen


 

LIEBE

von  Ada Christen

Ach ja, es ist nur allzu wahr,
 Was nützt dir mein Lieben und Leben,
 Und würd' ich aus den Adern
 Mein rothes Blut dir geben.

 Blut ist Blut und bleibt es,
 Und wird ja nie zu Geld,
 Und Geld gehört zum Leben:
 Das ist der Lauf der Welt.

 Mein Leben nützt dir nichts;
 Bezahlte man mich für's Sterben,
 Ich stürbe ja gerne morgen
 Um Alles dir zu vererben.


 
 



DAS EINMALIGE - von © Klaus Lutz

. 13:


DAS EINMALIGE 

von © Klaus Lutz 

 wenn ich früher etwas besonderes sagen
 wollte, dann habe ich viel nachgedacht.
 heute rede ich nur mit dir.

 wenn ich früher etwas beonderes sehen
 wollte, dann bin ich gereist. 
 heute sehe ich dich nur an.

 wenn ich früher etwas besonderes erleben
 wollte, dann bin ich auf parties gegangen.
 heute nehme ich nur deine hand.

 wenn ich früher etwas besonderes wissen
 wollte, dann, habe ich in büchern gekramt.
 heute höre ich dir nur zu.

 wenn ich früher etwas besonderes sein
 wollte, dann habe ich teure kleider gekauft.
 heute bin ich neben dir.

 wenn ich früher die wahrheit wollte, dann
 habe ich mit klugen menschen geredet.
 heute gibt es nur dich.

 heute gibt es das leben. es ist soviel, was
 es hat. wenn du etwas sagst. wenn du etwas
 gibst. wenn du nur da bist.


 
R-Oksan@
R-Oksan@